TOTALER KRIEG
Die Allianz der arabischen Staaten zur Bombardierung des Jemen wird in einer Art und Weise medial geschönt, daß einem wirklich schlecht wird. „Jemen: Araber gründen Anti-Terror-Truppe“ titelt der Standard, natürlich auch wieder aufgrund einer Reuters-Meldung. „Unterstützung für Jemens Präsident“, so geht es weiter. Also: alle einigen sich im Kampf gegen das Böse, und zweitens, die Rechtmäßigkeit wird hochgehalten. Unter welchen Bedingungen der jemenitische Präsident an die Macht gekommen ist, und worauf sich seine Rechtmäßigkeit überhaupt gründet, interessiert die Verfasser von dergleichen Jubelmeldungen nicht.
Ebenso irreführend ist der Ausdruck „Anti-Terror-Truppe“. Man könnte meinen, hier ginge es gegen den IS – aber weit gefehlt!
„Alle anderen Themen und Krisen, von Palästina über Libyen bis zur wirtschaftlichen Entwicklung, waren für die Gruppe, die ihr 70-jähriges Bestehen feierte, nur Randnotizen. In ungewöhnlicher Einigkeit stellten sich die arabischen Herrscher hinter die von Saudi-Arabien geführte Militärallianz, die im Jemen gegen die Huthi-Rebellen und deren Verbündete kämpft.“ (ebd.)
Auch die Zustände in Libyen, das politisch zu einem einzigen schwarzen Loch und einer Brutstätte des Terrors geworden ist, waren den „arabischen Herrschern“ kaum der Rede wert. Dabei hatte die arabische Liga seinerzeit viel zum Sturz Ghaddafis beigetragen, um sich dieses enfant terrible der arabischen Staatenwelt zu entledigen.
Sogar Ägypten, das durch die Ereignisse in Libyen sehr in Mitleidenschaft gezogen worden ist – und auch weiterhin werden wird –, findet es wichtiger, sich im Jemen einzumischen, als seine Militärmacht gegen den Bürgerkrieg und Terror in Libyen in Stellung zu bringen. Es beherbergt den Gipfel der arabischen Liga in Scharm-El-Scheich und schickt Militärschiffe in den Golf von Aden.
Man beachte auch die Allianz von einem Militär-Regime wie Ägypten, das vor nicht allzu langer Zeit seine legal gewählten religiösen Konkurrenten weggeputscht hat und unbarmherzig verfolgt, mit der Monarchie Saudi-Arabiens, das jede Trennung von Staat und Religion ablehnt und seinen Herrschaftsanspruch unter anderem daraus ableitet, Hüter der Heiligen Stätten des Islam zu sein – einem Gottesstaat also. Kein Problem für die beiden, wenn es gegen schiitische Aufständische geht, von denen übrigens keine besonderen Grausamkeiten bekannt sind.
Die jemenitische Ansarullah-Bewegung – etwas verächtlich als Huthi-Milizen abgetan – hat bisher keine Köpfe abgeschlagen und keine Ehebrecherinnen öffentlich gesteinigt. Die schiitischen Zaiditen waren bis zu ihrer 1962 erfolgten Demontage durch eine panarabische Junta – unter Mithilfe Ägyptens unter Nasser – jahrhundertelang die Herren über den Nordjemen, zeitweilig sogar über den gesamten heutigen Jemen. Ihr Sturz mündete in einem 8-jährigen Bürgerkrieg mit über 200.000 Toten. Das ist nur wichtig zu erwähnen angesichts des Getues, als wären diese Leute – denen nicht viel Widerstand entgegengesetzt wurde, die also im Jemen selbst gar nicht so unwillkommen sind – sozusagen vom Himmel gefallen oder Eindringlinge einer fremden Macht. Sie sind Ureinwohner des Jemen und bedienen sich im Unterschied zum IS auch keiner ausländischen Freiwilligen.
