EINMARSCH TÜRKISCHER TRUPPEN IN ROJAVA
Jetzt hat also Trump den schon bald nach seiner Wahl angekündigten Truppenrückzug aus Syrien wahrgemacht und von überall hagelt es Kritik. Die USA werden auf einmal zu einer Schutzmacht, Freund der Witwen und der Waisen. Sie seien eigentlich zu guten Taten berufen, und dann verraten sie doch einfach ihre Bündnisgenossen!
Man kann dem ganzen Gezeter quer durch die bürgerliche und linke Presse entnehmen, daß sie doch gerne glauben würden, bei den Kriegen im Nahen Osten ginge es den USA – und der EU! – „eigentlich“ darum, dort Frieden und Wohlstand zu verbreiten, obwohl alle Taten der westlichen Großmächte genau das Gegenteil beweisen. Die Kritik an den USA lebt also davon, ihr bitterlich weinend die eigenen Ideale nachzutragen.
1. Wie kam es zur Allianz zwischen den syrischen Kurden und den USA?
Als in Syrien der Aufstand losging – es geht um das Jahr 2012, noch vor dem Auftreten des IS im Jahr 2014 – trafen die syrische Regierung und Armee einerseits und die Vertreter der syrischen Kurden andererseits ein Übereinkommen: Letztere würden bis auf Weiteres die Verteidigung ihres Gebietes übernehmen, die syrische Armee zog sich aus dem Nordosten zurück. Die Truppen konnten in Gegenden verlegt werden, wo sie dringend zur Niederschlagung der Rebellion benötigt wurde.
Das nahmen die Dschihadisten aller Art und vor allem der IS den Kurden sehr übel, sie verwandelten sich in ihr vorrangiges Ziel, oder wurden zumindest mit der gleichen Härte bekämpft wie die syrische Armee. Man erinnere sich, wie Kobane 2014 vom IS praktisch dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Die USA und die ganze zivilisierte Welt entdeckte den IS erst als Feind nach der Enthauptung von James Foley. Vorher galt alles Bemühen der Beseitigung von Bashar El-Assad und seinem „Regime“, seine Gegner waren „Oppositionelle“, „Rebellen“, „Aufständische“, „Kämpfer“ – also unsere Leute, die Guten, gegen den „Schlächter“ Assad.
Den Kurden, die eine Selbstverwaltung und ein Milizheer aufgestellt hatten, nahmen die Hilfe der USA gerne an, genauso wie diejenige freiwilliger Kämpfer aus ganz Europa. Sie konnten jede Unterstützung brauchen, gegen den IS, der über sehr viel Geld verfügte und modernst ausgerüstet war, durch Verpflichtung aufs Jenseits auch sehr einsatzfreudig – ganz zu schweigen von der 1A-Propagandaabteilung dieser Halsabschneider.
Die USA hingegen betrachteten Rojava als ihren Brückenkopf in Syrien, richteten Stützpunkte und Landebahnen ein, kurz: Sie führten sich genauso auf wie überall auf der Welt, kamen als Besatzer und fragten nicht lang.
Der Türkei war das aus mehreren Gründen nicht recht. Sie wäre gerne nach Syrien expandiert und wollte keinen Kurdenstaat an ihrer Grenze, der eingenstaatliche Begehrlichkeiten bei den Verwandten in der Türkei geweckt hätte.
Die kurdischen Milizen, Politiker und Dorfbewohner richteten ihre Selbstverwaltung ein und bekämpften den IS, so gut sie konnten, natürlich auch mit US-Unterstützung.
2. Das Eingreifen Rußlands
Als Rußland 2015 in den syrischen Krieg eingriff, um seinen Einfluß im Nahen Osten zu stärken und den Fall ihres Verbündeten Assad zu verhindern, fanden sie die kurdisch-amerikanische Allianz als Faktum vor. Große Teile Syriens waren besetzt, der Einflußbereich der syrischen Regierung und Armee beschränkte sich auf Damaskus und Teile Westsyriens.
