Pressespiegel: Hírklikk, 27.7. 2019

ES IST ZWAR WIDERWÄRTIG, WAS IN UNGARN PASSIERT, ABER ES HERRSCHT ORDNUNG
G.M. Tamás im Gespräch mit Péter Németh
(Original hier)

Die ungarische Regierung hat mit der Außenwelt gebrochen, worin auch die Intelligenzia und die Schüler und Studenten inbegriffen sind, – das sagt der Philosoph Gáspár Miklós Tamás in seinem Interview mit HÍRKLIKK. Im Zusammenhang damit formulierte er seine Überlegungen, warum Proteste im In- und Ausland wirkungslos bleiben. Er betont auch, daß man diese gegenwärtige (ungarische) Regierung mit friedlichen Mitteln nicht loswerden kann. In Ungarn gibt es einen neuen, modernen Faschismus. Aber es gibt auch größeres Unheil: Der Klimawandel wird zu einer dramatischen Situation führen. Dazu sagt G.M. Tamás: Deine Kinder werden anbrennen wie die Wurst in der Pfanne.

Am Tag des Erscheinens dieses Interviews tritt Viktor Orbán in Baile Tusnad (1) auf. Was meinst du, wird er eine angriffslustige oder eher neutrale Rede halten? Es geht um den Konflikt mit der EU und der Europäischen Volkspartei.

Es ist mir total wurscht, was Viktor Orbán in Baile Tusnad verkündet. Ich halte es nicht für wichtig. Wir kennen das Programm: Einmal ruft er auf zum Krieg, ein anderes Mal beruhigt er das Publikum wieder. Zwischen diesen beiden Polen bewegt er sich, denn die Unterdrücker-Systeme bestehen aus diesen 2 Elementen. Einmal muß man die Leute mobilisieren – aber nicht zuviel, weil das gibt Scherereien –, ein anderes Mal muß man zu Ruhe und Ordnung aufrufen. Man muß die Leute gleichzeitig bewegen und ruhigstellen.

Die Soziologin Zsófia Nagy meint, Orbán wählt absichtlich gesellschaftliche Gruppen als Feindbild aus, möglichst solche, die keine Möglichkeit zum Widerstand haben. Läßt dich dieses Problem auch kalt?

Seit dem Fall Napoleons und der Heiligen Allianz, also seit 200 Jahren, ist das die Taktik der herrschenden Klasse. Vorurteile gabs immer. Aber seit damals ist die Hasspropaganda ein wichtiger und offizieller Teil der Staatsverwaltung und des staatlichen Lebens. Ideologische Manipulation ist eine grundlegende Funktion des modernen Staates. Meistens richtet es sich gegen solche Gruppen, deren Ruinierung keine besonderen Probleme hervorruft. Dafür werden vorhandene Vorurteile gegen rassische Unterschiede oder solche des Geschlechts benutzt – (oder auch das Generationsproblem: denken wir nur an die Hetze gegen die Jugend 1968!) und verbinden die mit den beiden klassischen gesellschaftsbezogenen Gefühlen. Das eine davon ist der Brotneid, das andere die Existenzangst. Von den wohlhabenden, einflußreichen gebildeten „Fremden“ grenzen sie sich moralisch ab; die armen, gesellschaftlich ausgegrenzten, Forderungen stellenden „Fremden“ halten sie für gefährlich. Es ist im Interesse des modernen kapitalistischen Staates, die berechtigte gesellschaftliche Unzufriedenheit gegen die – scheinbar oder tatsächlich – auf der obersten und untersten gesellschaftlichen Stufe stehenden Gruppen zu lenken, wenn diese als fremd oder gesellschaftlich verwerflich gelten. Diese Taktik hat schon zu Massenmorden, massenhaften Deportationen und Bürgerkriegen geführt und tut dies auch heute (denken wir an die Rohingya, die Genozide in Ruanda und Ex-Jugoslawien), aber der Staat lernt nicht.

Aber es ist doch nicht uninteressant, was so vorgeht. Als ich das letzte Mal hier war, wurde gerade die Ruinierung CEU (2) betrieben, derzeit diejenige der Akademie der Wissenschaften (3)

Ist schon geschehen.

