Eine Geschichte von Sklaverei und Schuldknechtschaft

Kurzer Abriß der Geschichte Haitís

Nachdem der Westteil der Insel Hispañola – der ersten spanischen Kolonie in der Karibik – im Laufe der Jahrhunderte durch eine Mischung aus Piraterie und Besiedlung durch hugenottische Flüchtlinge der spanischen Krone abspenstig gemacht wurde, verzichtete 1697 Spanien offiziell auf dieses Territorium.
Das darauffolgende Jahrhundert gilt als „Blütezeit“ Haitís: Französische Plantagenbesitzer importierten in großen Mengen afrikanische Sklaven und exportierten Kaffee und Zuckerrohr nach Europa. Der ständige Sklavenimport war notwendig, weil sie bei der Plantagenarbeit schnell vernutzt wurden und ständig ersetzt werden mußten. Es ist also sehr bezeichnend, was Blütezeit hier (und meistens auch anderswo) heißt: Die Handelsbilanz stimmte, die Produzenten des solchermaßen erwirtschafteten abstrakten Reichtums hatten nichts davon.

Die Ideen der französischen Revolution konnten von dieser französischen Kolonie nicht ganz ferngehalten werden. Vor allem der erste Artikel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ – wurde von den schwarzen Sklaven – richtigerweise – als ein Beschluß zur Aufhebung der Sklaverei angesehen, obwohl die Nationalversammlung in Paris ausdrücklich die Ungültigkeit dieser Prinzipien für die Kolonien erklärt hatte.
(Auch ein kleiner Widerspruch, „allgemeine“ Rechte zu erklären und dann gleich nachzuschieben, daß sie so allgemein doch nicht seien.)

Und die Sklaven Saint-Domingues (Haitís Name bis zur Unabhängigkeit) erhoben sich gegen die Kolonialherrschaft und ihre weißen Herren.
Unterstützt wurden sie auch von der Schicht der mulattischen Eigentümer, die nationale Souveränität anstrebten, um sich zur neuen herrschenden Klasse Saint-Domingues zu machen.
Die aufständischen Sklaven von Saint-Domingue überlasen den 2. Satz des ersten Artikels: „Soziale Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.“ Aber davon später.

Bei dem von beiden Seiten mit äußerster Grausamkeit geführten Krieg zwischen den schwarzen Sklaven und den weißen Kolonialherren kamen den Aufständischen zwei Umstände zugute: Erstens, daß Frankreich nie einen richtigen staatlichen Gewaltapparat in Saint-Domingue eingerichtet hatte, sondern die Herrschaftsaufgaben größtenteils der Privatinitiative der dort ansässigen Pflanzer und Kaufleute überlassen hatten. Zweitens, daß Frankreich selbst in Europa einige Kriege um die Verteidigung seiner republikanischen Verfassung führen mußte und wenig Militär in die aufrührerische Kolonie abkommandieren konnte.
Der Armee der ehemaligen Sklaven gelang sogar zeitweise die Eroberung des spanischen Teils der Insel, wo sie ebenfalls die Aufhebung der Sklaverei verkündeten, von dem sie aber von französischen Truppen bald wieder vertrieben wurden. 1804 erklärte Haití seine Unabhängigkeit.

Man muß sich vor Augen halten, was dieser Akt der Aufhebung der Sklaverei und die Ausrufung einer Republik der Freien in der damaligen „internationalen Staatengemeinschaft“ bedeutet hat. Es war eine Provokation ohne Grenzen und brachte das damalige Gefüge von Herrschaft und Knechtschaft total durcheinander.
Die meisten spanischen Kolonien erkämpften ihre Unabhängigkeit um 1811 herum und hoben zwar die Sklaverei formell auf, wenngleich sie unter anderem Namen bis ins 20. Jahrhundert fortbestand. Es war aber die kreolische Oberschicht, die nachher die Macht übernahm, und keinesfalls, wie in Haiti, die sich von ihren Herren befreit habenden Underdogs. In den USA brauchte es einen mehrjährigen Bürgerkrieg, um die Sklaverei abzuschaffen, und auf der Nachbarinsel Kuba wurde die Sklaverei erst um 1875 aufgehoben, im Zuge der Unabhängigkeitskriege.
Nirgends jedoch auf der Welt war es so, außer in Haití, daß die Sklaven selber ihre Freiheit erkämpften und die Macht übernahmen.

