Pressespiegel EL País, 11.1.: Völkermordanklage gegen Israel

„»GAZA VOM ERDBODEN TILGEN«: DIE SÄTZE ISRAELISCHER POLITIKER, AUF DIE SÜDAFRIKA SEINEN VÖLKERMORDVORWURF STÜTZT

Israelische Minister und Abgeordnete haben Erklärungen abgegeben, in denen sie die Ermordung palästinensischer Zivilisten entmenschlichten oder direkt oder indirekt verteidigten. Sie erscheinen in der dem Gericht vorgelegten Klage als Beispiel für »Anstiftung zum Völkermord«.

In der Anhörung, die diesen Donnerstag vor dem Internationalen Gerichtshof (IStGH) der UNO in Den Haag begann, stellte der Vertreter Südafrikas Tembeka Ngcukaitobi dar, daß »die Aufstachelung zum Völkermord von der höchsten Ebene« der israelischen Regierung ausgeht, weshalb sie nicht als vereinzelte Formulierungen von »außer Kontrolle geratenen Gruppen« dargestellt werden kann.

Der Entwurf Südafrikas umfasst öffentliche Erklärungen von (israelischen) Ministern, Abgeordneten, Soldaten und sogar Künstlern seit Kriegsbeginn nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober.“

Südafrika hat bereits vor Jahren das Rom-Statut des IStGH unterzeichnet, also damit auch seine Bereitschaft erklärt, sich den Urteilen dieses Gerichtshofes zu unterwerfen.
Südafrika hat sich offenbar – als eine Art Stimme des Globalen Südens – seit Monaten auf diese Klage vorbereitet und Zitate gesammelt.

Israel hat (ebenso wie die USA, Rußland und der Sudan) ebenfalls bereits vor geraumer Zeit erklärt, daß sie nicht vorhaben, irgendwelche Papiere zu ratifizieren: Sie wollen diesen Gerichtshof nicht anerkennen.
D.h., theoretisch könnte Israel sagen: Was Südafrika und der IStGH treiben, geht uns nichts an – ebenso wie das Rußland gemacht hat.
Das hätte allerdings eine sehr schiefe Optik, selbst wenn die USA Israel den Rücken stärken würden, weshalb sich Israel doch ein Stück weit auf dieses Spiel einläßt. Man behalte allerdings im Auge, daß es jegliche Urteile als nicht bindend auffassen würde.

„Einer von ihnen stammt von Nissim Vaturi, dem Stellvertreter und Vizepräsidenten des Parlaments. Obwohl Premierminister Benjamin Netanjahu laut dem israelischen Fernsehsender 12 in den letzten Tagen die Politiker gebeten hat, »ihre Worte sorgfältig« zu wählen, um dem Publikum in Den Haag keine Munition zu liefern, bekräftigte Vaturi an diesem Mittwoch in seinen Aufrufen, »Gaza auszulöschen«, »vom Erdboden zu tilgen« und »Gaza niederbrennen«.“

Das ist eigentlich schon geschehen, viel gibt es da nicht mehr zu tun …

„»Es ist besser, Gebäude in Brand zu setzen, als [israelische] Soldaten in Gefahr zu bringen.« »Es gibt dort keine Unschuldigen«, sagte er in einem Radiointerview, bevor er die »Eliminierung« der 100.000 Palästinenser forderte, die seiner Schätzung nach im Norden des Gazastreifens verblieben sind. »Ich habe keine Gnade für diejenigen, die noch da sind«, fügte Vaturi hinzu, der dem Likud angehört, der rechten Partei unter Netanjahu.
Auch der Finanzminister, der Ultranationalist Bezalel Smotrich, hielt sich dieser Tage nicht zurück. Letzten Sonntag versicherte er, daß es in Gaza zwei Millionen »Nazis« gebe – praktisch die gesamte Bevölkerung.
Der Premierminister selbst taucht in der Klage Südafrikas auf, weil er in mehr als einer Rede Amalek erwähnt hat, die feindliche Nation der Israeliten in der Bibel, deren Vernichtung Gott König Saul verlangte: »Sie müssen sich daran erinnern, was Amalek Ihnen angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns daran.« Es handelt sich um eine Referenz, die bisher vom radikalsten religiösen Nationalismus verwendet wurde. Auch Verteidigungsminister Yoav Gallant erscheint: »Wir stehen menschlichen Tieren gegenüber und handeln entsprechend.«

