„DIE PLEITE IST WIEDER DA!“
Es ist unglaublich, wie sich einst seriöse Medien an dummen Sprüchen überbieten und ihr Publikum für blöd verkaufen wollen:
„Griechenland schien nach der existenzbedrohenden Schuldenkrise schon gerettet.“ (HB, 17.12.)
Wem schien es „gerettet?“ Und wovor? Es handelt sich anscheinend vor allem um die Gläubiger, also Besitzer griechischer Staatsanleihen, die sich vor einem drohenden Bankrott sicher wähnten. Mit Griechenland selbst hat das wenig zu tun.
„Der Jahreswechsel sollte die Erlösung bringen, versprach der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras seinen Landsleuten: Die Griechen sprengen die Ketten der Troika, das Land befreit sich aus der Vormundschaft der internationalen Gläubiger und steht wieder auf eigenen Füßen. So das Szenario, das Samaras den Hellenen seit Monaten ausmalte.“ (ebd.)
Was will das Handelsblatt damit sagen? Daß Samaras recht hatte? Daß Samaras ein Depp ist? Oder daß er sich auf die Einseiferei seines Volkes gut versteht? Daß es im Sinne des Handelsblattes = des Finanzkapitals ist, wenn der griechische Regierungschef seinen Landsleuten ein X für ein U vormacht?
Es gab und gibt nämlich überhaupt keinen Grund, daß Griechenland „wieder auf eigenen Füßen“ stehen könnte. Es hat nach wie vor keinen Kredit, die Wirtschaftsleistung ist gesunken, die Staatsverschuldung steigt wieder (– nachdem sie 2012 durch den Schuldenschnitt gesunken war), das zunehmende Elend und der dadurch verursachte Rückgang der Zahlungsfähigkeit macht Griechenland als Markt und Standort ziemlich uninteressant, und die Jubelmeldungen über einen Tourismusrekord können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Locken mit Billigangeboten zwar die Zahl der Nächtigungen hat steigen lassen, aber unterm Strich weniger Einnahmen aus dem Tourismus für ein Land gebracht hat, dem alle anderen Wirtschaftszweige schon ziemlich weggebrochen sind.
Lügen haben eben kurze Beine, kann man nur sagen.
Das Handelsblatt macht munter weiter:
„Alles, wofür die Griechen in den vergangenen fünf Jahren große Opfer gebracht haben, steht nun wieder auf dem Spiel. Das Schreckgespenst der Staatspleite schien längst verscheucht – jetzt ist es auferstanden. Die Pleitegeier kreisen wieder über der Akropolis.“
Im Klartext: die Griechen haben gedarbt, damit die Gläubiger ihre Papiere nicht abschreiben mußten. Letzteres ist jetzt möglicherweise vorbei.
Dann werden die seinerzeit vom Handelsblatt selbst in Umlauf gebrachten Falschmeldungen zitiert, um zu beweisen, daß es doch wirklich aufwärts ging:
„Dabei schien Griechenland gerade die Kurve zu kriegen. Nach vierjähriger Pause konnte die staatliche Schuldenagentur im April und Juli wieder Staatsanleihen zu vertretbaren Konditionen am Markt platzieren – erstaunlich.“
Gar nicht erstaunlich. Das Handelsblatt wußte selber, daß das eine Propagandaaktion zur Beruhigung der „Märkte“ war. Die eigenen Lügen werden also zur Berufungsinstanz für einen Erfolg, den es gar nicht gegeben hat.
Als nächstes werden wieder neue Falschmeldungen aufgetischt:
„Erstmals nach sechs Jahren Rezession wächst die Wirtschaft nun wieder, sogar schneller als in allen anderen EU-Staaten.“
Was an dem Wachstum dran ist, wird sich erst weisen. Vermutlich handelt es sich wieder einmal um eine Erfindung von Goldmann Sachs. Außerdem ist es angesichts der Rezession in der Eurozone nicht schwierig, Zahlen zu produzieren, die höher liegen als in anderen Staaten.
„Auch beim Beschäftigungszuwachs liegt Griechenland an der Spitze.“
Natürlich, bei mehr als 25 % Arbeitslosigkeit kann man es als Erfolg werten, wenn irgendwo 5 Klitschen aufsperren und ein paar Leute einstellen.