An Haití mußte also ein Exempel statuiert werden, das andere kolonialisierte Bewohner der Neuen Welt vor einem solchen Schritt der Rebellion abschreckte.

Die Unabhängigkeit Haitís wurde von keiner führenden Weltmacht und – unter dem Druck der Großmächte – auch nicht von den frischgebackenen Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreichs anerkannt.
Um irgendwie einen Platz in der Welt zu erlangen, das Ende des gegen sie verhängten Handelsembargos zu erwirken, und das ständig drohende Risiko fremder Interventionen abzuschwächen, die sich unter dem Beifall aller imperialistischer Mächte dieses Niemandsland aneignen würden, unterzeichnete die Regierung Haitís 1825 und 1826 Verträge mit Frankreich, in denen sie sich im Austausch gegen die Anerkennung als Staat zur Zahlung von Entschädigungszahlungen bereit erklärte. Von 150.000 Goldfrancs wurde diese Schuld angeblich später auf 90.000 reduziert. Über die Höhe dieser vertragsmäßig übernommenen und dann auch tatsächlich gezahlten Summe gibt es verschiedene Angaben. Ihr genaue Höhe ist aber gleichgültig, es geht um das Prinzip, das damit ausgedrückt wurde.

Mit dieser Schuld übernahm Haití erstens die Anerkennung des Privateigentums. Seine Regierung erkannte gezwungenermaßen an, daß das erst gewaltmäßig angeeignete – und später auch wieder gewaltmäßig enteignete – Land rechtmäßiges Eigentum der Plantagenbesitzer und Sklavenhalter gewesen war, und ihr Akt der Enteignung unrechtmäßig, weshalb ihre früheren Unterdrücker und Ausbeuter bzw. deren Nachfahren zu entschädigen seien.

Die Befreiung vom Joch der Sklaverei wurde also im Nachhinein zu Unrecht erklärt, die Sklaverei zu Recht.

Zweitens, Haití wurde damit in die internationale „Arbeitsteilung“ hineingezwungen. Seinen Bewohnern wurde klargemacht, daß sie sich nicht einfach um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern und sich vielleicht auf eine Art Selbstversorgung einrichten könnten, sondern daß sie sich darum zu kümmern hätten, an international anerkanntes Zahlungsmittel heranzukommen, um diese Schuld zu begleichen. Sie mußten also exportfähige Produkte herstellen, die Abzug vom ohnehin geringen nationalen Reichtum bedeuteten. Sie waren also genötigt, wieder vermehrt Kolonialwaren wie Kaffee und Zucker anzubauen, anstatt die Anbauflächen für Grundnahrungsmittel zu verwenden. Es entbrannte ein erbarmungsloser Kampf um das Land zwischen der neuen herrschenden Elite, die sich um die Begleichung der Schuld bemühte, und dem Rest der Bevölkerung, die einfach nur leben wollte – ein Kampf, der bis heute anhält.

Drittens, Haití konnte sich trotz aller Anstrengungen von dieser Schuld nie befreien. Es wechselte nur die Gläubigerländer, indem sie in anderen Staaten Kredite aufnahm, um sich von der Abhängigkeit von Frankreich zu lösen. Vom klassischen Kolonialismus stürzte es also in die moderne Schuldenfalle, die bewährte Waffe des modernen Imperialismus – auch darin durchaus ein Pionier unter den Unabhängigkeitsbestrebungen der 3. Welt.

