Ungarns Staatsschuld und ihre Besprechung in den Medien
Ungarns Staatsschuld macht nach verschiedenen Berechnungsweisen heute zwischen 80 und 90% des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Zahlungsunfähigkeit des Landes wurde durch einen IWF-Kredit abgewendet. Eine Besserung der Lage ist nicht abzusehen.
Das Rating des Landes liegt bei BBB, und da weist die Tendenz eher nach unten als nach oben.
So weit, so schlecht.
Man muß einmal die Begrifflichkeit des Jargons der diversen Wirtschaftsblätter verlassen, um zu verstehen, um was es da geht und was das für den ungarischen Staat, die ungarischen Unternehmen und die ungarischen Normalverbraucher heißt.
Ungarn hatte zum Zeitpunkt der Wende 1989/90 die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Staaten des COMECON. Die ungarischen sozialistischen Politiker der 80-er Jahre hatten also überhaupt keine Bedenken gehabt, ihr Land bis über die Ohren zu verschulden, um die wirklichen oder eingebildeten Mängel ihres Wirtschaftssystems durch mittels Kredit finanzierte Einkäufe auf dem Weltmarkt zu kompensieren.
Die postsozialistischen Regierungen sahen gar die Verschuldung als eine Art Garantie an, daß ab jetzt „ordentlich“ gewirtschaftet würde, und die internationalen Experten von Weltbank, IWF, und anderen Instituten ihnen schon das Profitmachen beibringen würden.
Und Ungarns Schuldenberg wuchs, während seine Wirtschaftsleistung zurückging.
Die einzige Regierung, die von einer von Fidesz geleiteten Koalition unter Viktor Orban (1998-2002), die diesen Schuldenberg als höchst problematisch ansah und sich bemühte, die Wirtschaftsleistung zu befördern und Schulden abzubauen, bekam im Westen gar keine gute Presse. Sie wurde als nationalistisch und voluntaristisch beschimpft, und ihre politische Ausrichtung, die in etwa der der CSU entsprach, in die Nähe des Neofaschismus gerückt. (Es schadet nicht, daran zu erinnern, weil diese Partei die nächsten Wahlen gewinnen wird.)
An dieser Behandlung und Besprechung kann man einmal eines sehen: Die internationalen Finanzinstitutionen und die Medien wollen, daß Ungarn hohe Schulden hat. Sie wollen nicht, daß dieses Land (und übrigens andere auch) sich aus dem Teufelskreis der Verschuldung befreit. Das Anhäufen und die Bedienung von Schuld um jeden Preis werden als Zeichen von Botmäßigkeit angesehen. Mit solchen Ländern kann man Schlitten fahren, sie gefährden das eingespielte Gleichgewicht der imperialistischen Konkurrenz nicht, sondern fügen sich in die Rolle, die ihnen von den Welt- und Wirtschaftsmächten zugewiesen wird: Verlängerte Werkbank, billiges Arbeitskräftereservoir, und Geschäftsmittel für westliche Banken und exportorientierte Unternehmen. Die Aufgabe der Staatsgewalt in diesen Ländern ist, ihre Bevölkerung so zu verwalten, daß sie sich das alles gefallen läßt und keine Unruhe verursacht. Dafür werden diese Staatsgewalten auch weiter mit Kredit alimentiert und ihre Vertreter dürfen sich in internationalen Gremien mit den Großen an einen Tisch setzen.
Ein guter Teil der heutigen Schulden Ungarns dient der Bedienung der vorherigen, ist also kein Geld, das der ungarischen Wirtschaft, dem Staatsapparat oder der Bevölkerung (Beamtengehälter, Pensionen usw.) zugutekommt.
Es wird heute in Ungarn als großer Erfolg bejubelt, wenn es eine Anleihe auf internationalen Märkten plazieren kann. Denn nur so ist sichergestellt, daß Ungarn überhaupt weiter als zahlungsfähig angesehen wird. Und alles so weitergeht wie bisher.
Mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit im vorigen Jahr und dem IWF-Stützungskredit ging ein einiges Raunen durch den Blätterwald, daß die ungarische Regierung jetzt Sparmaßnahmen ergreifen müsse, da sie bisher „schlecht gewirtschaftet“ hätte.
Auch seltsam.
Sonst heißt es doch immer, Staaten können nicht wirtschaften, das können nur private Unternehmer.
Aber wenn ein Staatshaushalt zu hohe Verschuldung aufweist, so wird immer der betreffende Staat quasi als Wirtschaftssubjekt entdeckt.
