BREXIT OHNE ENDE
Man erhält den Eindruck, daß die EU-Politiker Deutschlands und Österreichs, und auch die Medien dieser Länder, sich so richtig weiden an den Debatten im britischen Parlament und an den Schwierigkeiten, die den Austritt – oder Nicht-Austritt? – Großbritanniens begleiten.
Die Szenarien, die in der deutschsprachigen Presse ausgemalt werden, sind düster: Womöglich brauchen die Briten ein Visum, sobald sie europäischen Boden betreten, und überall bricht der Warenverkehr zusammen. Die City geht unter, außer sie übersiedelt rechtzeitig nach Frankfurt.
Man merkt all diesen Bildern das Wunschdenken an, doch endlich einen imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und ihn ohne Krieg besiegen zu können.
Mit der Wirklichkeit hat das allerdings wenig zu tun.
Es ist gut, sich an die Zeit vor der EU, also vor 1992 zurückzuerinnern: Da gab es keinen Euro, das Umwechseln von Geld – wie es nach GB bis heute nötig ist – war gang und gäbe. Überall gab es Wechselstuben.
Die Briten brauchten wie alle Bürger Westeuropas kein Visum, um irgendwo hin zu reisen. Die einzigen Staaten, die bis 1990 Visa verlangten, waren einige sozialistische Staaten, keineswegs alle.
Überall an den Grenzen gab es Grenzkontrollen und Zollstationen. Rund um die Flüchtlingskrise wurden von einigen Staaten Forderungen erhoben, die Grenzstationen zu rehabilitieren und wieder Grenzkontrollen durchzuführen. Das hätte aber den freien Warenverkehr behindert und wurde deswegen verhindert – vor allem von Deutschland, das am meisten von dieser Zollfreiheit des Schengenraums profitiert.
1. Der Freihandel
Freihandel ist Forderung und Vorteil der Staaten mit erfolgreicher Kapitalakkumulation. Sie können mit ihren Waren fremde Märkte erobern und deren Kapitale an die Wand drücken, weil sie sie im Preis unter- und in der Qualität überbieten können. Freihandelszonen einzurichten, ist daher ein Dienst der Regierungen der potenteren Staaten an ihrem Kapital, den dieses Kapital gerne ausnützt, um seine Marktanteile im Ausland zu Lasten der Konkurrenten zu erhöhen.
Man kann sich dabei natürlich auch verkalkulieren. Viele Politiker von EU-Staaten waren für den Abbau aller Schranken des Warenverkehrs, weil sie dachten, daß ihr einheimisches Kapital diesen Wettbewerb bestehen könnte. Später, als sich diese Annahme als Irrtum herausstellte, hatten sie nicht mehr die Mittel, den Konkurrenznachteil wieder wettzumachen. Selbst wenn sie auf Protektionismus gesetzt hätten, hätten sie gar kein Kapital mehr gehabt, das unter dem Schutz der Zollschranken zumindest den inneren Markt bedienen hätte können. Verschiedene Unternehmen der Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie Griechenlands oder Spaniens oder anderer Staaten waren bereits der Konkurrenz mit potenteren Marktbeherrschern zum Opfer gefallen.
Es wäre aber auch gar nicht möglich gewesen, weil schon allein mit dem Euro ein Sachzwang geschaffen worden war, der Abschottung nach außen verunmöglicht.
2. Pfund und Euro
Die Briten wollten den Euro nie, weil sie nicht bereit waren, die mit der nationalen Geldschöpfung verbundene Souveränität aufzugeben. Sie wollten im Gegenteil das Pfund als Partner, aber auch Konkurrenten des Euro stark machen. Und als die Eurokrise losging, so wollten sie nicht für die Stützung dieser Währung geradestehen. Das ist der ökonomische Hintergrund des Brexit. Die britischen Eliten waren und sind gespalten in der Frage, wie sie der Eurokrise entkommen könnten. Und welcher Art ihr Austritt sein könnte/sollte und wie er nicht aussehen sollte.
