Das globalisierte Kreditwesen und seine nationalen Besonderheiten

WAS BEI KREDITAUFNAHME UND –VERGABE ALLES SCHIEFGEHEN KANN,
dafür ist Ungarn ein Lehrstück.
In der modernen Nationalökonomie ist Kredit DIE Wunderwaffe der Marktwirtschaft. Keynesianer und Friedmanianer sind sich darin einig, daß es eine ideale Maßnahme ist, Nachfrage zu „stimulieren“, Märkte zu beleben und Wachstum hervorzurufen.
„Wachstum“ bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß in einem anerkannten Geld gemessenes Vermögen sich vermehrt. Welcher Art dieses Vermögen ist, ob es sich um Immobilien, Fabriken, Warenberge oder Wertpapiere handelt, ist gleichgültig. Es geht nur um ihren in Weltgeld gemessenen Wert.
Die Besitzer des Geldes, seine Monopolisten sozusagen, die Banken, Investmentfonds, Versicherungen usw., genannt die „Finanzmärkte“, schieben eignes und fremdes Geld quer über den Globus, ständig auf der Suche nach Vermehrungsmöglichkeiten. Sobald sie irgendwo ein Land, eine Sphäre für ihre segensreiche Tätigkeit erkoren haben, kommt das einer Berührung mit einem Zauberstab gleich, weil sie verkünden damit der ganzen Welt: Hier ist Wert vorhanden und hier wird zusätzlicher Wert geschaffen.
Diese Allmacht des Finanzkapitals hat zunächst einmal zur Folge, daß die Konkurrenz der Nationen heute zu einem guten Teil um die Verfügung über Kredit abgewickelt wird. Vor allem die potenten Staaten versuchen, ihren eigenen Banken gute Ausgangspositionen für ihre grenzüberschreitende Tätigkeit zu gewährleisten und unnötige Beschränkungen aus alten Zeiten, als noch andere Prioritäten zugange waren, tunlichst aufzuheben. (Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten nämlich Banken und Kredit eine andere Rolle: Sie sollten Stabilität schaffen und ihren jeweiligen Regierungen den Rücken stärken im gemeinsamen Kampf gegen die SU bzw. den COMECON.)
Die Heimatländer des Kapitals haben die Möglichkeit, ihre eigenen Kreditinstitute zu stärken und ihr Kreditwesen und damit die Verfügung über diese begehrte Reichtumsmaschine ein Stück weit selbst zu steuern. In die Wall Street, die Londoner City oder nach Frankfurt strömt das Finanzkapital von selbst, da sind keine staatlichen Anreize nötig.
Anders bei einem Land wie Ungarn, das über kein nationales Kapital verfügt, und dessen Kreditwesen von außen eingeführt und aufrechterhalten wird. Da erschien die Genehmigung der FWK als einziges Mittel, so etwas wie Marktbelebung und Wachstum hervorzurufen. Wenn Hypothekarkredite en masse vergeben werden, so die Überlegung der Politiker, dann zieht Ungarn damit Investitionen im Immobilienmarkt an, die Bautätigkeit nimmt zu, Arbeitsplätze und Wohnraum werden geschaffen, das Konsumniveau steigt, usw. usf.
Dergleichen Überlegungen waren, vergessen wir es nicht, bis 2007 gültiges Credo aller Regierungen, Bankiers, Nationalökonomen und wurden aus allen medialen Rohren auf das p.t. Publikum ausgegossen. Konsum belebt die Wirtschaft, wer das Geld dazu nicht hat, kriegt einen Kredit – der Konsumentenkredit wurde heftig beworben und relativ problemlos vergeben, und diese Praktiken übernahmen auch Banken, Konsumenten und Auto- und Immobilienhändler in Ungarn ohne großes Kopfzerbrechen. Der Kredit erschien als etwas Unendliches, mit dem man jede Schranke der Zahlungsfähigkeit überschreiten könne.