Haití und der Imperialismus heute: strategisch wichtig, ansonsten unwichtig

Bezüglich seiner inneren Verfaßtheit hat sich Haití einen Widerspruch geleistet, an dem das Land bis heute trägt: Es hat sich die Ideale der bürgerlichen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – auf seine Fahnen geschrieben, ohne über die bürgerliche Klasse von Besitzenden zu verfügen, die sich diese Prinzipien für ihr Gedeihen seinerzeit ausgedacht und in ihre Verfassungen hineingeschrieben haben. Haití war von Anfang an ein Staat der Proletarier, aber gemäß den Idealen des Bürgertums. Der seit 2 Jahrhunderten unternommene und größtenteils erfolglose Versuch – vor allem der Minderheit der Mischlinge –, eine bürgerliche Klasse als Besitzer produktiven Eigentums erst einmal zu schaffen und sich durch die Aneignung der unbezahlten Mehrarbeit der Eigentumslosen zu bereichern, ist die Grundlage der stets bejammerten „Instabilität“ Haitís.

Ein weiteres Handicap Haitís ist seine Lage. Seine Westküste stößt an die Windward Passage, den wichtigsten Verkehrsweg für die USA zum und vom Panama-Kanal. Die USA waren daher schon vor der Eröffnung des Panamakanals (als die Landenge von Panama auch bereits ein wichtiger Transportweg war) im Jahr 1914 sehr interessiert an der Kontrolle über Haití. Als Haití versuchte, seine Kreditabhängigkeit zu „diversifizieren“ und Deutschland in die Liga seiner Gläubiger aufnahm, nötigten die USA 1910 die damalige Regierung Haitís, einen Kredit bei amerikanischen Banken aufzunehmen, um ihre Kreditabhängigkeit in Richtung USA zu verlagern. Um die Bezahlung dieser Kredite sicherzustellen, besetzten die USA schließlich 1915 Haití. Die folgenden 19 Jahre lang hielt die US-Besatzung die Armen Haitís in Schach, setzte diverse Marionettenregierungen ein und ab und versuchte, aus dem Land an Reichtum herauszuquetschen, was eben irgendwie möglich war. Der Abzug der USA 1934 war wiederum mit politischen und wirtschaftlichen Auflagen verbunden, die sicherstellten sollten, daß dieses Land sich weiterhin dem Druck von Geschäft und Gewalt nicht entziehen konnte.

Die neuere Geschichte Haitís ist geprägt durch seine Nähe zu Kuba. Direkt nebenan ist nämlich ein Staat entstanden, der sich durch die Hilfe der inzwischen untergegangenen Sowjetunion dem Diktat des Weltmarktes entziehen konnte und sich die Versorgung seiner Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat. Für die verelendeten Massen Haitís muß so eine Herrschaft als eine Art irdisches Paradies erscheinen. Die USA und ihre Verbündeten mußten also alles tun, um ein Überspringen dieses „Bazillus“ zu verhindern. Zunächst fanden sie einen kongenialen Statthalter unter Francois Duvalier (1957-71). Als zweifelhaft war, ob sein Sohn seine Bevölkerung genauso mit dem nötigen Terror in Schach halten würde, ließen seine Gönner in Washington ihn 1986 fallen. Seither suchen die imperialistischen Mächte nach einem geeigneten Ersatz, was schließlich aufgrund von Erfolglosigkeit 1995 in einem UNO-Mandat mündete.

Inzwischen haben sich die USA offenbar wieder für Direktintervention entschieden.

Die Spenden, die jetzt reichlich Richtung Haití fließen, dienen ein und demselben Zweck wie alle Maßnahmen der letzten 200 Jahre: Die Haitianer dazu zu bringen, ihr Elend „in Würde“ zu ertragen, keine Spielregeln zu verletzen, sich dem Weltmarkt unterzuordnen, – und auf jeden Fall Liebäugeleien mit dem „kubanischen Modell“ zu unterlassen.

Alle Spenden, die irgendwer für Haití einzahlt, werden für diese Zwecke verwendet. Dafür sorgen die Herrschaften vor Ort schon.