Die britische Wirtschaft und das Pfund beruhen nämlich zu einem beachtlichen Teil auf der EU und auf dem mit der EU betriebenen Freihandel. Erstens als Finanzzentrum und Warenbörse. Viele der Rohstoffe, die ihren Preis an der Londoner Börse erhalten, werden nämlich in der Kontinental-EU nachgefragt. Die City ist somit das Tor, durch das diese Materialien in die EU gelangen. Selbst wenn sie irgendeinen Hafen auf dem Kontinent anlaufen – ihr Preis wurde in London festgelegt, und oftmals auch der Vertrag dort abgeschlossen. Die City bedarf also der EU als Absatzmarkt. Darauf beruht ein großer Teil ihrer Bedeutung.
Auf der anderen Seite hat Großbritannien seit Thatchers Zeiten zwar einiges an produktiver Basis eingebüßt, geblieben ist jedoch seine Bedeutung als Handelsplatz. Viele Fertigprodukte der EU-Unternehmen wandern über Großbritannien in alle Ecken des Commonwealth. Hier kommt der Freihandel in die andere Richtung ins Spiel: GB importiert zollfrei und günstig und seine Unternehmen können einiges aufschlagen, wenn das Zeug über bilaterale Zollfrei-Verträge in die Zentren und Ränder des einstigen Empire verscheppert wird.
GB hat also bei einem EU-Austritt wirtschaftlich einiges zu verlieren bzw. müßte sich durch diesen Schritt sozusagen neu erfinden.
3. Die Souveränität und ihre Außenposten
Ansonsten wird es teilweise von den Schatten seiner kolonialen Vergangenheit eingeholt: Der Status von Gibraltar und von Nordirland wird fraglich: Teil der EU oder Teil Großbritanniens? Es ist nicht ausgeschlossen, daß der nordirische Bürgerkrieg wieder losgeht und eine Art Besatzungsregime nötig wird, um das Territorium beim Vereinigten Königreich zu halten.
Gibraltar ist zwar ein leichterer Fall, weil es dort von innen kein Interesse gibt, den Status als Offshore-Paradies zu verlieren. Hier ist es aber vor allem Spanien, das den Felsen gerne heim ins Reich holen möchte und durch Blockaden zu Land und Wasser den Bewohnern und der britischen Regierung das Leben schwer machen kann.
Schließlich hat Schottland angekündigt, bei der EU bleiben zu wollen und damit separatistische Begehrlichkeiten in Aussicht gestellt, falls GB die EU verläßt.
GB hat zwar ein sehr hochgerüstetes Militär, das aber nicht für den Einsatz gegen die eigene Bevölkerung vorgesehen ist. Verlust vieler bisheriger Einkommensquellen und dazu eine Art Militärregierung in verschiedenen Landesteilen – das erinnert an die Regimes von Salazar und Franco, die auch ein Eingeständnis von wirtschaftlicher Schwäche waren, sodaß der Staat bzw. das Kolonialreich nur mit Gewalt und Krieg zusammengehalten werden konnte.
4. Klamauk aus dem Parlament
Diesen ganzen – von den britischen Politikern gewußten – Widersprüche bringen das seltsame Schauspiel hervor, das die britische Regierung und ihr Parlament seit der Brexit-Abstimmung bieten und das mehr an Monty Pythons Flying Circus erinnert als ein Musterland der demokratischen Entscheidungsfindung:
Erst tritt der Regierungschef zurück, der die Abstimmung angesetzt hat und gesteht damit ein, daß er sich verkalkuliert hat.
Die Politiker, die den Austritt befürwortet haben, treten zurück, weil sie von ihrem eigenen Erfolg überwältigt sind.
Dann kommt eine Dame, die verkündet, den Brexit durchführen zu wollen und kassiert eine Niederlage nach der anderen:
Wollt ihr mit einem Freihandelsabkommen austreten?
Nein!
Wollt ihr ohne ein Freihandelsabkommen austreten?
Nein!
Wollt ihr in der EU bleiben?
Nein!
Bleibt noch die Möglichkeit, noch einmal abstimmen zu lassen und zu hoffen, daß es für die EU ausgeht.
Erstens hätte das aber eine schiefe Optik, solange abstimmen zu lassen, bis man das erwünschte Ergebnis hat.
Zweitens könnte es aber noch einmal mit Nein! ausgehen, und was dann?
Kategorie: Konkurrenz um die Macht
Korruption als Mittel der Konkurrenz
WEM NÜTZT DIE KORRUPTION UND WEM NÜTZT IHRE BEKÄMPFUNG?
