Zur Debatte um die Taurus-Marschflugkörper

VORWÄRTSVERTEIDIGUNG

Angesichts des politischen Aufruhrs um die Taurus-Marschflugkörper ist es einmal angemessen, sich anzusehen, worum es bei diesen Apparaten geht, was sie leisten, wofür sie angeschafft wurden usw.

1. Die Taurus selber

„Während des Kalten Krieges wollte die Bundesrepublik ursprünglich die französischen Apache-Marschflugkörper beschaffen, um im Verteidigungsfall Start- und Landebahnen des Warschauer Paktes zerstören zu können.“ (Wikipedia, Taurus)

Man merkt, was „Verteidigung“ hier und heute – oder auch gestern – heißt: Dem Gegner seine Lufthoheit zu nehmen. Alle Kriege sind in diesem Sinne „Angriffskriege“, als die Zerstörung der gegnerischen Kampffähigkeit erstes Ziel ist.
Die BRD orientierte sich hierbei an ihrem Vorgängerstaat, von dem im Zuge des „Unternehmens Barbarossa“ 1941 als erstes die Zerstörung von sowjetischen Flughäfen und den dort herumstehenden Flugzeugen in Angriff genommen wurde:

„Die den Heeresgruppen zugeteilten Kampfflugzeuge führten einen massiven Luftschlag gegen die sowjetischen Flugplätze, der durch die Aufklärungsergebnisse des Kommandos Rowehl ermöglicht wurde, und zerstörten allein am ersten Kriegstag etwa 1200 Flugzeuge am Boden.“ (Wikipedia, Deutsch-Sowjetischer Krieg)

Da wollten die deutschen Politiker einmal Maß nehmen und nicht hinter ihren historischen Vorbildern zurückbleiben.

„Mit dem Fall der Mauer änderten sich die Prioritäten, die nun auf der Bekämpfung von gepanzerten Punktzielen lagen.“ (Wikipedia, Taurus)

Was soll man sich darunter vorstellen? Ein ganzer Marschflugkörper gegen einen Panzer?
Oder einfach alle Unterstände, Bunker und sonstigen Gebäude militärischer Nutzung bis weit ins Hinterland des Feindes?

„2005 bestellte die Bundeswehr 600 Flugkörper zum Gesamtpreis von 570 Millionen Euro. Die Lieferung an die Luftwaffe begann offiziell mit der Übergabe des ersten Flugkörpers an das Jagdbombergeschwader 33 in Büchel im Dezember 2005 und wurde im November 2010 abgeschlossen.“ (Wikipedia, Taurus)

Die Reichweite der Taurus-Raketen ist mehr als 500 km.
Wenn man jetzt an Deutschlands Grenzen Zirkel einsetzt und rundherum 500 km abdeckt, so kommt man von dort nach Weißrußland, in die Ukraine und nach Serbien und Bosnien. Außerdem in die russische Kaliningrad–Enklave. Der Rest der potentiellen Ziele liegt in anderen NATO- bzw. EU-Staaten und der Schweiz.

Man könnte also diese Marschflugkörper als eine Art Rückversicherung betrachten, falls einmal ein Staat aus einem der beiden Bündnisse ausscheren möchte, was Deutschland nicht genehm wäre – z.B. Ungarn oder die Slowakei. Oder als ein Mittel für die Wiedereroberung Ostpreußens.
Sie könnten aber auch als ein Mittel zur Disziplinierung oder Unterwerfung widerspenstiger Balkan-Staaten eingesetzt werden. Man denke hier z.B. nicht nur an Serbien, sondern auch an Griechenland, das seine Teilnahme am NATO-Krieg 1999 verweigert hat.
Deutschland könnte sie auch einsetzen, um Österreich zu bedrohen, falls es opportun ist, – weil hier die Neutralität zu ernst genommen wird, wenn Deutschland Parteilichkeit fordert.

