ALTES EISEN?
Das Coronavirus hat besonders in den Altersheimen gewütet und tut es immer noch. Die Erklärungen dafür fallen bisher eher dürftig aus. Erstens sind alte Leute eine „Risikogruppe“, ohne daß man genau erfährt, warum. Es wird aus der Todesrate auf die Anfälligkeit geschlossen und aus der solchermaßen konstatierten Anfälligkeit auf die erhöhte Sterblichkeit. Eine Begründung im Sinne von „weil“ oder „deshalb“ fehlt. (Generell macht die Wissenschaft im Zusammenhang mit dem Coronavirus keine gute Figur.)
Eine spanische Ärztin spricht in diesem Zusammenhang von „vorgezogenen“ Todesfällen. Das heißt, diese Leute wären sowieso gestorben, aber eben später. Das trifft zwar auf alle Todesfälle zu: Entweder man stirbt früher, oder man stirbt später – hat aber auch wieder den Schein einer wissenschaftlichen Untermauerung.
Was sind das eigentlich für Institutionen, in denen die Leute so massenhaft sterben?
Angesichts dessen, daß jeder selber das Problem hat oder aus seinem Freundeskreis kennt, irgendwelche Eltern oder Großeltern entweder zu Hause pflegen zu lassen – mit Pflegerinnen vom Balkan oder aus Osteuropa, auf der iberischen Halbinsel kommen die Pflegerinnen aus Lateinamerika – oder in einem Altersheim unterzubringen, so ist es angebracht, nachzudenken, um was für eine Art von Einrichtung es sich dabei handelt?
1. Über das Alter überhaupt
In vielen Gesellschaften – in Asien, Afrika und auch im vorkolumbianischen Amerika – genossen und genießen die alten Menschen eine bevorzugte Stellung.
Sie sind deswegen geachtet, weil sie über Lebenserfahrung verfügen.
Sie haben gesellschaftliche – Naturkatastrophen, Kriege, Flucht und Deportation – und individuelle Krisen erlebt und bewältigt. Zu letzteren gehören der Tod von nahestehenden Menschen, die Aufzucht von verwaisten Kindern, der Umgang mit Armut, mit psychischen Problemen, Aggressionen usw. im näheren Umfeld. Diese Menschen, so sahen das die sogenannten „primitiven“ Gesellschaften, also Stammesverbände und auf ihnen aufbauende Reiche, wissen etwas, was den Jüngeren fehlt, aber was sie zur Bewältigung der anstehenden Probleme dieser Gesellschaften brauchen. Deswegen gab es dort Ältestenrate, die in schwierigen Situationen eingesetzt wurden – und manchmal, in modernerer Form, auch immer noch werden.
2. Die gesellschaftliche Reproduktion
Einen wichtigen Anteil hatten diese alten Leute in der gesellschaftlichen Reproduktion. Die jungen Menschen machten die Kinder, dann gingen sie auf die Jagd und bestellten den Acker. Die Aufzucht der Kinder besorgten größtenteils die Alten. Sie beschäftigten sich mit ihnen, während deren Eltern mit ökonomischen Tätigkeiten beschäftigt waren, die der Versorgung der Gemeinschaft mit notwendigen Gütern dienten. Sie kochten für die Kinder und lehrten sie die Fähigkeiten, die für diese Gemeinschaft wichtig waren: Pflanzenkunde, Tierkunde, wie man ein Haus oder Tipi oder eine Jurte baut, Kleidung herstellt, Krankheiten heilt, wie man sich den Jahreszeiten anpaßt usw. usf. Das gesellschaftliche Wissen wurde auf diese Weise weitergegeben, die alten Leute waren ein Teil der gesellschaftlichen Reproduktion. Sie waren keine Belastung, und es wäre unter normalen Umständen niemandem eingefallen, sie auf die Müllkippe zu schicken – außer unter ganz tragischen Umständen, wenn der Stamm ums Überleben kämpfte und allen Ballast, also auch Kleinkinder und Kranke, zurücklassen oder umbringen mußte.
