Pressespiegel Moskovskij Komsomoljets, 22.9.: Ein Portrait von Kamala Harris

„DIE »KLINISCHE GESCHICHTE« VON KAMALA HARRIS: GERÜCHTE ÜBER IHRE ANGEBLICHE DUMMHEIT ERWEISEN SICH ALS STARK ÜBERTRIEBEN

Eisernes Lachen

Jüngsten Meinungsumfragen zufolge ist der Vorsprung von Kamala Harris vor Donald Trump auf 5 % gewachsen. Das könnte sich natürlich noch ändern, aber unabhängig vom Ausgang des US-Präsidentschaftswahlkampfs hat Harris bereits Geschichte geschrieben: Sie ist die erste Frau, die als Vizepräsidentin der USA fungiert, und die erste schwarze Frau, die als offizielle Kandidatin der USA für eine der beiden großen Parteien aufgestellt wurde.

Nun, wenn die Wahlen mit einem Sieg für Harris enden, dann hat sie eine beträchtliche Chance, den Lauf der Geschichte zu verändern.

Allerdings besteht sowohl in den USA als auch im Ausland die Meinung, daß Kamala Harris nicht nur zu großen historischen Errungenschaften, sondern auch zur Führung des Landes im Allgemeinen nicht fähig ist. Vor allem Harris‘ Rivale im Präsidentschaftswahlkampf und seine treuen Anhänger sind in dieser Hinsicht sehr skeptisch.

Hier ist eine bei weitem nicht vollständige Sammlung von Trumps Aussagen zu den geistigen Fähigkeiten der demokratischen Präsidentschaftskandidatin: »Ich nenne sie Kamala die Lacherin. Ist dir aufgefallen, wie sie lacht? Wie verrückt … Sie hat nicht alle Tassen im Schrank … Kamala Harris kann mit zwei Worten beschrieben werden: böse und dumm. Das ist eine schlechte Kombination… Dumm wie die Nacht … Das ist eine Person mit einem niedrigen IQ-Niveau, die nicht mit den Führern anderer Länder mithalten kann …“

Wen Trump wohl dabei im Auge hat – mit einem höheren IQ?

„Wie Joe (Biden) vor ihr kann sie es keine zwei graden Sätze herausbringen.«

Viele Leute in Rußland sind in einem ähnlichen Geist beseelt. Hier ist zum Beispiel der Standpunkt des anerkannten russischen Politikexperten, Generaldirektor des Instituts für politische Studien Sergei Markov: »Kamala Harris lernt offenbar Reden auswendig und gibt sie dann als Improvisationen aus. Das heißt, Harris ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch geistig zurückgeblieben. Aber anders als Biden. Biden hat Demenz oder Alzheimer. Aber bei Harris muß es etwas anderes sein.«

Und der staatliche Rundfunksender Sputnik beschloß, diese Frage nicht unbeantwortet zu lassen und wandte sich, um eine genaue Diagnose zu stellen, an einen Facharzt mit entsprechendem Profil.

»Logororrhoe ist eine spezifische Sprachstörung, die sich durch bedeutungslose Phrasen und eine beschleunigte Sprechgeschwindigkeit äußert«, sagt die Psychiaterin Ajna Gromova in einem staatlichen Radiosender. »Diese Symptome können auf eine psychische Störung hinweisen, da Denken und Sprechen sehr eng miteinander verbunden sind. Der sogenannte ,Wortsalat’ kann Ausdruck verschiedener Krankheiten sein: Schizophrenie, Vergiftung oder auch organischer Hirnschäden.«“

Sapperlot, da wird ja dick aufgetragen!

„Um sicher zu sein, so die Fachärztin, sei natürlich eine gründliche ärztliche Untersuchung des Patienten erforderlich. Außerdem läßt sich vielleicht eine weitere Erklärung für das Verhalten der amerikanischen Vizepräsidentin finden. Vielleicht ist alles halb so schlimm:
»Einer der Gründe für die Sprechweise von Kamala Harris ist möglicherweise keine Krankheit, sondern einfach ein Mangel an beruflicher Kompetenz oder ausreichend tiefem Wissen über die Themen, über die sie spricht«, gibt die Psychiaterin zu. Kurz gesagt, in eine verständlichere Sprache übersetzt: Wenn nicht verrückt, dann einfach nur ein Dummerchen.

Nun, die Fachleute wissen natürlich alles am besten. Man hat jedoch das Gefühl, daß man sich nicht ganz auf all diese gut informierten Quellen über Harris‘ psychische Gesundheit verlassen kann.

Diese Quellen sind viel zu parteilich.

Nehmen wir zum Beispiel Donald Trump: Die Feindseligkeit gegenüber der »Patientin« ist so groß, daß er einfach außer sich ist. Man muß Trump zugutehalten, daß er seine Leidenschaften, die ihn verzehren, nie verheimlicht hat.

Hier ist eine solche negative »Liebeserklärung«: »Kamala Harris ist eine unglaublich abscheuliche Person. Die unhöflichste, schrecklichste, respektloseste und liberalste aller US-Senatoren. Ich kann nicht glauben, daß Joe Biden sie als seine Vizepräsidentin ausgewählt hat.«

Wie aus dem Kontext hervorgeht, wurde die Aussage im Jahr 2020 abgegeben, als Harris als Kandidat für das Amt des US-Vizepräsidenten zugelassen wurde. Und wie wir sehen, hatte Trump zu diesem Zeitpunkt keine Zweifel an Harris‘ intellektuellen Fähigkeiten. Dies ist eher ein verbales Porträt eines listigen und mächtigen »Doctor Böse« als von einem Dummerchen von der Straße. Ein solches wäre kaum in der Lage gewesen, bei einem rivalisierenden Politiker solch starke Gefühle hervorzurufen.

Was das russische Establishment betrifft, so wird seine Haltung gegenüber Harris in erster Linie von den Beziehungen zu den USA bestimmt, die sich, gelinde gesagt, derzeit nicht in ihrer historisch besten Phase befinden.
Der vielleicht einzige Vertreter der russischen herrschenden Elite, der kürzlich freundliche Worte über die US-Vizepräsidentin gesagt hat, war der Präsident Rußlands.