Die Aasgeier sind unterwegs

„Bad Banks“ für Osteuropa
Wie einem Artikel des „Standard“ vom 21.1. zu entnehmen ist,
gründet die Weltbank inzwischen in Wien ein (vielleicht auch mehrere) Tochterunternehmen, die sich mit den in den postsozialistischen Ländern haufenweise angefallen faulen Krediten befassen sollen.
Dieses ambitiöse Unterfangen ist mit dem Namen „Bad Bank“ nicht ganz erschöpfend beschrieben. (Ausführliches zum Konzept der „Bad Bank“)
Dieser Ausdruck bezeichnet nämlich zunächst eine Institution, die den Banken zweifelhafte Wertpapiere abkauft, um diese Zettel vor der völligen Entwertung zu schützen und die Banken durch diese Geldspritze wieder „liquide“, also zahlungs- und geschäftsfähig zu machen. Der Adressat einer solchen „Bad Bank“ sind also ins Strudeln geratene Banken, und finanziert wird sie vom Staat, der damit seinen Banksektor stützen und wieder funktionsfähig machen will.
Die Weltbank-Unternehmen, die hier vorgestellt werden, stellen schon eine Weiterentwicklung dieser Müllschlucker-Banken dar: Sie sind nämlich selbst schon wieder gewinnorientierte Unternehmen, die mit dem Aufkaufen fauler Kredite zwar einerseits schon die osteuropäischen Banken – bzw. die Osteuropa-Töchter westllicher Banken – stützen wollen.
Zunächst einmal jedoch soll damit eine gewisse Auswahl getroffen werden: Welcher Bank werden wieviele Kredite zu welchen Preisen abgekauft, und welche läßt man einfach baden gehen? Eine Bereinigung des osteuropäischen Bankenwesens steht nämlich an, die Kreditwürdigkeit der dortigen Unternehmen und Normalverbraucher wird von neuem unter die Lupe genommen und geprüft werden müssen: Womit kann man noch auf Geschäfte rechnen in Ungarn, in Lettland, in Kroatien usw. und welche Kunden und Sektoren gehören endgültig abgeschrieben? Diese Untersuchungen und deren praktische Umsetzung werden wieder einiges an Produktion und Jobs in diesen Ländern kosten, soviel läßt sich jetzt schon sagen.
Zweitens werden die österreichischen (und auch andere an der Region interessierten) Banken dazu eingeladen, sich an dieser Schulden-Aufkauf-Bank zu beteiligen. Sie sollen damit selbst dazu beitragen, ihre ins Strudeln geraten Filialen in den sich inzwischen als Kapitalgrab erwiesen habenden „emerging markets“ des Postsozialismus zu sanieren. Da das ganze von der Weltbank ausgeht, so wird ihnen damit das Angebot gemacht, die Probleme, die sie sowieso haben, in Zusammenarbeit mit ihren Konkurrenten in der Region zu lösen, möglicherweise mit Hilfe von Weltbank-Krediten, und unter sachkundiger Anleitung einer der obersten Finanzbehörden der Welt.
Es ist anzunehmen, daß die Banken dieses Angebot annehmen werden.