In den sozialistischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts, die auf die 2-Kinder-Familie genormt waren, stellten die Großeltern ebenfalls einen unverzichtbaren Teil der gesellschaftlichen Reproduktion dar. Die jungen Menschen beendeten ihre Lehre oder ihr Studium, heirateten und produzierten ihre 2 Kinder. Oder auch nur eines, oder mehr. Die Norm waren jedoch 2, darauf waren die Institutionen eingestellt. Sie gingen ihrem Job nach, um die Kinder kümmerten sich die Eltern bzw. Großeltern. Das Pensionsalter war niedrig angesetzt, genau deswegen: Damit die Großeltern für die Kindererziehung zur Verfügung standen. Den Sommer verbrachte die Familie dann meistens auf der Datscha, oder auf dem Dorf. Die Großeltern und Enkel den ganzen Sommer, die Eltern wochenendweise. Dazu gab es Ferienlager, wo den Kindern etwas beigebracht wurde, auch dort kamen die Pensionisten als Erzieher zum Einsatz.
Die alten Leute stolzierten – zumindest in der SU – teilweise durchs Dorf mit ihren Auszeichnungen aus dem Krieg, und waren geachtet für ihre Verdienste.
Die Institution des Altersheims war in den sozialistischen Staaten ziemlich unüblich. Die Alten wurden von ihren Familienmitgliedern zuhause betreut, notfalls auch mit institutioneller Unterstützung. Es gab zwar Institutionen, die sich der unbetreuten Alten annahmen, aber sie stellten die Ausnahme dar, waren also nicht sehr zahlreich. (Sie sahen manchmal, wie in Rumänien, sehr schlimm aus, aber waren eben eine Ausnahme, weil die meisten Alten zu Hause blieben.) Diese Institutionen waren den Krankenhäusern angegliedert, stellten also einen Teil des staatlichen Gesundheitswesens dar.
Heute ist dieses System dank des Einbruchs der Marktwirtschaft auf eine absurde Weise immer noch nötig. Es kümmern sich immer noch Großeltern um Kinder, die praktisch ohne Eltern aufwachsen, weil dies im Westen irgendwelchen Berufen nachgehen, um mit dem heimgeschickten Geld die Familie zu ernähren.
Die Frauen sind oftmals selber in der Alten- oder Kinderbetreuung eingesetzt, während in ihren Herkunftsländern diesbezüglich beides im Argen liegt. Die Männer gehen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Tätigkeiten nach, während in ihren Heimatländern Felder unbestellt bleiben und Dächer nicht mehr repariert werden.
Die gesellschaftliche Reproduktion ist dort also unterbrochen bzw. prekär geworden, während in den alten Heimatländern der Marktwirtschaft die Familie überhaupt nicht mehr als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion angesehen werden kann. Bei den Migranten, die diesbezüglich noch engere Familienbande pflegen, fehlt oft ein Teil ihrer Familie, ist zu Hause geblieben oder umgebracht worden.
Mit den Einheimischen von Kerneuropa ist die Lage schon seit geraumer Zeit noch schlimmer. Die Generationen und Geschlechter können nicht mehr miteinander umgehen. Eltern sind unzufrieden mit ihrer Brut, Gewalt in der Familie und die Scheidungsrate steigt ständig, alleinerziehende Mütter, Patchworkfamilien und in Armut aufwachsende Kinder prägen das Landschaftsbild. Dazu kommt die ständig geforderte Mobilität der Arbeitskraft, die zur Zerrüttung der Verwandtschaftsverhältnisse beiträgt: Die Eltern sitzen da, die Kinder dort, oft sind die Eltern geschieden und die Kinder auch, wodurch die Betreuung der Enkel durch die Großeltern endgültig scheitert – und statt der zerbröselnden Familienstrukturen müssen immer öfter die Institutionen herhalten. Kindergärten und Horte, Heime und die Fürsorge, Schulspeisung und Tagesbetreuung sind immer mehr im Einsatz, um die Jugend irgendwie zu betreuen, was für beide Seiten unerfreulich und stressig ist.
Die Jungen wie die Alten stören in einer Gesellschaft, die möglichst alle ihre Mitglieder ins Juggernaut-Rad des Kapitals einspannen will, damit Profite gemacht werden und die Nation dadurch vorankommt.
So kommt am Ende heraus:
3. Die Altersheime sind Parkplätze für gesellschaftlich Überflüssige
In diesem gesellschaftlichem Rahmen sind die Altersheime Abstellplätze für alte Leute, die keiner mehr braucht, die man aber aus verschiedenen Gründen nicht sich selbst überlassen und zu Hause oder auf der Straße sterben lassen will.