Jetzt wird der wirtschaftlich schwache Jemen – als einziger Staat der arabischen Halbinsel verfügt er kaum über Ölvorkommen – bombardiert, seine ohnehin eher bescheiden ausgebaute Infrastruktur zerstört, und mit einer Invasion Saudi Arabiens gedroht, das im letzten Jahrzehnt kräftig aufgerüstet hat und offenbar sein Gerät und seine Macht jetzt einmal ausprobieren will:
„Saudi-Arabien hat mit der ad hoc gezimmerten Allianz für seinen Feldzug im Jemen bereits erreicht, was es wollte. Beobachter sind sich einig, dass König Salman mit diesem Militäreinsatz neue Prioritäten in seiner Sicherheitspolitik gesetzt und die Bedrohung durch den Iran über jene gestellt hat, die von islamistischen Jihadisten von Al-Kaida oder der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) ausgeht.“ (ebd.)
Der Jemen ist also das derzeitige Schlachtfeld für die imperialistische Konkurrenz in der arabischen Welt. Abgesehen davon, was das für den Jemen heißt – immerhin ein Land mit 25 Millionen Einwohnern, mehr als in Syrien – ist damit im Grunde an alle Schiiten des Nahen Ostens eine Kampfansage ergangen – sie werden alle als Agenten des Iran betrachtet und behandelt.
Wenn Saudi Arabien mit seinen Zielen Erfolg und weiterhin die arabische Liga hinter sich hat, so ist endgültig der IS an allen Fronten ins Recht gesetzt und kann viel offener unterstützt werden als bisher. Die Hisbollah, die syrische Regierung und ihr Anhang, die irakische Regierung und die sie unterstützende Bevölkerung, die Schiiten der arabischen Halbinsel – alles potentielle Feinde des wahren Islam und der US-gestützten Vormacht der Region, die zum Abschuß freigegeben sind.
Und diese Kriegserklärung an die islamischen Häretiker wird offensichtlich von den westlichen Medien mitgetragen, der Kampf gegen den IS verschwindet auf die hinteren Seiten, was darauf hinweist, daß wichtige Weltmächte das auch so sehen.
Kategorie: Imperialismus
Die Hypo Alpe Adria als Systembank der EU
MITGEFANGEN, MITGEHANGEN?
Schon bei der Blitzverstaatlichung der Hypo Alpe Adria 2009 war absehbar, daß das nur ein Versuch war, eine Zeitbombe zu entschärfen, daß aber von irgendeiner Lösung irgendeines Problems hier keine Rede sein konnte.
Seither wird der Brandsatz hin und her geschoben, ohne daß sich eine substantielle Verbesserung der Lage einstellen würde. Die Hypo AA wurde aufgespalten, teilverkauft, umbenannt – das Problem der Schulden, für die keiner geradestehen will und kann, bleibt bestehen.
1. Historischer Kontext
Die Hypo AA wurde von einer landeseigenen Förderbank 1991 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und im darauffolgenden Jahr durch den Einstieg der Grazer Wechselseitigen Versicherung als Großaktionär kräftig aufgeblasen. Sie machte sich fit für den Aufbruch zu neuen Ufern.
Die Hypo AA ist eng verknüpft mit der neuen Rolle, die Österreich sich anschickte, in Europa zu spielen. Von einem Billiglohnland und Pufferstaat zwischen den Blöcken zu einer Regional- und Kreditmacht in der Betreuung der gewendeten ex-sozialistischen Staaten in seiner näheren Umgebung, als Vorposten und Wachtturm der EU und sogar als Königsmacher, der sich mitunter recht unverschämt in die Innenpolitik und Machtkämpfe seiner Nachbarstaaten einmischt. Diese Rolle gefiel und gefällt den österreichischen Politikern, sie nehmen sie gerne wahr. Sie wird aber auch von den maßgeblichen Staaten der EU geschätzt – Österreich hatte – zumindest bis zur Krise 2008 – jede Menge Rückenwind.