Drittens, was geschieht dann mit diesen „faulen“, also derzeit uneinbringlichen Krediten, wenn sie einmal im Bauch dieser Schulden-Aufkauf-Bank gelandet sind? Die werden dort keineswegs in den Reißwolf gesteckt, also vernichtet. Nein, sie werden fein säuberlich aufgehoben für den Tag X, wenn der Schuldner, der sie einmal gemacht hat, vielleicht doch wieder einmal kreditwürdig werden will. Wer nämlich heute seine Schulden in unser feinen Marktwirtschaft, in der die gewöhnliche Armut durch Gewährung von Krediten noch einmal produktiv gemacht wird, nicht zahlen kann, kommt zwar nicht mehr in den Schuldturm. Zunächst wird er gepfändet, sofern noch irgendwas an Vermögenswerten da ist, die man einziehen kann. Dann kommt er auf eine Liste der zahlungsunfähigen Schuldner, die bei allen Banken und anderen Kreditunternehmen aufliegt.
Aus diesem Grunde ist in Osteuropa der Sektor der illegalen Wucherkredite wiederauferstanden. Es gibt also findige Leute aus der Halb- und Unterwelt, die Leuten, die sonst nirgendwo mehr Geld bekommen, zu Wucherzinsen Kredit geben und dann mit Schlägertrupps dieses Geld eintreiben bzw. ihrerseits die Pfändungen vornehmen, mit denen sie ihr vorgeschossenes Kapital wieder hereinbringen wollen.
Wenn so ein säumiger Schuldner aus dieser beschissenen Lage wieder herauskommen will, so muß er seine Altschulden auf irgendeine Weise begleichen. Das heißt, er muß sich an die hier beschriebene Weltbank-Tochter wenden, mit ihr in Verhandlungen eintreten und ihr seine alten Schulden wieder abkaufen. Die Schuldenaufkauf-Bank wiederum will dabei ein Geschäft machen und wird sie ihm um mehr zurückverkaufen, als sie seiner Gläubiger-Bank seinerzeit abgekauft hat. Da ist viel Spielraum für Verhandlungen gegeben, oder genaugenommen sehr wenig. Viel in dem Sinne, daß um jeden Cent gefeilscht werden wird, vor allem jetzt, beim Aufkauf der Schulden. Wenig in dem Sinne, als man sehr gegen Null gehen wird, angesichts der Perspektive der völligen Uneinbringlichkeit dieser Schulden.
Es ist nämlich sehr fraglich, ob und wieviele dieser Schuldner in den nächsten Jahren in der Lage sein werden, zu zahlen, angesichts der ökonomischen Perspektiven dieser Region im Ganzen.
Was lernen wir daraus?
Ein Geschäft soll aus allem gemacht werden. Eine Person kann noch so arm und verschuldet sein, dennoch wird von den Geldhändlern ein Maßbandl an sie angelegt und geschätzt, was vielleicht doch noch aus ihr herauszuholen ist.
Schulden sind Geschäftsmittel, und auch wenn ein Kredit „platzt“, so wird der Schuldner dennoch nicht aus seiner Verantwortung entlassen, sondern er bleibt, auch wenn er gar nix mehr hat, immer noch als potentielle Geldquelle in irgendeiner Bilanz vermerkt.
Die postsozialistischen Staaten sind als Dauer-Sanierungsfall eingestuft. Man kann sich ausrechnen, daß die Maßnahmen, die hierzu ergriffen werden, den Sanierungsbedarf bezüglich dieser Gegenden vergrößern und verewigen werden.
Shylock läßt grüßen!