Unter dem kryptischen Begriff „Privatsektorkorruption“ bezeichnet Transparency International genau die gleiche Angelegenheit wie in Punkt 2 (siehe Stichwort „Korruption“, 2. Schmiergelder bei öffentlichen Ausschreibungen), tut aber so, als wäre es etwas ganz anderes, Schmiergeld zu zahlen oder Schmiergeld zu nehmen. Es ist fast schon komisch, wie da aus einem Akt des Händewechsels von Geld zwei verschiedene Delikte konstruiert werden, um dann gegen eine sehr übliche und weitverbreitete Praxis so zu Felde ziehen zu können, als handle es sich um verschiedene Dinge. Damit wird ein Mittel geschaffen, alle Sphären zu erfassen, die Politik wie die Wirtschaft, und jeden Fall größtmöglichst auszuschöpfen. (Dazu weiter unten.)
Die Krise verstärkt den Ruf nach Sauberkeit
Die Firmen zahlen also in irgendwelche Privatschatullen und Parteienkassen, um an Aufträge zu kommen. Diese Auslagen holen sie sich später beim Überschreiten ihrer Kostenvoranschläge zurück. Das war eigentlich schon immer üblich, und es ist auch gar nicht abzusehen, worin der große Schaden bestehen soll. Die Autobahnen, Brücken und Gebäude wurden schließlich fertiggestellt, übergeben und benutzt.
Die Gelder aus der Staatskasse, mit denen diese Aufträge bezahlt wurden, stammten entweder aus dem, was eine jeweilige Staatsführung aus ihrer Ökonomie an Steuern oder Abgaben herausholen konnte, oder aus dem, was sie auf den internationalen Finanzmärkten an Kredit aufstellen konnte.
Und hier liegt der Hund begraben, warum auf einmal so genau geschaut und nachgerechnet wird: Weil der Staatskredit ins Gerede gekommen ist, Staaten pleitegegangen sind und es deshalb vom Standpunkt des internationalen Finanzsystems und des Weltmarktes nicht mehr gleichgültig ist, was an öffentlichen Aufträgen vergeben wird, an wen, und wie das alles zustande gekommen ist und abgerechnet wurde.
Es ist übrigens in diesem Zusammenhang erwähnenswert, daß zu den Förderern von Transparency ausgerechnet Siemens gehört, das vor allem in den trüben postsozialistischen Zeiten am Balkan und in Osteuropa mit äußerst großzügigen Schmiergeldzahlungen örtliche und internationale Konkurrenten aus dem Weg räumte.
Daß Transparency versucht, unter Punkt 4 sich selber zu einer Art internationalen gesetzgebenden Behörde, einer Art Weltgericht zu machen, ist begreiflich und nicht weiter erklärungsbedürftig. Es ergibt sich aus dem Anspruch dieser Organisation und dem Interesse, das auch innerhalb der jeweiligen nationalen Eliten an dieser Art von Flurbereinigung erwacht ist.
Bleibt noch der Punkt 5, Armut und Entwicklung:
Die Selbstverwaltung der Armut mittels Bakschisch – ein Delikt gegen die Marktgerechtigkeit
Während es bei Ämterkauf und Bestechung bei Bauvorhaben usw. um Geld geht, das innerhalb der besitzenden Klasse herumgeschoben wird, so gibt es auch eine andere Form dessen, was gemeinhin als Korruption gehandelt wird. Ich würde es als die „Korruption der Armut“ bezeichnen.
Wenn Ärzte, die mit ihrem elenden Gehalt nicht bis zum Monatsende durchkommen, gegenüber Patienten die Hand aufhalten, damit die einen Operationstermin oder ein Bett im Krankenhaus bekommen, so wirft das ein bezeichnendes Licht auf diejenigen Staaten, wo selbiges geschieht.
Wenn Lehrer gegen ein kleines Bakschisch entweder Schülern, die nichts gelernt haben, positive Noten geben, oder Schülerinnen, deren Eltern sie nicht in die Schule schicken wollen, ein Zeugnis ausstellen und damit deren Abwesenheit vertuschen, so kann man daraus ebenfalls einige Schlüsse über den Zustand derjenigen Staaten ziehen, wo solches geschieht.