Die Hypo spielte eine undurchsichtige Rolle in der Finanzierung des kroatischen Unabhängigkeitskampfes und dem Aufbau des Staates Kroatien. Es ist zu vermuten, daß sie nicht nur von Österreich, sondern auch von Deutschlands Geldgebern in dieser Sache benützt wurde. Das stärkte nur ihr Ansehen und vergrößerte die Freiheiten, die ihr von allen Seiten eingeräumt wurden – in Österreich, in Kroatien, und auch in Deutschland.
Es ist wichtig, sich das vor Augen zu halten angesichts dessen, daß immer von Patrioten und Moralwachteln die Hände zusammengeschlagen und „Versäumnisse“ dingfest gemacht werden, warum die Blase geplatzt und das Unheil eingetreten ist.
Demgegenüber ist festzuhalten, daß es nicht die Abwesenheit von staatlicher Oberaufsicht war, die die Hypo AA zu ihrer Expansion gedrängt hat, sondern gerade die Vorgaben der hohen Politik: „Geht und macht euch den Balkan untertan!“ – die die Hypo AA seinerzeit beflügelt haben.
Es war auch keineswegs, wie es sich im Rahmen der allseits beliebten Schuldsuche praktischerweise anbietet, der verstorbene Landeshauptmann Haider der Alleinverantwortliche für die Expansion der Hypo AA. Natürlich gefiel es dem Landesvater, ein so potentes Geldinstitut vor der eigenen Haustür zu haben und sowohl genug Kredit für ehrgeizige Projekte in Kärnten als auch für grenzüberschreitende und den Einfluß Kärntens am Balkan steigernde Aktivitäten zu seiner Verfügung zu wissen. Aber diese Muskelspiele der Kärntner Landesbank und des Kärntner Oberhäuptlings waren kein Alleingang und standen in Einklang mit anderen Bank-Expansionen im runderneuerten Nach-Wende-Österreich.
Der heutige Eiertanz um die Hypo AA ist unter anderem dem Willen und Bemühen geschuldet, diese Rolle aufrechtzuerhalten und den guten Ruf des Bankplatzes Österreich zu erhalten. Da kracht es nämlich mehrerorts im Gebälk des Kredit-Überbaus, und die Hypo AA hat das Potential, einen Einsturz zu verursachen.
2. Technische Details
Um von den bescheidenen Grundlagen zu einem international agierenden Spieler zu werden und ihre Bilanzsumme innerhalb von 13 Jahren von umgerechnet ca. 1,87 Mrd. € auf 24,23 Mrd. € zu erhöhen, unternahm die Leitung der Bank einiges, was ihr damals als hohe Kunst des Geld-Machens wohlwollend angerechnet wurde. Sie nützte nämlich die Konzession zur Ausgabe von Wertpapieren, um ihr Eigenkapital und damit ihren Aktionsradius zu erhöhen. Alles, wie der später vor Gericht gestellte und verurteilte Vorstand Kulterer im Laufe des Verfahrens bemerkte, nach der damaligen Gesetzeslage völlig legal.
Sie gab Anleihen heraus, die höher verzinst als gewöhnliche Bankanleihen und durch Haftungen des Landes Kärnten besichert waren. Es handelt sich – auch da kommen immer neue Meldungen, „sickert“ etwas durch, wird dementiert – um eine Summe von zwischen 16 und 20 Milliarden Euro, wobei zu den Gläubigern große europäische Geldinstitute, aber auch andere österreichische Banken gehören.
Dann gab die Bank Aktien heraus, die sie über ein Geflecht von Briefkastenfirmen an sich selbst zurückverkaufte und als Kapitalerhöhung in den Büchern verzeichnete.
Die Bank ließ sich in mehrstellige Millionendeals im Immobiliensektor ein, blies die Immobilienspekulation an der Adria in gewaltige Dimensionen auf und setzte auf den Boom im Tourismus. Die Finanzkrise ließ die Preise einbrechen, entwertete die Aktiva der Bank und das ganze Kartenhaus brach zusammen.