Griechenland und der Euro

Die Staatsverschuldung, ein Problem für wen?
Die Medien schießen sich schon seit einigen Wochen auf Griechenland ein:
„Griechenland als das Kärnten Europas … Wie kommen beispielsweise … wir Österreicher dazu, für einen Staat zu zahlen, der offenbar nicht wirtschaften kann? … Oder es wird irgendwann einmal tatsächlich ordentlich gewirtschaftet und bei den Ausgaben massiv gespart“ (Presse, 10.12. 2009)
„Minister der Eurozone prüfen Griechenland-Sanktionen … Nach Ansicht von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker muss Athen zur Bewältigung der Krise in diesem Jahr noch härtere Schnitte am Haushalt vornehmen als bislang vorgesehen.“ (Handelsblatt, 15.1. 2010)
„Ein schmerzhaftes Jahr wartet auf die Griechen“ (Népszabadság, 16.1.)
usw.
Die gesamte Journaille ist sich also zunächst einmal in einem einig: Wenn ein Staat sich verschuldet hat, so hat er „nicht ordentlich gewirtschaftet“ und muß daher jetzt einmal seine Bürger zur Kasse bitten. Für die Schulden des Staates hat die Bevölkerung geradezustehen, obwohl sie diese Schulden ja gar nicht gemacht hat.
Weiters wird in diesem Getue so getan, als wären die Staatsausgaben bisher der Bevölkerung zugute gekommen.
Das nehme ich zum Anlaß, einmal zu untersuchen, was ein Staatshaushalt ist und woraus die verschiedenen Ausgabeposten eigentlich bestehen. Vor allem deshalb, weil nicht nur die Apologeten unseres Gesellschaftssystems wie die oben zitierten Zeitungsfritzen, sondern auch jede Menge Leute, die sich als linke Kritiker des Kapitalismus bezeichnen und verstehen, bei allen möglichen Anlässen den Vater Staat als eine Art Weihnachtsmann darstellen, der den armen Leuten Geschenke macht und den man deswegen möglichst stützen und stärken muß.
Mit seinen Ausgaben finanziert der Staat in erster Linie sich selbst, also seine Angestellten. Da denkt gleich jeder an Bleistift kauende und Schifferl versenkende Beamten in irgendeiner Behörde. Aber dazu gehört zunächst einmal die Politiker-Riege selbst, die das ganze Werkl in Gang hält, Gesetze beschließt, Ausgaben – wie auch die eigenen Gehälter – festlegt, und über Krieg und Frieden entscheidet. Dann gehört dazu die ganze Rechtspflege, Richter, Staatsanwälte und Bezirksgerichts-Gebäude. Schließlich die Exekutive, die dafür sorgt, daß Rechtsbrecher zur Strecke gebracht werden und nach ihrer Verurteilung fest hinter Schloß und Riegel verwahrt bleiben.
Die 3 Elemente der Gewaltenteilung verschlingen also einmal einen Haufen Geld, der nicht dem Füllen der Mägen der Staatsangestellten, sondern der Aufrechterhaltung der Staatsgewalt und des Privateigentums dient.
Zur Abteilung Staatsgewalt gehört auch noch die Einrichtung eines stehenden Heeres und dessen Ausrüstung mit allerlei – auch nicht gerade billigem – Gerät.
Dieser Ausgabeposten leitet über in die zweite Abteilung von Staatsausgaben, nämlich die der Förderung des Kapitals. Der Staat als Brötchengeber des Militärs ist vielerorten ein großer Auftraggeber, der dafür sorgt, daß in einem Land überhaupt eine Militärindustrie entstehen kann.
Aber auch die harmlosen zivilen Maßnahmen, wie Bau von Straßen, Betrieb von Eisenbahnen und Einrichtung eines Telekommunikationsnetzes sind nicht Dienst am Normalverbraucher, sondern Dienst am Kapital. Der Endkonsument muß nämlich für das alles zahlen, wenn er es in Anspruch nimmt – ohne dabei ein Geschäft zu machen, aus dem er dann diese Betriebskosten locker wegstecken kann, wie es der Unternehmer kann.
Schließlich gibt es dann noch eine Abteilung Soziales, mit der dafür gesorgt wird, daß die vom Kapital nicht in Anspruch genommenen oder wieder als unbrauchbar weggeworfenen Bevölkerungsteile nicht die Grundfesten der Gesellschaft gefährden. Die Kinder von minderbemittelten Eltern bzw. Sozialfällen sollen nicht in der Gosse oder im Mistkübel landen. Ein nationales Gesundheitswesen soll dafür sorgen, daß Krankheit bei einem arbeitenden Menschen nicht gleich ein Todesurteil ist – allerdings immer mit dem Auftrag versehen, bei einem Patienten möglichst wieder Arbeitsfähigkeit herzustellen. Arbeitslose sollen nicht gleich unter der Brücke landen, für den Fall, daß das Kapital sie noch einmal brauchen könnte. Und so weiter und so fort.
Schließlich gibt es auch noch Bildung, auch die kostet was. Man will ja Standort sein als Nation, Grundkenntnisse sollte jeder haben, Forschung leistet man sich auch noch, um dann auch möglichst bei der Produktion die Nase vorn zu haben.