Es gibt auch Polizisten, die die Hand aufhalten, um Verkehrs- und andere Rechtsübertretungen unter den Tisch fallen zu lassen, oder die ihre Fahrzeuge gegen entsprechende Gegenleistungen – in Form von Augen zudrücken – gratis in Werkstätten reparieren lassen, weil es im staatlichen Budget kein Geld für die Renovierung des Fuhrparkes gibt.
Man könnte die Liste noch fortsetzen, aber die Sache läßt sich kurz zusammenfassen: Staatsangestellte aller Art unterschreiben falsche Bestätigungen, um sich ein Zusatzeinkommen zu verschaffen, weil sie mit ihrem normalen nicht über die Runden kommen, oder lassen Rechtswidrigkeiten durchgehen, um sich dabei zu bereichern.
Dazu kommen noch Anwälte und Notare, die Verträge und Grundbucheinträge manipulieren, um ihren Klienten gefällig zu sein.
Es ist ein Moment der Niedertracht von Organisationen wie Transparency International und ähnlich gestrickten NGOs, diese zwei Formen der Korruption überhaupt unter einen Hut zu bringen, d.h. zu behaupten, es handle sich um die gleiche Erscheinung in unterschiedlicher Form.
Es ist weiterhin niederträchtig, zu behaupten, die Staaten, in denen die Korruption der Armut – und natürlich auch die der Eliten – flächendeckend verbreitet ist, könnten sich nur deshalb nicht „entwickeln“. Da werden Ursache und Wirkung vertauscht. Der Kapitalmangel in Staaten wie Ungarn, Kosovo, Pakistan oder Marokko usw. wird als Ergebnis falschen Wirtschaftens besprochen und die verbreitete Armutskorruption wird zur Ursache dessen erklärt, warum dort keine ordentliche Kapitalakkumulation zustande kommt.
Die Länder, die angeblich an der „Schwelle“ zum „entwickelten“ Kapitalismus stehen, bringen das laut der Diagnose solcher parteilicher Idioten wie Transparency und ähnlichen nur deshalb nicht fertig, weil bei ihnen „Korruption“ herrscht. Die Entwicklungshilfe-Gelder – oder, im Falle der EU, die EU-Transfer-Gelder – können ihre segensreiche Entwicklung nicht entfalten, weil sich die Zuständigen vor Ort unrechtmäßig dieser Gelder bemächtigen.
Mit diesen Korruptions-Indices und den Klagen über die angeblich weitverbreitete Korruption werden die Staaten, die als Rohstoff- und Energie-Lieferanten für die Heimatländer des Kapitals vorgesehen sind, für ihren Zustand selber verantwortlich gemacht und damit wird der weltweite Herrschaftsanspruch von USA, EU und Japan – in dieser Reihenfolge! – wieder einmal bekräftigt. Sie haben ein Recht auf Weltgeld und damit auch darauf, daß die Gewinne, die ihre Unternehmen rund um die Welt einfahren, sich bei ihnen zuhause als Wachstum zu Buche schlagen.
Dieser Rechtsanspruch wird mit dem Korruptionsvorwurf nicht nur theoretisch erhoben, sondern auch praktisch wahr gemacht.
Die Aufmischung Lateinamerikas über den Vorwurf „Korruption“
Inzwischen werden in Lateinamerika Regierungen wegen des Korruptionsvorwurfes gestürzt. Im Hinterhof der USA ersetzt die Justiz solchermaßen die Straßenrevolten und Farb-„Revolutionen“, mit denen woanders mißliebigen Regierungen der Garaus gemacht wird.
Mit den Operationen „Lava Jato“ gegen die staatliche brasilianische Ölfirma Petrobras und angeschlossene Unternehmen bzw. ihre Geschäftspartner, und mit den Untersuchungen gegen den brasilianischen Baukonzern Odebrecht werden die Karten in Lateinamerika neu verteilt und die nationalen Eliten aufgemischt.
Es geht um nicht weniger als eine Rückabwicklung der ökonomischen Entwicklung der letzten 2 Jahrzehnte. Der Ölkonzern Petrobras ist einer der größten der Welt, er hat die 7 Schwestern längst überholt, und das als Staatsunternehmen. Die dort erzielten Gewinne stehen daher, ähnlich wie in Venezuela, zur Verfügung der jeweiligen Regierung, die außerdem ihre nationale Industrialisierung durch die Bereitstellung von günstiger Energie befördern konnte.