Die Ansicht Rußlands war von Anfang an, daß der Krieg beendet werden muß und Syrien in den Grenzen von 2011 wieder herzustellen ist. Das ist das erklärte Ziel der russischen und auch der syrischen Regierung. Auch die anderen Verbündeten der syrischen Regierung, der Iran und die Hisbollah, sehen das so.
3. Die Pläne der USA und Rojava
Dagegen hätten die USA Syrien gerne aufgeteilt unter ihre Verbündeten Israel, Türkei (und IS?), und einen Mini-Staat, so in der Art des Libanon übrig gelassen, mit einem Dschihadisten an der Spitze, am besten gleich von Saudi Arabien eingeflogen.
Es war also den USA völlig recht, als die lokalen Politiker Nordostsyriens 2016 eine autonome Föderation Nordsyrien ausriefen. Natürlich unterstützten die USA diesen Schritt nicht offen, um die Türkei nicht zu verärgern.
Aber nur verblendete Idioten konnten annehmen, daß die USA jetzt eine Schutzmacht der Kurden seien und einen kurdischen Staat in der Region unterstützen würden.
Nein, den USA ging es darum, Assads Regierung zu schwächen und Rojava dem syrischen Territorium zu entziehen.
4. Die Kurden selbst
sind, wie jede Nationalität, ein Stück weit Fiktion.
Die syrischen Kurden und die Kurden der Türkei verbinden zunächst familiäre Bande. Viele der syrischen Kurden sind Nachfahren von kurdischen Flüchtlingen, die vor den Kurdenverfolgungen unter Atatürk, die ihren Höhepunkt im Aufstand von Dersim fanden, nach Syrien flüchteten. Politisch sind sie egalitär-kommunistisch ausgerichtet, respektieren Frauenrechte und sehen Öcalan und seine Philosphie, begründet u.a. auf der Frankfurter Schule, Bookchin und Fanon, als einen Leitfaden des Handelns an.
Die irakischen Kurden hingegen, deren Einfluß auch in den Iran reicht, leben in feudalen Strukturen, die der im irakischen Kurdistan ziemlich allmächtige Barzani-Clan ihnen verordnet. Deren Rivalen, die Familie Talabani, versuchen die Bevölkerung für eine Art modernes Staatsbürgertum zu gewinnen, haben aber bedeutend weniger Einfluß.
Mit dem Konzept der PKK können aber die eher westorientierten Talabanis auch nicht viel anfangen.
Es ist also klar, daß zwischen diesen 3 Fraktionen höchstens punktuelle militärische Bündnisse zustandekommen können, wie bei der Evakuierung und Rückeroberung Sinjars, aber niemals eine politische Einigkeit, geschweige denn eine gemeinsame Staatsgewalt.
5. Die USA und Kurdistan
Diese Gegensätze ausnutzend, setzten sich die USA von 2014 an immer mehr im irakischen Kurdistan fest. Mit den Barzanis war man sich schnell einig – die machten ihre Geschäfte und ihren Schmuggel, die USA bauten ihre Basen auf und erweiterten sie. Das irakische Kurdistan steht ihnen für Landungen, Unterbringung von Soldaten, Vorräten usw. zur Verfügung, und stellt eine Interventionsmöglichkeit in der ganzen Gegend zur Verfügung.
Die USA brauchen das syrische Kurdistan als Stützpunkt nicht mehr.
Deshalb wurde 2018 Afrin der Türkei überlassen und jetzt das östliche Rojava.
Es ist den USA sogar recht, wenn die Türkei einmarschiert. Täte sie das nicht, so würden sich womöglich die kurdischen Gebiete wieder Assad an den Hals werfen und in den Schoß Syriens zurückkehren, und das wollen USA und EU beide nicht.
6. Die jammernde Öffentlichkeit
So steht die Lage derzeit, und jetzt gibt es in Politik und Medien ein Wehgeschrei, wie denn das möglich ist?! Die USA, wie können sie nur?! Die armen Kurden! Sie werden Erdogan mehr oder weniger zum Fraß vorgeworfen.
Aber diese Kurden- und Amerikafreunde trösten sich: Es ist ja nur Trump, der so verrückt ist, nie und nimmer kann da eine politische Berechnung dahinter sein.