Das heißt gemäß der Vernunft der Nationalökonomen: Er hat zu viel ausgegeben und zu wenig eingenommen.
Schauen wir einmal die Seite der Einnahmen an.
Während in der Eurozone 2009 mehrheitlich Deflation oder zumindest Preisstabilität herrschte (das wird nicht an die große Glocke gehängt, um nicht die Wirtschaft „krankzureden“, de facto war es jedoch so), gibt es in Ungarn eine Inflation, also Preissteigerungen. Der IWF hat nämlich Ungarn als eine der Bedingungen seines Stützungspaketes verordnet, seine Einnahmen zu erhöhen. Also wurden in Ungarn diverse Steuern und Abgaben erhöht, wie z.B. die Mineralölsteuer. Und die Preise stiegen, ohne daß sich Unternehmergewinne oder Gehälter erhöht hätten. Auf gleichbleibende oder sinkende Einnahmen der Bürger wurden also höhere Abgaben verordnet und dadurch die Bevölkerung fest weiter verarmt. Die Zahlungsfähigkeit geht also weiter zurück, was wieder für die Wirtschaft negative Folgen haben wird: der Markt schrumpft.
Als nächstes die Ausgaben.
Da sind zunächst einmal die Staatsangestellten. Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Eisenbahner, Richter, Müllabfuhr usw. dürfen nicht mehr verdienen als bisher, oder werden sogar abgebaut.
Infrastruktur-Investitionen dürfen nicht vom Staat, sondern können nur über weitere Kredite finanziert werden. Damit wächst die Staatsverschuldung.
Gemeinden müssen schauen, wo sie bleiben. Wenn sie ihre Ausgaben nicht aus ihren Einnahmen finanzieren können, müssen sie auf dem Kreditmarkt Schulden aufnehmen, und wo das nicht mehr geht, Konkurs anmelden. Schulen, Kindergärten, Sozialhilfeempfänger, Straßen, Krankenhäuser, Rettungsdienste in der Provinz stehen also auf dem Spiel.
Agrarsubventionen und Exportstützungskredite fallen flach, und der ganze Sozialstaat wird einer Revision unterzogen: Arbeitslosenunterstützung und Krankenversicherung, und das Pensionssystem – vor Jahren teilprivatisiert, als eine Art Pilotprojekt in den ehemaligen sozialistischen Staaten, inzwischen wurde diese Privatisierung wieder teilweise zurückgenommen, weil diverse private Pensionsfonds aufgrund der Krise zahlungsunfähig geworden sind – wie geht es hier weiter? Wo kann man da eigentlich noch „sparen“?
Wenn im Frühjahr in Ungarn eine neue Regierung an die Macht kommt, mit der bei demokratischen Wahlen üblichen Versprechung, alles besser zu machen – was hat sie für einen Spielraum? Entweder sie übernimmt die bisherigen Maßnahmen 1 zu 1, bricht also alle Wahlversprechen und nimmt den weiteren Abwärtstrend der ungarischen Wirtschaft in Kauf. Oder sie dringt auf neue Konditionen, setzt die Maßnahmen der Vorgänger-Regierung außer Kraft und verhandelt z.B. den IWF-Stützungskredit neu.
Was dann geschieht, steht in den Sternen. Aber das wäre auf jeden Fall wieder einmal eine Erschütterung des internationalen Kreditsystems.
Werden ungarische Schulden gestundet? Wenn ja, zu welchen Konditionen und in welchem Ausmaß? Und mit welchen Folgewirkungen, auf andere, ähnliche Fälle? (Lettland, Island, Griechenland?)
Verweigert der IWF und andere Institutionen solch ein Begehr?
Stürzt der Forint ab?
Verlieren dadurch westliche Unternehmen den ungarischen Markt?
Was für Auswirkungen hat das auf die Nachbarstaaten: Ukraine, Rumänien?
Und auf den Euro?
Kategorie: Geld & Kredit
Eine Geschichte von Sklaverei und Schuldknechtschaft
Kurzer Abriß der Geschichte Haitís
Nachdem der Westteil der Insel Hispañola – der ersten spanischen Kolonie in der Karibik – im Laufe der Jahrhunderte durch eine Mischung aus Piraterie und Besiedlung durch hugenottische Flüchtlinge der spanischen Krone abspenstig gemacht wurde, verzichtete 1697 Spanien offiziell auf dieses Territorium.