Die Sorge für die Alten und Kranken wird von den staatlichen Institutionen vor allem deshalb übernommen, damit die Lohnabhängigen und Arbeitsfähigen dem Kapital zur Verfügung stehen und nicht mit Pflegetätigkeiten beschäftigt sind. Außerdem hält es die arbeitende Menschheit bei Laune, zu wissen, daß man bei Arbeitsunfähigkeit nicht gleich über die Klippe gestoßen, sondern wieder gesundgepflegt wird.
Die Altersheime sind also ein unabdingbarer Bestandteil der, und ein Instrument für das Funktionieren der kapitalistischen Klassengesellschaft.
Natürlich kommen die lieben Verwandten zum Muttertag und Geburtstag, bringen Blumen und Kuchen, und freuen sich mit der lieben Oma oder dem Opa, aber Hand aufs Herz: Die meisten sind froh, die Alten den Rest des Jahres los zu sein.
Man kann sie ja auch mit gutem Gewissen dort lassen, sie werden dort viel besser betreut, man selbst hat die Zeit ja gar nicht, – bei der inzwischen legal eingeführten 60-Stunden-Woche auch verständlich – und die Verwandtschaft zahlt zur Not auch einiges, um ihren lieben Vorfahren gut aufgehoben zu wissen.
So ist heute der Bedarf an Altenbetreuungsstätten dementsprechend groß und die Marktwirtschaft hat sich da ein neues Geschäftsfeld erschlossen: So wie es private Krankenhäuser gibt, in denen die Patienten für gutes Geld überbetreut und teilweise erst richtig krank gemacht werden, so gibt es auch private Altersheime, wo je nach Zahlungsfähigkeit von ganz grundlegenden bis zu gehobenen Bedürfnissen für die Insassen gesorgt wird.
Wenn manchmal ganz fürchterliche Mißstände in Altersheimen aufgedeckt werden, so kann man annehmen, daß es sich um solche für die unteren Einkommensklassen handelte. Dort schaut nämlich auch seltener ein Verwandter vorbei, um zu schauen, wie die Oma dort eigentlich behandelt wird.
Hierbei handelt es sich eher um staatliche Altersheime. Deren Qualität ist von Land zu Land verschieden, das hängt sowohl vom Zustand der Staatskasse als auch von den Prioritäten ab, die im betreffenden Land bezüglich der Verwendung öffentlicher Gelder gesetzt werden.
Die Altersheim-Betreiber machen, genauso wie ihre Klassenbrüder in Produktion und Handel, eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und sparen, wo es geht, vor allem aber beim Personal. Das hat sowohl für die Betreuer als auch für die Betreuten Folgen. Viele Altersheim-Beschäftigte haben nämlich noch andere Jobs, sind überlastet und machen Fehler – geben z.B. dem einen die Medikamente, die für die andere vorgesehen sind – und sind schnell genervt mit besonders schwierigen oder pflegebedürftigen Patienten.
4. Die Altersheim-Bewohner wissen, daß sie überflüssig sind, oder: Was ist eigentlich „Demenz“?
Die meisten Leute, die diese Institutionen bewohnen, wissen, daß sie lästig und überflüssig sind. Die immer mehr um sich greifende Demenz muß auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
Die beliebte Ausrede zur Erklärung dieses Phänomens ist: Die Leut werden halt immer älter!
Die gestiegene Lebenserwartung, ein Indikator für den Wohlstand eines Landes, wird hier als eine Art Problem, als Mangel besprochen. Es geht ihnen allen zu gut, sie leben zu lang! Und dann haben „wir“, die Jüngeren, das Gscher!
Daß immer mehr alte Leute dement werden, ihren Verstand aufgeben, ist überhaupt keiner wissenschaftlichen Untersuchung wert. Es wird als eine Art Naturerscheinung besprochen, obwohl es genug Erfahrungen aus Asien gibt, nicht nur von den Alten aus Okinawa, daß Menschen auch ein hohes Alter ohne Beeinträchtigung ihrer geistigen Fähigkeiten erreichen können.
Ähnlich wie mit anderen unerfreulichen Erscheinungen der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft, (wie z.B. der stetig steigenden Selbstmordrate), geht die Psychologie und andere Geisteswissenschaften der Erforschung der zunehmenden Demenz aus dem Weg. Sie wird zu einer rein körperlichen Degeneration erklärt, die mit dem Alter „halt“ irgendwie einhergeht. Und die dementen Alten werden in den Altersheimen abgestellt, wo sich dann schlecht bezahlte Pfleger(innen) mit ihnen abplagen müssen.