Nach Angaben des nationalen Fernsehsenders 12 wird das Team aus Israels Vertreter bei der Anhörung und seinem renommiertesten Richter, Aharon Barak, die Phrasen in ihrer Präsentation an diesem Freitag herunterspielen. Ein Teil, weil sie von Leuten geäußert wurden, die keine relevanten Positionen innehatten. Der Rest ist so zu verstehen, daß sie falsch interpretiert wurden.“

Na, da kann man ja neugierig sein, wie das gelingt …

„Kurz nach dem 7. Oktober meinte der Präsident des Landes, Jitzchak Herzog, ursprünglich von der Arbeiterpartei, daß »eine ganze Nation«“

– so, so, die Palästinenser sind also eine „Nation“, sogar für israelische Politiker, aber einen eigenen Staat dürfen sie nicht haben …

„in Gaza »verantwortlich« dafür ist, daß sie nicht gegen die Hamas rebelliert hat, die das Land seit 2007 mit eiserner Faust regiert.
Der Minister für kulturelles Erbe, Amihai Elijahu, erwog den Abwurf einer Atombombe auf dem Gazastreifen als Option. Netanjahu rügte ihn und schloss ihn von den Sitzungen des Ministerrats aus, behielt ihn aber im Amt.“

Der Abwurf einer Atombombe auf Gaza würde vermutlich das israelische kulturelle Erbe stark in Mitleidenschaft ziehen, daher diese Rüge.
Und nicht nur das Erbe, auch das Lebendmaterial …

„»Es gibt keine Unschuldigen«

Mehrere Abgeordnete unterschiedlicher politischer Couleur haben öffentlich erklärt, daß es in Gaza »keine Unschuldigen oder … Unbeteiligten« (Zivilisten) gäbe, darunter Avigdor Lieberman, ehemaliger Verteidigungs- und Außenminister.
Er ist in der Opposition, ebenso wie Merav Ben-Ari, der Abgeordnete von Jair Lapids Partei Jesch Atid, der im Parlament sagte, daß »die Kinder von Gaza es sich selbst zuzuschreiben haben«.“

Was immer auch damit gemeint sein mag, die Botschaft ist klar: Bis hin zum Neugeborenen sind das alles Terroristen. Und gegen die ist alles erlaubt.

„Tally Gotlib von der Likud-Partei forderte »gnadenlose Bombenangriffe aus der Luft«, um die Soldaten nicht zu gefährden und »kein Mitleid mit den unbeteiligten Bewohnern des Gazastreifens zu haben«, weil »es keine gibt«.
Ihre Parteikollegin Galit Distel-Atbaryan, ehemalige Ministerin für öffentliche Diplomatie, forderte angesichts des Ausmaßes des Hamas-Angriffs ein »rachsüchtiges und grausames« Verhalten der Armee. »Es gibt nur eine Lösung, um Krebs zu heilen: alle Krebszellen zu eliminieren«, sagte UN-Botschafter Gilad Erdan.
Netanjahu veröffentlichte am Donnerstag eine Erklärung, in der er betonte, daß »Israel Terroristen bekämpft und Lügen bekämpft«, in »einer auf dem Kopf stehenden Welt«, in der »Israel des Völkermords beschuldigt wird, obwohl es Völkermord bekämpft«.

Es spiegelt wider, wie die Mehrheit des Landes die Verteidigung gegen ein Verbrechen erlebt, dessen Begriff während des Holocaust genau von einem jüdischen Juristen, dem Polen Raphael Lemkin, geprägt wurde.

Das Außenministerium bezeichnete die Anhörung als »eine der größten Heucheleien der Geschichte, bestehend aus einer Reihe falscher und unbegründeter Anschuldigungen« und nannte Südafrika »den legalen Arm der Terrororganisation Hamas«. Israel verteidigt, daß keiner der zivilen Todesfälle, die es in Gaza verursache, absichtlich geschähen, sondern vielmehr als das Ergebnis der »Nutzung der Bevölkerung als menschlicher Schutzschild« durch die Hamas zu betrachten seien. Ebenso wird darauf hingewiesen, daß sie im Kontext eines Konflikts auftreten.“

Kollateralschäden eben.