„Die Staatsfinanzen sind endlich im Griff.“
Was immer das heißen mag. Wenn kein Geld da ist und keiner einem Kredit gibt, so kann man auch nix ausgeben.
„Beim Haushaltsdefizit steht Griechenland um Längen besser da als Italien, Spanien, Portugal, Irland oder Frankreich.“
Hierbei handelt es sich nur um die Neuverschuldung, wo ja jede Tranche aus dem EU-Hilfsfonds von der Troika genehmigt werden muß. Es ist also keine Kunst, die niedrig zu halten – es liegt ja gar nicht im Ermessen Griechenlands, was es braucht und kriegt.
Die Gesamtschulden Griechenlands im Verhältnis zum BIP, die in den Maastricht-Kriterien als einer der Gradmesser des wirtschaftlichen Erfolges mit höchstens 60 % festgelegt wurden, betragen im Fall Griechenlands 173 %. Es ist damit eines der höchstverschuldeten Länder der Welt.
Nachdem das Handelsblatt mit einem Sammelsurium von irreführenden Behauptungen, Lügen und tendenziösen Interpretationen dargelegt hat, daß in Griechenland eigentlich alles zum Besten stünde, malt es den Teufel an die Wand, der jetzt alle diese Leistungen zunichte machen könnte. Dabei wird mit Bildungselementen und dramatischen Beschwörungen nicht gegeizt:
„Man fühlt sich an die Geschichte des alten Griechen Sisyphos erinnert, der bereits glaubte, den Todesgott Thanatos besiegt zu haben. Dann wird er aber doch in die Unterwelt verbannt, wo er einen Felsblock immer und immer wieder einen Berg hinaufwälzen muss. Doch kurz vor dem Gipfel entgleitet ihm der Fels jedes Mal und rollt wieder ins Tal.“
Eine vorgezogene Präsidentenwahl – vermutlich will man nicht, daß der derzeit 85-jährige Amtsinhaber im Amt verstirbt, weil die Märkte! die könnten das als schlechtes Signal auffassen! – ist es, die den Sisyphos-Stein ins Rollen gebracht hat.
„Bis Ende Dezember soll das Athener Parlament einen neuen Staatspräsidenten wählen. Erreicht kein Kandidat die erforderliche Mehrheit, muss die Volksvertretung Anfang Januar aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt werden. Wahrscheinlicher Gewinner: Oppositionsführer Alexis Tsipras und seine radikal-linke Partei Syriza, die in allen Meinungsumfragen führt. Tsipras will die Kreditverträge aufkündigen, den Sparkurs beenden, Privatisierungen rückgängig machen und auch die meisten anderen Reformen zurückdrehen.“
Oh Schreck oh Graus! Die Anleger beginnen bereits wieder zu zittern und knabbern verzweifelt an ihren Anleihen.
„Es ist ein Spiel mit dem Feuer.“
Die Frage ist nur, was dabei brennert wird. Der wacklige europäische Finanzsektor, in dem ja immer noch griechische Staatspapiere als Aktiva herumliegen? Der Euro selbst? Die EU? Die Sache mit dem Dominoeffekt hat ja was für sich …
„Es könnte dazu führen, dass die Griechen den Euro abgeben müssen.“
Das wäre nicht nur für die Griechen schlimm, wie das Handelblatt suggeriert, sondern auch das Ende des Euro.
Man erinnere sich: ein Austritt aus dem Euro ist in den Statuten der Eurozone nicht vorgesehen. Um den Euro zu verlassen, müßte Griechenland zuerst aus der EU austreten.
Es mag sein, daß der Text inzwischen geändert wurde. Am Kern der Sache ändert es jedoch nichts: verläßt ein Land die Eurozone, so wäre sie damit gescheitert, mit unabsehbaren Folgen.
