Die „Euro-Rettung“ schreitet voran

DAS GRIECHISCHE PARLAMENT BESCHLIESST DIE VON DER TROIKA GEFORDERTEN BUDGETKÜRZUNGEN
Demzufolge sollen 2013 9,5 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden als dieses Jahr.
Die Ausgaben für Bildung und Gesundheit sollen stark gekürzt, die Pensionsauszahlungen um 15% verringert werden, und die im öffentlichen Dienst Angestellten sollen 1,2 Milliarden weniger bekommen.
Damit, so die Behauptung einiger EU-Politiker – vor allem der deutschen – soll den Märkten signalisiert werden, daß ab jetzt wieder „solide“ gewirtschaftet wird und das soll Vertrauen in den Euro herstellen.
Es ist abzusehen, daß dieser angestrebte Effekt nicht eintreten wird. Die „Märkte“ sind vielleicht „gierig“, wie die moralische Überhöhung des ansonsten anerkannten Strebens nach Gewinn lautet, sie sind aber nicht blöd. Die zerstörerischen Wirkungen dieser irreführenderweise als „Spar“-Programme bezeichneten Verarmungsprogramme sind jedem klar. Dergleichen Maßnahmen erschüttern eher das Vertrauen in den Euro.
Schon hat die nicht gerade mitfühlende Präsidentin des IWF, die vor einiger Zeit noch mehr oder weniger gemeint hat, „Was wollens, die Griechen? In Mali hungerns!“ kalte Füße bekommen – nicht aus humanitären, sondern aus ökonomischen Überlegungen, und hat gemeint, man sollte Griechenland mehr Zeit geben.
Es ist nämlich absehbar, daß diese Kürzungen einen weiteren Rückgang des BIP in Griechenland zur Folge haben, und dadurch das Budgetdefizit erhöhen werden. Wodurch endgültig bewiesen wäre, daß diese Schulden nicht mehr solide zu machen, sondern entweder von anderen Staaten zu bedienen, oder zu streichen sind.
Der angestrebte Effekt dieser Maßnahme wird also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eintreten.
Eine andere Sache ist, diese einmal beschlossenen Kürzungen auch zu vollstrecken. Krankenhäuser und Schulen müssen geschlossen, Ärzte und Lehrer entlassen werden.
Das Transportwesen wird eingeschränkt werden. Ungarn ist in einer ähnlich prekären Lage wie Griechenland, das fällt aber weniger auf, weil es kein Mitglied der Eurozone ist. Dort gibt es bereits Ortschaften, die mit dem öffenlichen Verkehr nicht mehr erreichbar sind. Und auch mit Privatautos, sofern vorhanden, immer schwieriger, da die Gemeinden kein Geld für die Instandhaltung der Straßen haben.
Alle diese Maßnahmen werden vermutlich auch bald negative Folgen auf die Haupt-Einnahmequelle Griechenlands, den Tourismus, haben.
Aber besonders interessant sind die zu kürzenden 1,2 Milliarden im „öffentlichen Dienst“, worunter ja offenbar Bildung und Gesundheit dezidiert nicht zu verstehen sind. Außer Verwaltungsbeamten – die immerhin die ständig wachsenden Steuern eintreiben müssen – sind damit vor allem Sicherheitskräfte zu verstehen und das Militär. Der Gewaltapparat des Staates steht zur Disposition, und dies angesichts zu erwartender Proteste von Seiten der Überflüssig-Gemachten.
Ob die Regierungskoalition das durchsteht, ist noch fraglich. Die Abstimmung wurde über die Bühne gebracht, indem der Finanzminister drohte, andernfalls würde sich Griechenland in eine Art Nordkorea verwandeln.
Aber die Perspektivlosigkeit des derzeit eingeschlagenen Weges könnte diese Option irgendwann vielleicht dennoch als reizvoll erscheinen lassen.