„Um das Verbrechen des Völkermords zu beweisen, muss die Absicht nachgewiesen werden, »eine nationale, ethnische oder rassische Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören«.

Politiker, Kommentatoren und die Bevölkerung [in Israel] sind sich darin einig, die Anklage als Affront und Ausdruck von Doppelmoral anzusehen.
Um so mehr, als in der Anklage die Ereignisse (23.000 Tote, hauptsächlich Minderjährige und Frauen, bei beispiellosen Bombenanschlägen in Jahrzehnten, die einen Großteil des Gazastreifens in Schutt und Asche gelegt haben) analysiert werden, die sich seit dem Hamas-Angriff ereignet haben, der in Israel normalerweise als eine Art Holocaust dargestellt wird.“

Da Israel selber die Angriffe der HAMAS als Genozid bewertet, können seine Angriffe auf die Palästinenser in Gaza (und dem Westjordanland!) ja unmöglich ein Genozid sein, so die Logik.
Es ist eine eigenartige Sichtweise, eine Art Allmachtsphantasie, nach der die eigene Interpretation für die ganze Welt zu gelten habe:

„Hamas-Mitglieder werden“ (von israelischen Medien und Politikern) „oft als »Nazis« oder »schlimmer als Nazis« beschrieben und der Angriff – mit 1.200 Toten, größtenteils Zivilisten – als »das größte Massaker an Juden an einem einzigen Tag« seit der Vernichtung durch die Nazis.“

Damit wird festgestellt, daß Mord an Israelis als verabscheuungswürdiger Terror einzustufen ist, die Ermordung von Arabern (im Verlaufe eines Konfliktes) jedoch als gerechte Selbstverteidigung.

Zwei unterschiedliche moralisch-rechtliche Auffassung der gleichen Ereignisse stehen sich hier also gegenüber.

Pressespiegel El País, 4.1.: Der israelische staatlich abgesegnete Terrorismus

„SELEKTIVE ATTENTATE UND REGIONALE ESKALATION

Israel hat in der Vergangenheit mehrere HAMAS-Führer eliminiert, doch der palästinensische Widerstand nutzt seine Märtyrer für den inneren Zusammenhalt

Israel hat Saleh al Aruri, den militärischen Führer der Hamas und Nummer zwei in der Organisation, in Beirut ermordet.

Das Verfahren ist nicht neu.

Israel hat eine lange Geschichte gezielter Attentate auf HAMAS-Führer und davor auf Führungspersönlichkeiten aller Art der PLO, von Mitgliedern der Marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas bis zur sozialdemokratischen Fatah.

Der palästinensische Widerstand wurde dadurch nie geschwächt, im Gegenteil: Die Märtyrer stellen ein wesentliches Element für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft dar, die über fast alles uneins ist, ihre Gefallenen aber wahllos verehrt.

Auch die israelische Verletzung des Territoriums eines anderen Staates ist nichts Neues: Der Libanon, Tunesien, Syrien, das UK und kürzlich auch Katar, Iran, die Türkei und Jordanien waren Schauplatz von »Sonderoperationen« der israelischen Sicherheitskräfte, die unterschiedliche Namen haben: Mossad, Schin Bet, Shabak, Aman … Israel variiert die Bezeichnungen nach Bedarf.

Was wir also nach der Ermordung von Saleh al Aruri – zusammen mit zwei anderen HAMAS-Kämpfern – erleben werden, ist eine stärkere Hamasisierung sowohl der palästinensischen Gesellschaft als auch der regionalen Konfrontation. Machen wir sich nichts vor: Netanyahu wusste das, als er den Befehl gab.

Die Planungen liefen schon seit Wochen, seit mit der Evakuierung der Städte nahe der Grenze zum Libanon, etwa 60.000 Menschen, begonnen wurde. Auch der jüngste Rückzug einer Elitebrigade aus Gaza kündigt Vorbereitungen für eine Eskalation mit der Hisbollah an.“

Die Verfasserin des Artikels ist also überzeugt, daß dies eine gezielte Provokation war, um eine weitere Front zu eröffnen und die Hisbollah zu einem Angriff zu veranlassen.