Dabei hat Samaras alles so gut gemanagt, aber am Schluß doch wieder vergeigt:
„Samaras hat sie“ (= die derzeitige Krise) „selbst herbeigeredet. Mit seiner überhasteten Ankündigung, Griechenland werde zum Jahresende die Troika vor die Tür setzen, das Hilfsprogramm beenden und sich wieder am Markt refinanzieren, jagte Samaras den Anlegern und den Gläubigern Griechenlands einen Schrecken ein.“
Ach so. Die Erfolgsmeldungen über Griechenlands Erholung, die das Handelsblatt selber verbreitet, sollten doch nicht ernst genommen werden? Man kennt sich gar nicht mehr aus. Was denn jetzt? Gehts bergauf oder nicht?
Juncker hat schon die Griechen davor gewarnt, ja nicht die Falschen zu wählen. Da steht medialen Schönrednern und Politikern noch einiger Streß bevor.
Aber selbst, wenn die Griechen die „Richtigen“ wählen sollten, so werden die – nach innen wie nach außen! – in Erklärungsnotstand kommen, warum sie weitermachen müssen wie bisher. Innerhalb der EU hat Griechenland nämlich gar keine andere Wahl.
Kategorie: Ideologie
Das Gfrett mit den Hampelmännern
SCHWIERIGKEITEN BEI DER EINRICHTUNG EINES GEWALTMONOPOLS IN DER UKRAINE
Pläne für ein Schachspiel, das in ein Theaterstück ausartet
Die maßgeblichen Politiker der EU haben sich die Sache recht einfach vorgestellt: Man bringt einen widerspenstigen Politiker entweder zur Räson, oder man setzt ihn ab und installiert eigene Hampelmänner, die alles unterschreiben, was man ihnen vorlegt, und es dann auch umsetzen. Die Ukraine wurde also betrachtet und behandelt wie eine Bananenrepublik, bei der man nach Belieben die Herrschaft auswechseln und sich darüber einen uneingeschränkten Zugriff auf das Land verschaffen kann.
Nur daß die Ukraine etwas groß ist für ein solches Verfahren, und nicht nur im angepeilten Hinterhof der EU liegt, sondern auch im Vorhof Rußlands.
Zunächst lief alles nach Plan: jugendliche Massen zogen auf die Straße, besetzten einen zentralen Platz der Hauptstadt, machten Zoff, bis schließlich der Präsident verschwand. Man erinnere sich an Georgien, Tunesien, Ägypten, – alles schon einmal dagewesen. Auch die 100 Toten auf dem Maidan, von denen man bis heute nicht weiß, wer sie erschossen hat, paßten ins Bild. Je mehr Opfer, um so besser die Sache, für die gekämpft wird. Freedom and Democracy sind endlich ordentlich zu implementieren, sapperlot!
Aber schon damals lief etwas aus dem Ruder. Es stellte sich heraus, daß die EU und die USA nicht an einem Strang zogen. Jeder hatte andere Hampelmänner in der Schachtel, die er bei Bedarf herausziehen und installieren wollte. Und so läuft das ganze Theater, das der Öffentlichkeit von den Medien seither präsentiert wird, sehr unharmonisch ab.
Die ersten Wahlen liefen noch nach Plan. Das in der Schublade bereitliegende Ergebnis wurde herausgezogen, der Öffentlichkeit präsentiert, alle klatschten Beifall, und der vorgesehene Ober-Hampelmann nahm seinen Platz ein.
Die anderen Hampelmänner gaben natürlich keine Ruhe, und hinter den Kulissen wurde alles mögliche verschoben, ein Goldschatz hin, Waffen her, Parlamentssitze hin, Parteigründungen und -verbote her, und es formierten sich auch bewaffnete Störer, die Fäden zu kappen drohten.
Bei den nächsten Wahlen ging es dann schon ganz ordentlich durcheinander. Verschiedene eilends aufgestellte Kulissen fielen um. Eine niedrige Wahlbeteiligung, lauter mehr oder weniger einbeinige Hampelmänner, die dennoch versuchen, den anderen ein Haxl zu stellen, und hinter den Kulissen nervöse Strippenzieher, die die berechtigte Befürchtung hegen, daß bei der Show bald einmal das Licht ausgehen könnte. Und ein sehr sehr unberechenbares Publikum, was die immerhin 43 Millionen Einwohner der Ukraine betrifft.