An all das muß gedacht worden sein, als sich Deutschland diese 600 Stück der nicht gerade billigen Geschoße angeschafft hat.
Man kann sich also an diesen 600 in militärischen Depots schlummernden Taurus-Raketen einiges über die Berechnungen deutscher Militärs und Politiker erschließen.

Wer hat diese Entwicklung mitgetragen und diesen Kauf beschlossen, mit dem ja ein Stück nationales Vermögen in dieser aggressiven Form gebunden ist? Und einiges über die politische Ausrichtung, die außenpolitischen Ambitionen Deutschlands ausgesagt ist?

Ganz anders allerdings präsentiert sich die Lage mit der Reichweite, wenn man diese Dinger bis in die Ukraine bringen könnte. Es ist natürlich möglich, daß seit Anfang dieses Milleniums die Eingliederung der Ukraine von deutschen Strategen nur als eine Frage der Zeit betrachtet wurde.
Von der nordöstlichen Ecke der Ukraine – die nach wie vor in ukrainischem Besitz ist – könnte man einen guten Teil des europäischen Rußlands, inklusive Moskaus, mit den Taurus bombardieren. Wenn man jetzt noch das Baltikum dazunähme, so hat man mit diesen Taurus viel von Rußland im Visier.

Man merkt, wie hier Waffenbeschaffung und die Erweiterung der imperialistischen Ansprüche Hand in Hand miteinander gehen und die EU-Erweiterung auch den strategischen Zielen Deutschlands dient.

„Der Taurus (…) ist ein deutsch-schwedischer Luft-Boden-Marschflugkörper.“ (Wikipedia, Taurus)

Er wurde also zusammen mit Schweden entwickelt und kann nur mit der Zustimmung dieses Landes eingesetzt werden.
Man merkt daran, daß die Integration Schwedens in die NATO schon von langer Hand geplant und der russische Einmarsch in die Ukraine nur der Anlaß bzw. Vorwand war, um der schwedischen Bevölkerung die Aufgabe der Neutralität – mit der Schweden in 2 Weltkriegen ja sehr gut gefahren ist – leichter verkaufen zu können.

Rußland verfolgt die Diskussion um diese Marschflugkörper schon länger und seine Militärs meinen, sie würden darauf schon eine Antwort finden.

Das wäre natürlich ein Risiko – festzustellen, daß diese Geschosse, ähnlich wie die Leopard-Panzer – gegen ein auf allen Ebenen hochgerüstetes Rußland gar nicht so besonders viel taugen und ihr erster Einsatz dann womöglich auch ihr letzter wäre.

2. Die Bemannung

Um diese High-Tech-Geschosse richtig zu programmieren, damit sie nicht womöglich in einem russischen Rübenacker oder in befreundetem Gebiet (Ukraine selbst, Moldawien, Georgien) in einem Wohnhaus landen, müßte Deutschland seine eigenen Fachleute mitschicken.
(Sogar dann könnte es zu den obigen Fehl-Landungen kommen – die Tücken der Technik! – aber die Chance dazu ist deutlich geringer.)

Deutschland müßte also hochspezialisierte Berufssoldaten mitschicken – die dann in der Ukraine natürlich ein Ziel russischer, wie man weiß, relativ treffsicherer Artillerie und Marschflugkörper werden würden.
Das sähe nicht gut aus, wenn man nach einiger Zeit Einsatz – ohne besondere Durchbrüche – auf einmal deutsche Soldaten in Holzschachteln aus der Ukraine ankommen würden.
(Schon die Heimkehr der lebenden Soldaten aus Afghanistan 2021 war kein besonderes Highlight der deutschen Militärgeschichte.)

Daß das Risiko hoch ist, sieht man schon daran, daß im Verlauf der letzten 2 Jahre schon öfter westliche Militärs durch russischen Beschuß ins Jenseits befördert wurden und es zwar gelungen ist, das vor der breiten Öffentlichkeit zu verbergen – dieser Umstand aber beim Militär sicher bekannt ist.