Das darauffolgende Jahrhundert gilt als „Blütezeit“ Haitís: Französische Plantagenbesitzer importierten in großen Mengen afrikanische Sklaven und exportierten Kaffee und Zuckerrohr nach Europa. Der ständige Sklavenimport war notwendig, weil sie bei der Plantagenarbeit schnell vernutzt wurden und ständig ersetzt werden mußten. Es ist also sehr bezeichnend, was Blütezeit hier (und meistens auch anderswo) heißt: Die Handelsbilanz stimmte, die Produzenten des solchermaßen erwirtschafteten abstrakten Reichtums hatten nichts davon.
Die Ideen der französischen Revolution konnten von dieser französischen Kolonie nicht ganz ferngehalten werden. Vor allem der erste Artikel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ – wurde von den schwarzen Sklaven – richtigerweise – als ein Beschluß zur Aufhebung der Sklaverei angesehen, obwohl die Nationalversammlung in Paris ausdrücklich die Ungültigkeit dieser Prinzipien für die Kolonien erklärt hatte.
(Auch ein kleiner Widerspruch, „allgemeine“ Rechte zu erklären und dann gleich nachzuschieben, daß sie so allgemein doch nicht seien.)
Und die Sklaven Saint-Domingues (Haitís Name bis zur Unabhängigkeit) erhoben sich gegen die Kolonialherrschaft und ihre weißen Herren.
Unterstützt wurden sie auch von der Schicht der mulattischen Eigentümer, die nationale Souveränität anstrebten, um sich zur neuen herrschenden Klasse Saint-Domingues zu machen.
Die aufständischen Sklaven von Saint-Domingue überlasen den 2. Satz des ersten Artikels: „Soziale Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.“ Aber davon später.
Bei dem von beiden Seiten mit äußerster Grausamkeit geführten Krieg zwischen den schwarzen Sklaven und den weißen Kolonialherren kamen den Aufständischen zwei Umstände zugute: Erstens, daß Frankreich nie einen richtigen staatlichen Gewaltapparat in Saint-Domingue eingerichtet hatte, sondern die Herrschaftsaufgaben größtenteils der Privatinitiative der dort ansässigen Pflanzer und Kaufleute überlassen hatten. Zweitens, daß Frankreich selbst in Europa einige Kriege um die Verteidigung seiner republikanischen Verfassung führen mußte und wenig Militär in die aufrührerische Kolonie abkommandieren konnte.
Der Armee der ehemaligen Sklaven gelang sogar zeitweise die Eroberung des spanischen Teils der Insel, wo sie ebenfalls die Aufhebung der Sklaverei verkündeten, von dem sie aber von französischen Truppen bald wieder vertrieben wurden. 1804 erklärte Haití seine Unabhängigkeit.
Man muß sich vor Augen halten, was dieser Akt der Aufhebung der Sklaverei und die Ausrufung einer Republik der Freien in der damaligen „internationalen Staatengemeinschaft“ bedeutet hat. Es war eine Provokation ohne Grenzen und brachte das damalige Gefüge von Herrschaft und Knechtschaft total durcheinander.
Die meisten spanischen Kolonien erkämpften ihre Unabhängigkeit um 1811 herum und hoben zwar die Sklaverei formell auf, wenngleich sie unter anderem Namen bis ins 20. Jahrhundert fortbestand. Es war aber die kreolische Oberschicht, die nachher die Macht übernahm, und keinesfalls, wie in Haiti, die sich von ihren Herren befreit habenden Underdogs. In den USA brauchte es einen mehrjährigen Bürgerkrieg, um die Sklaverei abzuschaffen, und auf der Nachbarinsel Kuba wurde die Sklaverei erst um 1875 aufgehoben, im Zuge der Unabhängigkeitskriege.
Nirgends jedoch auf der Welt war es so, außer in Haití, daß die Sklaven selber ihre Freiheit erkämpften und die Macht übernahmen.
An Haití mußte also ein Exempel statuiert werden, das andere kolonialisierte Bewohner der Neuen Welt vor einem solchen Schritt der Rebellion abschreckte.
Die Unabhängigkeit Haitís wurde von keiner führenden Weltmacht und – unter dem Druck der Großmächte – auch nicht von den frischgebackenen Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreichs anerkannt.