An zwei Vereinbarungen zeigt sich, daß es keine gute Idee war, mit der Ukraine eine solche Vorstellung zu inszenieren, und zu glauben, Rußland würde – unter etwas wirtschaftlichem Druck und heftigem Säbelgerassel – dabei zuschauen. Die eine dieser Vereinbarungen ist das sogenannte
Abkommen von Minsk,
das am 5. September in Minsk unterzeichnet wurde.
Dieses Abkommen umgibt von Anfang an ein Mysterium. Unseren Medien ist nicht zu entnehmen, worum es dabei gegangen ist und wer es unterzeichnet hat. Man hört und liest nur ständig „laut dem Abkommen von Minsk“, „entgegen dem Abkommen von Minsk“, „Verstöße gegen“, usw.
Zunächst einmal ein paar Infos:
Am 5. September wurde in Minsk ein aus 12 Punkten bestehendes Protokoll unterzeichnet, dessen englische Übersetzung sich hier findet.
Unterzeichnet wurde es von: Heidi Tavigliani als Vertreterin der OSZE, die die Implementierung dieser 12 Punkte überwachen soll.
Leonid Kutschma, dem ehemaligen Präsidenten der Ukraine, unter dem sich das ukrainische Oligarchen-System so richtig ausgebildet hat und der offenbar deshalb als der geeignete Vertreter der Kiewer Politikermannschaft von ihnen ernannt wurde. Kutschma, der als Präsident nicht den besten Ruf hatte, genoß es sichtlich, hier als elder statesman die Friedenstaube spielen zu können. Wie sich aber im Nachhinein herausstellte, hat sein Wort kein Gewicht.
der russische Botschafter in der Ukraine, Michail Subarow
die Vertreter der Volksrepubliken Donetsk und Lugansk, Alexandr Sachartschenko und Igor Plotnitzki.
Der Pferdefuß bestand in der Person der Unterzeichner. Die Regierung in Kiew unternahm alles, um eine Einbeziehung der Vertreter der Aufständischen zu vermeiden, da das einer formellen Anerkennung von deren Status gleichgekommen wäre. Rußland bestand jedoch auf der Einbeziehung der Akteure vor Ort, ohne die jedes Abkommen von vornherein sinnlos gewesen wäre.
Der von der Kiewer Regierung entsandte Unterhändler, Kutschma, unterschrieb zwar, wie sich aber inzwischen herausgestellt hat, hat seine Unterschrift keinerlei Rechtskraft, da sich die Kiewer Führung nicht daran gebunden fühlt, noch weniger die Kommandanten diverser Freiwilligenverbände, die die Einhaltung dieser Abmachungen als Hochverrat auffassen, sofern sie die ukrainische Seite betreffen. Sie haben der Regierung schon unverhohlen gedroht, sie wegzuräumen, sollte sie die angestrebte Autonomie dieser beiden Volksrepubliken in die Wege leiten und auf eine militärische Lösung verzichten. Daher fühlen sich die Vertreter der Aufständischen und die russische Seite auch nicht an dieses Abkommen gebunden, pochen aber formell auf die Vereinbarung, in der sie ja als Zuständige anerkannt worden seien. Die einzigen, die sich bemühen, die 12 Punkte des Minsker Protokolls irgendwie zu erfüllen, sind die Mitarbeiter der OSZE, die ja durch ihre Unterschrift dem Abkommen sozusagen Gewicht und Gültigkeit verliehen haben. Sie kämpfen auf verlorenem Posten, und geraten zusehends zwischen die Fronten. Würde die OSZE jedoch ihre Mission einstellen, so hätte sie damit eingestanden, daß sie keinerlei Einfluß auf die Regierung in Kiew hat.
Auf das 12-Punkte-Protokoll folgte zwei Wochen später noch ein Memorandum, also eine bloße Absichtserklärung, an die sich natürlich erst recht niemand hält, auf das sich jedoch vor allem die russische Seite immer beruft.
Die Vereinbarung von Minsk hatte lediglich den Effekt, den Vormarsch der Aufständischen zu stoppen und eine offene Niederlage der ukrainischen Truppen zu verhindern. Ansonsten ist sie zu einem leeren Rechtstitel geworden, mit dem stets die eine Seite der anderen Vertragsbruch vorwerfen kann.