Und so sind die eigentlichen Schuldigen schnell gefunden, wie es Telepolis exemplarisch vorführt: In Wirklichkeit sind es ja die Russen, die mit der Türkei packeln und ihr syrisches Gebiet überlassen. Und natürlich Assad, der ja alle Minderheiten unterdrückt und den Kurden heimzahlt, daß sie sich mit den USA eingelassen haben.
Die syrische Armee, die Hisbollah, die iranischen Truppen, Rußland, die seit Jahren mühsam Schritt für Schritt syrisches Territorium von diversen Dschihadisten zurückerobert haben, unter dem Bombardement der von den USA mit NATO-Staaten, Jordanien und Saudi Arabien geschmiedeten Koalition und Israels, sind jetzt feige Schweine und hinterhältige Taktierer, genaugenommen die wahren Verräter, weil sie nicht mit allem Einsatz und allen Opfern versuchen, die Kurdengebiete gegen die wirklich gewaltig gerüstete türkische Armee zu verteidigen.
Es ist doch schön, wenn man weiß, wer der Freund, wer der Feind ist.
Kategorie: Migration
Klimawandel, wieder einmal oder immer noch
SONNENFLECKEN ODER TREIBHAUSGASE?
Der Klimawandel ist derzeit in aller Munde und es fehlt nicht an Weltuntergangsprognosen, was alles auf uns zukommt, wenn nicht … – ja was nur?
Man kann der Klimawandel-Debatte als erstes einmal entnehmen, in was für einem trostlosen Zustand sich sowohl die Wissenschaft als auch das Alltagsdenken befinden: Jede Menge Prognosen und Zukunftsforschungs-„Studien“ ersetzen eine fundierte Debatte über die Ursachen und wie man den negativen Folgen begegnen könnte.
Vor Jahren habe ich mich einmal dem Thema gewidmet und in Zweifel gezogen, daß die CO2-Emissionen der einzige Grund sind, warum sich die Erde erwärmt, die Jahreszeiten verschieben, Naturkatastrophen häufiger werden usw.
Unter „Klimawandel“ werden nämlich sehr unterschiedliche Phänomene in einen Topf geworfen und alle auf eine einzige Ursache zurückgeführt, was bei vielen denkenden Menschen Zweifel hervorruft.
siehe: DIE IMPERIALISTISCHE SHOW ZUR RETTUNG DER WELT
Diese Zweifler werden dann oftmals hysterisch als Klimawandel-„Leugner“ beschimpft, obwohl das gar nicht der von ihnen eingenommenen Position entspricht..
Der CO2-These treten auch andere gegenüber und behaupten, ja, einen Klimawandel gäbe es, aber der hätte nichts damit zu tun, was „wir“ tun, also was die kapitalistische Vernutzung des Globus anrichtet.
Das wieder erscheint mir als eine Generalabsolution der Naturbenützung, die ebenso wenig glaubhaft ist.
Aufgrund der erhitzten Gemüter vor allem vieler junger Leute hätte ich hier gerne einmal eine halbwegs seriöse Debatte darüber, was es denn mit dem Klimawandel auf sich hat. Wer da mehr weiß, bitte Studien posten, die man dann hier diskutieren kann.
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 12: El Salvador
(ER)LÖSUNG NICHT IN SICHT
Der Name dieses Staates – „Der Erlöser“ steht in ziemlichem Kontrast zum Zustand, in dem es sich befindet.
Wie wir im Folgenden sehen werden, ist das nicht die einzige Ungereimtheit, der einem in El Salvador begegnet.
1. Land der Landlosen
Da das Gebiet des heutigen El Salvador keine Bodenschätze verbirgt, war es seit jeher auf die Landwirtschaft als Quelle der Bereicherung verwiesen.
Während der spanischen Kolonialherrschaft und noch einige Jahrzehnte später war das wichtigste Exportprodukt das Indigo, neben den üblichen Kolonialprodukten wie Kaffee, Kakao usw. Als die chemische Herstellung des Indigo die natürliche verdrängte, entwickelte sich der Kaffee zum wichtigsten Exportprodukt, und das ist er bis heute geblieben.
