Pressespiegel El País, 21.5.: Die Bad Bank war ein Flop

„DAS FIASKO DER BANKENRETTUNG
Rückerinnerung: Spaniens Bad Bank, die SAREB, wurde 2012 eingerichtet, siehe hier. Damals wurde Spanien nur deshalb nicht zu einem Sanierungsfall wie Portugal oder Griechenland erklärt, weil es Garantiemacht der anderen Staatskredit-Stützungen war und deshalb die gesamte Konstruktion zur Rettung des Euro eingestürzt wäre. Der Zustand des spanischen Staatskredites war aber ähnlich wacklig wie der der anderen gestützten Pleitekandidaten.
Also wurde Spanien mit einem Bankenrettungspaket gestützt und im Zuge dessen wurde die SAREB gegründet. Man hat lange nichts mehr von ihr gehört, jetzt gibt es dazu Daten.

„Der seit Jahren verborgene de facto-Bankrott der Bad Bank oder SAREB (Gesellschaft zur Verwaltung von Vermögenswerten aus Bankumstrukturierungen) erhöht nun – in der schlimmsten Phase der Wirtschaft seit dem Bürgerkrieg – die spanische Verschuldung um 35 Milliarden Euro, d.h. um drei Punkte, von 117,1% auf 120% des BIP. Ein Betrag, der der Hälfte der für Spanien vorgesehenen Summe aus dem europäischen (Covid-)Sanierungsfonds entspricht (– die nicht rückerstattet werden muß).

Es ist das Fiasko, das das Faß zum Überlaufen bringt. Die geschätzten Verluste für die beiden Teile der PP-Finanzreform, die vor fast einem Jahrzehnt von ihrem Wirtschaftsminister Luis de Guindos organisiert wurden, sind mit 70 Milliarden fast doppelt so hoch.

Erstens: Die Rettung der Banken (mit Kapitalzuschüssen zur Rettung insolventer Unternehmen und Entschädigung ihrer Käufer, den »Vermögensschutzsystemen«) wurde hauptsächlich mit EU-Hilfe von mehr als 40 Milliarden finanziert. Der Saldo zum 20. November 2019 belief sich nach Angaben der spanischen Nationalbank auf 42 Milliarden an Kosten für die Staatskasse (und auf bis zu 66 Milliarden Verluste aufgrund der Schäden für den privaten Sektor).
Zweitens: Zu diesem Betrag kommt der bereits aktenkundige Verlust der Bad Bank hinzu, 9.704 Millionen Ende 2020 (7.512 Millionen Verluste plus 2.192 Millionen verbrauchtes Kapital). Nach optimistischster Schätzung wird diese Zahl in den nächsten Jahren um mindestens weitere 10 Milliarden steigen. Und vielleicht doppelt so viel, da sich nur noch das wertloseste Vermögen in der Schublade der SAREB befindet (Immobilien: praktisch unverkäufliche Gründe ohne Baugenehmigung; und Kredite für Immobilienentwicklung, von ähnlicher Qualität), womit ein Großteil zur Staatsverschuldung hinzuzufügen ist, die sich dadurch vervielfacht. So ergeben sich die weiter oben erwähnten 70 Milliarden.

Beim doppelten Fiasko geht es nicht nur um Zahlen, sondern auch um verfehlte Ziele. Das Gegenteil von dem, was versprochen wurde, ist eingetreten. Die Rettung würde den Bürgern »nicht einen Euro« kosten, hatte die Regierung versprochen.
Es würden keine »Kosten für den Steuerzahler« entstehen (Wirtschaftsminister Guindos, Mai 2012); »Keine Kosten für die Gesellschaft, ganz im Gegenteil« (Guindos, Juni 2012). Es wurde behauptet, es handle sich nur um »ein Darlehen an die Bank, das die Bank selbst bezahlen wird« (Premierminister Mariano Rajoy, Juni 2012).
Und die SAREB, dessen Zusammenbruch heute die Neuigkeit des Tages ist, muss zudem ein Paradies gewesen sein. Dank eines »soliden und umsichtigen« Geschäftsplans, wie er von seiner ersten Präsidentin, Belén Romana, ehemalige Generaldirektorin und im März 2013 Kandidatin für einen Ministerposten, vorgelegt wurde, würde sie »eine Rentabilität von 15% in 15 Jahren« vorweisen können (Guindos, November 2012). Die Nummer 2 der Bank, Walter de Luna, präzisierte die Aussagen seiner Vorgesetzten: »Die kumulierte Rentabilität für Investoren wird zwischen 13% und 14% liegen.«“