„Auf den Kopf von Al Aruri war lange Zeit ein Preis ausgesetzt: 2018 setzte das Außenministerium eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für jeden aus, der Hinweise gab, die zu seinem Aufenthaltsort führten. Gleichzeitig war Al Aruri jedoch ein entscheidender Vermittler bei geheimen Gesprächen, dem Austausch von Gefangenen und dem Bau von Brücken für die sich überschneidenden Interessen Israels, der USA, des Iran, Syriens, der Türkei und des Libanon.

Wenn die israelische Regierung gerade jetzt die Entscheidung getroffen hat, ihm ein Ende zu setzen, liegt dies zweifellos in Netanyahus Interesse.

Der Mord an Al Aruri ist unter anderem eine Provokation gegenüber der Hisbollah, die kaum unbeantwortet bleiben wird. Und zwar angesichts der Tatsache, daß die Hisbollah in diesen drei Monaten der Zerstörung des Gazastreifens eine Eindämmungspolitik praktiziert hat, die fast als staatlich betrachtet werden könnte, wenn es so etwas wie eine Staatlichkeit im Libanon gäbe.“

Damit spricht die Autorin aus, daß die Hisbollah inzwischen den Staat Libanon repräsentiert – alle anderen Gruppierungen und Volksgruppen sind macht- und einflußlos.

„Ihr Anführer Hasan Nasrallah hat das letzte Wort.

Auch das Massaker an hundert Menschen im iranischen Kerman als Hommage an den iranischen General Qasem Soleimani, der 2020 in Bagdad von US-Drohnen ermordet wurde, wird Einfluß haben.“

Damit deutet die Verfasserin an, daß sie Israel für den Autor dieses Massakers hält.

„Netanyahu weiß, dass er keine Zukunft hat, wenn der Krieg endet, und flieht weiter“

– in den totalen Krieg, wie es aussieht. –

„Bezüglich der Ermordung von Al Aruri hat der Premierminister seinem Volk, der Zivilbevölkerung und dem Militär Schweigen auferlegt. Das Gegenteil wäre die Anerkennung einer außergerichtlichen Hinrichtung, die durch die Erste Genfer Konvention verboten ist. Und das würde die internationale Diskreditierung Israels verstärken, die nach der Völkermordklage, die Südafrika beim Internationalen Gerichtshof eingereicht hat, zunehmend alarmierend wird.

Das gibt Anlass zur Sorge in Israel, das angekündigt hat, daß es sich verteidigen würde, – eine ungewöhnliche Geste im Umgang mit internationalen Organisationen.“

Zu dieser Völkermord-Anklage:

„Südafrika wirft Israel Völkermord vor

Südafrika hat den Internationalen Gerichtshof aufgefordert, Israels Vorgehen gegen die Hamas als Völkermord einzustufen. Zudem solle Israel seine Angriffe beenden. Israel wies die Anschuldigungen scharf zurück.

Südafrika hat Israel vor dem höchsten Gericht der UNO Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen vorgeworfen. In der eingereichten Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag wird zudem verlangt, dass Israel zur Einstellung seiner Angriffe in Gaza aufgefordert wird, teilte der IGH mit. (…)“

(Tagesschau, 30.12. 2023)

Pressespiegel El País, 29.12.: Die Waffenindustrie der Ukraine

„DIE UKRAINE STEIGERT DIE PRODUKTION EIGENER WAFFEN IN GEHEIMEN FABRIKEN

Kiew will seine Militärindustrie ankurbeln, auf die Gefahr hin, daß die Waffenvorräte seiner Verbündeten zur Neige gehen

Der Lieferwagen holt den Journalisten auf einem Parkplatz in einer Stadt in der Zentralukraine ab. Die Fenster des Fahrzeugs sind mit dunklen Stoffen verhängt, sodaß die Fahrgäste die von dem Fahrzeug eingeschlagene Route nicht erkennen können. Auch Handys müssen ausgeschaltet werden. Der Lieferwagen erreicht sein Ziel auf verschlungenen Wegen: eine Fabrik der Metinvest-Unternehmensgruppe, der größten der Ukraine.
In einem der dortigen Lagerhäuser werden Antiminenwalzen für Panzer montiert.“

D.h., sie werden nur zusammengebaut. Die einzelnen Komponenten müssen von woanders kommen.