Man muß sich einmal in die Verfassung dieser alten Leute hineinversetzen, um die Demenz zu begreifen.
Sie haben jahrzehntelang in Betrieben gearbeitet oder Unternehmen geleitet. Entweder sind sie durch eintönige Beschäftigungen total verblödet und haben im Ruhestand den sogenannten „Pensionsschock“ erlitten: Ihre vorherige Beschäftigung ist weg, sie haben aber verlernt, ihre Zeit mit anderen Beschäftigungen auszufüllen.
Oder aber, sie hatten gesellschaftliche Ambitionen, die zuschanden geworden sind. Sie wollten ihre Unternehmen ausbauen, oder dem Betrieb dienen, mit dem sie sich als Angestellte identifiziert hatten, ihre Kinder reich oder zumindest irgendwie verheiraten, und sich über diese Erfolge selber feiern. Das ist daneben gegangen, jetzt sind sie Niemande, der Betrieb hat zugesperrt, und die Kinder sind Alkoholiker oder drogensüchtig, oder nach woanders ausgewandert, oder an ihnen, den Eltern, desinteressiert.
Die Enkelkinder befassen sich mit Internetspielen oder Kampfsportarten und haben auch kein Interesse an den Geschichten der Alten.
Die Demenz ist die einfachste oder zumindest wirkungsvollste Form, seinen Verstand an den Nagel zu hängen und sich von der unerfreulichen Wirklichkeit freizuspielen. Man entfernt sich schrittweise von den alltäglichen Notwendigkeiten, macht sich dabei nicht zu sehr unbeliebt, sondern zieht Verständnis und Mitleid auf sich, und haust sich ein in die Welt seiner Hirngespinste.
Der/die demente Alte hat sich zurückgezogen aus der realen Welt und wurde zu einer Art pflegeintensiven Pflanze, die von den Pfleger(inne)n irgendwie weitergebracht wird.
Es ist verständlich, daß auch das Pflegepersonal mit diesen Menschen überfordert ist – um so mehr, als ihre Ausbildung, sofern vorhanden, ihnen kein Rüstzeug mit dem Umgang mit diesen Aussteigern aus der Konkurrenzgesellschaft mitgibt. Wie denn, wenn das Phänomen selbst gar nicht wissenschaftlich untersucht wird.
Ähnlich wie für die anderen zwar als solche eingestuften, aber nicht begriffenen „psychischen Krankheiten“ gibt es einen Haufen Medikamente, mit denen diese dementen Leute ruhiggestellt werden. Wenn wirklich Not am Mann ist, die Alten sich aufführen und zuwenig Personal da ist, so werden sie eben zugetörnt und festgebunden – auch wenn das gegen die Menschenrechte und das ganze PiPaPo verstößt.
Wenn man sich einmal bewußt gemacht hat, was Altersheime sind und wie die funktionieren, so ist es auch begreiflich, warum sie eine erhöhte Sterblichkeitsrate aufweisen. Das liegt nämlich nicht oder nur teilweise am Alter der Patienten.
5. Sind alte Menschen per se eine erhöhte Risikogruppe, oder liegt es nicht vielmehr an den Altersheimen?
So, rekapitulieren wir einmal: Da gibt es sozusagen geschlossene Einrichtungen, wo die Alten aufbewahrt werden. Natürlich können sie theoretisch hinaus, aber praktisch gehen sie höchstens im Garten spazieren, weil die restliche Welt wenig Interesse an ihnen hat. Sie sind also wie Kreuzfahrschiffe, Gefängnisse, Internate oder auch Krankenhäuser Institutionen mit einer Anzahl von Leuten, die Tag für Tag aneinander vorbeigehen, miteinander essen, wohnen usw. Wenn eine ansteckende Krankheit dort einmal eingedrungen ist, hat sie alle Gelegenheit, sich zu verbreiten.
Dazu kommt noch ein gesteigertes Hygienebedürfnis, weil die Alten sind oft inkontinent, brauchen mehr Bettwäsche und Reinigung überhaupt, und wenn da noch Krankheiten dazukommen, so unterbleibt aufgrund der knappen Kalkulation einiges an Putz- und Waschtätigkeit, was Infektionen begünstigt.