Rund um den Kaffeeanbau und -export entwickelte sich die Elite El Salvadors, und sie achteten auf ihre Einkommensquelle insofern, als sie sich nach und nach alles brauchbare Land für die Kaffee-Plantagenwirtschaft unter den Nagel rissen. Im Jahr 1882 schließlich wurde den indigenen Gemeinden ihr Land per Dekret weggenommen. Das führte dazu, daß die indigene, bäuerliche Bevölkerung ohne Land blieb, und entweder als Taglöhner oder als Kleinpächter der Großgrundbesitzer ihr Leben fristen oder in die Städte abwandern mußte. Es führte außerdem dazu, daß die Volksnahrungsmittel teilweise eingeführt werden müssen, was sie verteuert, weil das fruchtbare Land für Cash Crops verwendet wird.
Ein Präsident, der diese für die Mehrheit der Bevölkerung unerfreuliche Entwicklung mit Sozialprogrammen abfedern wollte, wurde 1913 umgebracht.
Das Mißverhältnis zwischen Armut und Reichtum mündete, verstärkt durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, 1931/32 in einem von der kommunistischen Partei El Salvadors angezettelten und dann von den landlosen Bauern weitergetriebenen Aufstand.
Der neue starke Mann El Salvadors, Maximiliano Hernández Martínez, der sich im Dezember 1931 an die Macht geputscht hatte und auch vorher bereits den Repressionsapparat kontrolliert und ausgebaut hatte, machte kurzen Prozeß. Nachdem er den Gründer und Anführer der kommunistischen Partei El Salvadors, Agustín Farabundo Martí und einige seiner Genossen verhaften und ohne Verfahren erschießen hatte lassen, ging er mit aller ihm zur Verfügung stehender Gewalt gegen die Aufständischen vor.
Das ganze wirtschaftliche System El Salvadors, wo die Grundbesitzerklasse fast alles Land besaß und der Rest der Bevölkerung gar nichts, wollte verteidigt sein.
Bei der Niederschlagung des Aufstandes wurden Zehntausende von Menschen ohne irgendein Verfahren getötet. Dieses Vorgehen, das in El Salvador als „La Matanza“ bezeichnet wird – das Massaker, aber auch: Das große Morden – kam ganz ohne irgendwelche Beweise oder Rücksichtnahme aus. Es genügte, wenn jemand als Indigener erkennbar war, um ihn oder sie umzubringen, unabhängig vom Alter.
Die politische Klasse El Salvadors, die diesen Massenmord unterstützte, wollte ein für allemal klarstellen, daß die Nachfahren der Ureinwohner dieses Staates keinerlei Rechte besaßen, und jedes Einklagen derselben, geschweige denn Anspruch auf Land, mit dem Tod bestraft würden.
Das große Morden endete nicht mit der Niederschlagung des Aufstandes oder mit dem Jahr 1932. Hernández Martínez regierte bis zu seinem Sturz im Jahre 1944. Bis dahin blieb es lebensgefährlich, als Indigener erkennbar zu sein. Die indianischen Bewohner El Salvadors waren vogelfrei und konnten jederzeit von Militär, Polizei oder paramilitärischen Truppen liquidiert werden. Die Sprache der Ureinwohner, das Nahuat, wurde verboten.
Um zu überleben, legten die Indigenen El Salvadors ihre traditionelle Kleidung ab, gaben ihre Sprache auf und unterließen alles, was sie als Indigene kennzeichnen konnte. Das große Morden führte zur Auslöschung der indigenen Traditionen.
Ansonsten lebten sie weiter in großem Elend. Außerdem lehnte der Diktator jegliche Schulbildung für die bäuerliche Bevölkerung ab. Der Analphabetismus blieb das einzige Merkmal, das die Nachfahren der Ureinwohner von der kreolischen Oberschicht und den besser integrierten Mestizen grundlegend unterschied.