Dabei hatte die Hypo AA gar nicht viel falsch gemacht. Sie hatte fehlendes Eigenkapital durch Garantien und Finanzmanöver generiert, ähnlich wie andere österreichische Banken, denen die Abdankung des Realen Sozialismus ein weites Geschäftsfeld eröffnet hatte. Sie stießen in ein kapitalmäßiges Vakuum vor, in dem sie mit keinerlei ernsthafter Konkurrenz konfrontiert waren. Die einzigen Konkurrenten, mit denen die Hypo AA zu kämpfen hatte, waren slowenische Banken, und die gelang es eben durch diese Finanzmanöver und Landesgarantien auszuspielen.
Die gesamte Performance der Hypo AA machte sie attraktiv für die um einige Nummern größere Bayerische Landesbank, die sich erstens sowieso vergrößern und zweitens mit Hilfe der Hypo AA ein Standbein auf dem damals als Zukunftsmarkt eingeschätzten Balkan verschaffen wollte.
Der Verkauf der Hypo AA-Anteile an die Bayerische LB im Jahr 2007 war von derart komplizierten Eigentumsverflechtungen begleitet, daß es fast unmöglich ist, zu verfolgen, wieviel eigentlich gezahlt wurde und an wen.
Später behauptete die Bayern LB, sie sei von den Verhandlern auf Seiten der Hypo AA getäuscht worden, die Bilanzen seien gefälscht gewesen. Die Republik Österreich sagte später, die BayernLB hätte sie bei der Notverstaatlichung 2009 über den Zustand der Bank getäuscht. Lauter Betrogene, nirgends Betrüger.
Von 2009 bis heuer wurde die Hypo-Causa mitgeschleppt. Alle hofften darauf, daß die Krise vorübergehen würde, die Preise anziehen und die Kaufkraft steigen würden, und die Hypo AA nach einer vom Staat gestützten Durststrecke wieder auferstehen würde. Ähnlich wie die BAWAG. Dieses Szenario ist aber nicht eingetreten, und schließlich wurde die Bank aufgeteilt in Teile, die man noch zu verkaufen hoffte und einen Mistkübel für den Rest namens Heta.
Von der EU-Kommission in Brüssel kamen Vorschläge, die Bank aufzulösen, und Beschwerden, der österreichische Staat habe bei der Verstaatlichung verbotene Beihilfen gezahlt.
Was bei allen diesen Manövern offen blieb, war die Bedienung der Anleihen, die bisher offenbar vom österreichischen Staat geleistet wurde, weshalb der Österreicher Jahr für Jahr mit Berichten versorgt wurde, wieviel die Hypo AA „uns“, „den Steuerzahler“ dieses Jahr wieder gekostet hat.
3. Die Verwicklungen heute
Heute, wo der österreichische Staat – unter anderem mit Berufung auf die Gründung der Heta, wo jetzt alle Probleme geparkt werden – versucht, sich seiner Verpflichtungen zu entledigen, wird die Frage der Hypo-Anleihen schlagend.
Die Gläubiger könnten klagen, wenn die Anleihen verfallen, aber wen eigentlich? Die Bankaufsichtsbehörde, die Republik, den Heta-Vorstand, das als Garant figurierende Bundesland Kärnten?
Wenn die Hypo-Anleihen jedoch einfach ungeregelt verfallen, so ist keine österreichische Bank mehr international kreditwürdig.
Kärnten hat sich bei diesen Garantien um das mehrfache seines jährlichen Budgets übernommen. Es kann sich nicht mit Hilfe eines Konkurses entschulden, da es dafür überhaupt kein Verfahren gibt und ein Bundesland im Grunde genauso wenig bankrott gehen kann wie ein Staat.