Erinnern wir uns daran, daß unser Staatsoberhaupt Harris zunächst als russische Favoritin im Rennen bezeichnet hat: »Wir unterstützen sie.«
Außerdem sprach er anerkennend über ihr berühmtes Markenzeichen – Lachen: »Sie lacht so ausdrucksstark und ansteckend, daß man sieht, daß es ihr gut geht. Und wenn es ihr gut geht, dann … Trump hat so viele Beschränkungen und Sanktionen gegen Rußland eingeführt, wie noch kein Präsident zuvor! Und wenn es Frau Harris gut geht, dann wird sie vielleicht von solchen Aktionen Abstand nehmen.«“

Man weiß nicht so recht, ob Vladimir Vladimirovitsch hier feine Ironie zeigt oder ob er nicht vielleicht auch seine Zweifel an der Regierungsfähigkeit und vielleicht Rußlandfreundlichkeit Trumps hat …

„Einige Leute, sowohl in Rußland als auch im Westen, nahmen diese Komplimente übrigens ernst, als eine Wende in der russischen Außenpolitik. Aber die Mehrheit betrachtete Putins Lob für Harris als Scherz oder Finte: Sie sagten, er habe nur Spaß gemacht.
Nun, das heißt, sie haben absolut richtig reagiert.
Kurz gesagt, bei einem so heiklen Thema wie dem IQ von Kamala Harris können russische Politiker und ihnen nahestehende Experten nicht beim Wort genommen werden. Das Bestreben, den Wunsch zum Vater des Gedankens zu machen, ist so groß, daß es nicht nur offensichtlich ist, sondern geradezu lautstark »schreit«.

Aber wie man so schön sagt: Wenn Sie paranoid sind, heißt das nicht, daß Sie wirklich niemand beobachtet.
Wenn Ihre politischen Gegner behaupten, Sie seien ein klinischer Idiot, heißt das nicht, daß Sie deshalb schlau sind. Versuchen wir daher, uns einer etwas objektiveren Quelle zuzuwenden – der Biographie der »Patientin«.

Hintergründe der angeblichen Krankheit

Beginnen wir mit der Anamneseerhebung bei den Eltern. Es ist gibt einen russischen Spruch, daß die Natur sich bei den Kindern ausruht.“

Damit ist gemeint, daß sie sozusagen ihr Pulver in einer Generation verschießt und dann für die nächste nix mehr übrig ist.

„Aber erstens gibt es noch ein anderes Sprichwort: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Und zweitens: Betrachtet man das Thema medizinisch, kommt man an der Vererbung nicht vorbei. Vererbung ist oft ein entscheidender Faktor für Dinge wie Intelligenz.

Fangen wir beim Vater an:
Donald Jasper Harris. Geboren 1938 in Jamaika. Er absolvierte das Gymnasium und anschließend die »University of the West Indies« (in Jamaika).
Danach setzte er seine Ausbildung außerhalb des Landes fort. Er erhielt seinen Bachelor-Abschluss 1960 von der University of London und seinen Doktortitel (in Wirtschaftswissenschaften) 1966 von der University of California (in Berkeley). Sein Betreuer für seine Abschlussarbeit war der Ökonom Daniel McFadden, Gewinner des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 2000.
Donald J. Harris selbst hat keinen Nobelpreis erhalten (zumindest noch nicht), aber sein Beitrag zur Wirtschaftswissenschaft ist allgemein anerkannt. Sein bekanntestes Werk ist die Monographie »Kapitalakkumulation und Einkommensverteilung«.
Er lehrte an den Universitäten Cambridge, Yale und Delhi und leitete die Graduate School of Social Sciences an der University of the West Indies. Seit 1972 ist er Professor an der Universität Stanford (USA, Kalifornien). 1998 ging der Wissenschaftler in den Ruhestand und blieb emeritierter Professor an der Universität Stanford.

Der väterliche Teil der Gene hat, offenbar keinen besonderen Einfluß auf die Entwicklung der Tochter gehabt. Auch keinen negativen.

Schauen wir uns nun die zweite Hälfte an.
Die Mutter Shyamala Gopalan (1938–2009) wurde in Madras (damals Britisch-Indien) geboren. Im Alter von 19 Jahren schloss sie einen Kurs am Lady Irwin College der Universität Delhi ab und erhielt einen Bachelor-Abschluss.
Sie setzte ihr Studium an der University of California in Berkeley fort. 1964 promovierte sie in Ernährung und Endokrinologie (Funktion der Drüsen).
Sie war in der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin tätig und konzentrierte sich auf die Bekämpfung von Brustkrebs.
Sie arbeitete an der University of California, den Universitäten Illinois, Wisconsin, der McGill University (Kanada) und dem Lady Davis Institute for Medical Research (Kanada). Zuletzt war sie am Lawrence Berkeley National Laboratory tätig.

So absolut unmöglich, Probleme bei Kamala Harris aufgrund ihrer genetischen Disposition zu erkennen. Sie hat solide positive Voraussetzungen.

Es kommt jedoch häufig vor, daß die gesamte Lebensenergie der talentiertesten Eltern im beruflichen Bereich aufgewendet wird und für die Kindererziehung nichts übrig bleibt. Kinder wachsen, sich selbst überlassen, wie Unkraut auf und verwandeln sich schließlich in weiß Gott was.

Aber auch das ist nicht der Fall. Die Kindheit von Kamala Harris kann zwar kaum als eine sehr erfolgreiche Kindheit bezeichnet werden: Als sie 7 Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern, und ihre Mutter zog die Kinder Kamala und ihre jüngere Schwester Maya alleine groß. Doch über Mangel an mütterlicher Liebe und Fürsorge konnten sich die Töchter überhaupt nicht beschweren.

»Sie hatte nur zwei Ziele im Leben: ihre Töchter großzuziehen und dem Brustkrebs ein Ende zu setzen«, sagt Kamala Harris in ihrem Buch »Truths in My Heart« aus dem Jahr 2019 über ihre Mutter. »Mama hat viel von uns verlangt und große Hoffnungen in uns gesetzt. Sie gab Maya und mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und gab uns das Gefühl, daß wir alles erreichen könnten, was wir wollten, wenn wir uns anstrengen.«

Diese Memoiren sind übrigens recht gut geschrieben. Man kann natürlich davon ausgehen, daß die Autorin einen guten und bemühten Literaturredakteur hatte, aber selbst dann waren die Rohstoffe für dieses Werk von sehr hoher Qualität: Bonbons stellt man nicht aus Abfällen her.