Um irgendwie einen Platz in der Welt zu erlangen, das Ende des gegen sie verhängten Handelsembargos zu erwirken, und das ständig drohende Risiko fremder Interventionen abzuschwächen, die sich unter dem Beifall aller imperialistischer Mächte dieses Niemandsland aneignen würden, unterzeichnete die Regierung Haitís 1825 und 1826 Verträge mit Frankreich, in denen sie sich im Austausch gegen die Anerkennung als Staat zur Zahlung von Entschädigungszahlungen bereit erklärte. Von 150.000 Goldfrancs wurde diese Schuld angeblich später auf 90.000 reduziert. Über die Höhe dieser vertragsmäßig übernommenen und dann auch tatsächlich gezahlten Summe gibt es verschiedene Angaben. Ihr genaue Höhe ist aber gleichgültig, es geht um das Prinzip, das damit ausgedrückt wurde.
Mit dieser Schuld übernahm Haití erstens die Anerkennung des Privateigentums. Seine Regierung erkannte gezwungenermaßen an, daß das erst gewaltmäßig angeeignete – und später auch wieder gewaltmäßig enteignete – Land rechtmäßiges Eigentum der Plantagenbesitzer und Sklavenhalter gewesen war, und ihr Akt der Enteignung unrechtmäßig, weshalb ihre früheren Unterdrücker und Ausbeuter bzw. deren Nachfahren zu entschädigen seien.
Die Befreiung vom Joch der Sklaverei wurde also im Nachhinein zu Unrecht erklärt, die Sklaverei zu Recht.
Zweitens, Haití wurde damit in die internationale „Arbeitsteilung“ hineingezwungen. Seinen Bewohnern wurde klargemacht, daß sie sich nicht einfach um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern und sich vielleicht auf eine Art Selbstversorgung einrichten könnten, sondern daß sie sich darum zu kümmern hätten, an international anerkanntes Zahlungsmittel heranzukommen, um diese Schuld zu begleichen. Sie mußten also exportfähige Produkte herstellen, die Abzug vom ohnehin geringen nationalen Reichtum bedeuteten. Sie waren also genötigt, wieder vermehrt Kolonialwaren wie Kaffee und Zucker anzubauen, anstatt die Anbauflächen für Grundnahrungsmittel zu verwenden. Es entbrannte ein erbarmungsloser Kampf um das Land zwischen der neuen herrschenden Elite, die sich um die Begleichung der Schuld bemühte, und dem Rest der Bevölkerung, die einfach nur leben wollte – ein Kampf, der bis heute anhält.
Drittens, Haití konnte sich trotz aller Anstrengungen von dieser Schuld nie befreien. Es wechselte nur die Gläubigerländer, indem sie in anderen Staaten Kredite aufnahm, um sich von der Abhängigkeit von Frankreich zu lösen. Vom klassischen Kolonialismus stürzte es also in die moderne Schuldenfalle, die bewährte Waffe des modernen Imperialismus – auch darin durchaus ein Pionier unter den Unabhängigkeitsbestrebungen der 3. Welt.
Haití und der Imperialismus heute: strategisch wichtig, ansonsten unwichtig
Bezüglich seiner inneren Verfaßtheit hat sich Haití einen Widerspruch geleistet, an dem das Land bis heute trägt: Es hat sich die Ideale der bürgerlichen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – auf seine Fahnen geschrieben, ohne über die bürgerliche Klasse von Besitzenden zu verfügen, die sich diese Prinzipien für ihr Gedeihen seinerzeit ausgedacht und in ihre Verfassungen hineingeschrieben haben. Haití war von Anfang an ein Staat der Proletarier, aber gemäß den Idealen des Bürgertums. Der seit 2 Jahrhunderten unternommene und größtenteils erfolglose Versuch – vor allem der Minderheit der Mischlinge –, eine bürgerliche Klasse als Besitzer produktiven Eigentums erst einmal zu schaffen und sich durch die Aneignung der unbezahlten Mehrarbeit der Eigentumslosen zu bereichern, ist die Grundlage der stets bejammerten „Instabilität“ Haitís.
Ein weiteres Handicap Haitís ist seine Lage. Seine Westküste stößt an die Windward Passage, den wichtigsten Verkehrsweg für die USA zum und vom Panama-Kanal. Die USA waren daher schon vor der Eröffnung des Panamakanals (als die Landenge von Panama auch bereits ein wichtiger Transportweg war) im Jahr 1914 sehr interessiert an der Kontrolle über Haití. Als Haití versuchte, seine Kreditabhängigkeit zu „diversifizieren“ und Deutschland in die Liga seiner Gläubiger aufnahm, nötigten die USA 1910 die damalige Regierung Haitís, einen Kredit bei amerikanischen Banken aufzunehmen, um ihre Kreditabhängigkeit in Richtung USA zu verlagern. Um die Bezahlung dieser Kredite sicherzustellen, besetzten die USA schließlich 1915 Haití. Die folgenden 19 Jahre lang hielt die US-Besatzung die Armen Haitís in Schach, setzte diverse Marionettenregierungen ein und ab und versuchte, aus dem Land an Reichtum herauszuquetschen, was eben irgendwie möglich war. Der Abzug der USA 1934 war wiederum mit politischen und wirtschaftlichen Auflagen verbunden, die sicherstellten sollten, daß dieses Land sich weiterhin dem Druck von Geschäft und Gewalt nicht entziehen konnte.