Odebrecht und Petrobras entwickelten sich Hand in Hand unter den PT- (Arbeiterpartei-) Regierungen seit 2003. Die Baufirma baute Ölplattformen für die Ölfirma, und die Ölfirma versorgte die Baufirma mit billiger Energie, damit die in vielen Staaten Lateinamerikas die Infrastruktur ausbauen und andere große Bauvorhaben realisieren konnte.
Als das brasilianische Wirtschaftswunder in die Krise geriet – die genauen Gründe dafür sind noch zu klären –, entdeckten zunächst politische Konkurrenten in Brasilien selbst die Justiz als probates Mittel, sich wieder besser zu positionieren. Aber damit nicht genug, die „Ermittlungen“ breiten sich inzwischen über ganz Lateinamerika aus. Viele Firmen werden einfach dadurch ruiniert, daß gegen sie ermittelt wird, sie also der Korruption bezichtigt werden. Was dann dabei herauskommt, und sie womöglich zu Unrecht beschuldigt wurden, ist gleichgültig.
Unter dem Stichwort „Korruptionsbekämpfung“ ist in Lateinamerika eine Hetzjagd gegen Politiker und Unternehmensführungen losgegangen, die diese Region durch Verstärkung der wirtschaftlichen Abhängigkeit wieder zu einem aufnahmefähigen Markt und einem politisch gefügigen Hinterhof der USA machen sollen. Mit dem liberalen Macri und dem bekennenden Faschisten Bolsonaro sind auch schon Akteure aufgetreten, die diese Entwicklung in ihren jeweiligen Staaten nach besten Kräften befördern wollen.
Daß diese Integration und wirtschaftliche Aufholjagd in Lateinamerika auf wackligen Beinen stand, habe ich schon früher einmal erwähnt:
ROLLBACK IN LATEINAMERIKA (31.5. 2016)
Stichwort „Korruption“
EINE DUMME PSEUDO-ERKLÄRUNG FÜR SOGENANNTE MISSSTÄNDE
Seit geraumer Zeit gibt es ein beliebtes General-Argument dafür, warum die beste aller Regierungsformen, die Demokratie, und die beste aller Wirtschaftsformen, die Marktwirtschaft, nicht so rund laufen: Schuld an allem ist die Korruption! Dieser Begriff steht inzwischen für die menschliche Schwäche, ähnlich wie die angebliche „Gier“ der Akteure der Bankenwelt, die das ansonsten so segensstiftende Finanzwesen durch ihre Maßlosigkeit gegen die Wand gefahren haben. Über die Korruption wird vor allen von Menschen geseufzt, die nicht in der Lage wären, sich so fest zu bereichern wie manche Politiker, oder solche Schmiergelder zu zahlen, wie manche Unternehmer.
Die Medien werden nicht müde, ständig als eine Art moralischer Staubsauger hinter dem ganzen Schmutz herzudüsen und aufzudecken, was sie jetzt wieder an Unregelmäßigkeiten beim Verteilen öffentlicher Gelder entdeckt haben. Mit dieser langweiligen Aufdeckerei über korrupte Politiker und Manager waschen sie in einem fort das Image der Institutionen der Politik rein, die ansonsten menschenfreundlich und effizient eingerichtet wären, wenn nur nicht dieser ganze Mißbrauch durch diejenigen Schufte da wäre, die das Maul nicht voll kriegen können.
Abgesehen von der ideologischen Leistung des Schönredens von lauter Institutionen, die so schön nicht sind, werden hier unter anderem Ursache und Wirkung vertauscht. Die Korruption ist nämlich eine Folge dessen, wie in unserer Gesellschaft Armut und Reichtum verteilt sind, und wie die Staaten dieser Welt ihre jeweiligen Klassengesellschaften verwalten.