Ja, es ist geschehen, ich wollte nur sagen, daß diese Aktionen der Regierung auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen sind.

Das stimmt so nicht. Es gibt keine Universität, Akademie, wissenschaftliche Gesellschaft, Rektorenkonferenz, Schriftstellervereinigung, die nicht gegen dieses Zerstörungswerk aufgetreten ist. Regierungen haben protestiert, der Widerstand war gewaltig, aber das bedeutete der ungarischen Regierung nichts, weil sie hat mit der Außenwelt gebrochen, worin auch die Intelligenzia und die Schüler und Studenten inbegriffen sind. Die Meinung der britischen, französischen und deutschen Akademien, von Sorbonne, Cambridge, Oxford, Harvard und Yale würde die französische oder deutsche Regierung (immerhin Großmächte) von solchen plumpen Maßnahmen abhalten. Aber Orbán nicht. Nicht deshalb, weil er so viel Macht hat, sondern deshalb, weil er Ungarn soweit gebracht hat, daß es nicht mehr zu den zivilisierten Nationen gehört. Ihm ist das ganz gleichgültig.

Aber warum ist es den Mitgliedern der ungarischen Gesellschaft gleichgültig?

Es ist ihnen überhaupt nicht gleichgültig. Es gab ja große Demos und Proteste. Alle Organisationen der Geisteswelt verurteilten diese Vorgangsweise, auch die Konservativen. Weder in Ungarn noch in Siebenbürgen und der Vojvodina gibt es eine Universität, einen Lehrstuhl, eine wissenschaftliche Gesellschaft, die nicht protestiert hätte. Der Aufschrei ging von Sibirien bis Kalifornien. Auch Demonstrationen gab es.

Das heißt aber, daß es keine Macht in Ungarn gibt, die Orbán von seinen Absichten abbringen oder diese Regierung loswerden könnte.

Es gibt keine Chance, in keiner Hinsicht und auf keine Art, diese Regierung zu beseitigen. Das ist eben das Wesen einer Diktatur: friedlich kann man sie nicht beseitigen, es gibt keinen Herausforderer im Inneren, der Aussicht auf Erfolg hätte. Über was wundern wir uns?
Vor 30 Jahren, zur Zeit des Systemwechsels, hätten wir uns das freilich nicht gedacht. Aber seit 9 Jahren, seit 2010, haben wir ein neues System, nicht das, was ’89 entstanden ist. Es ist sinnlos, sich über das vorige zu unterhalten, das war anders. Das war ein verfassungskonformer, liberaler, pluralistischer Rechtsstaat, was man vom jetzigen nicht sagen kann.

Es ist sinnlos, sich über das zu unterhalten, für das du aktiv gekämpft hast? (4)

Nein. Es ist vorbei, aus, Schluß. Dieses System lebte von 1989 bis 2010. Ein abgeschlossenes Kapitel. Es war eine wichtige Epoche, aber sie ist abgeschlossen. Noch dazu ist es ein Zeitabschnitt, den die heute Lebenden im historischen Sinne zurückweisen, verachten, verurteilen. Weil sie ihn (nicht zu Unrecht) mit der Privatisierung, der Arbeitslosigkeit, den Kürzungen und den dauernden Debatten verbinden.

Manche würden da sagen: Wir könnten nicht ruhig hier sizen und auf die Regierung schimpfen, wenn es wirklich eine diktatorische wäre.

Das stimmt nicht. Warum zum Teufel sollten Orbán und seine Freunde beunruhigt sein über das, was wir hier besprechen, wenn das ihr System nicht im Geringsten gefährdet? Sie sind ja nicht verrückt. Von uns geht überhaupt keine Gefahr für sie aus.

Wir sind sozusagen das Feigenblatt?

Nicht einmal das. Wir sind völlig irrelevant.

Was soll ein denkender Mensch unter solchen Umständen tun?

