Als nächstes wendet sich Lenin der Frage zu, wie sich die Arbeiter, oder das Volk ihre Repräsentanten aussuchen sollen. Auch hier wird wieder vom Standpunkt eines bereits geteilten Zweckes eine bloße Verfahrensform zu einem Inhalt, einem politischen Ziel erhoben.
Er zitiert Marx, der die Gewaltenteilung aufheben wollte:
„Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Kommunen konstituierten Volk dienen …“ (S. 55)
Obwohl gar nicht klar wird, wie das allgemeine Stimmrecht – das ja heute in allen kapitalistischen Staaten verwirklicht ist –, dem Volke dienen sollte, folgt statt einer Ausführung wieder bloß eine Beschimpfung der sozialdemokratischen Verräter, die die Kritik am Parlamentarismus den Anarchisten überlassen haben, die natürlich noch schlimmer sind als jene:
„Es ist durchaus nicht verwunderlich, daß das Proletariat der “fortgeschrittenen” parlamentarischen Länder … seine Sympathien immer öfter dem Anarchosyndikalismus zuwandte, obwohl dieser der leibliche Bruder des Opportunismus ist.“ (S. 56)
Warum das so ist, erfahren wir natürlich auch nicht. Der bisherige Parlamentarismus ist „Betrug“, und der
„Ausweg aus dem Parlamentarismus ist natürlich nicht in der Aufhebung der Vertretungskörperschaften und der Wählbarkeit zu suchen, sondern in der Umwandlung der Vertretungskörperschaften aus Schwatzbuden in “arbeitende” Körperschaften.“ (S. 56)
(Man will ja gar nicht zur Sprache bringen, an wen einen das erinnert.)
Dann legt Lenin ein Bekenntnis ab, warum er so auf diesem Prinzip der richtigen Vertretung herumreitet:
„Wir sind keine Utopisten. Wir “träumen” nicht davon, wie man unvermittelt ohne jede Verwaltung, ohne jede Unterordnung auskommen könnte; diese anarchistischen Träumereien, die auf einem Verkennen der Aufgaben der Diktatur des Proletariats beruhen, sind dem Marxismus wesensfremd, sie dienen in Wirklichkeit nur dazu, die sozialistische Revolution auf die Zeit zu verschieben, da die Menschen anders geworden sein werden. Nein, wir wollen die sozialistische Revolution mit den Menschen, wie sie gegenwärtig sind, den Menschen, die ohne Unterordnung, ohne Kontrolle, ohne “Aufseher und Buchhalter” nicht auskommen werden.“ (S. 59-60)
Was entnehmen wir diesem Zitat?
1. Verwaltung = Unterordnung.
Wenn dem so wäre, so könnte man sich jede Revolution schenken, weil eine Verwaltung in dem Sinne, daß die Produktion, die Ausbildung, der Konsum, der Transport geplant werden muß, ist in jeder Gesellschaft notwendig. Von selbst geht das alles nicht. Das ist aber für Lenin gleichzusetzen mit Unterordnung: Die einen entscheiden, die anderen gehorchen.
2. Die Vorstellung, Planung ginge ohne Unterordnung, sind für ihn „anarchistische Träumereien“, sie beruhen auf einer „Verkennung der Diktatur des Proletariats“ – eines Zieles, das erst er zum Ziel erhoben hat, laufen also seinen Vorstellungen zuwider und sind daher falsch, und setzen eine „Reife“ der Menschen voraus, die gegenwärtig nicht vorhanden ist.
3. „Revolutionäres Handeln“ heißt demgemäß für Lenin: Die Leute irgendwie zu einer Revolution zu überreden, ihnen irgendetwas vorspiegeln – da ist jede Roßtäuscherei erlaubt – und sie dann „erziehen“ – mit Gewalt, selbstverständlich.
Argumente enthält dieser Abschnitt selbstverständlich wieder nicht, aber damit ist ein Teil eines Programmes ausgesprochen, das bekanntermaßen dann in die Wirklichkeit umgesetzt worden ist.
Im späteren Teil dieses Kapitels zeigt sich jedoch, daß Lenin sehr wohl einen Unterschied zwischen Verwaltung und Unterordnung, d.h. Gewalt kennt:
„Organisieren wir Arbeiter selber die Großproduktion, davon ausgehend, was der Kapitalismus bereits geschaffen hat, auf unsere Arbeitererfahrung gestützt, mit Hilfe strengster, eiserner Disziplin, die von der Staatsgewalt der bewaffneten Arbeiter aufrechterhalten wird; machen wir die Staatsbeamten zu einfachen Vollstreckern unserer Aufträge, zu verantwortlichen, absetzbaren, bescheiden bezahlten “Aufsehern und Buchhaltern” (dazu natürlich Techniker jeder Art, jeden Ranges und Grades) – das ist unsere proletarische Aufgabe, damit kann und muß man bei der Durchführung der proletarischen Revolution beginnen.“
1. Die Arbeiter organisieren etwas selber – das steht in Widerspruch zum Vorherigen und Folgenden, weil dazu sind sie ja gar nicht reif.