Die zweite Vereinbarung ist der sogenannte
„Gasdeal“,
der mit einigem Tamtam vor einigen Tagen als „Lösung“ im „Gasstreit“ gefeiert wurde.
Um zu begreifen, wie es zu einer „Lösung“ kommen konnte (oder auch nicht), ist es einmal angebracht, sich anzusehen, woraus der Streit besteht.
Ein Teil der ukrainischen Elite bestreitet seit der Erlangung der Unabhängigkeit ihren Unterhalt aus dem Gastransit. Von Rußland nach Westeuropa geliefertes Gas wird abgezapft und zu höheren Preisen an diverse Abnehmerländer verkauft. Oder aber vertragsgemäß in die Ukraine geliefertes Gas wird nicht bezahlt, und die Begleichung der Schuld auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Oder ein Teil beglichen, um dann wieder die nächste Lieferung nicht zu zahlen.
Ein Teil der Bereicherung der Unternehmer dieses Landes geschieht also über Zugriff auf einen Reichtum, der gar nicht im Land generiert wird. Bloß die geographische Lage und die Verfügungsgewalt, die sich diverse „Gasprinzen“ und „-prinzessinnen“ über die Pipelines, die ukrainische Gas-Gesellschaft und den Gashandel gesichert haben, garantierten ihnen Einkünfte, die keineswegs zu verachten waren. Und die Schulden bei Rußland wuchsen. So lange, bis Rußland 2009 den Gashahn zudrehte und damit nicht nur die Ukraine, sondern auch die Endkunden in Mitteleuropa und auf dem Balkan ohne Gas dastanden.
Nachdem jetzt alle Verträge, die seit 2009 bestanden, aufgekündigt wurden und durch die Einverleibung der Krim auch die Pachtgebühren für den Hafen von Sevastopol wegfallen, die nie gezahlt, sondern stets für Gaslieferungen gegengerechnet wurden, ist jetzt nur ein Haufen Schulden da, und der Winter steht vor der Tür.
Das Problem der Gaslieferungen ist also nicht bloß der Bedarf der ukrainischen Endverbraucher, und es ist auch irreführend, auf den hohen Verbrauch derselben aufgrund veralteter – nicht regulierbarer – Heizungen hinzuweisen. Das Hauptproblem ist, daß einige Oligarchen daraus ihre Einkünfte bezogen haben und das weiterhin so handhaben wollen. Und dieses Begehr ist umso stärker, als verschiedene andere Wirtschaftszweige, wie die Rüstungsproduktion für Rußland und die Kohleförderung im Donbass auszufallen drohen und das ausländische Kapital recht flächendeckend abgezogen ist.
Die EU wiederum hat das Problem, daß sie erstens das russische Gas dringend braucht. Es ist die günstigste und sauberste Energieform und ein guter Teil der europäischen Energieversorgung ist auf russisches Gas angewiesen. Zweitens kann sie schlecht die Ukraine ohne Gasversorgung sitzen lassen, weil dann wäre die ohnehin dünne Zustimmung zu „Europa“ endgültig beim Teufel. Es läuft also darauf hinaus, daß sie die Gasrechnung der Ukraine zahlen muß. Aber damit allein ist es nicht getan, die Frage ist das Wie. Überweist sie nämlich das Geld an ihre Hampelmänner in Kiew, so verschwindet es in Oligarchentaschen, wird für andere Ausgaben – z.B. Waffenkäufe – verwendet und kommt nie in Rußland an. Überweist sie es aber direkt an Rußland, so spricht sie damit ihren eigenen Hampelmännern das Mißtrauen aus und das könnte deren Steuerbarkeit höchst nachteilig beeinflussen.
Der Streit ist also keineswegs „gelöst“, trotz des feierlichen Festaktes.