Korruptionsschnüffler vom Dienst: Transparency International
Die nach der „Wende“ – also dem Ende des RGW, des Warschauer Paktes und der Sowjetunion – im Jahr 1993 von einem ehemaligen Mitarbeiter der Weltbank gegründete Organisation verschreibt sich dem „Kampf gegen die Korruption“. Ihre hauptsächliche Tätigkeit besteht im Anprangern derselben. Sie erstellt Korruptionsindizes und hält den jeweiligen Ländern den Spiegel der Rechtschaffenheit vor. Abgesehen von der dem Kapitalismus dienlichen Vorstellung, daß nur die Schmiergeldzahlungen die Gesellschaft schädigen, also ihrer systemstabilisierenden Leistung, haben ihre Korruptionsstudien auch praktische Auswirkungen. Wenn Transparency in einem Land besondere Korruption verortet hat, heizt das im Inneren die Parteienkonkurrenz an und dient verschiedenen internationalen Organisationen als Vorwand, in die inneren Angelegenheiten anderer Länder hineinzuregieren, oder Bedingungen für Kreditzahlungen zu verschärfen, gar Kredite zu verweigern. Die Daten von Transparency können Unternehmen schädigen, sogar ruinieren, die von den Korruptions-Jägern an den Pranger gestellt werden.
Transparency gehört heute damit zum globalisierten System, es ist als Handlanger des Imperialismus zu betrachten.
Ähnlich wie Human Rights Watch entscheiden seine Mitarbeiter nämlich sehr souverän darüber, bei welchen Ländern genauer nachgeschaut wird, oder wo sie das Korruptionsprofil nicht so genau untersuchen wollen.
Außerdem macht diese ehrenwerte Organisation auch einen großen Unterschied zwischen Staaten und Firmen, die mit ihr zusammenarbeiten, und solchen, die es nicht tun. Bei Letzteren wird die Korruption einfach unterstellt und Handgelenk mal Pi eingeschätzt, was dann mit irgendwelchen Zahlen und Fakten untermauert wird, deren Herkunft und Richtigkeit niemand überprüfen kann – und auch nicht will. Sie dienen zur Schein-Verobjektivierung der Einstufung von Transparency.
Transparency teilt damit die Welt in zwei Kategorien ein. Das eine sind Staaten und Unternehmen, die hoffnungslos korrupt sind, was man daran sieht, daß sie mit Transparency nicht zusammenarbeiten wollen. Die anderen sind auf dem Wege der Besserung, weil sie das Problem erkannt haben und daran arbeiten, es zu bekämpfen.
Diejenigen Staaten, die die Welt beherrschen oder dies zumindest anstreben, die USA und die EU, aber auch diejenigen Regierungen, die sich in dieses System einfügen wollen, haben den Wert dieser Organisation erkannt und setzen sie auch ein, um ihrem Standpunkt Gültigkeit zu verschaffen. Transparency International ist ein Werkzeug des Imperialismus, der Hierarchie der Nationen, und wird als solches von vielen Regierungen, auch von IWF und EU geschätzt, die sich gerne der Handlangerdienste dieser Organisation bedienen:
„Zu den größten Spendern im Jahr 2015 zählten regierungsseitig die Europäische Kommission (5,07 Millionen Euro), das australische Department of Foreign Affairs and Trade (2,67 Mio. Euro), das britische Department for International Development (3,5 Mio. Euro) und das niederländische Außenministerium (1,2 Mio. Euro). Größter Spender auf Stiftungsebene war die William and Flora Hewlett Foundation (0,59 Millionen Euro) und das National Endowment for Democracy (0,45 Mio. Euro). Größter privatwirtschaftlicher Spender war Siemens mit 0,62 Mio. Euro, gefolgt von Ernst & Young mit 0,23 Mio. Euro.“ (Wikipedia, Transparency International)
Transparency International faßt unter „Korruption“ sehr unterschiedliche Erscheinungen zusammen. Diese Einteilung verrät, daß es sich bei dem Oberbegriff „Korruption“ um einen Schuldspruch handelt, der sich um die Ursachen der solchermaßen behandelten Vorkommnisse überhaupt nicht kümmert. Sie werden als Verfehlung eingestuft, derer sich sehr unterschiedlich betuchte Bürger der jeweiligen Nationen schuldig machen.
Was läuft eigentlich alles unter „Korruption“?
Transparency teilt seine Tätigkeit in 5 Schwerpunkt-Themen ein:
„1. Politische Korruption
2. Korruption bei öffentlichen Ausschreibungen
3. Privatsektorkorruption
4. Internationale Konventionen gegen Korruption
5. Armut und Entwicklung“
(ebd.)
Schauen wir einmal nach, worum es hier geht.