Noch dazu hängen über den Hypo-Landesbanken-Dachverband die restlichen Bundesländer Österreichs in diesen Landesgarantien drinnen und müßten selber mitzahlen, und über irgendeinen Banken-Insolvenzfonds müßten die anderen Banken Österreichs auch Geld herausrücken im Falle einer formellen Auflösung der Hypo AA. Alle schreien natürlich im Chor: „Nein, niemals! Wir haben damit doch nichts zu tun! Schuld ist der Haider!“
Schließlich soll der von Jörg Haider selig mit dem Verkauf der Hypo AA eingerichtete „Zukunftsfonds“ für die Verbindlichkeiten der Hypo herangezogen werden, wogegen sich die Kärntner Landesregierung wehrt: Sie wäre damit um eine Geldquelle ärmer – vielleicht die einzige, die ihr noch bleibt – und für die Verbindlichkeiten der Hypo AA wären die 500 Millionen Euro nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Im Grunde ist hier ein kleines Griechenland-Problem entstanden, wo Landeshaftungen wie Kredit behandelt werden, dessen Bedienung das Bundesland selbst nicht leisten kann und dafür andere Instanzen herhalten sollen, damit nicht der ganze Kredit Österreichs flöten geht.
Die Bayerische Landesbank fordert noch Geld von der Republik Österreich, während die auf dem Standpunkt steht, daß von der BayernLB noch Geld für die Abwicklung der Hypo ausständig ist.
Die EU-Kommission in Brüssel sieht wettbewerbsverzerrende Maßnahmen und da soll Österreich irgendwelche Strafen zahlen oder Zahlungen an die Hypo AA zurückfordern.
Bei aller unfreiwilligen Komik, die dadurch entsteht, daß uneinbringliche Schulden nicht gestrichen, sondern durch teils grenzüberschreitende Gerichtsverfahren, Neugründungen, Betriebsauflösungen, Umbenennungen usw. von einem zum anderen geschoben werden, weil sie niemand streichen kann/will/darf – die Causa Hypo AA kann genauso wie die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, die Ukraine-Krise und die Rußland-Sanktionen dazu beitragen, dem Euro den Garaus zu machen.
„Spardiktate“ gegen „Staatsinterventionismus“
KRISENBEWÄLTIGUNG
Es kam, was kommen mußte: Nachdem es erst einen Mords Hype um Syriza gegeben hat, was das für tolle und menschenfreundliche Typen seien und wie die jetzt Griechenland und die EU umkrempeln werden, und nachdem Alexis Tsipras zu einer Art Messias stilisiert wurde, der in Berlin und Brüssel andere Seiten aufziehen wird – sind jetzt lange Gesichter angesagt, die neue griechische Regierung sei „umgefallen“, populistische Versprechen hätten sie gemacht, eigentlich hätten sie genauso gelogen wie alle anderen, ihr Programm von Saloniki hätten sie verraten usw. usf.
Das wirft erstens ein bezeichnendes Licht auf Gesellschaftskritik heute, die hauptsächlich auf der Suche nach irgendwelchen Lichtgestalten ist, aber außer moralischem Gejammer nichts gegen die herrschenden Verhältnisse einzuwenden hat. Die ihren Frieden mit Eigentum und Ausbeutung gemacht hat und dafür bitte bitte! doch ein bißl Soziales oben drauf gestreut haben will. Und ihre Erfolge hauptsächlich im Beklatschen von woanders stattfindenden Ereignissen feiert.
Gerade angesichts dessen, wie Syriza erst bejubelt wurde und wie jetzt etwas an Patina abblattelt, ist doch einmal zu untersuchen, was heute als „linkes“ Konzept gilt, und warum es per se nur als Programm existieren kann, in der Wirklichkeit aber scheitern muß.
Die „4 Pfeiler“ des Saloniki-Programms
Die 4 wichtigsten Aufgaben, die sich Syriza damals gestellt hat, sind:
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise,
2. Neustart der Realwirtschaft,
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen,
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden sowie auch die Neukonstitutierung des Status des Bürgers gegenüber der staatlichen Verwaltung. (Dieser 4. Punkt wird auf verschiedenen Websites unterschiedlich benannt, die Stoßrichtung ist jedoch klar.)