Die USA lachen sich angesichts dieser Zustände ins Fäustchen. Sie haben Rußland einen Dauerkonflikt vor der Haustür beschert und seine Wirtschaft gründlich geschädigt, durch Sanktionen, Flüchtlingsströme und Gefährdung der Rüstungsproduktion. Der EU wurde erst recht ein Ei gelegt, statt des angestrebten Hinterhofes ist ihnen ein Faß ohne Boden erwachsen, daß die EU sehr teuer zu stehen kommen und auch noch andere Probleme bescheren wird. Außerdem wurde klargestellt, daß die EU ein politischer Zwerg ist, der ohne NATO-Rückenwind überhaupt nicht beachtet würde, und alle diese Fronten werden die USA weiter betreuen und bestärken.
Frontbegradigung im Hinterhof
HETZJAGD AUF NGOS IN UNGARN
1. Unbehagen mit NGOs in verschiedenen postsozialistischen Staaten
Vor geraumer Zeit, noch in den 90-er Jahren hat Präsident Lukaschenko in Weißrußland den zivilen Organisationen den Kampf angesagt und sie mehr oder weniger aus Weißrußland hinauskomplimentiert. Als Vorwand dienten angebliche Steuervergehen. Im Brennpunkt der Angriffe stand damals die Stiftung von George Soros, die 2002-2003 in Rußland durch Kündigung des Mietvertrages vertrieben wurde.
2012 wurde in Rußland ein Gesetz erlassen, das alle ausländischen NGOs unter staatliche Aufsicht stellte:
„Der russische Präsident Wladimir Putin hat das international scharf kritisierte Gesetz unterzeichnet, das vom Ausland unterstützte Nichtregierungsorganisationen als »Auslandsagenten« einstuft. Das teilte der Kreml am Samstag mit. Damit tritt das von der Regierungspartei Einiges Russland ausgearbeitete Gesetz in Kraft, das noch vor der Sommerpause beide Kammern des Parlaments im Schnellverfahren passiert hatte.
Damit müssen sich sämtliche Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Geld erhalten und in Russland politisch aktiv sind, nun speziell registrieren lassen. Zudem gilt für sie künftig eine strenge Finanzkontrolle. Verstöße sollen mit schweren Geldstrafen oder Gefängnis geahndet werden. Damit müssen künftig beispielsweise Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder die Wahlbeobachter von Golos (»Stimme«) viermal im Jahr staatlichen Kontrolleuren ihre Buchhaltung vorlegen.
Nach offizieller Darstellung dient das Gesetz dazu, ausländische Staaten daran zu hindern, auf die Innenpolitik Russlands Einfluss zu nehmen. Putin hatte den USA vorgeworfen, die jüngsten Proteste gegen seine dritte Amtszeit als Präsident unterstützt zu haben.
Kritiker befürchten, dass das Gesetz vor allem Organisationen ins Visier nimmt, die sich für Menschen- und Freiheitsrechte stark machen. Zudem machen sie geltend, dass die Bezeichnung »Auslandsagent« den Vorwurf der Spionage impliziere und dem Ansehen vieler NGOs schaden könnte.“ (Spiegel Online, 21, 7. 2012)
In Usbekistan wurden nach einem – nach Meinung der Regierung von außen geschürten – lokalem Aufstand eine Neuregistrierung aller im Land tätigen NGOs vorgeschrieben, die zu einer deutlichen Verringerung der Anzahl dieser Organisationen führte. 2011 wurde das Büro von Human Rights Watch aufgrund eines gerichtlichen Verbotes geschlossen.
2. Die NGOs – Sumpfblüten der Globalisierung
Obwohl es einzelne zivile Organisationen wie Amnesty International oder Greenpeace schon vorher gegeben hatte, starteten die NGOs als eigene Kunstform erst seit dem Ende der Sowjetunion so richtig durch:
„Der Europarat legte 1986 ein Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit internationaler nichtstaatlicher Organisationen vor (SEV-Nr.: 124, auch Konvention Nr. 124 genannt). Es trat 1991 in Kraft und die Ratifikation begann. Etwa ein Viertel der Mitgliedstaaten ist dieser Konvention zur Rechtsstellung von internationalen Nichtregierungsorganisationen bisher beigetreten.“ (Wikipedia, NGOs)
Die in diesen bzw. für diese NGOs arbeitenden Demokratie-Fans übernehmen auf diese Art und Weise verschiedene Aufgaben, die früher Teil der staatlichen Außen-, Innen- oder Sozialpolitik gewesen waren. In den Heimatländern von Demokratie und Kapitalismus bewirkte das NGO-Wesen eine Privatisierung und Verbilligung und sogar Effektivierung des Sozialstaates, wo prekär Beschäftigte oder sogar unbezahlte Helfer oder Praktikanten Rechtshilfe, Sozialhilfe, Unterricht und andere Dienstleistungen bieten, die vorher einmal ganz normale Tätigkeiten von fix angestellten Staatsbeamten waren.