Die derzeitige Krise hat zwar diesen Königsweg praktisch in Frage gestellt, er ist jedoch theoretisch immer noch gültige Praxis: Bei allem Willen zum „Sparen“ geht es nur darum, die Glaubwürdigkeit der Kreditoperationen wiederherzustellen, um das ganze wieder von vorne angehen zu können. Einem Staat wie Griechenland und seiner Bevölkerung wird dabei sozusagen von den maßgeblichen EU-Politikern und der internationalen Journaille unter die Nase gerieben, daß sie in ihrem Leichtsinn das Ansehen des Kredites untergraben haben, und jetzt dafür zuständig sind, diesen „Fehltritt“ durch Opfer aller Art wieder gut zu machen.
In und auch bezüglich Ungarn gibt es ein unentschlossenes Hin und Her zwischen der Verteidigung von Kredit und Schuldenmachen an sich gegen seinen „Mißbrauch“ und die „schwarzen Schafe“, die zu so negativen Ergebnissen geführt haben. Das Land will seinen Kredit wiederherstellen und kann es nicht aus eigener Kraft. Als Schuldige für die Kreditklemme werden wechselweise die Banken, die doch als Buße für ihre leichtfertige Vergabepraxis Abstriche von ihren Forderungen machen sollen, und die Kreditnehmer, die doch gefälligst irgendwie ihre Verbindlichkeiten bedienen sollen, dingfest gemacht. Alle Versuche, Kreditstreichung einzufordern, um den Kredit wieder funktional zu machen, führen zu weiteren Verlusten an Glaubwürdigkeit und dadurch zu Verringerung des Kredits. Die Banken schränken ihre Kreditvergabe ein, der Forint verliert weiter an Wert gegen den Euro, und die Zahl derer, die ihren Kredit nicht bedienen können, steigt weiter.
Griechenland, Ungarn, Spanien, Portugal: Die Spannung steigt, wo die Zahlungsunfähigkeit als erstes solche Ausmaße erreicht, daß sie nicht mehr durch Stützungsmaßnahmen verhindert werden kann, oder umgekehrt: Wo ein politischer Beschluß die bisherige Stützungspraxis aufkündigt.

Demokratie und Imperialismus 2011

DIE ABSCHLACHTUNG GADDAFIS
Gaddafi wurde erledigt, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Einige seiner Volksgenossen, die er über 40 Jahre lang regiert hat, haben ihn – nachdem die NATO kräftig mitgeholfen hat, ihn außer Gefecht zu setzen – erst ein wenig geprügelt, ihm irgendwas in den Arsch gesteckt, und schließlich abgeknallt. Alles mit Handy-Fotos und -Filmen dokumentiert, wir sind ja modern.
Danach wurde seine Leiche noch zur Schau gestellt, er und sein Sohn wurden ausgeweidet, um das Schauspiel ein wenig zu verlängern, und dann wurden die beiden irgendwo in der Wüste verscharrt, weil sie schon gar zu sehr zu stinken begannen.
Das Ganze erinnert ein wenig an die Gepflogenheiten des Mittelalters, wo die Gehenkten vor den Stadttoren den Reisenden zur Schau gestellt wurden, um die Neuankömmlinge mit den örtlichen Rechtsbräuchen vertraut zu machen.
So endete ein Potentat, der in vielen Hauptstädten der Welt zu Gast war, seine Petrodollars in Europa investiert und mit dem CIA und anderen westlichen Geheimdiensten bei der Jagd auf Al-Kaida-Terroristen zusammengearbeitet hat, und meinte, daß ihm seine früheren antiimperialistischen Terroranschläge und andere Streiche verziehen worden seien. Er wiegte sich in solcher Sicherheit gegenüber seinen neuen Haberern, daß er die Flugabwehrraketen Libyens demontieren ließ.
Dabei hat Gaddafi eines nie aufgegeben: Eine eigenständige Innen- und Außenpolitik, die er sich aufgrund der Erdöleinnahmen auch leisten konnte, und das war sein Todesurteil.