In den 200 Jahren, seit der moderne Staat mit seinem unterdrückerischen Charakter besteht, gab es – wenn es hoch kommt – insgesamt 20 Jahre, wo so etwas wie Freiheit herrschte. 20 aus 200. In den restlichen 180 Jahren lebten die Menschen auch, und schufen einiges. Das ist alles nichts Neues. Der Mensch erledigt sein Tagwerk, versucht sich frei zu bewegen und kritisch zu denken, den Rest überläßt er der Vorsehung.

Das meinst du aber jetzt nicht ernst!

Das ist mein tödlicher Ernst.

Ich glaube es deshalb nicht, weil du ein sehr leidenschaftlicher Mensch bist.

Natürlich bin ich leidenschaftlich, aber ich bin gleichzeitig nicht naiv. Ich habe keine Illusionen. Dieses System ist von innen her nicht zu knacken. Solange die heute gültigen Regeln eingehalten werden, läßt sich da nichts machen. Auf eine friedliche Veränderung brauchen wir nicht hoffen.

Die vorherrschende Meinung ist, daß eine Veränderung nur von innen kommen kann, nicht von außen.

Von außen ginge es, aber die Betreffenden wollen das nicht.

Warum nicht?

Weil hier Ordnung herrscht. Mit Ungarn gibt es kein Gfrett, zum Unterschied von Somalia, Sudan, Tschad, Irak, Äthiopien. Dort sprechen die Waffen. Es ist zwar abstoßend, was in Ungarn passiert, aber hier herrscht Ordnung. Hier wird auch einmal ein Zusammenbruch kommen, Chaos, radikale Veränderungen – wenn es zu spät ist. Aber das wünsche ich niemandem, genausowenig, wie ich jemandem dieses eklige System wünsche, das von Gier, Materialismus, Angst und Chauvinismus zusammengehalten wird.

Das heißt, es gibt gar keinen Kampf der EU für den Rechtsstaat?

Natürlich hätten sie gerne einen Rechtsstaat, aber wichtiger als der osteuropäische Rechtsstaat ist ihnen, in der Früh Kaffee mit Milchschaum im Bett trinken zu können und nicht im Schützengraben verrecken zu müssen. Wer will Krieg? Wer will Konflikte? Wer will Armut und Elend? Niemand. Wenn man aber ein Land ernsthaft unter Druck setzt, so verursacht das Konflikte. Die EU bewegt sich sowieso auf ihre Auflösung zu. Keiner will Probleme, schon gar nicht dann, wenn es auch so schon genug Sorgen gibt.

Du sagst also, daß das Auftreten der Volkspartei gegen Fidesz (5) …

Bitte erwähne diese Europäische Volkspartei nicht, sie ist völlig bedeutungslos. Die europäischen Parteienfamilien leben vor allem in der ungarischen Presse, im Westen sind sie unbekannt. Sie wurden zu einer Art ungarischer Manie, als ein Aspekt der Orbán-Manie und der Orbán-Phobie. Ich sag’s noch einmal: Woanders interessieren die niemanden. Und zu Recht. Sie sind bedeutungslos.

Zumindest für uns sind sie unter dem Gesichtspunkt wichtig, daß sie Fidesz zur Ordnung rufen wollen.

Sie haben einen schwachen Versuch in die Richtung gemacht. Für mehr reichte es nicht.

Ist deiner Ansicht nach der Versuch bereits gescheitert?

Sicher bin ich nicht, ich glaube aber schon. Wer weiß, wie lange dieses folgenlose Hin und Her noch weitergeht.

—– 2. Teil des Interviews ——

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(1) Eine Stadt in Rumänien, im Siedlungsgebiet der ungarischen Minderheit, wo seit Anfang der 90-er Jahre eine „Sommeruniversität“ stattfindet, die aber keineswegs der Wissenschaft huldigt, sondern der Selbstdarstellung ungarischer Politiker dient, die Siebenbürgen als ihre Bühne betrachten.

(2) Central European University, von George Soros gegründete Privatuniversität, die sehr großzügig Stipendien an Studenten aus ehemals sozialistischen Staaten verteilt. Aufgrund angeblicher verbotener Finanzierung wurde diese Institution 2018 zum Umzug nach Österreich genötigt.