Die Bad Bank-Einrichter wollten mit dergleichen Märchen offenbar Leute aus dem Finanzsektor dazu bewegen, ihr überflüssiges Geld in der SAREB anzulegen, um nicht alles mit Staatskredit finanzieren zu müssen.
Diese Art von Vorspiegelung falscher Tatsachen war zum Zeitpunkt der Gründung der Sareb bereits durch die Schwierigkeiten von Bankia diskreditiert, obwohl deren Absturz erst vor der Tür stand und die Klagewellen einige Monate später folgten. Es gab jedenfalls kaum Anlaß, die 13-15% auch nur irgendwo am Horizont zu sehen, aber im Einverständnis zum ehemaligen IWF-Chef Rodrigo Rato – inzwischen wegen Veruntreuung ihm anvertrauter Gelder und Bilanzenfälschung rechtkräftig verurteilt – wurden diese zweckoptimistischen Behauptungen hinausposaunt. Alles auch noch im Einverständnis mit dem IWF unter Christine Lagarde, von wo damals aufmunternde Prognosen über baldigen Aufschwung erstellt wurden.

„Guindos warnte allerdings, dass »es irgendwann Verluste geben könnte«, aber die Vorteile würden ab der »Hälfte des Lebens« der SAREB kommen, das bis 2027 veranschlagt wurde. Ziemlich daneben, die Prognose. Gewinne gab’s nie, aber wachsende Verluste: 261 Millionen im Jahr 2013; und 585, 103, 663, 565, 878, 947 und 1.073 Millionen minus in jedem der folgenden Jahre.
Das alles trotz vieler Finanztechnik, die darauf verschwendet wurde. Der erste Kunstgriff, der nun vom Steuerzahler bezahlt wird, ist die staatliche Garantie für 50 Milliarden Schulden (von denen nur ca. 15 wieder zurückflossen) – Passiva, mit denen der Kauf ruinöser Vermögenswerte finanziert wurde.
Da jedoch der größte Teil des mageren Kapitals von privaten Unternehmen (den Banken, die sich an der SAREB beteilgten) gehalten wurde, sodaß ihre Schulden nicht als Staatsschulden gezählt wurden, hielt sich die SAREB nicht an die Kriterien der Transparenz und Inkompatibilität des öffentlichen Sektors.“

Dieser Satz ist erläuterungsbedürftig.

Um die Bad Bank nicht als rein staatliches Reparaturunternehmen erscheinen zu lassen, wo mit öffentlichen Geldern private Unternehmen unterstützt werden, war die Beteiligung der privaten Banken wichtig, um dem Ganzen den Anschein von geschäftsmäßiger Abwicklung zu verleihen und die Banken auch für die Sanierung des ganzen Sektors mitzahlen zu lassen. Es wurde übel aufgenommen, daß sich die BBVA, vor der Finanzkrise 2008 einer der größten spanischen Banken, nicht an der SAREB beteiligen wollte.
Ein rein staatliches Unternehmen müßte seine Bilanzen zumindest dem Rechnungshof zugänglich machen, damit überprüft werden kann, ob es zu keiner Veruntreuung von nationalem Vermögen gekommen ist.
Durch die Beteiligung der privaten Banken war die SAREB jedoch kein öffentliches Unternehmen und keiner konnte sie kontrollieren.
Deswegen kommen jetzt die Schulden als unangenehme Überraschung auf den Tisch, weil sich die trostlose Performance der SAREB nicht mehr verbergen läßt, da durch den Pandemie-Unterstützungsfonds eine größere Transparenz gefordert ist. Wenn Spanien aus diesem Topf der EU Geld kriegen will, muß es Rechenschaft darüber ablegen, was es damit gemacht hat.

„Die zweite Schlaumeier-Aktion: Bereits 2014 hatten die Verluste das gesamte Kapital aufgezehrt. Die Leitung der SAREB war dadurch genötigt, diesen Umstand durch Umwandlung der nachrangigen Schulden in Kapital zu verbergen.