In anderen Ländern versuchen diese Organisationen oftmals Standards zu etablieren, für die die Grundlage einer funktionierenden Marktwirtschaft nicht gegeben ist und die auch von den Regierungen und beträchtlichen Teilen der dortigen Bevölkerung abgelehnt wird. Ein wichtiger Angriffspunkt ist hier die Finanzierung:
„Größere Nichtregierungsorganisationen weisen mitunter Jahresbudgets von mehreren Millionen Euro auf. Der Haushalt der Human Rights Watch etwa umfasste 2003 21,7 Mio. US-Dollar. Haupteinnahmequellen sind neben den Mitgliedsbeiträgen vor allem auch Spenden, die Erlöse aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen sowie staatliche Zuwendungen.“ (ebd.)
„TI verfügte 2011 nach eigenen Angaben über ein Budget von 20,306 Mio. Euro. Die ausländischen Büros unterliegen bilateraler und multilateraler Finanzierung und Organisation.“ Wikipedia, Transparency International)
Insofern bewähren sich diese Organisationen tatsächlich oftmals als Agenten einer auswärtigen Macht, da sie von dieser finanziert werden und eine Agenda vertreten, die von der Regierung des jeweiligen Landes nicht geteilt wird.
Die leitenden Mitglieder dieser NGOs vor Ort mögen in den meisten Fällen überzeugte Demokratie-Fans sein. Ein wichtiges Moment ihrer Tätigkeit ist jedoch, daß sie daraus ihre Existenz bestreiten. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit bieten die NGOs gerade für dissidente Intellektuelle einen halbwegs sicheren Einkommenshafen. Außerdem stellen sie oft einen Ausweg für Leute dar, die aufgrund ihrer Vergangenheit schwer eine Anstellung finden. In Albanien z.B. haben sich viele NGOs als Auffanglager für ehemalige Agenten der Sigurimi, des unter Hodscha eingerichteten Geheimdienstes bewährt. Es sind aber nicht die Letzteren, die sich schon gewohnheitsmäßig mit der Obrigkeit gut stellen, sondern die Ersteren, die eher mit ihren jeweiligen Regierungen kollidieren.
3. Ungarn und die NGOs
Daß jetzt die FIDESZ-Regierung in Ungarn beschlossen hat, die NGO-Wirtschaft im Lande zu beschränken oder gar gleich zu verunmöglichen, verwundert zwar niemanden, der den Kurs dieser Regierung verfolgt und kennt. Alles, was gegen Orbán und seine Getreuen ist, soll verunmöglicht werden, vor allem dadurch, daß man den Personen, Institutionen und Organisationen den Geldhahn zudreht. Auf diese Art wurden in Ungarn in den letzten Jahren zahlreiche Kulturschaffende auf die Straße gesetzt und Kulturinstitutionen aufgelöst, während die solchermaßen ersparten Gelder in Richtung Fußballförderung oder katholisches Bildungswesen umgeleitet wurden. Es ist innerhalb dieser Logik folgerichtig, daß jetzt auch ausländische Geldquellen zur Finanzierung von Dissidenz und Opposition ins Visier genommen werden.
Das Besondere daran ist, daß dergleichen erstmals in einem EU-Staat vor sich geht. Die EU sieht sich ja selbst als einen Hort von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten und leitet daraus auch ihre Berechtigung ab, diese hohen Werte in die ganze Welt hinauszutragen, so auch mit großem Erfolg unlängst in die Ukraine. Und jetzt kommt eine ordnungsgemäß gewählte Regierung eines Mitgliedsstaates und stellt unmißverständlich fest, daß diese hohen Werte bei ihnen nur eine begrenzte Gültigkeit haben.