Es ist aus diesen Gründen auch möglich, daß sich in der Heeresführung Gegner dieses Einsatzes finden und die Abhöraktion gar nicht so besonders zufällig zustande gekommen ist, – weil damit signalisiert werden sollte, daß die Profis selbst kalte Füße kriegen bei dem Gedanken, den nächsten Ostfeldzug anzugehen.

Solches ist ja schon öfters schiefgegangen.

Pressespiegel Izvestija, 8.3.: Die Energiekanäle schließen:

„INDIEN REDUZIERT SEINE ÖLKÄUFE AUS RUSSLAND

Die US-Sanktionen haben eine Rückwirkung auf ganz Europa

Aufgrund der US-Sanktionen könnte Indien, der zweitgrößte Abnehmer von russischem Öl, seine Käufe reduzieren.“

„Könnte“. Es ist also noch nicht sicher, ob Indien das tun wird. Aber die Izvestija macht darauf aufmerksam, was die Folgen wären.

„Dies wird Rußland voraussichtlich keine Probleme bereiten, da der asiatische Markt bereits fast alle Mengen aufnimmt und außerdem der Wettbewerb zwischen Indien und China um russisches Öl zugenommen hat. Für Europa verheißt dieser Zustand allerdings nichts Gutes: Indien ist längst zum größten Lieferanten von Erdölprodukten für die EU geworden.
Die Lieferungen von Indien nach Europa sind aufgrund der Krise im Roten Meer bereits zurückgegangen, jetzt drohen sie aufgrund amerikanischer Sanktionen zusammenzubrechen. Die Izvestija hat herausgefunden, was eine mögliche Treibstoffknappheit für Europa bedeuten würde.

Ein zuverlässiger Kanal

Europa kauft weiterhin bereitwillig russisches Öl, das es sich selbst verboten hat. Moskau steigerte die Lieferungen nach Indien stark, und Europa erhöhte sofort die Importe von dort um ein Vielfaches. Zu den Käufern zählen alle großen europäischen Volkswirtschaften. Sie beziehen hauptsächlich Gasöl, das für die Herstellung von Dieselkraftstoff benötigt wird.“

Die Dieselpreise sind also deshalb so hoch, weil das Vorprodukt inzwischen aus Indien kommt – per Tanker. Und inzwischen vermutlich rund um Afrika herum.
Nur zur Rückerinnerung: Früher kam es per Pipeline direkt vor die Haustür. Aber man darf doch Rußland kein Öl abkaufen!

„Insgesamt steigerte die EU im Jahr 2023 die Einfuhren von russischem Öl aus Indien um 115%. Indien erhielt durchschnittlich 1,75 Millionen Barrel Rohöl pro Tag aus Rußland. Spitzenreiter sind die Niederlande (24% der »indischen Importe«), Frankreich (23%), Rumänien (12%), Italien und Spanien (jeweils 11%). Ein solch starker Anstieg erfolgte, als Indien, das erhebliche Preisnachlässe erhalten hatte, die Käufe von russischem Öl stark erhöhte – bis zu 40% aller Importe (zuvor waren es 2 %).
Laut Eurostat ist Indien zum zweitgrößten Exporteur von Erdölprodukten in die EU geworden, nur noch vor Saudi-Arabien. So importierte die EU 7,9 Millionen Tonnen Erdölprodukte in den ersten 9 Monaten des Jahres 2023 aus Indien, das ist 2,5-mal mehr als im Vorjahr und 3,3-mal mehr als im Jahr 2021. In Geld ausgedrückt stiegen die Lieferungen auf 6,1 Milliarden Euro gegenüber 3,3 Milliarden im Vorjahr und 1,2 Milliarden im Jahr 2021.“

Da merkt man, wer wirklich von den Sanktionen profitiert, als Weiterverkäufer von russischem Öl. Sollte Indien tatsächlich seine Käufe verringern, so würde Saudi-Arabien sie erhöhen.