1. Ämterkauf und Wahlfälschung
Dergleichen findet in vielen Staaten der Welt statt, denen von den imperialistischen Aufsichtsmächten Demokratie verordnet wurde, ohne daß dafür irgendwelche Grundlagen vorhanden wären, wie eine flächendeckende Kapitalakkumulation, die die Bürger dieser Länder entweder als Lohnarbeiter, oder als Unternehmer, oder als Staatsangestellte mit einem Einkommen versorgt. Von Afghanistan bis Zimbabwe sind die meisten Bewohner oft Analphabeten, können also einen Wahlzettel gar nicht lesen, oder sie haben keinen Grund, überhaupt zur Wahlurne zu schreiten. Ihnen ist es gleichgültig, wer im Land regiert – sie sind sowieso die Angeschmierten, die sich mit prekären Jobs, Hungerleiderlöhnen oder illegalen Tätigkeiten über Wasser halten müssen. Sie wissen, daß es gleichgültig ist, wer im Lande regiert – an ihrer Lage ändert das nichts.
Da sich die dort regierenden Eliten jedoch regelmäßig durch Wahlen bestätigen lassen müssen, um international als Zuständige für Land und Leute anerkannt zu werden, so wird das dortige Stimmvieh über ein Klientelsystem dazu gebracht, gegen kleine Geldbeträge oder Lebensmittelzuwendungen oder andere Vergünstigungen ihre Stimme an den Meistbietenden zu verkaufen. Wer mehr bietet, erhält den Zuschlag.
Um die Sache kostengünstiger zu gestalten, werden auch manchmal massenweise Stimmzettel von Vertrauten der jeweiligen Kandidaten ausgefüllt und dann von anderen Zuständigen eingesammelt und in den Wahllokalen abgeliefert.
Das alles ist völlig üblich und wird von Transparency und anderen, ähnlich gestrickten NGOs nur dann beanstandet, wenn ein unterlegener Kandidat seine Klientel auf die Straße schickt und es deshalb zu Unruhen kommt, oder weil ein Kandidat an die Macht kommt, der wichtigen Regierungen oder den internationalen Organisationen nicht paßt.
Es ist übrigens bemerkenswert, daß in den Medien bei den meisten Staaten immer nur die Wahlen, die Kandidaten und das Ergebnis erwähnt werden, aber keinerlei Erwähnung davon geschieht, wie diese Wahlen eigentlich ablaufen.
2. Schmiergelder bei öffentlichen Ausschreibungen
Die Staaten verfügen über ihre Budgets und ihren Staatskredit über Zahlungsfähigkeit, mit denen sie Infrastruktur verbessern und Subventionen an wichtige Unternehmen verteilen. Für Straßen- und Brückenbau, Ausbau von Häfen und Flugplätzen werden ebenso staatliche Gelder locker gemacht wie zur Stützung von Unternehmen, die als wichtig für die Nationalökonomie eingestuft werden. Das ist zunächst einmal ganz normal und dient dem internationalen Kapital, das diese infrastrukturellen Bedingungen braucht und einfordert, um an den Reichtum der betreffenden Staaten heranzukommen und mit ihm Geschäfte zu machen. Vom Standpunkt des Weltmarktes sind diese Investitionen in die Infrastruktur deshalb zweckmäßig und erwünscht.
Aber um ihre Ausführung gibt es Konkurrenz, und da ist es überhaupt nicht einleuchtend, warum der eine und nicht der andere zum Zug kommen soll. Die Firmen, die da an Aufträge und Subventionen kommen wollen, lassen dafür eben etwas springen. Entweder, um den Auftrag überhaupt zu bekommen, oder um die Konkurrenz auszustechen.
Man mache sich keine Illusionen, daß das innerhalb der EU sehr viel anders abläuft als in Indonesien, Peru oder Indien.
Diese Art von Schmiergeldzahlungen wird dann „aufgedeckt“ und beschäftigt die Justiz, wenn ein Regierungswechsel stattfindet und die neue Mannschaft der alten eins auswischen will, um fester im Sattel zu sitzen. Das Herumrühren in dieser Art von Bestechung dient dem Machtkampf der Eliten, mit denen dann über die Medien das gemeine Volk darüber informiert wird, daß die neuen Herren sich als Saubermänner präsentieren wollen – um dann genauso weiterzumachen wie die alten.