2. Die Verwaltung wird übernommen – sie ist nach den bisherigen Ausführungen ja gar nicht Teil des Staates, sondern etwas Neutrales – bloße „Vollstrecker“ der Staatsmacht.
3. Die „bewaffneten Arbeiter“ stellen den neuen Staat, die neue Gewalt, und überwachen die Produktion.
4. Das ist schließlich unsere (sprich: der Bolschewiki) „proletarische Aufgabe.“ Dieses kleine Detail sollte man nicht übersehen. Lenin sagt hier nicht: Wir, die Bolschewiken, wollen das, und werden das machen, weil wir das für richtig halten. Da wäre ja ein Streit fällig, warum das richtig ist. Sondern er behauptet: Das ist unsere „Aufgabe“, wir gehorchen damit höheren Gesetzmäßigkeiten, und wer sich dagegen stellt, ist unser Feind – Verräter, Opportunist, usw. – und gehört niedergemacht.
Kategorie: Nationalismus
Die Euro-Krise, fürs einfache Gemüt aufbereitet
GRIECHEN, FRANZOSEN UND ANDERE GAUNER
Die „Presse“, Österreichs konservatives Blatt, will ihre Leserschaft über den Wertpapiermarkt und die Banken ein bißl aufklären:
„In Deutschland und Österreich haben sich die Banken verpflichtet, ihr Griechenland-Engagement vorerst nicht zurückzufahren. Bei einem Treffen mit Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) Anfang Mai sagten die Chefs der heimischen Großbanken zu, ihre Forderungen gegenüber Athen nicht fällig zu stellen und griechische Anleihen über die gesamte Laufzeit zu halten.“
Das wollen die deutschen Banken jetzt nicht einhalten, weil sie das ihren Kunden gegenüber nicht verantworten können. Während oben erwähnte Zusagen nicht bindend seien, könnten sie von ihren Kunden für unverantwortliche Veranlagung geklagt werden, so deutsche Finanzer. Also wollen sie die griechischen Staatspapiere loswerden. Die Frage ist nur: Wohin damit?
Andere machen es sich angeblich leicht:
„Anders gehen die französischen Banken vor. Diese säubern ihre Bilanzen, indem sie die Schrottpapiere an die Europäische Zentralbank (EZB) veräußern. Die EZB unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Trichet, ein Franzose, kaufte dem Vernehmen nach bislang griechische Schuldtitel von mindestens 25 Mrd. Euro auf. Dieses EZB-Programm soll der französische Präsident Nicolas Sarkozy durchgesetzt haben.“ (Die Presse, 2.6.)
Was will uns das österreichische Blatt damit mitteilen?
Erstens, die braven Deutschen und Österreicher haben sich von den Franzosen über den Tisch ziehen lassen. Während sie treu-bieder den Kopf hingehalten haben, um den Euro zu retten oder Griechenland zu helfen – den Grund für diesen Beschluß erfährt man in dem Artikel nicht – hat Frankreich längst seine Schäfchen aufs trockene gebracht und saniert seine Bilanzen – auf unsere Kosten, selbstverständlich.
Zweitens, die griechischen Staatsanleihen sind „Schrottpapiere“, ähnlichen den Finanzprodukten diverser Banken, wie Hypothekarkredit-Verbriefungen, usw., deren Entwertung immerhin mit gigantischen Stützungspaketen der diversen Regierungen verhindert wurde. Die Staatsschuldverschreibungen eines europäischen Staates, eines Mitglieds der Eurozone erklärt die „Presse“ für völlig wertlos.
Lustig wird es dann, wenn österreichische Staatsschulden auch einmal ins Gerede kommen – aufgrund der Situation von Österreichs Banken durchaus möglich – und ausländische Zeitungen beginnen von österreichischen „Schrottpapieren“ zu schreiben.
Drittens, was haben die Franzosen als Müllschlucker für diese Makulatur gefunden? Die EZB! Und warum kauft die EZB diesen Mist? Weil der französische Präsident das „durchgesetzt“ hat (lies: Den österreichischen und deutschen Politikern fehlt es einfach an „Durchsetzungskraft!) und weil der Chef der EZB ja auch ein Franzose ist. Freunderlwirtschaft, ganz einfach.
Über Gründe für Garantien, Stützungskäufe und den Kurs der EZB erfährt man bei diesem Kasblattl, das sich immerhin für die seriöseste Zeitung Österreichs hält, nichts. Dafür wird man mit Rassismen und Schuldzuweisungen beglückt, die die Mitarbeiter der „Kronenzeitung“ vor Neid erblassen lassen müssen: Griechenland gibt „Schrottpapiere“ heraus, unsere Deppen kaufen und behalten die auch noch, während die Franzosen sie schon längst wieder der EZB untergejubelt haben und sich saniert haben.