Drittens, als 2015 ein Loch von 3 Milliarden entstand, nachdem ein Rundschreiben der spanischen NB vorschrieb, alle Immobilien zu den gegenwärtigen Marktpreisen neu zu bewerten, wurde beschlossen, es auf die Vorjahre zu verteilen. Um noch ein Schäuferl dazuzulegen, änderte die Regierung 2016 die Vorschriften, um die Verluste nicht in die normale Bilanz eingehen zu lassen, sondern sie in einer anderen zu verstecken … Usw.“

Man merkt an diesen Praktiken sowohl die Kumpanei als auch die Ratlosigkeit der SAREB-Leitung und der ganzen spanischen Hochfinanz.
In der SAREB waren lauter entwertete Immobilien und Schulden versammelt worden. Und dann war ihr die Quadratur des Kreises angeschafft worden: Gewinne zu machen und gleichzeitig auch den Banken, wo diese entwerteten Schulden und Immobilien angefallen waren, hohe Preise für diese faulen Eier zu bezahlen, damit die Banken selber nicht pleite gehen.
Alle gingen davon aus – wie jetzt auch nach der Pandemie – daß sich laut Ökonomie-Lehrbüchern wieder ein Aufschwung zeigen und diese entwerteten Vermögenswerte wieder im Wert steigen würden. Die Bad Bank sollte nur den Zeitraum überbrücken helfen, bis es wieder so weit sein würde. Und das Verstecken und Herumschieben der Schulden wurde von einem Jahr zum anderen fortgesetzt.

„Abgesehen von der fortgesetzten Art dieses Managements und der exorbitanten Kosten für seine zahlreichen Mitarbeiter lag der Hauptgrund für so viel Misserfolg in der unglücklichen Konstruktion des Unternehmens.
Wegen der schlechten Qualität der von den gescheiterten Unternehmen übernommenen Vermögenswerte waren die Verwertungsmöglichkeiten »deutlich niedriger als ursprünglich erwartet«, hat der Generaldirektor des FROB (Fonds für eine geordnete Neustrukturierung des Banksektors) zusammen mit Guindos und einem der Schöpfer von SAREB, Antonio Carrascosa, bestätigt (Expansión, 12.4. 2021).
Der Wert dieser Assets wurde jedoch anhand der (reduzierten) Zahlen des Beratungsunternehmens Oliver Wyman ermittelt, und die Europäische Kommission warnte bereits davor, dass sie überhöht seien! Dadurch wurde der Verkauf mit Verlust mehr oder weniger befohlen, da die faktischen Werte der betroffenen Immobilien unter dem bei der SAREB angenommenen Buchwert lagen.“

Dazu ist zu erwähnen, daß die Firma Oliver Wyman damals selbst halblaut verkündete, daß die von ihr ermittelten Werte nicht viel taugen würden, weil die Banken ihnen den vollen Einblick in die Bilanzen verweigert hätten.
Die Immobilien und Schulden wurden also den betroffenen Banken zu höheren Preisen abgekauft, als sich dann auf dem Markt für sie erlösen ließen.
Surprise, surprise. Warum hatten die Banken wohl dem Vorschlag zugestimmt, sich mit Kapital an der SAREB zu beteiligen? Natürlich, um sich auf Staatskosten ihre Bilanzen zu sanieren.

„Und um die Sache noch schlimmer zu machen, hat Romana im Sommer 2013 ein Versicherungsderivat abgeschlossen, ein Swap-Darlehen, um sich vor Zinserhöhungen für die Schulden zu schützen. Eine tolle Voraussicht einer ehemaligen leitenden Mitarbeiterin des Finanzministeriums: Als Ergebnis des von Mario Draghi ein Jahr zuvor angekündigten Mottos »Ich werde alles tun, um den Euro zu retten« waren die REFI-Sätze bereits um die Hälfte gesunken und würden 2014 auf Null gesetzt.
Was zu weiteren Verlusten für die SAREB in der Höhe von 3,2 Milliarden führte, weil damit auf die falsche Hoffnung eines baldigen Zinsanstiegs gesetzt worden war. Und auf entsprechende Gewinne für den Verband der Versicherungsbanken mit Santander als Steuermann. In den Vorstand dieses Bankenverbandes wurde Romana im Januar 2015 aufgenommen, ohne wegen moralischer Unvereinbarkeit unter Quarantäne gestellt zu werden. Eine legale Unvereinbarkeit gab es nämlich nicht.“

Die SAREB wurde also von verschiedenen Banken ausgenommen wie ein Weihnachtsgansl, um sich selbst zu sanieren, die Leitung der Bad Bank assistierte willig – auch, um ihr Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, weil andere Alternativen zur Abwicklung der faulen Kredite sich nicht boten, und schließlich auch die Mitarbeit der Banken die Grundlage der SAREB war.