(3) Die Ungarische Akademie der Wissenschaften (MTA) soll in Zukunft alle Forschungsprojekte vom Ministerium für Innovation und Technologie genehmigt bekommen, was der bisherigen Funktionsweise dieser Institution widerspricht.

(4) G.M. Tamás war Gründungsmitglied des Bundes Freier Demokraten und saß mehrere Jahre als Abgeordneter im Parlament.

(5) Die Europäische Volkspartei wollte Fidesz aus ihren Reihen ausschließen, ließ es aber dann doch bleiben, weil das interne Risse bei der EVP vergrößert hätte.

Imperialismus heute

KRIEG UND FRIEDEN HEUTE
Über die Zwistigkeiten, Handelskriege usw. zwischen den USA und dem Rest der Welt, die Budgetstreitereien der EU und das Säbelrasseln bzw. die Kriegshandlungen rund um den Globus.
Ich stelle fest, daß es offenbar einen Bedarf nach so einer Pinnwand gibt, also hier ist sie.

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

WAHLEN 2019
Regelmäßig oder unregelmäßig wird der Bürger zur Urne gerufen. Von ganz oben bis ganz unten darf er sich seine Chefs, die dann über ihn bestimmen, selber wählen. Die modernen Eliten legen viel Wert auf diese Veranstaltung, bei der die kleinen Leute ihr Einverständnis ins Regiertwerden geben, und – so die Erwartung – sich dann von den solcherart Gewählten im Weiteren alles gefallen lassen, was diese beschließen.
Derzeit ist die ganz oberste Etage dran und da gibt es eine gewisse Nervosität bei den Regierenden, weil die Wahlen fürs Europaparlament in manchen Ländern keinen Hund hinterm Ofen hervorlocken und die Beteiligung seit geraumer Zeit unter 50% liegt.
Im Zusammenhang mit dem Auftreten europakritischer Parteien machen sich daher die EU-Oberhäuptlinge und ihre Hofgeschichtsschreiber und Werbetexter Sorgen wegen der sinkenden Wahlbeteiligung und legen einen Turbo ein beim Versuch, die Leute zur Wahl aufzurufen und für sich zu gewinnen.
Wenn man die Plakate ansieht, so ist äußerst fragwürdig, ob sich mit denen Begeisterung für die EU und diese Wahl wecken läßt.
1. Fragen, die keine sind und daher auch keine Antwort verlangen
Die SPÖ betreibt ihren Wahlkampf mit Plakaten, wo zwei Begriffe als Alternative mit einem Fragezeichen versehen werden. Als Frage kann man das Ganze aber nicht bezeichnen, weil es fehlt das Prädikat.
Diese Plakate geben Rätsel auf.
Auf einem ist eine junge Frau zu sehen, die ein Pakat mit einem Amazon-Pfeil bei sich hat. Es ist gar nicht klar, ob es sich um eine Zustellerin handelt oder um eine Abholerin, also Empfängerin des Pakets.
Dazu steht: „Mensch oder Konzern?“
Soll jetzt Amazon zugesperrt werden? Ist es ein Aufruf, nicht mehr bei Amazon zu kaufen? Soll Amazon seine Angestellten besser entlohnen? Oder sollen diese alle kündigen?
Dazu der Satz: Europa braucht ihre Antwort.
Wie aus diesem Bild und den dort versammelten Wörtern eine Wählerstimme für die SPÖ herauskommen soll, ist einem unbefangenen Beobachter nicht begreiflich.
Wahlplakat SP�
Ebenso bei einem Kind, das über eine Art Zaun oder Zauntor springt, mit der Alternative: „Chancen oder Hürden?“
Abgesehen davon, daß Zäune und Zauntore ja wirklich nicht erst mit der EU eingezogen sind, weiß man auch nicht, wofür diese bemalten Bretter stehen: Für das Privateigentum, über das sich der Bürger getrost hinwegsetzen soll? Oder soll der Wähler jede Hürde als Chance sehen, auch wenn das noch so verkehrt ist? Wird da an die Konkurrenzgesellschaft erinnert, und daß man eben dauernd mit Hindernissen kämpfen muß?
Das Kind, das darüberhüpft, darf noch gar nicht wählen. Dennoch soll sich der Wähler offenbar mit dem Kind identifizieren.
Es handelt sich hier um ein Wahlplakat, nicht um eine Pädagogikbroschüre für junge Väter oder alleinerziehende Mütter.
Soll der/die Angesprochene so wählen, daß die eigenen Kinder möglichst viele Hürden vorfinden? Oder möglichst wenige? Aber wie ist das dann mit den Chancen?
Auch hier ist es schwer, den Übergang zum Wählen-Gehen nachvollziehen zu können.
2. Reim dich oder ich friß dich
Die FPÖ macht einen Mix aus Deutsch und Englisch, um einen Reim hinzukriegen: „FPÖ voten gegen EU-Asylchaoten“.
Abgesehen vom dichterischen Ehrgeiz soll damit vermutlich auch ein gewisser Internationalismus ausgedrückt werden: Wir können Englisch und sind keineswegs Hinterwäldler!