Das zweite Besondere ist, auf welche Art von NGOs es Ungarn abgesehen hat. Es sind nämlich nicht die üblichen Verdächtigen, HRW, Soros, Transparency International oder Greenpeace, die der Regierung mißfallen, sondern eine in weiten Teilen Europas völlig unbekannte Institution, der Norwegische Fond:
„Die ungarische Polizei hat am Montag den Sitz der Budapester Stiftung Ökotárs gestürmt, die seit Monaten mit der rechtsnationalen Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Orbán im Clinch liegt. Ökotárs verwaltet die Gelder, die der Fonds Norway Grants (EEA) für ungarische Nichtregierunsgorganisationen zur Verfügung stellt. Was Ökotárs im strafrechtlichen Sinn vorgeworfen wird, ist nicht bekannt.
Orbán hatte schon vor Wochen erklärt, die Behörden würden gezielt gegen aus dem Ausland finanzierte Organisationen vorgehen, da es sich dabei um »bezahlte politische Aktivisten« handle, die in Ungarn »ausländische Interessen« durchsetzen wollten.
Über den Fonds Norway Grants (EEA) fördern die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein staatliche Institutionen und Vereine in Osteuropa. Die Federführung hat als größter Einzahler Norwegen. EEA fördert in Ungarn vor allem Projekte, die den Kampf für Menschen-, Bürger- und Minderheitenrechte zum Ziel haben.“ (DPA)
4. Norwegen und die NGOS
Norwegen hat nämlich einen guten Teil seiner Außenpolitik auf NGOs abgestellt. Mit Hilfe dieses gut dotierten Fonds – immerhin ist Norwegen ein bedeutendes Erdölförderland, Kohle ist also da – bemühten sich die norwegischen Regierungen, gerade in den Hinterhöfen und an den Außenrändern der EU durch Projekte eine Art demokratische Zivilgesellschaft zu befördern. In Ländern, wo es an allem fehlt und die Staaten sich auch nicht durch ausländische Kredite finanzieren können, weil sie als unbrauchbare Schuldner eingestuft werden, wie Serbien, Moldawien, Bosnien oder dem Kosovo bewahrt der Norwegische Fonds bedeutende Teile der Gesellschaft vor dem völligen Zerbröseln, fördert Schulprojekte, saniert Gebäude und Infrastruktur. Gleichzeitig vermittelt er über seine örtlichen Mitarbeiter den von seinen Projekten Beglückten die Sichtweise, daß Armut und Elend in ihren Ländern ausschließlich von ihren eigenen korrupten und gierigen Eliten verursacht wird, während die EU und Norwegen so etwas wie Weihnachtsmänner sind. Ein Teil der Gelder des Norwegischen Fonds kann nämlich auch dafür verwendet werden, bei der EU Projekte einzureichen, für die die in ihnen verlangte Eigenfinanzierung von den Antragsstellern sonst nicht geleistet werden könnte.
5. Ungarns Rekatholisierung
Der Cocktail der Aktivitäten und Absichten ist also schon so gemixt, daß der Norwegische Fonds und die Orbán-Regierung sowieso früher oder später kollidieren würden. Die Drangsalisierung der von dem Fonds geförderten NGOs läuft nämlich schon seit Frühjahr, im Windschatten der Ukraine-Krise. Es mag sein, daß die ungarische Regierung die Gelegenheit als günstig eingestuft hat, um den großen Schlag gegen die NGOs in die Wege zu leiten. Alle schauen woanders hin.
Inhaltlich dürfte der besondere Stein des Anstoßes derjenige Teil der Regierungspolitik gewesen zu sein, der die Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche anstrebt und das Unterrichtswesen wieder Stück für Stück der katholischen Kirche unterstellen will.
Dem sind alternative Schulprojekte ein Dorn im Auge, sie stellen eine Konkurrenz dar, eine Fluchtmöglichkeit vor der Zwangsbekehrung und ein praktisches Beispiel dafür, daß man in der Schule auch etwas Vernünftiges lernen kann.