„Alles ging sehr diskret über die Bühne. Aber manche weniger naive der beteiligten Finanzinstitute ließen sich nicht täuschen. Sie schrieben ihre Kapitaleinlagen in die SAREB bereits am Anfang ab.“

Das waren offenbar diejenigen Institute, die nicht über genug Einfluß verfügten, um der SAREB die Staatsknete aus der Tasche zu ziehen.

„War das Scheitern unvermeidlich?
Nein. Die 1993 gegründete Bad Bank von Schweden hat 50 Milliarden der ihr übertragenen Vermögenswerte (in Höhe von 65 Milliarden) zurückerwirtschaftet. Die 2009 gegründete irische Nama erhielt toxische Vermögenswerte in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar geschultert und hat im März 2020 ihre gesamten Schulden getilgt.
Nicht die Idee der spanischen Bad Bank war schlecht, sondern ihre Grundlage: »Es war alles eine Chimäre«, erinnert sich einer der Teilnehmer des Projekts, »was zu einer gigantischen Übertragung privater Schulden auf den öffentlichen Sektor und andere, gesunde Finanzinstitute geführt hat, eine echte Sozialisierung der Verluste“.

Der Vergleich mit der schwedischen und irischen Bad Bank hinkt, weil in beiden Staaten das Ausmaß des Bankenproblems anders strukturiert war. Die spanischen Gründer der Bad Bank hätten auch gerne Ergebnisse wie dort gehabt, wo sich aber der Immobilienmarkt schneller erholt zu haben scheint, bzw. wo, wie in Schweden, überhaupt andere Gründe für die Bankenkrise vorherrschten. Außerdem gehört Schweden nicht zur Eurozone.
Diese Art von Vergleichen, wo mehr oder weniger Äpfel mit Birnen verglichen werden, ist inzwischen recht üblich bei einer gewissen Art von „kritischem“ Journalismus, wo im Zuge der Parteienkonkurrenz den Gegnern völlige Unfähigkeit attestiert werden soll. El País steht den Sozialdemokraten nahe, die Betreiber der SAREB der PP.

„Die prekäre Architektur der SAREB war auf die Eile zurückzuführen, mit der Guindos den Ausbruch der Sparkassenkrise auslöste, mit dem Eingeständnis gegenüber der Financial Times Anfang des Jahres 2012, daß die spanischen Banken Rückstellungen um die 50 Milliarden benötigten … ohne einen Rettungsmechanismus für dem Crash vorbereitet zu haben.
Es war seine Strategie des Drucks, ungewöhnlich offen für einen führenden Politiker, um mit der der »sanften Landung« zu brechen, die vom damaligen Gouverneur der spanischen NB, Miguel Ángel Fernández Ordóñez (von der PSOE), angeführt wurde.
»Wir wollten alles auf eine Karte setzen. Wir sind vor dem vorherigen Flickwerk geflüchtet«, erklärte der Exminister in seinem Buch »Bedrohtes Spanien«. Nur zwei Jahre später, im Februar 2014, machte er einen Schwenk um 180 Grad: »Das Wichtigste ist, Zeit zu gewinnen, und die SAREB ist eine Einrichtung, um Zeit zu gewinnen.« Der frühere Chef von Lehman Brothers in Spanien gewann Zeit und Position. Der Steuerzahler zahlt für dieses Fest.“
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Es ist gut, an die Geschichte dieser „Bankenrettung“ zu erinnern, da dergleichen in den letzten Jahren unter den Teppich gekehrt wurde nach dem Motto „Die Krise ist vorbei!“, und 1-2%-Wachstum überschwenglich gefeiert wurde.
Die Pandemie hat jetzt endgültig erwiesen, daß der Aufschwung seit 13 Jahren auf sich warten läßt und vermutlich in Zukunft auch. Obwohl ähnliche Klänge wieder ertönen: „Rückkehr zur Normalität“ und „Bald gehts aufwärts“.