Ein heikler Schritt

SPANIEN UND DER „RETTUNGSSCHIRM“
Seit einiger Zeit steht im Raum, daß auch Spanien um Stützung seines Staatskredits ansuchen wird, genauso wie Griechenland, Portugal und Irland. Dennoch wird dieser Schritt ständig hinausgeschoben, sowohl von der spanischen Seite, als auch von den EU-Gremien und -Spitzenpolitikern.
Warum wohl?
Erstens war der „Rettungsschirm“ eine Zeitlang gar nicht bereit, seine hohe Aufgabe zu übernehmen. Der bisherige Mechanismus EFSF ist im Auslaufen begriffen, und zu gering dotiert für einen solchen großen Brocken wie Spanien. Die neue Finanzierungs- und Kontrollinstitution ESM ist gerade erst in Kraft getreten und ein Ansuchen Spaniens wäre der erste Härtetest für diese mit 700 Milliarden Euro ausgestattete Institution. Eine Besonderheit des ESM ist, daß die pleitegefährdeten Staaten, deren Kredit durch die anderen gestützt werden muß, genauso als Anteilseigner und Garanten des ESM figurieren, wie Deutschland oder Holland, also solche Staaten, deren Kredit (noch) als unangefochten gilt. Im ESM ist also einerseits das Ideal „Alle für den Euro!“ verwirklicht, andererseits aber sind damit auch alle Zweifel eingebaut, die es gegenüber dieser Währung bereits gibt. Griechenland bürgt z.B. mit einer ähnlich hohen Summe wie Österreich. Die Inanspruchnahme des ESM durch Spanien in noch immer nicht festgelegter, nicht einmal geschätzter Höhe wäre eine neue Prüfung für den Euro auf den internationalen Märkten.
Zweitens ist es für die spanische Regierung selbst eine bittere Pille, sich für praktisch insolvent zu erklären, nachdem sie den Wahlkampf damit geführt hatte, mit der „Mißwirtschaft“ ihrer Vorgänger aufzuräumen. Die Frage des Umgangs mit der Krise hat innerhalb der spanischen PP zu heftigen Flügelkämpfen geführt, der unter anderem kein Geringerer als der frühere Chef des IWF, Rodrigo Rato, zum Opfer gefallen ist. Die Souveränität Spaniens würde durch eine Kontrolle einer Troika, wie sie Griechenland seit mehr als einem Jahr erdulden muß, sehr eingeschränkt, und die bereits jetzt beschlossenen Sparmaßnahmen gefährden ernsthaft den Zusammenhalt des Staates. Während Katalonien etwas unernst mit dem Gedanken eines Austritts spielt, werden in der spanischen Regierungspartei immer mehr Stimmen laut, die eine völlige Liquidation der Provinzautonomie fordern. In beiden Fällen wäre die Frage zu klären, was eigentlich dann mit den sogenannten „autonomen“ Schulden geschehen würde, die die Provinzen durch Ausgabe von Anleihen aufgenommen haben.
Drittens würde natürlich diese Garantieübernahme für Spanien auch diejenigen Staaten stark belasten, deren Verschuldung und Kredit selbst Gegenstand für Besorgnis ist. Italiens Regierungschef Monti fürchtet ein Ansteigen der gerade mühsam auf hohem Niveau stabilisierten Risikoprämie für italienische Anleihen und damit eine weitere Verteuerung von Italiens Neuverschuldung. Aber auch Österreich, dessen verschuldete Banken gerade wieder im Gerede sind, könnte durch die im Rahmen des ESM zu leistenden Garantien für Spanien wieder ins Visier der Spekulanten und Ratingagenturen geraten, und auch die Risiken für das mit einer Rezession kämpfende Frankreich sind schwer abzuschätzen.
Solange es aber keine Garanien für Spanien gibt, und der EZB die Rolle des Feuerlöschers zugewiesen wird, der durch Aufkauf von Staatsanleihen und Kredit an spanische Banken ad hoc die an allen Ecken auftretenden Brandherde zu bekämpfen versucht, solange steht die Frage im Raum, ob die EU überhaupt willens und fähig ist, die viertgrößte Nationalökonomie der Eurozone vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.