Aber kehren wir zu unserer (naja, das ist natürlich nicht unsere, sondern ihre US-amerikanische) Kamala und ihrem Lebensweg zurück.

Die Ausbildung, die sie erhielt, kann man nur als brillant bezeichnen. Die Angelegenheit beschränkte sich nicht auf den Standardlehrplan der Schule. Zur weiteren Ausbildung des Mädchens gehörte unter anderem Klavierunterricht.

»Dreimal pro Woche ging ich zu Frau Jones, die in unserer Straße wohnte«, erinnert sich Kamala an diese nicht einfache Zeit ihres Lebens. »Sie unterrichtete ernsthaft und streng. Jedes Mal, wenn ich auf die Uhr schaute, um zu sehen, wie viel Zeit bis zum Ende der Unterrichtsstunde blieb, schlug sie mir mit einem Lineal auf die Finger.« Darüber hinaus besuchte die junge Kamala die Ballettschule und die Schule für bildende Künste.

Auch später gab es keine Kompromisse. Kamala Harris hat zwei Universitäten im Gepäck. 1986 schloss sie ihr Studium an der Howard University (Washington D.C.) in Politologie und Wirtschaftswissenschaften ab. Danach ging sie an die University of California, wo sie Jura studierte. Sie schloss das Studium 1989 ab und wurde zugelassene Rechtsanwältin.

Generell wurde sie für den Start ins Leben mehr als gründlich vorbereitet. Und auch nachdem sie flügge geworden war, enttäuschte die kluge Kamala ihre Mutter in keiner Weise.

Der Beginn des Rachefeldzugs

Die Karriere von Kamala Harris kann kaum als rasant bezeichnet werden. Was jedoch für Menschen, die die Karriereleiter alleine erklimmen und keine Positionen durch Verbindungen oder Erbschaften erhalten, ganz normal ist.
Im Unterschied zu ihrem Erzrivalen Donald Trump, der aus seiner Studienzeit sofort auf den Vorsitz des Top-Managers des väterlichen Unternehmens wechselte und bereits drei Jahre später das Familienunternehmen leitete.

Harris‘ Weg in die beruflichen Höhen erwies sich als unvergleichlich länger. Aber erstens kontinuierlich und zweitens nach den Maßstäben des Verwaltungssystems eigentlich auch nicht gar nicht so langsam.
Im Jahr 1990 wurde Kamala stellvertretende Staatsanwältin für Alameda County in Kalifornien (die Hauptstadt des Bezirks ist ihre Heimatstadt Oakland). Im Jahr 2003 wurde sie zum Bezirksstaatsanwältin von San Francisco gewählt und hatte diese Position sieben Jahre lang bis 2011 inne.

Im Jahr 2010 erreicht Kamala Harris‘ berufliche Laufbahn ihren Höhepunkt: Sie wird zur Generalstaatsanwältin des Staates Kalifornien gewählt. 2014 wurde sie für eine neue Amtszeit von vier Jahren wiedergewählt, die sie jedoch nicht bis zum Ende ausübte: Nachdem sie 2016 die Wahl zur Senatorin des Bundesstaats Kalifornien gewonnen hatte, wechselte sie aus der juristischen Laufbahn in die politische.

Über Harris’ 26-jährige Amtszeit bei der Staatsanwaltschaft gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Meinungen sind unterschiedlich, oft sogar gegensätzlich.
Manche nannten sie zu weich, andere hingegen zu hart. Sogar grausam. Einige lobten sie für ihre Reaktionsfähigkeit und ihre unabhängige Position, während andere ihr Gleichgültigkeit und Nachgiebigkeit gegenüber den »Mächten dieser Welt« vorwarfen.“

Ein seltsamer Vorwurf an eine Juristin. Die dient doch, wie alle Vertreter des Rechts, der Macht in Form des Gewaltmonopols.

„Generell ist das Gesamtbild mehr oder weniger ausgeglichen: Negative Bewertungen werden durch positive ausgeglichen. Und umgekehrt.
Allerdings spricht dieser Nullsaldo eher für die Vizepräsidentin. Es wäre seltsam, wenn Harris, der mehr als ein Vierteljahrhundert damit verbracht hat, verschiedene Rechtskonflikte zu lösen, nur Lob erhalten würde.
Viel leichter kann man in dieser Position den eigenen Ruf irreparabel beschädigen. Kamala Harris konnte dies jedoch vermeiden. Wiederholte Wiederwahlen in Staatsanwaltschaftspositionen und der Sieg bei den Wahlen zum US-Senat deuten darauf hin, daß sich in ihren kalifornischen Schränken zwar sicherlich einige Leichen befanden, diese aber nicht besonders schwer wogen und in recht moderaten Mengen vorhanden waren.“

Der Verfasser des Artikels geht also davon aus, daß im Laufe einer juristischen Karriere immer irgendwelche dunklen Punkte zustandekommen …

„Nun, wir stellen insbesondere fest, daß selbst ihre schärfsten und eingefleischtesten Kritiker Staatsanwältin Harris nie für dumm und unfähig hielten. Sie warfen ihr viele Dinge vor, aber nicht lautes Lachen und geistige Behinderung.
Auf jeden Fall konnte der Verfasser dieses Artikels solche Kritiken zu diesem Abschnitt ihres Lebens nicht finden.

Offenbar wurde Kamala Harris für »dumm« erklärt, nachdem sie Trumps Weg kreuzte und wirklich zu seiner persönlichen Feindin wurde. Und das bei seiner leichten Hand, oder besser gesagt, Zunge.
Man kann das Datum des Beginns dieses Feldzugs genau benennen. Es war der 8. November 2016, der Tag, an dem Trump zum Präsidenten und Kamala Harris zur Senatorin gewählt wurden.

In ihrem Buch beschreibt Harris den Moment, als klar wurde, daß Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen würde: »Die Ergebnisse waren sehr beunruhigend. Irgendwann kam mein neunjähriger Patensohn Alexander mit Tränen in den Augen auf mich zu. Ich dachte, daß eines der Kinder ihn irgendwie beleidigt hätte. »Komm her, mein Baby. Was ist passiert?« Alexander hob den Kopf und sah mir mit zitternder Stimme direkt in die Augen: »Tante Kamala, dieser Mann kann nicht gewinnen. Er wird nicht gewinnen, oder?«“

Die politische Bildung dieses Neunjährigen ist bemerkenswert. Nicht nur, daß er wußte, was ein Präsidentschaftswahlkampf ist, er wußte auch, wer der Böse ist.