„Verknappungs-Risiken

Der stabile Zufluss von Erdölprodukten aus Indien auf den europäischen Markt ist jedoch gefährdet. Laut Bloomberg sind Indiens staatliche Ölraffinerien bei langfristigen Verträgen zur Lieferung von russischem Öl vorsichtiger und der Handel wird aufgrund der strengeren Einhaltung der US-Sanktionen deutlich schwieriger.“

Hier merkt man auch, worauf die US-Sanktionen wirklich zielen: Auf die Schwächung Europas durch die Drosselung der Energiezufuhr aus Rußland.

„Die größte staatliche Raffinerie, Indian Oil, wird wahrscheinlich die Ölmengen reduzieren, die sie im Rahmen sogenannter langfristiger Verträge erhält, sagten Agenturquellen. Gleichzeitig haben Bharat Petroleum und Hindustan Petroleum beschlossen, keine festen Zusagen zur Lieferung von Vertragsöl im nächsten Geschäftsjahr zu machen.
Während Rußland Indiens größter Öllieferant bleibt, gibt es Anzeichen dafür, daß Raffinerien beginnen, mehr Rohöl von anderen Produzenten, darunter Saudi-Arabien, zu kaufen, sagten Bloomberg-Quellen. Auch Staatsunternehmen streben den Abschluss von Lieferverträgen aus dem Nahen Osten und Westafrika an.

Engpässe und steigende Preise

Es ist offensichtlich, daß solche Transaktionen Indien mehr kosten werden; die Kosten für Öl aus dem Nahen Osten und Westafrika sind höher als die aus Rußland. Es sind keine Preisnachlässe zu erwarten, was sich unmittelbar auf die europäischen Importeure auswirken wird: Auch deren Einkaufspreise werden steigen.

Das Angebotsvolumen auf dem Markt ist begrenzt, unter anderem aufgrund von Produktionskürzungen der OPEC+-Länder.
Die Umstellung von russischen auf andere Lieferungen wird den indischen Erdölproduktproduzenten wahrscheinlich zusätzliche Kosten verursachen, was sich wiederum auf ihre Rentabilität auswirken und zu höheren Kosten führen kann, die auf den Preis des Endprodukts übertragen werden“, betont Mikhail Bespalov, Analyst bei KPS Capital.

Andere Experten weisen außerdem darauf hin, daß Indien zwar auf einen Teil langfristiger vertraglicher Öllieferungen aus der Russischen Föderation verzichten, dieses Öl aber durchaus weiterhin auf dem Spotmarkt kaufen könnte.
»Auf dem europäischen Markt kann es tatsächlich zu einer Treibstoffknappheit kommen, aber auch ohne Treibstoffknappheit werden die Preise steigen, da sie auf dem Spotmarkt höher sind als bei langfristigen Vertragslieferungen und von anderen Exporteuren«, betont der Analyst Wladimir Tschernov bei Freedom Finance Global.

Letztendlich wird also russisches Rohöl wahrscheinlich weiterhin an indische Raffinerien geliefert, aber die Preise werden volatiler sein, wenn die Lieferungen nicht an langfristige Verträge gebunden sind, fügt Mikhail Bespalov hinzu.“

Der Ausstieg aus längerfristigen Lieferverträgen und die Einkäufe auf dem Spotmarkt waren ja genau die Preistreiber für Energieträger noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine.

„Laut der Ökonomin Olga Borisova könnte die Verknappung von Erdölprodukten besonders starke Auswirkungen auf die Hauptabnehmerländer haben: Frankreich, die Niederlande und Italien. Kurzfristig werden die Abnehmer in europäischen Ländern unter Druck geraten, was die Preise in die Höhe treiben könnte, bis neue Lieferungen etabliert sind.