Immerhin wird hier klar gesagt, daß man die FPÖ wählen soll. Also nicht Fragen beantworten und Rätsel lösen, sondern kurz und bündig „voten“, und zwar die FPÖ.
Wer sind jetzt die EU-Asylchaoten?
Diejenigen, die angesichts der Flüchtlingswelle Maßnahmen ergriffen haben?
Frau Merkel? Herr Seehofer?
Die sollen jetzt im EU-Parlament – ja was nur? – bekämpft, zu Ordnung gerufen, oder was sonst werden?
Und überhaupt, Chaoten – sind das womöglich die Asylsucher selbst?
Natürlich kamen und kommen die sehr ungeordnet, aber das liegt in der Natur der Sache. Schließlich geht es bei den meisten dieser Leute in der Heimat drunter und drüber, deshalb kommen sie her.
Was will jetzt die FPÖ dagegen machen? Aus der EU-Außenpolitik aussteigen, die die Kriege in Syrien und dem Jemen ideell mitträgt, und die Verursachung des Chaos in Libyen zumindest nicht beanstandet hat?
Schön wärs, aber das traue ich der FPÖ nicht zu.
Oder will sie die Flüchtlinge einfach hinauswerfen?
Aber da gibt es nationale Asylgesetze, an das sich alle gewählten Politiker halten müssen.
Außerdem, vergessen wir nicht: Es handelt sich um EU-Wahlen, man schickt hier Politiker nach Brüssel!
Dort werden sie dann gegen „Asylchaoten“ auftreten, wer immer das auch ist.
Irgendetwas Greifbares wird hier nicht versprochen, sondern auf irgendeine Art von Ressentiment gegen Asylanten gesetzt, der sich bei der FPÖ gut aufgehoben fühlen kann. Dafür wird eine Wahlstimme verlangt.
Also an alle Besorgten: Es kann nichts passieren, selbst wenn die FPÖ im EU-Parlament bleibt.
3. Profis
Bei der ÖVP geht es solide zu. Hier verkünden Profis, daß sie gewählt werden wollen.
„Europa braucht Profis“ mit der Aufforderung gepaart, die ÖVP zu wählen, unterstellt den anderen Parteien, dort wären eigentlich nur Amateure und Pfuscher unterwegs. Ebenso ist angedeutet, daß man Europa zu geben hätte, was Europas ist.
Zu den Wahlen sind daher alle diejenigen aufgerufen, die „Europa“ gut finden – obwohl zum geographischen Europa zweifellos auch Rußland, Serbien oder Albanien gehören. Hier ist jedoch die EU als eine Art lieber Gott dargestellt, den man durch die Wahl zu huldigen hat. Europa braucht