Die Anklage beim internationalen Gerichtshof war ein rein formaler Akt: Niemand wollte Gaddafi auf der Anklagebank sitzen sehen, wo er über die Zusammenarbeit mit dem CIA oder die Finanzierung von Sarkozys Wahlkampf und ähnliche delikate Themen viel zu erzählen gehabt hätte. Mit dieser Anklage wurde nur einerseits klargestellt, wer das Völkerrecht definiert und wer sich diesen Grundsätzen zu unterordnen hat. Zweitens wurde damit auch aller Welt mitgeteilt, daß ein ehrenvoller Abgang für den Mann, – wie er vielen Hurensöhnen des Imperialismus gewährt worden war –, nicht vorgesehen ist. Kein Land der Welt hätte ihn aufnehmen dürfen. Abgesehen davon, daß er auch nicht der Typ gewesen wäre, der vor überlegener Gewalt abhaut, aber so blieb ihm auch nichts anderes übrig, als in Libyen zu bleiben und sich lynchen zu lassen. Das war von den Machthabern der USA, Großbritanniens und Frankreichs genau so vorgesehen und wurde auch durch das Bombardement Sirtes und seines Fahrzeugkonvois eingeleitet.
Das alles wurde von der internationalen gleichgeschalteten Presse begleitet, die das Terrain mit einer beispielslosen Hetzkampagne bearbeitet hat. Es geht doch nichts über eine freie Presse, die die überlegene Gewalt hofiert und diensteifrig ihre Taten für das gemeine Volk aufarbeitet.
Was kommt nach ihm?
Erstens einmal ein Terrorregime in Libyen. Die neuen Sieger machen Jagd auf die tatsächlichen oder vermuteten Sympathisanten Gaddafis. Das betrifft ganze Städte, und sogar einen Landesteil, den Fezzan, wo die dunkelhäutigen Libyer herstammen, auf die ja bereits seit Monaten im Norden Jagd gemacht wird. Was in dieser Hinsicht bereits geschehen ist, wieviele Tote der Bürgerkrieg bis jetzt gefordert hat, und welche Schlächtereien noch bevorstehen ist nicht mehr Anliegen der freien Presse, und irgendwelche unabhängigen Journalisten, die sich nach Libyen hinwagen sollten, riskieren ihr Leben.
Zweitens die Neuaufteilung des libyschen Öls. Die drei Staaten, die den Bürgerkrieg in Libyen eingeleitet und entschieden haben, wollen die Hand auf die libyschen Ölvorkommen legen. Das richtet sich gegen China, dessen Expansion durch Entzug von Rohstoffquellen gestoppt werden soll. Es belebt aber auch die Konkurrenz der traditionellen imperialistischen Mächte und fördert die Disharmonie in der EU: Die traditionellen Bezieher dieses Öls, Deutschland, Italien und Österreich werden wahrscheinlich außen vor bleiben oder sich mit Trosthäppchen zufriedengeben müssen. Was wieder die Abhängigkeit von und Hinwendung zu Rußland verstärken wird. Eine Bruchlinie quer durch die EU zeichnet sich hier ab, die auch rund um die eingefrorenen Gaddafi-Konten weitere Reibungspunkte verspricht.
Der „arabische Frühling“, der aus einer Reihe von Blutbädern besteht und noch mit weiteren winkt, wurde und wird in Zusammenarbeit von Geheimdiensten, Umsturz-Firmen und NGOs ausgeheckt und von der NATO finalisiert. Das Labor für diese Art von Umstürzen war Jugoslawien. Seither wurde das System perfektioniert.
Was für Schlüsse die Regierungen und Völker der Welt aus dem Sturz und der Ermordung Gaddafis ziehen werden, wird sich erst weisen.

Die Zerstörung Libyens

EIN KOLONIALKRIEG DES 21. JAHRHUNDERTS
Seit März wird Libyen von NATO-Streitkräften bombardiert. Über 9.000 Bombenabwürfe werden bisher gezählt. Die Zerstörungen, die dadurch angerichtet worden sind, werden der Vorstellungskraft überlassen. Die Medien, die sich, wie wir es spätestens seit den Jugoslawienkriegen gewohnt sind, als williges Propagandainstrument der kriegsgeilen NATO-Allianz bewähren, unterrichten einen von angeblichen Untaten Gaddafis und seiner Anhänger – über die Opfer der Bombardements gibt es keine Berichte.
Tripolis wurde 5 Monate lang bombardiert. Keine Journalisten schwärmen aus, um nach der Eroberung durch die Verbündeten der NATO über den Zustand der Stadt zu berichten.