1. Maßnahmen gegen die humanitäre Krise
Was ist mit „humanitärer Krise“ eigentlich genau gemeint? Massenarbeitslosigkeit, keine Sozialhilfe, Obdachlosigkeit, daraus resultierendes Elend aller Art Flüchtlingsströme, die in Griechenland hängenbleiben und von Behörden und Neonazis drangsalisiert werden, usw. usf. – die Liste ist lang und die Symptome für diesen einigermaßen diffusen Begriff sind mannigfaltig. Vor allem werden keinerlei Ursachen benannt – dabei wäre es doch nötig, die einmal zu erforschen, um wirksam Maßnahmen dagegen ergreifen zu können.
Ein paar Angebote:
Kapitalismus
Geldwirtschaft
EU-Mitgliedschaft
Europäische Einheitswährung
Finanzkrise
Überschuldung
Spardiktat der Troika bzw. der EU bzw. Deutschlands
Je nachdem, was man als Ursache annimmt, ergeben sich nämlich ganz unterschiedliche „Maßnahmen“.
2. Neustart der Realwirtschaft
Diese 3 Worte geben Anlaß zur Interpretation bzw. verlangen danach. Mit „Realwirtschaft“ wird inzwischen derjenige Teil der Wirtschaft verstanden, der brauchbare und greifbare Waren hervorbringt, zum Unterschied von luftigen Finanzspekulationen, mit denen sich windige Banker die Taschen füllen. Der Haupt-Irrtum besteht darin, daß letztere weniger „real“ seien. Im Gegenteil, die Dealer des abstrakten Reichtums, die mit derjenigen Materie Handel treiben, in der alle Güter gemessen werden, dem Geld – sind die wirklichen Herren über Handel und Produktion und von ihnen hängt es ab, ob Fabriken auf- oder zusperren.
Aber auch der „Neustart“ hats in sich. Es tut ja so, als wäre eine nationale Wirtschaft etwas wie ein funktionierendes Räderwerk, in dem alle zusammenarbeiten und bei Schwierigkeiten muß ein Knopf gedrückt werden, das Gerät wird kurz heruntergefahren, und nachher flutscht wieder alles.
Eine Wirtschaft wie diejenige Griechenlands, die unter dem Druck der Konkurrenz auf dem Weltmarkt inzwischen ziemlich wenig produziert, soll also ho-ruck mit irgendwelchen Maßnahmen wieder zu einer florierenden – ja was nur? – Kapitalakkumulation? aufgepäppelt werden? Das würde ja bedeuten, daß man sowohl die Verwertungsinteressen des Finanzkapitals als auch die Konkurrenz des produktiven Kapitals in der EU für nichtig erklärt. Weil diese beiden Faktoren waren es ja, die die griechische Wirtschaft dorthin gebracht haben, wo sie jetzt ist. Als Mittel des ambitiösen Projektes bleibt also nur der gute Wille aller Beteiligten, ohne jede materielle Basis.
3. Ein nationaler Plan zur Neuschaffung von Arbeitsplätzen
Das klingt wie aus einem sozialdemokratischen Wahlkampf der 70-er Jahre. Das Evergreen der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ zieht als Slogan ebensosehr, wie es in der Verwirklichung scheitern muß. Im Kapitalismus ist es nämlich das Kapital, das darüber entscheidet, wen es einstellt und wen es entläßt, und nicht der Staat.
Das keynesianische Ideal geht davon aus, daß es dem Staat als dem Schöpfer des nationalen Geldes und Garant des Kreditapparates möglich sei, sich als eine Art Ersatz-Unternehmer zu betätigen und damit Leben in die Akkumulations-Bude zu bringen. Das war schon in den Zeiten der vorigen Weltwirtschaftskrise verkehrt. Das Ende der Krise brachte der Krieg, nicht die konjunkturfördernden Maßnahmen. Dennoch hatte der „New Deal“ und ähnliche, von Keynes in seinem bekanntesten Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936) angeregte Maßnahmen durchaus seine Wirkung, zumindest auf die proletarischen Massen, aber auch auf den Rest der Gesellschaft: Sie nährte die Vorstellung, bei weiser väterlicher Staatsführung ließen sich die gesellschaftlichen Gegensätze harmonisieren, und schließlich käme wieder eine funktionierende Ökonomie zustande. Der Keynes selbst oder Galbraith zugeschriebene Ausspruch, Keynes habe so den Kapitalismus gerettet, ha da durchaus etwas für sich.