Währenddessen wird der Geldbedarf Griechenlands ständig nach oben korrigert, die fristgerechte Auszahlung der zugesagten Hilfsgelder in Frage gestellt, und der im Februar dieses Jahres beschlossene Schuldenschnitt ist noch nicht fertig durchgeführt, während bereits seine Erweiterung erwogen wird.

Ein überzeugter Demokrat, der dennoch manchmal recht hat

EINE KRITISCHE WÜRDIGUNG VON JEAN ZIEGLER
Jean Ziegler hat dem Profil ein Interview gegeben, das wieder einmal deutlich zeigt, welche Positionen er vertritt und warum er vielen Personen unangenehm ist, die nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Apologeten, also intellektuelle Handlanger von Macht und Geld, Nutznießer unseres Gesellschaftssystems sind.
Er hält nichts von der Behauptung, es wäre einfach zu wenig da:
„Der objektive Mangel ist überwunden. Wir könnten heute problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren, wir sind aber nur sieben Milliarden. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“
Er hält ebenso nichts von den „hausgemachten“, „strukturellen“ Problemen, mit denen der Hunger und auch andere Heimsuchungen der armen Lnder gerne von „Experten“ „erklärt“ werden:
Profil: Es gibt noch andere Gründe für das Elend in der Dritten Welt: korrupte Politiker, Stammesfehden, Religionskriege, seltsame Bräuche. Sie hätten noch mehr Fans, wenn Sie das auch berücksichtigen würden. Warum verschweigen Sie das?
Ziegler: Das sind Sekundärphänomene. Im Ostkongo bezahlen die Konzerne eigene Milizen, beuten die Bodenschätze aus und exportieren sie. Joseph Kabila, der Staatspräsident, ist korrupt bis auf die Knochen, ein Idealklient der Zürcher Bahnhofstraße. Er ist ein fürchterlicher Kerl und begeht Verrat am Volk. Aber der Mann wird von westlichen Geheimdiensten im Präsidentschaftspalast gehalten, weil die Minenkonzerne ihn für ihre Geschäfte brauchen.“
Abgesehen von dem moralischen Unterton eine sehr kurze und prägnante Beschreibung dessen, warum eigentlich „korrupte Politiker, Stammesfehden, Religionskriege, seltsame Bräuche“ dort so gehäuft vorkommen.
Auch auf die blöde Frage der Interviewerin, die ihn unbedingt als naiven Träumer abstempeln möchte, weiß er noch einen korrekten Einwand:
profil: Glauben Sie wirklich, dass in Afrika ohne den Einfluss westlicher Konzerne Harmonie und Wohlstand herrschen würden?
Ziegler: Nein. Ich sage nur, die Haupttäter, die Plünderer, die Piraten sind die Konzerne. Zuerst müssen wir diese Situation radikal ändern. … Was nachher passiert, ist erst die nächste Frage.“
Ziegler hat auch eine Antwort auf die Behauptung, daß Lebensmittelproduktion beschränkt ist:
Profil: Dass wir zwölf Milliarden Menschen ernähren könnten, liegt ja an der Industrialisierung der Landwirtschaft. Gäbe es nur Kleinbauern,“ so gäbe es weiterhin einen „objektiven Mangel“, also einfach zuwenig für alle.