„Und hier geht es um das Ende dieses schicksalhaften Tages voller widersprüchlicher Ereignisse und Erfahrungen: »Nach dem Abendessen gingen wir zu einer Party, bei der sich mehr als 1000 Menschen versammelten. Ich war keine Kandidatin mehr für die Ämter in Kalifornien. Ich war eine gewählte US-Senatorin, die erste schwarze Frau aus meinem Bundesstaat und die zweite in der Geschichte des Landes, die diesen Job bekam … Vor einiger Zeit schrieb ich eine Rede, die auf der Annahme beruhte, daß Hillary Clinton unsere erste Frau als Präsidentin werden würde. Als ich jedoch auf die Bühne ging, um meine Unterstützer zu begrüßen, war mir bereits klar, daß diese Annahme nicht wahr werden würde … Im Gedenken an Alexander und alle anderen Kinder stellte ich die Frage: ;Werden wir uns zurückziehen oder kämpfen?’ Ich rufe dazu auf, zu kämpfen! Ich werde jedenfalls kämpfen.«

Und Kamala hielt ihr Versprechen gegenüber ihren Anhängern: Während ihrer Amtszeit im US-Senat gab es im Oberhaus des Parlaments keine konsequentere, unerbittlichere und erbittertere Gegnerin Trumps als sie. Was übrigens durch die »Titel« bestätigt wird, die er Harris am Ende dieser Phase ihrer politischen Karriere verlieh: »Die unhöflichste, die schrecklichste, die respektloseste, die liberalste aller Senatoren.«
Der Beiname »dumm« wurde dieser Liste hinzugefügt, als sie das Amt der Vizepräsidentin übernahm. Wozu sie selbst teilweise beigetragen hat.

Endgültige Diagnose

Es sei darauf hingewiesen, daß der Vizepräsident im amerikanischen Machtsystem im Wesentlichen eine symbolische, zeremonielle Figur ist. Er verfügt über keine nennenswerte Macht. Und es gibt keine Möglichkeit, in grundlegenden Fragen eine eigene Position zu äußern, die von der des Präsidenten abweicht.

»Mein Land hat mir in seiner Weisheit das unbedeutendste Amt verliehen, das der Mensch je erfunden oder geschaffen hat«, schrieb vor 230 Jahren einer der Gründerväter der USA und der erste amerikanische Vizepräsident, John Adams (Präsident der USA 1797–1801).

Daran hat sich seitdem wenig geändert.

Politiker, die als Vizepräsidenten fungierten, lösten das Problem der gebundenen Hände auf unterschiedliche Weise. Grob gesagt, man benahm sich als eine Art Hausrat, unauffällig. Mit anderen Worten: Man trat in den Schatten seines Chefs und ragte von dort praktisch nicht mehr heraus. Aber für Harris‘ aktive Natur war ein solches Rezept natürlich inakzeptabel. Sie ging einen anderen Weg.

Harris trat in diesen Jahren viel und oft auf. Aber wenn man sich aus irgendeinem Grund an diese Reden erinnerte, dann vor allem wegen ihrer Leere. Es bringt jedoch auch nichts, ihre Sinnlosigkeit zu übertreiben.

Viele russische Journalisten und Blogger zitieren gerne die »Rede von Kamala Harris«, die letztes Jahr im Internet weit verbreitet war, als klaren Beweis dafür, daß die US-Vizepräsidentin nicht ganz dicht ist.

Wörtlich hieß es dort: »Heute ist heute. Und gestern war für uns heute, aber eben gestern. Und morgen wird für uns heute sein – aber eben morgen. Lebe also heute, damit die Zukunft von heute für dich so sein wird wie die von gestern, nur von morgen.«

Das ist natürlich Blödsinn. Aber Harris selbst hat mit diesem Schwachsinn nichts zu tun. Dies ist ein Deepfake, der von einem neuronalen Netzwerk erstellt wurde. Es ist nicht bekannt, wer genau das gefälschte Video der künstlichen Intelligenz in Auftrag gegeben hat, aber Anhänger der Vizepräsidentin können wohl getrost aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden. Es ist das Lager der Gegner, wo man die Anstifter vermuten kann.

Sie machte jedoch einige eigene Fehler. Wie sich für eine starke und langfristige Partnerschaft zwischen den USA und der Republik Nordkorea erklären, womit natürlich ein anderes Korea, Südkorea, gemeint war.
Ein anderes Mal forderte sie zu Umweltthemen eine Reduzierung der Menschheit: »Wenn wir in saubere Energie, in Elektromobilität investieren und die Bevölkerung reduzieren, werden mehr unserer Kinder saubere Luft atmen und sauberes Wasser trinken können.« Zu dieser Bemerkung mußte das Weiße Haus eine besondere Klarstellung machen: Es hieß, die Vizepräsidentin habe sich versprochen, als sie »Bevölkerung« (population) statt »Umweltverschmutzung« (pollution) gesagt habe.

Und so weiter und so weiter.

Aber Hand aufs Herz, das weist wirklich nicht auf eine besondere Pathologie hin. Alle Politiker versprechen sich hin und wieder, und je offener und öffentlicher sie sind, desto häufiger tun sie das.
Und wie viele Politiker halten lange, pompöse und leere Reden! … Gibt es eigentlich noch andere Politiker auf der Welt?“

Der Autor meint offenbar, das wenige, das Politiker zu sagen haben, könnte man auch in kürzeren Reden unter die Leute bringen.

„Es ist schwer zu sagen, inwieweit Trump und die Trumpisten selbst an den von ihnen geschaffenen und fleißig gepflegten Mythos über die Dummheit und völlige Inkompetenz von Harris geglaubt haben.
Aber es scheint, als würden sie sogar immer noch daran glauben. Andernfalls wäre Trumps vernichtende Niederlage in seiner ersten und wahrscheinlich letzten Kandidatendebatte mit Harris kein so großer Schock für dieses Lager gewesen.

In diesem Fall sind die Trumpisten in ihre eigene Falle geraten. Nun, in gewissem Maße sogar unter Mithilfe von Harris selbst.