„Sie stellen ein sehr wichtiges Element dar, um den Weg durch die russischen Verteidigungslinien zu öffnen. Sie sind eine grundlegende Technologie für die ukrainische Armee und ein Beispiel für die Bemühungen des ukrainischen Privatsektors, seine Militärindustrie anzukurbeln und nicht mehr von internationaler Hilfe abhängig zu sein.“

Autarkie in der Waffenproduktion? Da will die Ukraine offenbar zu Rußland aufschließen, trotz weitaus schlechterer Voraussetzungen bezüglich Territorium und Ressourcen …

„Der größte Aktionär von Metinvest ist Rinat Achmetov.

Man kann schon sagen, der Besitzer …

„In Europa ist er vor allem als Besitzer des Fußballvereins Schachtar/Schachtjor Donezk bekannt, der regelmäßig an der Champions League teilnimmt. In der Ukraine ist er der reichste Mann des Landes.
Achmetow stammt aus Donezk, der Hauptstadt der Donbass-Region. Metinvest ist ein vom Krieg betroffener Stahlgigant: Das Unternehmen hat das Azovstal-Stahlwerk, das größte des Landes, in Mariupol verloren. Auch der Betrieb seiner Kokerei, der größten in Europa, ist schon seit geraumer Zeit eingestellt: Der aus Kohle gewonnene Brennstoff für Hochöfen wurde in Avdejevka hergestellt, das derzeit von russischen Streitkräften belagert wird.

Achmetov, sein Industriekonzern und auch sein Fußballverein verließen Donezk, als die prorussischen Separatisten 2014 die Kontrolle über die Stadt übernahmen. Er blieb auf der Seite der Ukraine, im Gegensatz zu anderen Donbass-Oligarchen, die im Jahrzehnt der neunziger Jahre mit der Privatisierung der Vermögenswerte der kürzlich aufgelösten Sowjetunion den Grundstein für ihr Vermögen legten.“

Die Privatisierung der sowjetischen Industriebetriebe begünstigte vor allem Achmetov selbst. Die anderen waren kleinere Kaliber und in den Donbass-Republiken auch nicht wohlgelitten.
Man kann sagen, daß die Oligarchen im pro-russischen Teil des Donbass’ nach 2014 Geschichte waren.

„Mit der russischen Invasion im Februar 2022 wurde Achmetovs Einfluss durch neue, von Präsident Wolodimir Zelenskij unterzeichnete Gesetze in Frage gestellt, die von der EU gefordert wurden, um die politische Macht der Oligarchen zu reduzieren.“

Wohlgemerkt, „in Frage gestellt“ – nicht eingeschränkt. Die Anti-Oligarchen-Maßnahmen trafen eher seinen großen Rivalen Kolomojskij, den früheren Gönner und späteren Gegner Zelenskijs, und stärkten daher Achmetovs Stellung.

„Doch sein Engagement für die Verteidigung der Ukraine blieb bestehen und Metinvest engagiert sich zum ersten Mal in der Verteidigungsindustrie.“

Achmetov, der seine Macht früher auf die pro-russischen Segmente der ukrainischen Eliten aufbaute, hat im Zuge des Maidan sehr gründlich die Seiten gewechselt.

„Er tut dies zu einer Zeit, in der es die Präsidentschaft für eine Frage von Leben und Tod hält, eine nationale Militärindustrie aufzubauen.“

Sehr eigenartig formuliert. Mit „der Präsidentschaft“ ist offensichtlich Zelenskij und seine Clique gemeint, und das mit Leben und Tod kann sich auch auf diese Personen beziehen. Es besteht offenbar eine begründete Befürchtung, daß sie einen russischen Sieg nicht nur politisch, sondern auch persönlich nicht überleben würden.