Beschleunigung der Inflation
Es ist also unwahrscheinlich, daß indische Raffinerien ohne Rohöl dastehen werden. Für Europa können jedoch nicht die gleichen Mengen wie bisher garantiert werden. Erstens ist in Indien selbst die Nachfrage nach Erdölprodukten auf dem heimischen Markt in den letzten Jahren stark gestiegen. Und seit Anfang 2024 sind die Treibstoffexporte aus Indien nach Europa aufgrund von Problemen im Roten Meer bereits stark zurückgegangen. Laut Kpler betrug der Anteil Europas an den indischen Erdölproduktexporten im Februar etwa 22 %. Das ist deutlich weniger als im Vorjahr, als 32 % der indischen Exporte nach Europa gingen.

Im negativsten Szenario werden die Europäer mit den bereits bekannten Konsequenzen konfrontiert sein, mit denen sie bereits auf dem Höhepunkt der Energiekrise konfrontiert waren: Die Inflation wird für die Europäer zu einem Albtraum und zwingt europäische Hersteller dazu, ihre Produktion in andere Länder zu verlagern, was ihnen ermöglicht, die Kosten zu minimieren und Waren zu wettbewerbsfähigeren Preisen anzubieten. Infolgedessen sind nicht nur in den Ländern Osteuropas, sondern auch in den führenden Ländern der EU gravierende Probleme zu beobachten“, bemerkt Jurij Ljandau, Professor an der Russischen Wirtschaftsuniversität G.V. Plechanow.

Letztlich hat die EU die Verknappung von Erdölprodukten selbst verursacht. Mit der Entscheidung, ein Embargo gegen russisches Öl und Erdölprodukte zu verhängen, seien die EU-Länder in eine Sackgasse geraten, bemerkt Dmitrij Semjonov, Vorstandsvorsitzender von Transinvest.

Rußland wird damit umgehen können

Rußland, das seit langem daran gewöhnt ist, mit den harten Sanktionen des Westens umzugehen, wird einen Ausweg finden: Es muß seine »überschüssigen« Mengen in andere Ländern verkaufen und es gibt dafür auch Käufer.
Im Jahr 2023 belegte Rußland den ersten Platz unter den Ölexporteuren nach China und steigerte die Lieferungen in das Land um 24,1 % auf 107 Millionen Tonnen. Das sind 24,4 % mehr als die Importmengen des zweitplatzierten Saudi-Arabiens und mehr als 80 % mehr als die des Irak, der den dritten Platz belegt.“

Sieh da, sieh da: Der Irak hat in China seinen vermutlich wichtigsten Abnehmer.

„Rußland kann seine Lieferungen nach China sowie in die Länder des Nahen Ostens steigern. Saudi-Arabien beispielsweise kauft gerne russisches Öl für den Inlandsverbrauch und verkauft sein eigenes für den Export. Dieses System ist für sie von Vorteil, da russisches Öl viel billiger ist als saudi-arabisches Öl und dadurch den Inlandsverbrauch des teureren eigenen Öls reduziert und die Exporte steigert“, betont Nadjezhda Kapustina, Professorin der Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit und Risikomanagement an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation.

Der Meistbegünstigte der Sanktionen gegen Rußland ist also das Reich der Wüste, deren autokratischer Herrscher mißliebige Oppositionelle im Ausland umbringen und gegebenenfalls zersägen läßt …

„Nach Angaben des russischen Finanzministeriums beliefen sich die Öl- und Gaseinnahmen des russischen Bundeshaushalts im Februar 2024 auf 945,6 Milliarden Rubel, einen Monat zuvor, im Januar, lag der Wert bei 675,5 Milliarden.
Das Volumen der zusätzlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gashaushalt wird sich im März auf 125,2 Milliarden Rubel belaufen.“

Landwirtschaft heute

BAUERNPROTESTE

Seit Wochen gehen bzw. besser gesagt fahren die Bauern auf die Straße und protestieren.

Gegen was eigentlich?