Nach Ansicht einiger Experten wurde das Bild, mit dem sie in den Präsidentschaftswahlkampf ging, das Bild von »Kamala, der Lacherin«, einer schwachen und wehrlosen Frau, die das schurkische Schicksal in die fremde und feindselige Männerwelt der großen Politik geworfen hat, absichtlich von ihr geschaffen .

»Trump versuchte, Kamala mit den gleichen Methoden zu bekämpfen, mit denen er Hillary Clinton bekämpfte«, sagt beispielsweise Alexandra Vojtolovskaja, Forscherin am Zentrum für Nordamerikanische Studien von IMEMO. »Und das ist schiefgegangen, denn Kamala Harris ist nicht wie Hillary Clinton. Sie benützt überhaupt nicht das Bild einer starken Politikerin, der bereit ist, einen Mann in einem Männerbereich zu bekämpfen. Das verunsichert Trump.«

Leute, die sich besser auskennen, sagen schon lange, daß sich unter der Maske eines lachenden Einfaltspinsels ein ganz anderer Mensch verbirgt. Eine Art Eiserne Lady. »Harris kommt aus der Welt des Gerichts«, schrieb das Frauenmagazin Vogue 2018 über sie. »Das bedeutet, daß sie zwar freundlich und lustig ist, sich aber auch in konfrontativen Situationen zu Hause fühlt: Ein lockeres Gespräch kann ohne Vorwarnung zu einem harten Verhör werden.«

Ein weiteres Merkmal der Harris-Kampagne besteht darin, Fragen zu ihrem Präsidentschaftsprogramm nicht klar zu beantworten. »Sie will sich vor den Wahlen bewußt nicht zu erkennen geben«, ist sich Alexandra Vojtolovskaja sicher. »Dieses Ausweichen spielt ihr in die Hände – sie läßt die Wähler im Unklaren darüber, was sie ist und wie ihre Politik aussehen wird.«“

Das kann natürlich auch nach hinten ausgehen, weil wer wählt schon gerne die Katze im Sack?
Wahlversprechen hingegen betören das Wahlvolk und verpflichten zu nichts.

„Die gute Nachricht ist: Wenn die Dinge bei den »großen Rennen« in den USA so weitergehen wie bisher, wird die Intrige bald ans Licht kommen.“

D.h., es wird sich herausstellen, was Kamala Harris vorhat.

„Es besteht jedoch der Verdacht, daß die Antwort auf die Frage »Wer ist Frau Harris?« beileibe nicht jedem gefallen wird.“

Pressespiegel Moskovskij Komsomoljets, 2.9.: Neues aus der Welt außerhalb des SWIFT-Systems

„DIE KRYPTOBEZIEHUNGEN ZWISCHEN RUSSLAND UND CHINA SIND BEDROHT

Es gibt nur einen Ausweg: Tauschhandel

Am 1. September tritt das Mining-Gesetz in Kraft, das versuchsweise die Verwendung von in der Russischen Föderation hergestellten Kryptowährungen für internationale Zahlungen erlaubt. Bei der Abfassung des Gesetzes hatten die Juristen China im Auge, das aufgrund der Sanktionen Banküberweisungen nicht durchführen will.

Es scheint jedoch, daß die Situation mit Hilfe von Kryptowährungen nicht gelöst werden kann: Der Oberste Gerichtshof und die Oberste Staatsanwaltschaft der Volksrepublik China haben kürzlich die Verwendung virtueller Währungen zu einer »Methode der Geldwäsche« erklärt, und Verstöße mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bedroht.“

China hat natürlich Bitcoin usw. im Auge, von denen es seine Geldhoheit bedroht sieht.
Außerdem fand eine Menge Bitcoin Mining in China statt, das jedoch irgendwann verboten wurde. China will diesen ganzen Krypto-Scheiß aus seinem Territorium draußen haben.

„Handelsprobleme mit China begannen Anfang 2024, nachdem die Regierung von Joe Biden chinesischen Finanzinstituten mit Sekundärsanktionen gedroht hatte.

Große Banken waren die ersten, die Zahlungen aus der Russischen Föderation einstellten, da für sie der Verlust des amerikanischen Marktes, wenn nicht gleich den Zusammenbruch, aber doch große Schwierigkeiten verursacht hätte.
Nach und nach schlossen sich ihnen jedoch kleine regionale Strukturen an, die es zuvor nicht so genau genommen hatten. Die Situation verbesserte sich auch nicht nach dem Besuch von Putin in China, bei dem die höchste aller möglichen Ebenen der Partnerschaft zwischen den beiden Ländern bekräftigt wurde. Auch die jüngsten Verhandlungen mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der Volksrepublik China, Li Qiang, bei viele pompöse Worte über die von Tag zu Tag wachsende Völkerfreundschaft gesprochen wurden, brachte keinen Durchbruch.

Vertreter der russischen Wirtschaft behaupten, daß mittlerweile 98 % der chinesischen Banken eine Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation verweigern. Die im Juni überwiesenen Zahlungen wurden nirgendwo gutgeschrieben, sind aber noch nicht angekommen. Darüber hinaus fordert China seit Anfang August die als Vermittler fungierenden Banken der VAE auf, keine Zahlungen für von russischen Gegenparteien gekaufte Geräte und elektronische Komponenten zu leisten. Der Grund ist in diesem Fall nicht finanzieller Natur, sondern hängt auch mit drohenden Sanktionen zusammen.

Der Kreml ist sich der Problematik bewußt, macht jedoch nicht Peking dafür verantwortlich. »Wir verfügen über ein mehr als solides Volumen an Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Bei solchen Mengen und einem solch unfreundlichen Umfeld treten notgedrungen Probleme auf. Aber die wirklich gute partnerschaftliche Atmosphäre unserer Beziehungen ermöglicht es uns, aktuelle Probleme sehr konstruktiv zu lösen und zu diskutieren«, sagte Dmitri Peskow kürzlich.
Offenbar erwartete die russische Seite eine Lösung des Problems der Abrechnung mit dem Ausland durch digitalen Währungen.