Und auch heute scheinen sich diese mit Keynes etwas aufgeputzten Ideale weiterhin zu bewähren, obwohl die Umstände weniger denn je dazu Anlaß geben, ihnen anzuhängen: Inzwischen ist Griechenland in einem Maße überschuldet, wie es in Vor-Euro-Zeiten für einen so beschaffenen Staat gar nicht möglich gewesen wäre, und ist nicht mehr der Herr über seine Kreditschöpfung oder sogar das nationale Budget. Daher soll dann das nationale Konjunkturprogramm gleich direkt aus Brüssel oder von der EZB finanziert werden.
Um so wichtiger der besonders schwammig formulierte Pfeiler 4:
4. Vertiefung des demokratischen Systems durch Wiederherstellung und Erweiterung der Rechte der Arbeitenden
Einerseits soll damit der Status quo ante, also der Zustand vor den durch die Troika erzwungenen Gesetzesänderungen wiederhergestellt werden. Sogar erweitern will Syriza die Arbeiterrechte. Damit ist eines einmal festgelegt: Am prinzipiellen Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit will diese Partei nicht rütteln. Daß die einen für die anderen arbeiten und sich die anderen mittels der von ihnen eingekauften Arbeit bereichern – das ist für Syriza erwünscht und das halten sie auch für eine gute Sache für die Betroffenen. Ebenso wie Punkt 3 ist die Lohnarbeit als Quelle des Einkommens für sie das Um und Auf einer gelungenen Volkswirtschaft. Ihre Kritik bezieht sich darauf, daß es davon viel zu wenig gibt.
Das alles soll aber von viel mehr Mitspracherechten und Basisdemokratie begleitet sein. Auch hier ist wieder ein Ideal über Demokratie und Klassengesellschaft zugegen: letztere soll genau dann gut funktionieren, wenn diejenigen, die durch ihre Arbeit den konkreten und damit auch den abstrakten Reichtum der Nation schaffen, durch Mitspracherechte ihr Einverständnis in diese Zusammenarbeit geben und damit ihr Gelingen ermöglichen.
Das alles kommt aus den Frühzeiten der Arbeiterbewegung und versieht seinen ideologischen Dienst auch heute: die Leute strömen zu den Urnen, machen ihr Kreuzerl und warten, daß irgendetwas Gutes von oben kommt. Wenn nicht, so warten sie auf die nächste Wahl – um sich wieder von jemandem anderen falsche Hoffnungen machen zu lassen – oder auch nicht.
Daß von Syrizas Plänen so wenig übriggeblieben ist, liegt nicht daran, daß sie gelogen haben, Verräter oder sonstwas sind: die Konstruktion des Euro, die Lage Griechenlands und die Vorgaben zur Eurorettung sind das enge Korsett, in dem sich eine griechische Regierung zu bewegen hat, und deshalb wird sich ihre Politik vermutlich nicht sehr von der von derjenigen der Regierung Samaras unterscheiden.
Es fragt sich natürlich auch, wie lange sie sich durchziehen läßt, weil die Schuldenpolitik Griechenlands hängt nicht allein von der dortigen Regierung oder Bevölkerung ab. Neben allem Elend, das in Griechenland herrscht, belastet der griechische Schuldendienst die restlichen Euro-Länder, und damit auch deren Kredit.
Wer wissen will, wie Keynes selbst den Zusammenhang von Kredit und Nachfrage sah, hier ein alter Vortrag.