Die neuere Geschichte Haitís ist geprägt durch seine Nähe zu Kuba. Direkt nebenan ist nämlich ein Staat entstanden, der sich durch die Hilfe der inzwischen untergegangenen Sowjetunion dem Diktat des Weltmarktes entziehen konnte und sich die Versorgung seiner Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat. Für die verelendeten Massen Haitís muß so eine Herrschaft als eine Art irdisches Paradies erscheinen. Die USA und ihre Verbündeten mußten also alles tun, um ein Überspringen dieses „Bazillus“ zu verhindern. Zunächst fanden sie einen kongenialen Statthalter unter Francois Duvalier (1957-71). Als zweifelhaft war, ob sein Sohn seine Bevölkerung genauso mit dem nötigen Terror in Schach halten würde, ließen seine Gönner in Washington ihn 1986 fallen. Seither suchen die imperialistischen Mächte nach einem geeigneten Ersatz, was schließlich aufgrund von Erfolglosigkeit 1995 in einem UNO-Mandat mündete.
Inzwischen haben sich die USA offenbar wieder für Direktintervention entschieden.
Die Spenden, die jetzt reichlich Richtung Haití fließen, dienen ein und demselben Zweck wie alle Maßnahmen der letzten 200 Jahre: Die Haitianer dazu zu bringen, ihr Elend „in Würde“ zu ertragen, keine Spielregeln zu verletzen, sich dem Weltmarkt unterzuordnen, – und auf jeden Fall Liebäugeleien mit dem „kubanischen Modell“ zu unterlassen.
Alle Spenden, die irgendwer für Haití einzahlt, werden für diese Zwecke verwendet. Dafür sorgen die Herrschaften vor Ort schon.
Die Aasgeier sind unterwegs
„Bad Banks“ für Osteuropa
Wie einem Artikel des „Standard“ vom 21.1. zu entnehmen ist,
gründet die Weltbank inzwischen in Wien ein (vielleicht auch mehrere) Tochterunternehmen, die sich mit den in den postsozialistischen Ländern haufenweise angefallen faulen Krediten befassen sollen.
Dieses ambitiöse Unterfangen ist mit dem Namen „Bad Bank“ nicht ganz erschöpfend beschrieben. (Ausführliches zum Konzept der „Bad Bank“)
Dieser Ausdruck bezeichnet nämlich zunächst eine Institution, die den Banken zweifelhafte Wertpapiere abkauft, um diese Zettel vor der völligen Entwertung zu schützen und die Banken durch diese Geldspritze wieder „liquide“, also zahlungs- und geschäftsfähig zu machen. Der Adressat einer solchen „Bad Bank“ sind also ins Strudeln geratene Banken, und finanziert wird sie vom Staat, der damit seinen Banksektor stützen und wieder funktionsfähig machen will.
Die Weltbank-Unternehmen, die hier vorgestellt werden, stellen schon eine Weiterentwicklung dieser Müllschlucker-Banken dar: Sie sind nämlich selbst schon wieder gewinnorientierte Unternehmen, die mit dem Aufkaufen fauler Kredite zwar einerseits schon die osteuropäischen Banken – bzw. die Osteuropa-Töchter westllicher Banken – stützen wollen.
Zunächst einmal jedoch soll damit eine gewisse Auswahl getroffen werden: Welcher Bank werden wieviele Kredite zu welchen Preisen abgekauft, und welche läßt man einfach baden gehen? Eine Bereinigung des osteuropäischen Bankenwesens steht nämlich an, die Kreditwürdigkeit der dortigen Unternehmen und Normalverbraucher wird von neuem unter die Lupe genommen und geprüft werden müssen: Womit kann man noch auf Geschäfte rechnen in Ungarn, in Lettland, in Kroatien usw. und welche Kunden und Sektoren gehören endgültig abgeschrieben? Diese Untersuchungen und deren praktische Umsetzung werden wieder einiges an Produktion und Jobs in diesen Ländern kosten, soviel läßt sich jetzt schon sagen.