Imperialismus heute, Fortsetzung Mai 2021

SÄBELRASSELN GEGEN RUSSLAND ALS AUSWEIS DER LINIENTREUE
Wenn man die ganzen Posts der letzten Zeit zusammenfaßt, so stellt sich heraus, daß sie etwas deutschlandlastig sind.
Dort bringen sich die Grünen mit Kriegstreiberei in Stellung, um nach dem Kanzlerposten zu greifen und auszunützen, daß die klassischen Parteien keinen perspektivenreichen Kandidaten haben.
Die ehemalige Friedenspartei …
Die EU krankt weiterhin an dem Dilemma, ein zerstrittener Haufen mit Weltmachtambitionen zu sein, der nur durch Festhalten am Rockzipfel der USA und Hetze gegen Rußland so etwas wie Einigkeit hinkriegt. (Lawrow hat kürzlich angemerkt: Bald wird auch entlarvt werden, daß es die Russen waren, die Franz Ferdinand 1914 abgemurkst haben …)
Die Türkei hat sich militärisch zwar gestärkt, ökonomisch aber übernommen. Was dabei herauskommt, wird man erst sehen.
Die USA scheinen noch nach einer neuen Strategie zu suchen, nachdem weder Einmarschieren noch Farbrevolutionen noch Sanktionen die gewünschten Erfolge zu bringen scheinen.

Abzug aus Afghanistan

KREUZWEG DER KULTUREN UND FRIEDHOF DER IMPERIEN

„Biden rechtfertigt den militärischen Rückzug aus Afghanistan: »Es ist Zeit, den längsten Krieg zu beenden«.
Joe Biden wird nicht als derjenige Präsident in die Geschichte eingehen, der den längsten Krieg in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewonnen hat, sondern als derjenige, der ihn 20 Jahre später beendete, – überzeugt, dass es keinen anderen Ausweg gibt, als einfach auszusteigen.
Der Präsident kündigte diesen Mittwoch den bedingungslosen und vollständigen Abzug der Truppen aus Afghanistan in einer bitteren Rede an, in der er davon ausging, dass deren weitere Anwesenheit keine »andere Ergebnisse« als die bisherigen erwarten lasse. »Es ist Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu gehen«, sagte er. Die Entscheidung zeigt die geopolitische Wende von Biden, die die internen Herausforderungen des Landes und die damit verbundenen externen Bedrohungen priorisiert, die heute eher in China verortet werden als in Afghanistan oder im Nahen Osten.“ (El País, 14.4.)

Der Vergleich mit dem Vietnamkrieg drängt sich auf.

Aber man sollte die Unterschiede nicht außer acht lassen: Damals, während des Kalten Krieges, war es gelungen, das Zerwürfnis zwischen der Sowjetunion und China zu vertiefen. Die Gefahr eines kommunistischen Vormarsches in Indochina und anderswo war vorbei: Die beiden kommunistischen Mächte bekämpften einander über ihre Stellvertreter, und auch über ihre Schwesterparteien in der kapitalistischen Welt.
So konnten es sich die USA leisten, Vietnam aufzugeben – wenngleich dieser Rückzug als Niederlage angesehen wurde, im In- und Ausland.

Heute hingegen rivalisieren nur mehr Großmächte ohne besonderen politischen Anspruch. Auch China präsentiert sich nicht mehr als Vertreter der ländlichen Volksmassen, die vom Imperialismus unterdrückt werden. Es geht offen um die Aufteilung der Welt, das Abstecken von Claims, Gewinnen von Verbündeten und Einfluß.

Der Abzug der USA – und in ihrem Schlepptau der restlichen Truppen der „internationalen Staatengemeinschaft“, also der US-Verbündeten – ist ein Eingeständnis des Mißerfolges. Die USA tun damit kund, daß sie nicht mehr imstande sind, die ganze Welt oder zumindest bedeutende Teile davon auf ihre Maßstäbe zu verpflichten.
Während der Rückzug der USA aus Somalia zwar auch eine Art Aufgabe war, aber doch damals klar war, daß andere Staaten auch kein Interesse an dieser Weltgegend haben würden, ist das bei Afghanistan nicht so. Vor allem Rußland hat Interesse an einer Regelung der Verhältnisse in Afghanistan und führt seit einiger Zeit diesbezüglich Gespräche mit Vertretern der Taliban.

Ebenso ist der Iran interessiert an seinem Nachbarland und einer Ausweitung seines Einflusses ebendorthin.

Ein von Besatzungstruppen befreites und vom Iran und Rußland unterstütztes Afghanistan könnte sich möglicherweise alten Unrechts erinnern und die Durand-Linie, die Grenze zu Pakistan, in Frage stellen. Pakistan ist daher derjenige Staat, der am wenigsten ein Interesse an einem Wiederaufbau Afghanistans hat.