2. Die Kirche
a) Die Theologie der Befreiung in El Salvador
Als der Papst Johannes XXIII. das 2. Vatikanische Konzil einberief, um eine Erneuerung der Kirche einzuleiten, fielen die Beschlüsse dieses Konzils gerade in Lateinamerika auf sehr fruchtbaren Boden. Sie knüpften nämlich an die ruhmreicheren Traditionen der katholischen Kirche an, die vom Dominikanerpater Bartolomé de las Casas, dem „Vertreter der Indianer“ im 16. Jahrhundert begründet worden waren. Auf der Konferenz von Medellín verpflichteten sich die Bischöfe Lateinamerikas 1968 darauf, sich die Anliegen der Armen und Entrechteten zu eigen zu machen und sich um ihr Wohlergehen im Diesseits zu kümmern, anstatt sie bloß auf das Jenseits zu verweisen.
In keinem Land Lateinamerikas fanden diese Beschlüsse eine so flächendeckend positive Aufnahme wie in El Salvador. Ein guter Teil des Klerus’ El Salvadors, von den Barfuß-Geistlichen in den Dörfern bis zu den Seelsorgern in den Städten, und auch die Spitzen der Hierarchie machten sich daran, für ihre Schäfchen bessere Lebensbedingungen zu erstreiten. In Predigten, mit Initiativen zur Volksbildung, und mit Forderungen an die lokalen Behörden, doch Schulen zu errichten und die Landfrage auf die Tagesordnung zu setzen.
Sie arbeiteten dabei natürlich auch fallweise mit den in der Zwischenzeit entstandenen linken Guerillaorganisationen zusammen, die das Gleiche vorhatten.
b) Der Vatikan und El Salvador
Als Karol Wojtyla 1978 zum Papst gewählt wurde, war eines seiner wichtigsten Anliegen, die „Theologie der Befreiung“, sozusagen den Kommunismus innerhalb der Kirche, mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ihm standen dabei Ernennungen von vakanten Posten, Hirtenbriefe und sonstige Anweisungen an die Diözesen zur Verfügung. Der Vatikan hatte es auch in der Hand, staatliche Repression gegen Geistliche zu rechtfertigen, als Willen Gottes gegen Abtrünnige, die den rechten Weg verlassen hatten.
In den 80-er Jahren wurde der Spruch „Bring einen Priester um!“ zu einer Art Anweisung an die Militärs und Paramilitärs von El Salvador. Und sie befolgten diese Anweisung. Bis heute sind nur die Morde an wichtigen Vertretern der Kirche und ausländischen Priestern und Missionaren Gegenstand von Untersuchungen. Wie viele unbekannte, unbedeutende Geistliche dran glauben mußten, wurde nie erfaßt.
Als der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, 1980 am Altar während der Zelebrierung eines Gottesdienstes erschossen wurde, konnte der Auftraggeber dieses Mordes, Roberto D’Aubuisson, sicher sein, dafür den Segen des Papstes zu haben. (D’Aubuisson wurde später eindeutig als der Mann im Hintergrund ermittelt, er starb nur rechtzeitig, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.) Der polnische Papst kann also als direkter Komplize dieses Mordes bezeichnet werden. Romeros Tod machte den Weg frei für eine Neubesetzung seines Postens. Seither sind die Erzbischöfe von San Salvador und der gesamte höhere Klerus des Landes verläßliche Unterstützer der weltlichen Macht, und im Vatikan konnten alle ruhig schlafen.
Óscar Romero ist heute heiliggesprochen und hat auch einen Platz auf der Westminster Abbey, wo Märtyrer des 20. Jahrhunderts als Statuen verewigt wurden. Seine Heiligsprechung war aber lange umstritten, weil sich die Frage auftat: Wurde er wegen seines Glaubens ermordet oder aus politischen Gründen? Nur im ersteren Fall kann er nämlich heiliggesprochen werden. Unter Ratzinger ruhte das Gesuch, erst Papst Franziskius sprach ihn 2015 erst selig und dann 2018 heilig.
c) Die Kirche heute
Inzwischen hat der Klerus in El Salvador verstanden, auf welcher Seite er zu stehen hat.
El Salvador hat das strengste Anti-Abtreibungsgesetz der Welt. Unter keinerlei Umständen ist Abtreibung erlaubt. Abtreibung wird bis zu 8 Jahren Freiheitsentzug geahndet, aber wenn eine Abtreibung als beabsichtigter Mord qualifiziert wird – was sehr üblich ist – so drohen bis zu 40 Jahren Haft.