Aber letztlich sind Bildungs- und Gesundheitswesen, Arbeitslosenversicherung und Jugendheime Vorleistungen, die das Staatswesen für die Privatwirtschaft erbringt, faux frais des Kapitals. Damit wird dafür gesorgt, daß immer genug brauchbare Arbeitskräfte in allen Sparten zur Verfügung stehen und auch eine beträchtliche industrielle Reservearmee den Preis der Arbeit niedrig hält.
Seltsamerweise will das fast niemand zur Kenntnis nehmen, wenn er über die Staatsausgaben räsonniert. Da sind das dann immer humanitäre Vorleistungen und/oder sie gehören zur „Bekämpfung der Armut“, die seltsamerweise nie weniger wird, obwohl wir doch alle angeblich in einer „Wohlstandsgesellschaft“ leben.
Und an solche Leistungen denkt der geschulte staatsbürgerliche Verstand zuallererst, wenn es darum geht, Staatsausgaben zu beschränken.
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Der größte Ausgabeposten des griechischen Staatshaushaltes ist das Militär. Vom Aufwand auf die Bevölkerung umgerechnet, also Militärausgaben pro Kopf hat Griechenland die höchsten Ausgaben nach den USA und Großbritannien. Dies, obgleich seit dem Ende des Kalten Krieges die strategische Bedeutung Griechenlands stark zurückgegangen ist und es sich auch geweigert hat, sich an der Zerstörung Jugoslawiens zu beteiligen. (Griechenland verweigerte seine Militärbasen im NATO-Krieg 1999.)
Wie Griechenland seinen – nationalökonomisch betrachtet ruinösen – Rüstungswettlauf mit der Türkei finanziert, ist nicht ganz klar. Sicher ist jedoch, daß es dabei auf Unterstützung der großen Waffenproduzenten und der NATO-Spitze rechnen kann: Es hat schon öfters durchblicken lassen, daß es sich auch in Rußland als Einkäufer bedienen kann, wenn es nicht günstige Konditionen bei den NATO-Staaten erhält.
Als Griechenland 2001 der Euro-Zone beitrat, so liest man heute, wurde nicht so genau nachgeschaut, wie es mit dem Staatshaushalt aussah: Die neue supranationale Währung sollte in möglichst vielen Ländern eingeführt werden, Die damalige EU-Führung wollte also die Euro-Zone möglichst erweitern. Heute wird das so dargestellt, als hätte die damalige griechische Regierung die strengen Währungshüter „betrogen“. Zum Betrogen-Werden gehören halt immer zwei …
Der wichtigste Geschäftszweig der griechischen Banken ist der Handel mit Staatsanleihen. Da der griechische Staat schon seit geraumer Zeit hoch verschuldet ist, muß er auf seine Staatsanleihen hohe Zinsen zahlen. Die griechischen Banken hinterlegen die Staatsanleihen als Sicherheiten bei der EZB und verschaffen sich damit Euro. Die Zinsen kassieren sie jedoch selber, und mit der solchermaßen erworbenen Liquidität kreditieren sie wieder weitere Kunden, erweitern also ihr Geschäft.
Aufgrund der hohen Verschuldung, der negativen Handelsbilanz und der allgemeinen Krise ist die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates zweifelhaft geworden und von den Rating-Agenturen heruntergestuft worden, auf ein Niveau, das ihre Akzeptanz bei der EZB zweifelhaft werden läßt.
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In dem für 2010 angekündigten Krimi gibt es also folgende Akteure:
1. Die EZB. Soll sie den griechischen Staatsanleihen die Annahme verweigern und damit einen Staatsbankrott eines Euro-Landes riskieren, mit unabsehbaren Folgen für die Gemeinschaftswährung?
2. Die griechische Regierung. Sie ist mit allen möglichen Versprechen bezüglich Wirtschaftsbelebung, Sozialleistungen, Förderung des Bildungswesens usw. an die Macht gekommen. Sie sieht sich großem Druck von Seiten der EU ausgesetzt, alle diese Versprechen zu brechen und überall den Sparstift anzusetzen.
Sie kann es sich gleichzeitig nicht leisten, bei ihrem Gewaltapparat (Polizei, Rechtswesen, Heer) zu sparen, da sie den vermutlich in näherer Zukunft mehr denn je benötigen wird.
3. Die griechischen Gewerkschaften. Sie haben eine Kampfphase angekündigt, um Verbesserungen im Verhältnis von Kapital und Arbeit zu erzwingen. Das ist in Griechenland eine ernstzunehmende Drohung, da die dortigen Gewerkschaften nach allem, was man so liest, keineswegs so staatstragende und verläßliche Institutionen sind, wie der DGB oder ÖGB.
4. Die griechische Bevölkerung. Sie hat in jüngerer Vergangenheit schon gezeigt, wozu sie fähig ist. Die Unruhen vom Dezember 2008 haben der damaligen Regierung auch die unangenehme Erkenntnis gebracht, daß sie sich auf Armee und Polizei nur sehr bedingt verlassen kann. Weder die griechischen Rekruten noch die griechische Polizei waren nämlich bereit, mit der gebotenen Brutalität gegen die Aufrührer vorzugehen.
Für Spannung ist gesorgt!