Ziegler: Es stimmt, dass die Produktivität in vielen Entwicklungsländern sehr niedrig ist. Aber das liegt nicht daran, dass der Bauer in Mali weniger arbeitsam oder kompetent ist. Er hat nur keine selektierten Samen, keinen Dünger, keine Zugtiere und keine Bewässerung.“
Ziegler weist hier darauf hin, daß man aus den meisten Böden einiges herausholen könnte, wenn die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stünden, und daß die Idee von Knappheit in der Landwirtschaft völlig absurd ist. Das Problem der von Hungernden bevölkerten Landstriche in Brasilien oder Afrika ist einfach, daß es diese Mittel nicht gibt, weil das Kapital diese Gegenden entweder in Eigenregie bewirtschaftet und die Produkte exportiert, für gutes Geld – und in der Landwirtschaft lassen sich beachtliche Profite erzielen! – oder gar nicht erst hingeht. Das alles weiß Ziegler, und spricht es auch aus:
So „gingen letztes Jahr 41 Millionen Hektar Land in Afrika in den Besitz von Hedgefonds und multinationalen Konzernen über. Die Bauern, die dort lebten, wurden in die Slums der Städte vertrieben. Wissen Sie, dass in Norwegen Kartoffeln aus Saudi-Arabien verkauft werden? In Saudi-Arabien wachsen keine Kartoffeln – also wie ist das möglich? Ich sage Ihnen, wie das geht: Der saudische Scheich Alamudi hat in Südäthiopien 550.000 Hektar Nutzland gekauft. Da baut er jetzt Kartoffeln und Rosen an und exportiert sie dorthin, wo es Kaufkraft gibt.“
Die bisherigen Bewohner dieser Landstriche können sich schleichen oder als Lohnarbeiter auf den Plantagen der kapitalkräftigen Investoren arbeiten. Nur dort, wo der Zauberstab des Kapitals eine Gegend berührt, wächst auch etwas. Ziegler weiß das.
Wie kann jemand, der die Einsichten und Kenntnisse Jean Zieglers hat, dennoch eine solche positive Einstellung zu demjenigen Gesellschaftssystem pflegen, das alle diese Dinge ermöglicht? Oder, genauer, nicht nur ermöglicht, sondern zur ultima ratio des „Wirtschaftens“, der „Ökonomie“ erklärt: Ohne Gewinn wächst nichts vom Kap der Guten Hoffnung bis Grönland und weiter. Nur wenn jemand ein Geschäft dabei machen kann, wenn er/sie es verkaufen kann, so wird die entsprechende Sache überhaupt angepflanzt, produziert und auf den Weltmarkt getragen. Was nicht verkauft werden kann, wird nicht produziert, und wer nicht das Geld hat, sich Lebensmittel zu kaufen, verhungert.
Jean Ziegler spricht es auch aus, daß die Macht derjenigen, die dieses Gesellschaftssystem aktiv betreiben, auf der Duldung derjenigen beruht, die nichts dagegen tun:
Ziegler: Die Haupttäter sind die Konzerne, und wir sind die Komplizen.“
profil: Wer ist „wir“?
Ziegler: Wir Bürger, die nicht aufstehen“
Und dann nimmt dieser Kämpfer gegen den Hunger und die Macht der Kapitale alle seine Urteile über das Zusammenspiel von Staat und Kapital zurück und holt seinen Demokratieidealismus aus dem Sack:
„die nicht aufstehen und unsere Regierungen zwingen, die Konzerne zu kontrollieren.“
Dr Mann, der alle Informationen und alles Wissen hat, um zu wissen, daß die Mächtigen und die Reichen zusammenarbeiten, der alle Machintionen der Konzerne bis in die UNO kennt, der genau weiß, daß Regierungen für den Erfolg ihres nationalen Kapitals alles tun – der ruft nicht auf zum Aufstand gegen diese Regierungen und gegen das ganze System der Ermächtigung und des anschließenden Regiert-Werdens aus, das die Demokratie auszeichnet, sondern ruft seine Anhänger auf, die Regierungen zu etwas zu „zwingen“!
Wie denn?
Generalstreik, Aufstände, Guerrillakrieg?
Er bleibt hier wie stets die Antwort schuldig, welche Maßnahmen seine Anhänger, die über den Hunger in der Welt empört sind, eigentlich ergreifen sollten, um die Herrschaft des Kapitals über die Staaten, in denen Hunger herrscht, zu beenden, und damit den Hunger selbst.
Solange radikale Kritiker wie Ziegler das System von Macht und und freiwilliger Unterordnung, Ermächtigung der Herrschaft durch die Ohnmächtigen, das die Demokratie vor allen Staatsformen auszeichnet, nicht angreift, ja nicht einmal anzweifelt, solange verhallen seine Anklagen im Nichts und der Hunger geht weiter und greift um sich – bald auch in unseren Breiten, übrigens.