Die Berichterstattung über die Ursachen und Ziele der Landwirte, die immerhin für die Lebensmittel in Europa sorgen, ist sehr uninformativ und tendenziös. Vor irgendwelchen möglichen Folgen wird gewarnt – womöglich von rechts mißtbraucht und manipuliert, oh weh, oh weh! –, bezüglich der Ursachen gibt es eine Art Wasserscheu.
Es ist, als hätten die Reporter und Analysten die Befürchtung, bei Fragen nach dem Grund der Unzufriedenheit des Landvolks auf unangenehme Wahrheiten bezüglich Marktwirtschaft, Energiefragen und EU-Außenpolitik zu stoßen.

Straßenblockade in Spanien

1. Landwirtschaft heute

Unter dem Druck der EU-Agrarpolitik und des Lebensmittelhandels haben sich die Landwirte in der EU genötigt gesehen, entweder kräftig zu mechanisieren und zu investieren, oder ihren Beruf an den Nagel zu hängen und sich auf dem freien Arbeitsmarkt um andere Erwerbsmöglichkeiten umzuschauen.

„Weniger Arbeitskräfte leisten immer mehr
Insgesamt sind in Deutschland knapp 1 Million Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt – etwa 2 Prozent aller Erwerbstätigen. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sah das noch ganz anders aus. Damals beschäftigte die Landwirtschaft noch rund 38 Prozent der Erwerbstätigen. Seither ist im landwirtschaftlichen Sektor viel passiert. Traktoren, Mähdrescher und andere Maschinen, Hilfsmittel wie Dünger und ⁠Pestizide⁠, aber auch die zunehmende Spezialisierung der Betriebe machten immer mehr Personal entbehrlich.
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich mit dem landwirtschaftlichen Strukturwandel, das heißt der Konzentration der landwirtschaftlichen Tätigkeit auf immer weniger und größere Betriebe, die Zahl der Arbeitskräfte halbiert.“
(Umweltbundesamt Deutschland, 2020)

Die französische Landwirtschaft hat in den letzten Jahren eine Zeit schwerer Störungen durchlaufen, was sich in den starken Ausschlägen der Durchschnittseinkommenskurve landwirtschaftlicher Betriebe widerspiegelt. Aber auch über diese jüngste Instabilität hinaus ist festzustellen, dass das landwirtschaftliche Einkommen mittelfristig (seit 1998) einem Abwärtstrend folgt.“
(Französische Landwirtschaft 2012)

Noch einige Zahlen aus Polen, wo es bereits vorher zu Protesten aufgrund von Getreideimporten gekommen war:

„1996 waren 59% oder za.18,5 Millionen ha der Gesamtfläche Polens von 31,1 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche. (…) Von der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Polen ist 76% Ackerland, während der entsprechende Wert in den alten EU-Ländern nur 56% ist. (…) Die durchschnittliche Betriebsgröße in Polen liegt auf 8 ha. (zum Vergleich liegt der EU-Durchschnitt von 18,7 ha).“
(Dänische Website von 1996)

„Etwa 13 Prozent der erwerbstätigen Polen arbeiten in der Landwirtschaft (Deutschland etwa 3 Prozent). (…) Die Regierung schätzt, dass die polnische Agrarwirtschaft ohne Probleme um 40 Prozent gesteigert werden kann. (…) Dafür stehen erhebliche Fördermittel zur Verfügung. (…) Polen könnte bis zum Jahr 2025 zu einem der größten Lebensmittelproduzenten in Europa aufsteigen, schätzen Experten.“
Landwirtschaftliches Wochenblatt, 2016)

Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in Polen also halbiert, in Deutschland ist sie auf ein Drittel geschrumpft.
Die polnischen Regierungen waren sich offenbar aller Differenzen zum Trotz darin einig, in den Agrarsektor investieren zu wollen.

Was heißt hier „Modernisierung“?

Man liest und hört das auch seit einigen Jahrzehnten: Möglichst viel Vieh auf relativ wenig Raum, Agrarchemie noch und nöcher, aber vor allem, was zu den derzeitigen Protesten führt: energieintensive Bewirtschaftung. Mähdrescher und Silage-Verpackungen, Traktoren verschiedener Größe und Einsatzfähigkeit, automatisierte Fütterungs- und Melkmaschinen, eine elaborierte Transportlogistik, usw. usf.
Der Ersatz von Mensch durch Maschine ist mit hohem Energiebedarf verbunden.