Am 1. September tritt in Russland ein Gesetz zum Krypto-Mining in Kraft, in dem sich einer der Artikel mit der Verwendung von Kryptowährungen im internationalen Handel befasst.“

Man fragt sich, was dieses Gesetz eigentlich reguliert?
Das „Krypto-Mining“ ist eine sehr energieintensiver Versuch, diesen virtuellen Währungen so etwas wie einen Wert zu verleihen – der durch Mathematik und Energie-Verbrauch sozusagen beglaubigt werden soll.
Was hat Rußland diesbezüglich vor? Will es auch Energie und Mathematik investieren, um eine glaubwürdige Kryptowährung hervorzubringen?
Das ganze Projekt bleibt rätselhaft, weil die Kryptowährungen sind ja ein Versuch, durch Schein-Wertschöpfung den staatlichen Währungen Konkurrenz zu machen.
Aber wenn ein Staat selber eine Kryptowährung schaffen will, wie geht er dann vor?

„Schon in der Vorbereitungsphase dieses Dokuments hieß es, daß die Verwendung von Kryptowährungen es ermöglichen werde, »den … Sanktionsdruck des Westens auszugleichen« und SWIFT und SPFS zu ersetzen, was »besonders wichtig sei im Zusammenhang mit der Ablehnung von sei Banken sogar aus befreundeten Ländern (lies: China), Zahlungen aus Russland zu akzeptieren.«

Ohne solche Mechanismen drohe der exportorientierten Wirtschaft eine »Zerstörung«, warnte der erste stellvertretende Chef der Zentralbank, Wladimir Tschistjuchin. Erinnern wir uns daran, daß sowohl die Zentralbank als auch das Finanzministerium früher glühende Gegner der Kryptowährung waren, aber wie man sagt: tempora mutantur e nos mutamur in illis (»Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen« – lateinisch).“

Das alles, Wunschdenken hin und Notwendigkeiten her, löst weder das Problem, wie eigentlich eine Kryptowährung überhaupt geschaffen werden, und zweitens, wie die im internationalen Zahlungsverkehr eingesetzt werden soll.
Arbeitshypothese: Kryptowährungen und staatliche Akteure schließen einander aus.
(Eine andere Angelegenheit ist die Bemühung El Salvadors, bestehende Kryptowährungen für staatliche Zwecke einzusetzen. Auch dort sind die Erfolge spärlich.)

„Allerdings müssen ausländische Partner, die sekundäre, tertiäre und andere Sanktionen befürchten (und es besteht kein Zweifel, daß sie früher oder später folgen werden), noch von den offensichtlichen Vorteilen der Kryptowährung überzeugt werden, wie Vertreter russischer Finanzinstitute bekräftigen.

Und im Fall Chinas scheint dies nicht die einfachste Aufgabe zu sein. Im Himmlischen Imperium hatten sie nie eine Freude mit Kryptowährungen. Allerdings wurden Transaktionen, die beispielsweise über Hongkong abgewickelt wurden, bis vor kurzem nicht strafrechtlich verfolgt. (Bloomberg berichtete zuvor, daß russische Rohstoffunternehmen, die eine der bekannten Kryptowährungen verwenden, auf solche Zahlungen zurückgegriffen haben.)

Am 19. August verschärften jedoch der Oberste Volksgerichtshof und die Oberste Volksstaatsanwaltschaft der Volksrepublik China ihre Position und gaben bekannt, daß ab sofort die Verwendung digitaler Währungen und anderer virtueller Vermögenswerte »als Methode der Geldwäsche« betrachtet wird. Personen, die an solchen Operationen beteiligt sind, müssen mit bis zu 10 Jahren Gefängnis rechnen. Lagen die Kryptowährungen zuvor in einer »Grauzone«, gibt es laut Anwälten nun keinen Interpretationsspielraum mehr. Und da in China alles, was in der digitalen Welt passiert, vom Staat sorgfältig überwacht wird, ist es besser, nicht einmal nach Schlupflöchern zu suchen. Sie können für immer einen »schwarzen Fleck« bekommen.“

China sieht offensichtlich die Kryptowährungen als eine Bedrohung seiner Finanzhoheit und als ein Schlupfloch für Kriminalität an.

„Wenn Bankzahlungen eingestellt wurden und Zahlungen in Kryptowährungen für alle Parteien mit großen Problemen verbunden sind, wie soll dann der Handel abgewickelt werden?
Experten sagen allen Ernstes: durch Tauschhandel. Für diejenigen, die dieses Wort aus der frühneuzeitlichen Geschichte der Russischen Föderation vergessen haben, erinnern wir Sie daran: Dies ist, wenn man für ein Fass Öl eine Tüte Getreide oder für einen Karren Kohle eine Kiste Chips gibt.
Die Frage ist, wie man äquivalente Volumina von beiden finden kann. Und brauchen Ölverkäufer tatsächlich Getreide? Natürlich ist es möglich, Vermittlungsstrukturen zu schaffen, die in China nach Waren suchen, mit den Chinesen darüber verhandeln, was sie wirklich von der Russischen Föderation benötigen, die entsprechenden Einkäufe tätigen und einen Umtausch durchführen.

Dies sind jedoch sehr komplexe Systeme und hohe Kosten. Das bedeutet, daß die Waren, die aus China nach Russland kommen – und das ist eine riesige Bandbreite von Bohrinseln bis hin zu Schulmäppchen – noch einmal deutlich teurer werden.“

Einmal sehen, ob sich nicht doch andere Modalitäten finden, aber die werden dann nicht mehr im MK veröffentlicht.
Z.B. ein neues vermittelndes Land, dessen Banken keine Sanktionen fürchten müssen.
Oder aber, das Ganze ist ein Versuch, von anderen Zahlungsformen abzulenken.

Pressespiegel El País, 23.8.: Neues aus dem sinkenden Schiff EU

„DER MANGEL AN ÖFFENTLICHEN INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND BELASTET DIE WIRTSCHAFT UND BREMST DIE EU“

Ein interessanter Titel. Die Autoren des Artikels bestätigen damit indirekt, daß das Wachstum in der EU seit geraumer Zeit kreditfinanziert ist. D.h., viele Gewinne werden nur gemacht, weil die öffentliche Hand als Käufer dasteht. Und diese verschafft sich ihre Zahlungsfähigkeit über die Aufnahme von Schulden. Die Kreditwürdigkeit eines Staates liegt aber nicht zuletzt daran, daß er ein Wachstum vorweisen kann, das diese Kredite in den Augen der Kreditgeber rechtfertigt. Eine Spirale, die sich vermutlich nicht ewig fortsetzen läßt.