Wer nicht dieser Meinung ist, wird wahrscheinlich nicht wählen gehen. Obwohl das O von Europa ja geradezu danach verlangt, angekreuzt zu werden …
In Oberösterreich gibt es zusätzlich den Spruch „Oberösterreichs Interessen in Europa sichern“ – das klingt schön.
Nur: In Oberösterreich gibt es, wie auch sonstwo, sehr viele unterschiedliche Interessen, die manchmal sogar in Gegensatz zueinander stehen.
Was sind also diese Interessen?
Mehr Jobs?
Höhere Löhne?
Bessere Straßen?
Mehr Öffis?
Mehr Kindergartenplätze?
Moderate Forderungen der Gewerkschaft, für „unsere“ Wirtschaft?
Mindestsicherung kürzen?
Sparen!?
Billigere Wohnungen?
Mehr sozialer Wohnbau?
usw.
Man sieht, alle diese Interessen lassen sich nicht unter einen Hut bringen.
Also werden die Interessen der Region von ihren wichtigeren Vertretern definiert und die Politiker sind dann die Vollstrecker dieser von Wirtschaft und Politik definierten Interessen.
Beim Wahlplakat soll sich der Bürger jedoch vorstellen, er selbst könne der Vertreterin von Öberösterreichs Interessen einen Wunschzettel mitgeben. Mein Interesse soll dort aufgehoben sein. Meine Wünsche sollen wahr werden.
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Bei all diesen Sprüchen wird der Wähler für dumm verkauft und auch dumm gemacht: Es wird ihm nahegelegt, Wünsche und Glaubensinhalte zum Maßstab seines Handelns zu machen und gegen besseres Wissen annehmen, daß diese bei der Politik gut bedient sind.
Nachher kann er sich immer darüber beschweren, daß er betrogen wurde.
Die obigen 3 Parteien sind jedenfalls insofern Profis, als sie schon lange im Politik-Geschäft sind.
Andere können davon nur träumen.
4. „Mutig für Europa“
wollen die Grünen doch noch irgendwie in ein wichtiges Parlament kommen, nachdem der Nationalrat für sie vorbei ist.
Immerhin kämpft diese Partei um ihre Existenz.
Warum jetzt aber „Mut“ gefragt ist, um ins EU-Parlament zu wollen, erschließt sich dem Betrachter nicht. Es drohen ja keine Gefahren, selbst wenn man dort nicht in der besten Gesellschaft ist.
Ich vermute, vor allem geht es um Einkünfte, die die Partei dringend braucht.
Zusätzlich zur Darstellung ihres Mutes ist sie auf der Suche nach Themen, die irgendwie für sie sprechen sollen. Die ausgewählten Themen sind so universell, daß sich sonst gar niemand drüber getraut hat: Die Grünen retten uns das Wasser, kümmern sich ums Klima und schützen den Frieden.

Und das alles ohne Nationalratsmandat, diese Supermänner und -frauen!
Hier tut sich eine besondere Schere zwischen dem Versprechen der Allmacht und der Wahrnehmung der Machtlosigkeit auf …
Wenn schließlich die Neos verkünden:
5. „Europa – machen wir was draus“
so geben sie damit zu verstehen, daß die EU, so wie sie geht und steht, nix ist.
Schon recht frech, die jungen Leute!
Da sind die FPÖler mit ihren Asylchaoten direkt zahm.
Ansonsten haben auch die Neos in der Wühlkiste gesucht nach Themen, die irgendwie gut klingen und von den anderen vernachlässigt werden.
Sie fordern „freie Fahrt“, meinen damit aber nicht Tempo 140+ – das ist ja bereits besetzt –, sondern Aufhebung der Grenzkontrollen – obwohl sich jetzt schon jeder dran gewöhnt hat.
Und schließlich fand sich in der Kiste noch: Frauen! Juhu, alle haben auf die Frauenfrage vergessen, da haben wir ja ein ganz wichtiges Thema, mit dem wir Werbung machen können! Wir stellen als einzige eine Spitzenkandidatin auf!

„Freund: »Schauen Sie sich diese Plakate da an: Da haben sich die besten Köpfe der Nation nächtelang damit geplagt.«
Travnicek: »Und das ist dabei herausgekommen?«“ (Merz/Qualtinger, Travnicek und die Wahlen)
Wer immer auf diese Plakate hin der einen oder anderen Partei seine Stimme gibt, ist recht anspruchslos in Bezug auf intellektuelle Inhalte.
Das ist aber dem Wesen der Wahl – ich geb mein Einverständnis ins Regiertwerden – völlig angemessen.
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Weiterführende Literatur:
Warum wählen? Brief an die KPÖ