Jetzt läuft der Countdown für die Zerstörung von Sirte und Bani Walid, Städten mit 100.000 bzw. 80.000 Einwohnern. Abgesehen von getöteten Bewohnern und zerstörten Häusern ist noch gar nicht abzusehen, was die Kämpfe für die Infrastruktur Libyens, also Strom-, Treibstoff- und Wasserversorgung bedeuten. Ebenso ist der größte Teil des materiellen Stoffwechsels des Landes zum Erliegen gekommen – die Ölförderung stockt, und wann sie wieder anlaufen wird, steht in den Sternen. Eines aber ist klar: Sobald in Libyen wieder Öl gefördert wird, so unter dem Zugriff ausländischer Konzerne und unter anderen Bedingungen der Beteiligung Libyens, als es unter Gaddafi der Fall war. Libyen ist zwar in den 50-er Jahren dem IWF beigetreten, hat sich aber nie bei ihm oder bei anderen internationalen Institutionen verschuldet. Das aus den Öleinnahmen erzielte Geld, sofern es nicht für außenpolitische Ziele, wie Kriege in Afrika oder terroristische Aktivitäten da zu sein hatte, wurde stets dazu verwendet, das Land in Schwung zu halten und die Grundversorgung der libyschen Bevölkerung sicherzustellen.
Damit ist es jetzt vorbei.
Aber außer den materiellen Schäden, Toten und Verletzten des noch immer andauernden Krieges und düsteren wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven ist auch die innenpolitische Situation einen Blick wert.
Die Bewohner von Bengasi und generell der Cyrenaika haben sich zu den Bodentruppen der NATO funktionalisieren lassen und streben die Herrschaft über Libyen an. Damit geraten sie zunächst einmal mit den bisherigen Eliten und Nutznießern des Gaddafi-Regimes aneinander, und zerstören gleichzeitig deren Zusammenhalt. Die Berber Tripolitaniens haben sich zwar den Aufständischen angeschlossen, werden aber bald mit ihnen über Kreuz geraten bei der Aufteilung des Kuchens. Bereits bei der Eroberung von Tripolis, und weiter bei den noch anhaltenden Kämpfen geraten die Kämpfer aus Misrata mit denen der Cyrenaika aneinander: Alle wollen sich positionieren für den Tag X, wenn Gaddafi und seine Anhänger endlich vernichtet sind und die Neuaufteilung der Einflußzonen und vermeintlichen Pfründen angeht.
Völlig ungeklärt ist die Lage des Fezzan und seiner Bewohner. Unter Gaddafi wurden Leute aus den Wüstengegenden Libyens nach dem Norden umgesiedelt. Die dunkelhäutigen Fezzanis gelten den Aufständischen durch die Bank als Anhänger, „Knechte“, „Söldner“ Gaddafis und wurden im Zuge der Kämpfe entweder vertrieben oder umgebracht. Der Fezzan harrt noch der Eroberung und der Bombardements, wenn die Lage im Norden einmal „geklärt“ ist.
Verschiedene (US-, britische und französische) Firmen, die sich bereits im Irak bereichert haben mit „Sicherheitsdiensten“ und „Wiederaufbau“, stehen sicherlich schon in den Startlöchern.
Großbritannien und Frankreich nutzen diesen Konflikt, um ihre Waffen einmal auszuprobieren und sich im östlichen Mittelmeer festzusetzen – militärisch, als politischer Faktor, und ökonomisch. Was Letzteres angeht, besteht der Plan offenbar darin, sich einen Zugriff auf Öl zu sichern, der mit ihren eigenen Waffen abgesichert wird, und nicht denen der USA.
Außerdem wurde mit Gaddafi ein lästiger Konkurrent um den Einfluß in Afrika ausgeschaltet.
Die zukünftigen zerstrittenen – ja, was eigentlich? Herren, Machthaber, Marionetten Libyens werden sich schon aufgrund eines nicht vorhandenen politischen Konzepts zu willfährigen Werkzeugen der zwei Haupt-„Befreiungsmächte“ entwickeln.
Und das alles assistiert von freien und gerade darin völlig gleichgeschalteten Medien, die nicht müde werden, uns von den Greueltaten des wahnsinnigen Diktators vorzusingen, dem endlich das Handwerk gelegt wurde.