„Der private Konsum zieht trotz steigender Löhne nicht an.“

Was auch kein Wunder ist. Den steigenden Löhnen stehen ja auch steigende Preise gegenüber. Real werden die Empfänger aus unselbständigen Einkommen immer ärmer, trotz vergleichsweise hoher Lohnabschlüsse.
In dieser volkswirtschaftlichen Phrase, so wie sie dasteht, wird jedoch den Konsumenten vorgeworfen, gemeinerweise kaufen sie nicht genug, obwohl sie eh Geld unter der Matratze hätten, und deshalb geht die Wirtschaft den Bach hinunter.

„Der europäische Motor hat ein Wettbewerbsproblem. Die aggressive Strategie des chinesischen verarbeitenden Gewerbes trifft am stärksten Berlin, dessen Exporte schwächer werden.
Deutschland wird von der Lokomotive der europäischen Wirtschaft fast zum letzten Waggon des Zuges.“

In dieser Deutlichkeit liest man das in deutschsprachigen Blättern kaum …

„Seit fast zwei Jahren stagniert Deutschland – oder besser gesagt, seine Wirtschaft schrumpft. Es steckt zwischen mehreren Strukturveränderungen und Krisen, die es auf dem falschen Fuß erwischt haben, etwa dem durch Zwang entstanden Notwendigkeit, auf russisches Gas zu verzichten, oder der geringeren Nachfrage Chinas nach in Deutschland hergestellten Produkten.
Beides belastet den wichtigen Industriesektor. Hinzu kommt ein endemischer Mangel an öffentlichen Investitionen, der sich beispielsweise in den Daten und Prognosen der Europäischen Kommission zeigt, in denen der europäische Riese“

– das ist wohl etwas übertrieben, um die Wichtigkeit Deutschlands darzustellen, oder es als ebenbürtig zu China darzustellen –

„2023, 2024 und 2025 tatsächlich mehr als einen halben Punkt des BIP hinter dem EU-Durchschnitt liegt.

Daß Deutschland schwächelt ist, ist keine gute Nachricht für die übrigen Länder der EU und der Eurozone, auch wenn es Politiker gibt, die sich angesichts der Wirtschaftsdaten von Eurostat in Prahlereien ergehen: »Wir sind besser als alle großen EU-Länder und wir schlagen die Deutschen«, schrieb der polnische Premierminister Donald Tusk im sozialen Netzwerk X. Sein Land hat natürlich eine spektakuläre Zahl erreicht. Polens BIP wuchs im zweiten Quartal dieses Jahres um 1,5%. Auch die Niederlande hatten einen sehr guten Wert, sie stiegen um 1 %. Spanien ist das andere Land mit einer großen Wirtschaft, mit einem deutlichen Anstieg zwischen April und Juni, 0,8 %.“

Es ist schon beachtlich, was für bescheidenes Wachstum inzwischen als „spektakulär“ gilt und zu großen Prahlereien und Nationalstolz führt.
Man erkennt an diesen Zahlen, wie schlecht es um die EU als Ganzes aussieht und wie sich das auch auf ihre Kreditfähigkeit schlägt, weshalb die EZB nicht so recht mit den Zinsen heruntergehen kann.

„»Die deutsche Stagnation zieht die gesamte Eurozone in den Abgrund. Das zeigt sich besonders deutlich an Orten wie der Tschechischen Republik, die stark an deutsche Lieferketten gebunden sind«, erklärt Sander Tordoir, Chefökonom des Think Tanks Centre for European Reform (CER), der sich auf die Rolle Deutschlands in der EU spezialisiert hat (…) »Dauerhafte Stagnation und die vorgegebenen Sparmaßnahmen“ (gemeint ist vermutlich die Sparbremse) „in Deutschland bremsen das Wachstum in allen anderen Ländern.«“

Diese hier sozusagen als Automatismus vorgeführte Sparbremse gilt natürlich nicht für die Sondervermögen und sonstigen Budget-Tricks, mit denen Deutschland seine Aufrüstung und die Unterstützung der Ukraine in Form von Waffen- und Geldgeschenken finanziert.
Während Kritiker der Aufrüstung gerne die geringen Aufwendungen ins „Soziale“ im Auge haben, so zeigt sich hier die weitaus härtere Wahrheit – daß verstärktes Waffengerassel in schweren Zeiten die Wirtschaft nach unten zieht, weil es sich um Ausgaben handelt, die keinerlei positiven Effekte auf die restlichen Wirtschaftszweige haben.

„Die Wirtschaft der Industriemacht schrumpfte im zweiten Quartal, zur Überraschung der meisten Experten und Wirtschaftsinstitute, die mit Stagnation oder leichtem Wachstum rechneten. Die deutsche Schwäche wird chronisch. Seit dem Frühjahr 2022 schwanke das Wirtschaftswachstum leicht über und unter Null und eine große Verbesserung sei im dritten Quartal dieses Jahres nicht zu erwarten, sagt Klaus Wohlrabe, Umfrageleiter beim Ifo-Konjunkturinstitut. »Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest«, sagt er.

Dazu trage der Mangel an Investitionen bei, sagt Tordoir: »Die deutsche Wirtschaft hat das Potential, neue Unternehmen und Märkte zu schaffen, aber dieser Prozeß wird durch eine verschlechterte Infrastruktur,“

– Ergebnis von vielen Jahren Sparen am falschen Platz. Die Infrastruktur gehört zu den faux frais, den toten Kosten des Kapitals, die der Staat zur Verfügung stellen muß, damit die Sache flutscht. Im Zuge der Privatisierung und Sparpolitik (Stichwort „schwäbische Hausfrau“) ist Deutschland in Sachen Infrastruktur – Straßen, Eisenbahn, Internet-Verbindungen – wirklich weit nach hinten gerutscht im EU-Durchschnitt und scheint sich GB zum Vorbild genommen zu haben –

„Versäumnissen bei der Digitalisierung, zu viel Bürokratie und langsame Kapitalmärkte gebremst.«“

Ein Sammelsurium aus Mängeln, wo man sich fragt, worin dann eigentlich das Potential besteht?

„Dies bremst die Dynamik und den Umsatz der Unternehmen. Ein Beispiel: Von den 40 im deutschen DAX gelisteten Blue-Chip-Unternehmen haben 23 ihren Ursprung im 19. Jahrhundert oder früher, nur zwei wurden in diesem Jahrhundert gegründet.“

Das mag zwar etwas übertrieben sein, zeigt aber, daß lange Tradition bei Fertigungsindustrie nicht unbedingt einen Wettbewerbsvorteil verschafft.