Viele Fehlgeburten werden auch als Abtreibung eingestuft und damit eröffnet sich die Möglichkeit, auch da Strafen bis zu 40 Jahren Freiheitsentzug zu verhängen.
Alle möglichen NGOs und Menschenrechtsanwälte laufen gegen dieses Gesetz Sturm, bisher ohne Ergebnis.
Das Interessante ist: Wie kommt es zu diesem Gesetz?
Die von D’Aubuisson gegründete Partei ARENA erließ dieses Gesetz unter ihrem Präsidenten Armando Calderón Sol im Jahr 1998. Im Jahr darauf erhielt dieses Gesetz auch Verfassungsrang.
Der damalige Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, unterstützte dieses Gesetz, ebenso wie die inzwischen zahlreich vertretenen evangelikalen Kirchen des Landes. Es war eine Art Bund zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht in El Salvador, mit der sie ihre Zusammenarbeit besiegelten: Mit Recht und Gesetz gegen die Armen, und mit Gott!
Dieser Bund ist als eine Art Distanzierung gegenüber den Irrwegen der 70-er und 80-er Jahre zu verstehen, als sich die Kirche auf die falsche Seite begeben hatte.
3. Bürgerkrieg
Seit den 60-er Jahren bildeten sich Widestandsnester, aus Bauern, Studenten, Journalisten und anderen Unzufriedenen. El Salvador befindet sich eigentlich schon seit damals in einem Zustand des Bürgerkrieges. Es ist verkehrt, den Bürgerkrieg erst mit dem Jahr 1980 anzusetzen, wie das allgemein üblich ist.
Ein Ergebnis des allgemeinen Terrors gegen die Bevölkerung war die fälschlicherweise als „Fußballkrieg“ bezeichnete Auseinandersetzung mit Honduras im Jahr 1969. Die Regierung des ebenfalls nicht sehr prosperierenden Honduras eröffnete in diesem Jahr eine Art Hetzkampagne und Vertreibung gegen die aus El Salvador geflüchteten Bauern, die sich in den Grenzgebieten niedergelassen hatten. Das Land sei nicht deshalb knapp, weil es auch in Honduras Großgrundbesitz und Plantagenwirtschaft für Cash Crops gibt, sondern weil die Salvadorianer sich dort breitgemacht hätten, wurde den Honduranern mitgeteilt.
Im Zuge von Fußballspielen der Nationalmannschaften wurde dieser Konflikt international bekannt. Der Grund dieser Auseinandersetzung war der Terror, den die Regierungen beider Länder gegen ihre Landbevölkerung führten. Den Medien weltweit gefiel es jedoch, das als eine Art Spinnerei der Bevölkerung beider Staaten zu qualifizieren, die einfach fußballnarrisch oder nationalistisch waren. So mußte nicht die unangenehme Wahrheit bemüht werden, daß Eigentum Ausschluß bedeutet, und daß der Grund und Boden in beiden Ländern im Besitz einer privilegierten Schicht ist.
Die Auseinandersetzung zwischen Militärs, Polizei, Gendarmerie und paramilitärischen Gruppierungen einerseits, und Studentenorganisationen, Gewerkschaften, Landarbeiterorganisationen und Guerilla andererseits erreichte nach der Ermordung Romeros einen neuen Höhepunkt. Damals verließen die Kommunistische Partei und mit ihnen verbündete Gruppen den Weg der demokratischen Wahl, der aufgrund des salvadorianischen Wahlsystems und des Klientelismus nie zu Wahlsiegen führen konnte, und wählten den Weg des bewaffneten Widerstandes.
Gegen den Gewaltapparat des Staates hatten sie nie eine Chance. Viele Mitglieder des Militärs und Geheimdienstes von El Salvador waren in der School of the Americas ausgebildetet worden. Sie praktizierten eine Politik der verbrannten Erde gegenüber jeglicher Art von Widerstand. Gegen Studenten, Landarbeiter, Gewerkschafter und sonstige Subversions-Verdächtige wurde alles aufgeboten, was gut und teuer war: Entführungen, extrajudikale Hinrichtungen, Auslöschung ganzer Dörfer, Folter und Verstümmelung, usw. usf.