„»Wenn wir uns nicht helfen, wird es niemand anderer tun«, sagt Igor – seinen Nachnamen möchte er nicht nennen –, als Vertreter des Metinvest-Projekts zur Herstellung der Antiminenwalzen. Sie produzieren durchschnittlich fünf bis sechs pro Monat. Mehr ist angesichts der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und vor allem Anlagen nicht drin, die sie vor periodischen feindlichen Bombenangriffen auf die Industrieinfrastruktur schützen.“

Das klingt nicht gerade nach einem Durchbruch bei der Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte …

„»Viele Metinvest-Mitarbeiter sind in der Armee und es mangelt uns an Fabriken«, bestätigt Igor.
Der Verlust der Kokerei in Avdejevka stelle ebenso wie die Schließung mehrerer Kohlebergwerke im Donbass eine große Behinderung dar, betont dieser Firmenvertreter.“

Die ukrainische Rüstungsindustrie, sofern dieser Begriff überhaupt auf dergleichen Betriebe anwendbar ist, leidet also in erster Linie unter Energiemangel.
Man muß sich hier in Erinnerung rufen, daß die Ukraine zu sowjetischen Zeiten ein Zentrum der Rüstungsindustrie war, wovon bis zum Majdan und sogar noch nachher fast alles abgebaut worden war – was jetzt durch solche Untergrund-Manufakturen ersetzt werden soll.
Die ukrainischen Rüstungsbetriebe produzierten nämlich für den russischen Markt bzw. waren nur mit ihm kompatibel.

„Die Ukraine war eines der reichsten Länder der Welt bezüglich dieses Minerals, aber der Krieg hat diese Ressource reduziert.“

Die „Ressource“ wurde nicht reduziert, – die Kohle ist ja nach wie vor da –, nur ihr Abbau hat unter den Kriegshandlungen gelitten, da die meisten Bergwerke geschlossen oder zerstört sind.

„Die Preise sind in die Höhe geschossen. Das Ergebnis ist, daß eine Tonne Kohle vor dem Krieg 300 Dollar gekostet hat. Heute muß man laut Igor 550 Dollar dafür hinlegen.“

Fast das Doppelte.
Diese Preisveränderung gilt übrigens nicht nur für die Ukraine, sodaß hier auch Aussagen über die Rüstungsindustrie in der ganzen EU getroffen werden.

„Die Antiminenwalzen von Metinvest wurden erstmals letzten Sommer eingesetzt, während der Gegenoffensive an der Zaporozhje-Front. Die russischen Verteidigungsanlagen in diesem Teil der Kampflinie und auch in der Provinz Donezk werden durch die am dichtesten verminten Felder geschützt, an die sich Militäranalysten in einem Krieg erinnern können.“

Dagegen schauen die 6 Walzen pro Monat, die der Betrieb ausspuckt, irgendwie alt aus …

„Im vergangenen September schätzten Mitglieder der Spezialeinheitengruppe Tor gegenüber EL PAÍS, daß es an dieser Front auf jeden Quadratmeter fünf Minen geben könnte, sowohl Antipersonen- als auch Panzerabwehrminen.

Andrij ist Oberst, Kommandeur einer Nationalgarde-Brigade, die im Osten des Landes kämpft und Metinvest-Walzen verwendet.
Sie sind Adaptionen sowjetischer Ausrüstung, wurden jedoch so entwickelt, daß sie durch die Explosion von bis zu acht Minen funktionieren, im Vergleich zu den fünf, die dieselben Walzen aus sowjetischer Produktion zerstören können, bevor sie ersetzt werden müssen.
Andrij fügt hinzu, daß diese Walze die erste in der Ukraine sei, die an jedem Panzermodell angebracht werden könne.“

Eine universell einsetzbare Antiminenwalze, die neue Wunderwaffe?
Irgendwie entsteht der Eindruck, daß Achmetov sich schon darauf einstellt, in einer Nachkriegs-Ordnung wieder die Seiten zu wechseln und zu sagen: Ich habe doch ohnehin nur Defensiv-Waffen herstellen lassen und niemand ist durch meine Produkte zu Tode gekommen!

„Eine geheime unterirdische Basis

Das Treffen mit Andrij findet in einer geheimen, unter der Erde gegrabenen Basis statt. Aus Sicherheitsgründen wird verlangt, daß die Provinz nicht erwähnt werden darf, in welcher sie sich befindet. Sie ermöglichen es dem Journalisten auch nicht, die Funktionsweise der Walzen zu sehen.
Je mehr Kriegsmonate vergehen, desto größer werden die Geheimhaltung und Informationsbeschränkungen durch die ukrainischen Streitkräfte.“

Begreiflich.
Denn die russische Armee hat es sich zum Ziel gesetzt, die Waffen-, vor allem die Drohnenproduktion in der Ukraine durch gezielte Militärschläge auszuschalten.