„»Das ist der bleibende Schaden des absoluten Mangels an öffentlichen Investitionen oder Reformen in den letzten 15 Jahren.« Der Forscher berechnet beispielsweise, dass das Eisenbahnnetz bis 2027 eine Investitionsspritze von 45 Milliarden Euro benötigt, und beklagt, dass »die Nettoausgaben für die Hochschulbildung zwischen 2010 und 2018 inflationsbereinigt um weniger als 1 % gestiegen sind, verglichen mit 6 % im Jahr 2018 in den Niederlanden, 15 % in den USA und unglaubliche 116 % in Estland«.“

Bei letzterem Staat muß man allerdings bedenken, daß dort nach dem Ende der SU die staatlichen Bildungsinvestitionen praktisch zum Erliegen kamen, weshalb sich diese 116% auf ein sehr niedriges Ausgangsniveau beziehen. Wenn man diese Bildungsausgaben auf das estnische BIP bezöge, so wären sie vermutlich weniger spektakulär.

„Die mangelnden Investitionen bremsen die Wirtschaft, sagt Wohlrabe, der das als Ursache der Unsicherheit in der Wirtschaftspolitik dingsfest macht. »Aus unseren Umfragen wissen wir, dass mehr als 40 % der Unternehmen Auftragsmangel melden.« Unterdessen belebt sich der private Konsum trotz der Lohnverbesserung nicht. »Konsumenten sind etwas zurückhaltend, wenn es ums Ausgeben geht. Vorsicht ist geboten hinsichtlich der Inflationsrate, die leicht gestiegen ist. Deutsche Verbraucher reagieren sehr sensibel auf Inflation«, bemerkt er in einem Interview mit El País.

Zurückhaltend, sensibel – natürlich, von nix kommt nix, wie viele psychologische Kategorien man auch bemühen mag.

„Deutschland habe auch ein Wettbewerbsproblem, betont Jens Boysen-Hogrefe, Professor an der Universität Kiel, »das sich in den letzten Jahren nicht verbessert hat«. Der Wettbewerbsvorteil Chinas ist in Deutschland besonders besorgniserregend.“

Natürlich. China erhält nämlich jetzt von Rußland die Energie, die der EU abhanden gekommen ist. Außerdem ist China alleiniger Gestalter seines Budgets und muß sich weder an Weltwährungen noch an Finanzinstitutionen orientieren.

„»Die aggressiven Strategien des chinesischen verarbeitenden Gewerbes treffen Deutschland stärker als andere Länder, denn das asiatische Land konzentriert sich auf die Automobilindustrie sowie den Maschinen- und Anlagenbau, also genau auf die Branchen, in denen Deutschland stark war«, betont er.
Die Exportschwäche und die Alterung der Bevölkerung sind für Boysen-Hogrefe die Hauptursachen für die deutsche Wirtschaftslage.“

Eine eigenartige Diagnose.
Die Exportschwäche ist ja ein Ergebnis dessen, daß es an allem hapert, was eine ordentliche Marktwirtschaft auszeichnet. Und das liegt zu einem guten Teil daran, was als „Neoliberalismus“ gekennzeichnet wird, das Sich-Zurücknehmen des Staates bei verschiedenen wirtschaftlichen Grundlagen, der ja auch schon die Wirtschaft Großbritanniens auf Talfahrt geschickt hat.
Die sogenannte „Überalterung“, die ja nur eine der arbeitenden Bevölkerung ist, ist jedoch ein Ergebnis des Umstandes, daß Deutschland jahrzehntelang erfolgreich rationalisiert hat und heute deshalb viel weniger aktive Berufstätige gemäß dem Umlaufsystem die Anzahl der Rentner tragen müssen. Dieses System war seinerzeit aber auf einen kontinuierlichen Nachschub an Beitragszahlern angelegt.

„»Die Politik sollte das Notwendige tun, um die öffentlichen Investitionen zu erhöhen, denn wenn die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwach ist, liegt das vor allem am Mangel an ausreichender Infrastruktur«, betont er.
Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankerte Schuldengrenze, für die Lage der Wirtschaft verantwortlich machen. Laut gewerkschaftsnahen Experten des Instituts für Makroökonomie (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung behindert die Begrenzung entscheidende Investitionen in die Energiewende und Infrastruktur.

Da die Schuldenbremse seit 2020 ausgesetzt ist, habe sie zwar nicht zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage beigetragen, könne dies aber »in Zukunft durchaus tun«, stellt der Kieler Experte Boysen-Hogrefe fest.“

Ach, siehe da, die Schuldenbremse kann man auch aussetzen.
D.h., die Gewerkschafts-Fuzis liegen ganz falsch?
Und trotzdem kein Geld da für staatliche Investitionen?

„»Es ist eine unsägliche Debatte in Deutschland, mit Politikern, die die öffentlichen Investitionsmöglichkeiten, die die Schuldenbremse zulässt, vielleicht nicht ausloten wollen und lieber das Argument aufrechterhalten, dass sie öffentliche Investitionen behindert, und sie damit ganz abschaffen.« (…)“.

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Zur Zeit der Griechenland-Schuldenkrise kam auf diesem Blog einmal die Debatte auf, warum es auf die Finanzwelt eigentlich vertrauensbildend wirkt, wenn ein Staat eine Sparpolitik verkündet, Sparprogramme auflegt und Schuldenbremsen erläßt.

Wir fanden damals keine befriedigende Antwort.

Es schien sich um eine Konvention zu handeln, mit denen man leichtfertiger Verschuldungspolitik, wie sie mit dem Euro in die Welt gesetzt und auch angeregt wurde, einen Riegel vorschieben wollte.

Inzwischen ist es offenbar so, daß staatliche Sparpolitik diese Funktion, vertrauensbildend zu wirken, nicht mehr erfüllt.

Das Problem ist, daß das Vertrauen gegenüber den vielen Schulden überhaupt schwach zu sein scheint, weshalb der Startschuß in ein gegenteiliges Programm, für fröhliche Verschuldung ohne Grenzen, auch nicht fallen mag.

Die USA und China können sich dergleichen aus verschiedenen Gründen leisten, die EU nicht.