Es wurde dabei auch das Land verwüstet, das die Bauern genutzt hatten, sodaß heute in El Salvador viel Land brachliegt, das die landlosen Bauern nicht nutzen können und die Grundherren nicht nutzen wollen.
Der Bürgerkrieg in El Salvador hat nach offiziellen Angaben um die 75.000 Tote gefordert.
Vor diesem Terror flüchteten viele Bewohner El Salvadors: in die Nachbarländer Honduras, Guatemala, Nicaragua. Und mehr als eine Million in die USA.
4. Die Banden
Die Flüchtlinge aus El Salvador waren mehr oder weniger die unterste Schicht der lateinamerikanischen Flüchtlinge. Sie hatten gar nichts und keinen Staat, der sie irgendwie schützte. Die politische Klasse El Salvadors war froh, sie los zu sein. Sie betrachtet ja schon seit langem die Besitzlosen des Landes als überflüssig, unnötig und gefährlich für ihre eigene privilegierte Position.
Die Immigranten fingen also ganz unten an und wurden bald auf das US-Bandenwesen für die Armen und Elenden verpflichtet. Um überleben zu können, bildeten sie eigene Banden und brachten sich gegenüber Schwarzen und anderen Lateinamerikanern weiter, die alle mehr Erfahrung im Leben als Outlaw angesammelt hatten. Die Kids aus EL Salvador lernten schmerzhaft und verlustreich, wie man sich in der unmittelbaren Gewalt-Konkurrenz bewährt.
Im Jänner 1992 wurden die Friedensverträge von Chapultepec in Mexiko unterzeichnet. Sie stellten ein völlige Niederlage der Guerilla und der Landlosenbewegung dar. Alles blieb beim alten, das Land blieb bei den Großgrundbesitzern, und die Militärs und sonstigen Killer erhielten mehr oder weniger Straffreiheit. Um nicht eine ganz schiefe Optik zu erzeugen, wurden einige Schlichtungs- und Wahrheitskommissionen ins Leben gerufen.
Damit war die Duldung der El Salvadorianer in den USA vorbei – jetzt ist ja alles in Ordnung, keine Gefahr mehr in der Heimat! – und sie wurden in großen Mengen ausgewiesen und „nach Hause“ deportiert. Jede Menge armer Schlucker stand auf einmal in El Salvador auf der Straße und hatte nichts. Es ist begreiflich, daß sie zum Überleben das Einzige einsetzten, was sie aus den USA mitgebracht hatten: Organisierte Gewalt.
Die Banden beherrschen heute das Alltagsleben El Salvadors. Die größte, die Mara Salvatrucha, soll zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder haben. Sie operiert auch in den Nachbarländern.
Wer das nötige Kapital in El Salvador hat, kann sich bis an die Zähne bewaffnete Schutztruppen leisten. Außerdem wissen die Banden ganz genau, an welche wichtigen Leute sie sich nicht heranwagen dürfen.
So bleiben Kleingewerbetreibende als Objekt für Schutzgelderpressung, und wer nichts zu bieten hat, kann sich immer noch für Prostitution oder Mitgliedschaft in der Bande einspannen lassen. Wer nein sagt, wird bald tot in einem Straßengraben gefunden.
Der herrschenden Klasse El Salvadors kommt diese Selbstverwaltung der Armut durchaus gelegen, bei allem Gejammer. Die Maras bilden, ähnlich wie die Mafia und verwandte Organisationen in Italien, ein „Sottogoverno“, eine Sub-Regierung: Sie machen den Staatsterror gegen die Armen auf eigene Faust und kosten die Staatskasse nichts.
Gerade einmal ist ein junger Mann aus El Salvador mit seiner kleinen Tochter im Rio Bravo ertrunken, weil er unbedingt in die USA gelangen wollte.
Nun ja.
Es ist jedenfalls nachvollziehbar, warum jemand aus einem Land wie El Salvador abhauen möchte.