Eigentlich ist die ganze Staatenwelt ein Sammelsurium von Betrügern und Betrogenen, Die einen geben wertlose Papiere heraus, die anderen handeln damit, der kleine Mann schaut selbstverständlich durch die Finger, und die „Presse“ schlägt die Hände zusammen: Oh Zeit, oh Sitten!
3 Tote in Griechenland
DER GEWALTAPPARAT BRINGT SICH IN STELLUNG
Bei einem Brandanschlag auf eine Bank in Athen gab es drei Tote, die an einer Rauchgasvergiftung erstickt sind.
Die Bank hat am Tag der Demonstration nicht zugesperrt, was bei Demonstationen dieser Größe völlig unüblich ist.
Diese Bankfiliale hat, wie fast alle Firmen in Griechenland, keine Brandschutzeinrichtungen, keinen Evakuierungsplan und wurde nie feuerpolizeilich genehmigt. Diese Vernachlässigung des Feuerschutzes ist völlig üblich in Griechenland.
Die Bankangestellten wurden von der Leitung – vermutlich bei in Aussicht gestellter sofortiger Entlassung für den Fall, daß sie an dem Tag nicht am Arbeitsplatz auftauchen würden – dazu genötigt, dort zu sein.
Zitat: „Die Geschäftsführung der Bank hat den Angestellten strikt verboten, heute zu gehen, obwohl sie selbst seit dem frühen Morgen immer wieder darum gebeten hatte – sondern zwangen die Angestellten auch dazu, die Türen abzuschließen und bestätigten telefonisch immer wieder, dass das Gebäude den ganzen Tag über abgeschlossen zu bleiben habe. Sie kappten sogar die Internetverbindung der Angestellten, um sie an der Kommunikation mit der Außenwelt zu hindern.
Die beiden Zivilbullen, die der besagten Filiale zur Verhinderung von Banküberfällen zur Verfügung gestellt wurden, sind heute nicht gekommen, obwohl die Geschäftsführung der Bank den Angestellten mündlich versprochen hatte, dass sie da sein würden.“
(Quelle: )
Der Besitzer der Marfin Egnatia Bank ist Andreas Vgenopoulos, ein großer Bank-Tycoon mit politischen Verbindungen und Ambitionen, der in letzter Zeit von den Medien gern zu einer Art „Retter der Nation“ aufgebaut wurde.
Als die Brandsätze von Demonstranten in das völlig ungeschützte Bankgebäude geworfen wurden, waren deren Angestellte also dort eingesperrt und hatten keinen Fluchtweg.
Die Medien, deren Mitarbeiter sich über die Journalistengewerkschaft dem Streik angeschlossen hatten, beschlossen um 4 Uhr nachmittag, den Streik abzubrechen. Es folgte eine Hetzkampagne gegen die radikale Linke in Griechenland: Kommunisten und Anarchisten. Sie wurden als Mörder und Anstifter zum Mord dargestellt.
Die Kommunistische Partei Griechenlands hat über ihr Generalsekretariat im griechischen Parlament darauf hingewiesen, daß die Brandsätze vielleicht von neofaschistischen Gruppen geworfen worden seien, die mit der Polizei zusammenarbeiten. Es gibt Beweise aus der Vergangenheit für dergleichen Zusammenarbeit. Diese Aussage wurde von den Medien totgeschwiegen.
Inzwischen wurde eine Jagd auf polizeilich bekannte Linke angezettelt und Hunderte von Personen aus dem anarchistischen und kommunistischen Umfeld verhaftet.
(Quelle: Dimitris Pantulas, in „Rebelión“)
Das Exarchia-Viertel von Athen, das als Brutstätte linker Bewegungen gilt, wurde von der Polizei umstellt und wird systematisch durchkämmt.
In „Heute“, einem Nebenprodukt der Kronenzeitung wurde heute erwähnt, daß 1. das griechische Parlament das von der EU verordnete Sparprogramm angenommen hat, und daß 2. „Beobachter“ „Notfallmaßnahmen“ nicht für ausgeschlossen halten.
Wenn ein gutinformiertes Blatt wie die „Krone“ solche „Beobachter“ zitiert, so hat das Gewicht. Die griechische Regierung und das griechische Militär erwägen also außergewöhnliche Maßnahmen, und sie haben offensichtlich auch bei den maßgeblichen EU-Gremien nachgefragt und dafür grünes Licht gekriegt.
Was sind also die Perspektiven? Im Heimatland der Demokratie wird selbige vermutlich bald ein Stück weit ausgesetzt. Jede Menge Kritiker werden – oder sind bereits – verhaftet, Demonstrationen verboten, eine Art Ausnahmezustand verhängt, und das alles mit Zustimmung der EU. Auch im Interesse eines abschreckenden Beispiels für andere von der derzeitigen Krise gebeutelten Länder.
Alles im Interesse der Rettung „unserer Wirtschaft“, des Euro, des Kredits und des Geschäftemachens weltweit.