Dazu kommt noch, daß im Agrarsektor nach wie vor der Familienbetrieb vorherrscht. Diese Unternehmen praktizieren daher eine Art von Arbeitsregime, in der bezüglich Arbeitszeit, Beanspruchung und Einkommen große Elastizität herrscht.
Die folgende Statistik zeigt, wie sehr der Anteil der Familienmitglieder in den letzten 30 Jahren angestiegen ist, während derjenige der Saisonarbeiter stark zurückgegangen ist.

Auf der anderen Seite sehen sich die Landwirte mit einem Agrarmarkt konfrontiert, wo die Großhändler – wenige Firmen kontrollieren einen Großteil des EU-Agrarmarktes, wie sich bei den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre herausgestellt hat – und Handelsketten ständig die Aufkaufpreise drücken wollen und aufgrund ihrer Monopolstellung den Produzenten keine Chance lassen.

Wollen Landwirte auf die Bioschiene umsteigen, wo der Preisdruck geringer ist, so müßten sie viele ihrer Investitionen der letzten Jahre abschreiben, was wegen dafür aufgelaufener Schulden schwer möglich ist, und versuchen, mit Qualität statt Quantität über die Runden zu kommen, was auch gründlich schiefgehen kann, falls Wetter und Klima ihnen bei ihren Berechnungen einen Strich durch die Rechnung machen.

Das war alles schon vor der Pandemie so. Dann kamen noch Schwierigkeiten mit den sogenannten „Erntehelfern“, schlecht bezahlten und untergebrachten Halb-Sklaven aus Osteuropa, mit deren Hilfe sich die Agrarbetriebe in mehreren westeuropäischen Staaten über Wasser gehalten hatten.

Und jetzt die

2. Inflation

In der EU war die Inflationsrate im Dezember 3,4 %, in den einzelnen Mitgliedsstaaten liegt sie laut statista.com zwischen 0,4% (Dänemark) und 7,6 % (Tschechien).
In den Medien wird freudig verkündet, daß das ja ein Fortschritt sei gegenüber den mehr als 10% Inflation im Vorjahr.
Die darin enthaltene weniger frohe Botschaft ist die, daß die Preise seit ca. 2 Jahren in einem fort steigen und damit jeder Mensch für seine Lebensnotwendigkeiten mehr und mehr ablegen muß.
Und zwar ist die derzeitige Inflation dadurch bedingt, daß die Energiepreise seit geraumer Zeit hoch sind und sich das auf alle Güter niederschlägt.

Für die Bauern heißt das einerseits, daß ihre ganzen Kosten steigen, sie dieses aber nicht in dem Maße an die Käufer ihrer Produkte weitergeben können, die ihre gesteigerten Kosten auch nur annähernd decken würde.

Der Lebensmittelhandel kann und will nämlich die Aufkaufpreise nicht erhöhen, weil er die wieder nicht an die Kunden weitergeben kann, dann würde der Endkunde sie nämlich nicht mehr kaufen.

Sodaß die Bauern nur eine Möglichkeit sehen: Der Staat muß einspringen und sie subventionieren, damit sie weiter produzieren können.

Dieses Begehr trifft auf ein Budget, daß für Ukraine-Hilfen und Rüstungsausgaben schon sehr strapaziert wurde, und eine stagnierende bzw. schrumpfende Wirtschaft.

Fortsetzung: Wie diese Bauernproteste besprochen werden

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Weiterführende Artikel:

Zum Thema Landwirtschaft:
Suitbert Cechura: Die Fleischindustrie – 2020

Zum Thema Inflation:
Inflation droht!“ – 2012
Der Schrei nach Inflation“ – 2015
Serie Daten und Statistiken, Teil 4“ – 2021