„Wenn es um die Produktion von Waffen geht, ist die Geheimhaltung noch größer. Der Kommandant bestätigt, daß Metinvest sie auch mit kugelsicheren Westen, Helmen und tragbaren Bunkern“ (???) „beliefert. Am häufigsten werden jedoch im Inland entwickelte Bomben- und Aufklärungsdrohnen eingesetzt.“

Hier bleibt die Formulierung vage, ob Metinvest sich auch daran beteiligt?
Es kann allerdings auch sein, daß dieses zentrale Element der ukrainischen Kriegsführung den Mitarbeitern dieser Firma nicht anvertraut wird, da der ukrainische Geheimdienst – mit guten Gründen – dort undichte Stellen vermutet.

„»Ich weiß nicht, wie lange der Krieg dauern wird«, sagt Andrij, »aber wir haben eine 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland, wir werden immer in Gefahr sein und wir brauchen unsere Waffenproduktion.«
Signale der NATO-Verbündeten der Ukraine deuten darauf hin, daß es schwieriger sein wird, Hilfe zu erhalten. Die Republikanische Partei blockiert im Kongress und Senat der USA die Zuweisung von 61.000 Millionen Dollar (55.056 Millionen Dollar), die das Weiße Haus im Jahr 2024 für die Ukraine bereitstellen will. Auch in der EU wurde ein Unterstützungsbudget von 50 Milliarden Euro von der moskaunahen ungarischen Regierung blockiert.“

Diese Blockierer werden – nicht nur von El País, sondern auch von anderen Medien – als das einzige Hindernis dargestellt, um die Ukraine zu unterstützen.
Daß es sowohl in den USA als auch in der EU einen Haufen Politiker gibt, die nicht weiter Geld in das schwarze Loch Ukraine hineinleeren wollen, da es klar ist, daß der Krieg verloren ist, wird hier absichtsvoll verdreht – ebenso wie die Tatsache, daß die Waffenlager der westlichen Verbündeten ziemlich leer sind und sich auch in absehbarer Zeit nicht wieder füllen werden.
Dessenungeachtet wird so getan, als scheitere die Unterstützung der Ukraine nur an einzelnen Bösewichten.

„Zwischen Sommer und Herbst waren die Militärlieferungen der westlichen Partner der Ukraine die kleinsten des Krieges, 90% weniger als 2022, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft in seinem neuesten Bericht bestätigt.
In diesem Zusammenhang besteht Zelenskijs vorrangiges Ziel darin, die nationale Militärindustrie zu stärken und vor allem die wichtigsten westlichen Rüstungsunternehmen dazu zu bewegen, Produktionszentren in der Ukraine zu errichten.

Im vergangenen September berief der Präsident 250 Vertreter von Militärunternehmen zu einer Konferenz nach Kiew, um einen Plan bekannt zu geben, mit dem er das Land zum größten Waffenproduzenten des Westens machen will. Fast 40 dieser Unternehmen verpflichteten sich, Investitionen in Produktionszentren in dem von Russland überfallenen Land zu prüfen.“

„Verpflichten sich … zu prüfen“.
Das ist etwas anderes als eine Absichtserklärung und verpflichtet zu nichts.

„Die wichtigste Nachricht in dieser Hinsicht kam im Dezember dieses Jahres, als das deutsche Unternehmen Rheinmetall ankündigte, daß es im Jahr 2024 mit einem lokalen Partner mit der Produktion von Schützenpanzerfahrzeugen des Typs Fuchs und Lynx auf ukrainischem Boden beginnen werde.
Zuvor hatte bereits die britische BAE ihr Engagement in die gleiche Richtung gezeigt.“

Diesen „Engagements“ ist nach Zeitplan und Wortwahl zu entnehmen, daß die Begeisterung von Seiten der betroffenen Unternehmen endenwollend ist.