Zweitens werden die österreichischen (und auch andere an der Region interessierten) Banken dazu eingeladen, sich an dieser Schulden-Aufkauf-Bank zu beteiligen. Sie sollen damit selbst dazu beitragen, ihre ins Strudeln geraten Filialen in den sich inzwischen als Kapitalgrab erwiesen habenden „emerging markets“ des Postsozialismus zu sanieren. Da das ganze von der Weltbank ausgeht, so wird ihnen damit das Angebot gemacht, die Probleme, die sie sowieso haben, in Zusammenarbeit mit ihren Konkurrenten in der Region zu lösen, möglicherweise mit Hilfe von Weltbank-Krediten, und unter sachkundiger Anleitung einer der obersten Finanzbehörden der Welt.
Es ist anzunehmen, daß die Banken dieses Angebot annehmen werden.
Drittens, was geschieht dann mit diesen „faulen“, also derzeit uneinbringlichen Krediten, wenn sie einmal im Bauch dieser Schulden-Aufkauf-Bank gelandet sind? Die werden dort keineswegs in den Reißwolf gesteckt, also vernichtet. Nein, sie werden fein säuberlich aufgehoben für den Tag X, wenn der Schuldner, der sie einmal gemacht hat, vielleicht doch wieder einmal kreditwürdig werden will. Wer nämlich heute seine Schulden in unser feinen Marktwirtschaft, in der die gewöhnliche Armut durch Gewährung von Krediten noch einmal produktiv gemacht wird, nicht zahlen kann, kommt zwar nicht mehr in den Schuldturm. Zunächst wird er gepfändet, sofern noch irgendwas an Vermögenswerten da ist, die man einziehen kann. Dann kommt er auf eine Liste der zahlungsunfähigen Schuldner, die bei allen Banken und anderen Kreditunternehmen aufliegt.
Aus diesem Grunde ist in Osteuropa der Sektor der illegalen Wucherkredite wiederauferstanden. Es gibt also findige Leute aus der Halb- und Unterwelt, die Leuten, die sonst nirgendwo mehr Geld bekommen, zu Wucherzinsen Kredit geben und dann mit Schlägertrupps dieses Geld eintreiben bzw. ihrerseits die Pfändungen vornehmen, mit denen sie ihr vorgeschossenes Kapital wieder hereinbringen wollen.
Wenn so ein säumiger Schuldner aus dieser beschissenen Lage wieder herauskommen will, so muß er seine Altschulden auf irgendeine Weise begleichen. Das heißt, er muß sich an die hier beschriebene Weltbank-Tochter wenden, mit ihr in Verhandlungen eintreten und ihr seine alten Schulden wieder abkaufen. Die Schuldenaufkauf-Bank wiederum will dabei ein Geschäft machen und wird sie ihm um mehr zurückverkaufen, als sie seiner Gläubiger-Bank seinerzeit abgekauft hat. Da ist viel Spielraum für Verhandlungen gegeben, oder genaugenommen sehr wenig. Viel in dem Sinne, daß um jeden Cent gefeilscht werden wird, vor allem jetzt, beim Aufkauf der Schulden. Wenig in dem Sinne, als man sehr gegen Null gehen wird, angesichts der Perspektive der völligen Uneinbringlichkeit dieser Schulden.
Es ist nämlich sehr fraglich, ob und wieviele dieser Schuldner in den nächsten Jahren in der Lage sein werden, zu zahlen, angesichts der ökonomischen Perspektiven dieser Region im Ganzen.
Was lernen wir daraus?
Ein Geschäft soll aus allem gemacht werden. Eine Person kann noch so arm und verschuldet sein, dennoch wird von den Geldhändlern ein Maßbandl an sie angelegt und geschätzt, was vielleicht doch noch aus ihr herauszuholen ist.
Schulden sind Geschäftsmittel, und auch wenn ein Kredit „platzt“, so wird der Schuldner dennoch nicht aus seiner Verantwortung entlassen, sondern er bleibt, auch wenn er gar nix mehr hat, immer noch als potentielle Geldquelle in irgendeiner Bilanz vermerkt.
Die postsozialistischen Staaten sind als Dauer-Sanierungsfall eingestuft. Man kann sich ausrechnen, daß die Maßnahmen, die hierzu ergriffen werden, den Sanierungsbedarf bezüglich dieser Gegenden vergrößern und verewigen werden.
Shylock läßt grüßen!