„Die Regierung von George W. Bush startete die Offensive gegen Afghanistan als Reaktion auf die traumatischen Angriffe vom 11. September 2001 auf die Twin Towers und das Pentagon, ein Angriff von Al Qaida, einer von den Taliban geschützten Terroristengruppe. Bis zum nächsten 11. September, 20 Jahre danach, hoffen die Vereinigten Staaten, den Abzug aus dem Land in einem koordinierten Rückzug mitsamt ihren NATO-Verbündeten abgeschlossen zu haben. Die Taliban wurden nicht besiegt, Al-Qaida nicht für immer liquidiert. Das einzige, was geschehen ist, ist daß Zeit vergangen ist.“ (ebd.)

Das ist natürlich eine verkehrte Darstellung. Seit dem Einmarsch der USA in Afghanistan 2001 sind Tausende, vermutlich Zehntausende Zivilisten und Widerstandskämpfer durch die Soldaten der Koalition getötet worden, durch Bombardements, Drohnenangriffe, bei Kämpfen oder durch extrajudikale Hinrichtungen. Mehrmals wurden ganze Hochzeitsgesellschaften durch Bombardements vernichtet. Ebenso geht die Zahl der Verwundeten und Krüppel in die Zehntausende.
Dazu kommen noch die gefallenen afghanischen Regierungssoldaten und ca. 3700 Tote auf Seiten der westlichen Koalition.
Der vorige afghanische Präsident, Hamid Karzai, hat Präsident Trump vorgeworfen, Afghanistan als Testgelände für Militärtechnologie zu verwenden, nachdem dieser eine Riesenbombe auf den Süden Afghanistans abwerfen gelassen hatte. (Die Welt, 14.4. 2017)
Auch vor Trumps Amtsantritt wurde jede Menge von Bomben, Minen, Drohnen usw. in Afghanistan eingesetzt. All dieses Zeug, zusammen mit den Waffen und Sprengkörpern, die schon von den sowjetischen Truppen und dem späteren afghanischen Bürgerkrieg übriggeblieben sind, machen das Land zu einem großen Misthaufen für militärischen Abfall.

Die Kosten der Besetzung Afghanistans sind beachtlich:

„Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums beliefen sich die gesamten Militärausgaben in Afghanistan (von Oktober 2001 bis September 2019) auf 778 Mrd. USD.
Darüber hinaus gab das US-Außenministerium – zusammen mit der US-amerikanischen Agentur für internationale Entwicklung (USAID) und anderen Regierungsbehörden – 44 Mrd. USD für Wiederaufbauprojekte aus.
Damit belaufen sich die Gesamtkosten – basierend auf offiziellen Daten – zwischen 2001 und 2019 auf 822 Mrd. USD, enthalten jedoch keine Ausgaben für Pakistan, das die USA als Basis für Operationen im Zusammenhang mit Afghanistan verwenden.“ (BBC News, 15.4.)

Die Kosten für die USA und ihre Verbündeten haben sich auch deshalb nach 2014 erhöht, weil nach der Krimkrise die Zusammenarbeit mit Rußland endete, also keine logistische Unterstützung von dort mehr stattfinden konnte.
Die Zusammenarbeit mit Usbekistan endete 2005, nachdem die usbekische Regierung den Vertrag mit den USA zur Benutzung des Stützpunktes in Chanabad gekündigt hatte, weil sie den USA Einmischung in die inneren Angelegenheiten Usbekistans vorwarfen.
Auch eine halboffizielle Zusammenarbeit mit Turkmenistan endete abrupt 2008, als die turkmenische Regierung den USA die Tür wies. (nd, 27.7. 2010)
2014 und sicher nicht ohne Absprache mit Moskau mußten die USA 2014 schließlich auch den Stützpunkt in Manas in Kirgisien räumen. (TAZ, 3.6. 2014)

Ein Hintergrund des Abzugs aus Afghanistan ist also die schrittweise Verdrängung der USA aus den mittelasiatischen Nachfolgestaaten der SU, der durch die chinesische Initiative der „Neuen Seidenstraße“ verstärkt wurde.

Die Zukunft Afghanistans ist unklar, aber es sieht nicht gut aus für seine Bevölkerung.

Das ist allerdings leider nichts Neues.