NATO-Haubitzenmunition

Die Ukraine produziert bereits Munition im Kaliber 155 Millimeter, die grundlegendsten Projektile für Nato-Haubitzen,“

– wobei Haubitzen nicht die einzigen Artillerie-Rohre sind und es auch dort Unterschiede bei den Geschossen gleichen Kalibers zu geben scheint, denen sich die Produzenten anpassen müssen.
Außerdem sagt der Umstand, daß ukrainische Fabriken/Werkstätten solche Geschosse produzieren, nichts darüber aus, in welcher Menge es ihnen gelingt. Der Bedarf an der Front ist nämlich gewaltig –

– „und hat eine neue Langstreckenrakete entwickelt, eine Weiterentwicklung der Neptun-Marineraketen, aber die hergestellten Einheiten sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums minimal. Ein großer Erfolg der ukrainischen Industrie im Krieg ist die monatliche Produktion von sechs Bogdana-Haubitzen in Charkiw, von denen es im Jahr 2021 nur einen Prototypen gab.“

6 Stück pro Monat scheint der Rythmus vieler dieser Produktionsstätten zu sein …

„Am autarksten hat sich die Ukraine bei der Entwicklung und Produktion von Drohnen, Luft- und Seedrohnen erwiesen. Auch europäische Hersteller wie die deutsche Quantuum haben sich für die Produktion dieser Fahrzeuge in der Ukraine registriert und nutzen dabei die ihnen gewährten Steuervorteile und vor allem die Erfahrung des Landes beim Einsatz dieser Flugzeuge im Kampfeinsatz.
Das Hauptproblem besteht darin, daß jede industrielle Infrastruktur ein Ziel russischer Beschuss sein kann, insbesondere solche, die strategisches Material für die Verteidigung der Ukraine produzieren.

Dem Vertreter von Metinvest, Igor, ist nicht bekannt, daß unterirdische Fabriken gebaut werden. Seiner Erfahrung nach ist der beste Schutz ein gutes Flugabwehrsystem. Doch je näher an russischen Stellungen, desto geringer ist der Reaktionsspielraum einer Flugabwehrbatterie, insbesondere gegen ballistische Raketen und Marschflugkörper. Auch weit vom Feind entfernt lauern Gefahren: EL PAÍS konnte 2022 feststellen, wie zwei russische Marschflugkörper ihr Ziel trafen, eine Rüstungs-Reparaturanlage in Lemberg in der Westukraine, Hunderte Kilometer von der Front entfernt.

Das Carnegie Endowment for International Peace, ein amerikanisches Zentrum für Politik- und Verteidigungsstudien, veröffentlichte am 4. Dezember einen pessimistischen Bericht über das Potenzial der ukrainischen Militärindustrie.
Die Autorin des Dokuments ist Katerina Bondar, ehemalige Beraterin des Verteidigungs- und Finanzministeriums der Ukraine. Ihre Schlußfolgerungen waren in allen Bereichen düster, das erste war die Sicherheit: »Es gibt keine magische Lösung, um Risiken zu reduzieren. Beispielsweise würde eine Verlagerung der Produktion in den Untergrund die Kosten stark erhöhen und die Arbeitsbedingungen verschlechtern.“

Man fühlt sich an die V1- und V2-Produktion im nationalsozialistischen Deutschland erinnert …

„Flugzeugabwehrsysteme hingegen sind erstens rar und können zudem keinen vollständigen Schutz garantieren.«

Für Bondar sind die Bemühungen von Unternehmen wie Metinvest oder Tausenden kleiner Privatinitiativen eine zeitaufwendige Lösungsaufgabe: »Große Investitionen in neue physische Infrastruktur sind unwahrscheinlich, solange die Gefahr eines russischen Angriffs besteht.«
Korruption, unprofessionelles Management, ineffiziente Unternehmen und technologische Defizite sind nur einige der Herausforderungen, denen sich Kiew stellen muss, bevor die Ukraine Waffensysteme und Munition in einem Umfang produzieren kann, der für ihren enormen militärischen Bedarf erforderlich ist.“

Der Krieg ist einerseits der Ausgangs-, andererseits auch der Endpunkt aller Bemühungen, sich in Sachen Rüstung auch produktionsmäßig in das westliche Bündnis einzureihen.