Schließlich sind diese Menschen wirklich krank. Abgesehen von anderen Vorerkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Arthritis usw. verschlechtert die Demenz selbst den körperlichen Zustand derer, die sie an sich hervorgebracht haben. Das Gehirn ist nämlich nicht nur der Ort, an dem geistige Tätigkeit stattfindet, wie Wahrnehmung, Vorstellung, Einbildung usw., sondern dort findet auch die Steuerung des gesamten Stoffwechsels statt. Wenn die eingehenden Informationen dort oben nicht mehr richtig verarbeitet werden und keine Befehle von dort in den Gliedmaßen und dem Verdauungsapparat mehr ankommen, so verfällt der Körper. Und das macht diese Leute noch anfälliger, weil auch das Immunsystem nicht mehr richtig funktioniert.
Die Infektionen kommen von außen auch leicht hinein in die Altersheime. Es nutzt wenig, Besuche von Verwandten zu untersagen, um die Ansteckungsgefahr hintanzuhalten. Es sind ja die Pfleger, die das Virus in die Altersheime hineingetragen haben, und aufgrund dessen, wie diese Heime funktionieren, schiebt sich da mit Abstandhalten überhaupt nichts. Um sich und ihre Betreuten vor Ansteckung zu schützen, würden sie genausolche Schutzanzüge benötigen, wie sie in Intensivstationen verwendet wurden.
Abgesehen davon, daß zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie nicht einmal die einfachste Schutzkleidung da war wie Masken oder Handschuhe, also weder in den Krankenhäusern oder Sanatorien, noch in den Altersheimen in ausreichender Quantität zur Verfügung stand, gibt und gab es noch andere Gründe, die nicht anzuziehen.
Es ist nämlich nicht so, daß die Dementen nichts mitkriegen, von den Nicht-Dementen ganz zu schweigen. Wenn auf einmal die Pflegekraft mit einem Mundschutz und Handschuhen daherkommt, oder gar mit einem Schutzanzug, so entsteht bei den Alten Paranoia und Panik. Was ist los, sind die Außerirdischen eingedrungen? Verwandelt sich dieser Ort jetzt in eine endgültige Vernichtungsanstalt? Was rennt da ab? Verkleiden sich die Henker, damit man sie nicht mehr erkennt? – und sie flippen endgültig aus.
Man darf ja auch nicht vergessen, daß die Menschen, die heute um die 80 oder darüber sind, noch als Kinder und Jugendliche den Nationalsozialismus bzw. Faschismus und den Krieg miterlebt haben. Die Idee der Vernichtung „unwerten Lebens“ ist ihnen in irgendeiner Form geläufig.
Die Atemnot oder der Herzinfarkt oder der Schlaganfall entstehen dann gar nicht mehr durch die Ansteckung, die ist dafür nicht notwendig, sondern durch die psychische Übertragung der Pandemie.
Dazu kommt die Situation der Pfleger(innen). Die Leute infizieren sich selber, erkranken und bleiben entweder zu Hause oder landen im Krankenhaus. Die sowieso am personellen Limit funktionierenden Altersheime sind auf einmal wirklich unterbesetzt. Die restlichen Betreuer(innen) sind erstens überlastet, wissen aber auch, daß sie Gefahr ausgesetzt sind. Sie wissen, daß sie genauso eine „Risikogruppe“ sind, aufgrund ihres Jobs.
In einem kanadischen Altersheim blieben einfach alle Angestellten zu Hause oder tauchten unter, und überließen die Alten ihrem Schicksal. Da es ein Besuchsverbot gab, merkten Verwandte erst nach Tagen, was da ablief, da waren viele der Betreuten bereits wegen der Unterversorgung gestorben.
Es ist als nicht das biologische Alter, was ältere Menschen zu einer Risikogruppe macht, sondern die Art und Weise, wie das Altern in der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gehandhabt wird.
Kategorie: Postsozialismus
Pressespiegel Komsomolskaja Pravda: Über die Statistiken zur Pandemie
UM 60 % HÖHERE STERBLICHKEIT WELTWEIT?
Ein Artikel der Financial Times von Ende April wird in der Komsomolskaja Pravda analysiert. Darin wird aufgrund einer Studie in 14 Staaten festgestellt, daß die Statistiken nur einen Teil der Coronavirus-Toten wiedergeben. Und zwar deshalb, weil nur diejenigen Fälle als Coronavirus-Opfer in die Statistik eingehen, die entweder getestet oder bei der Autopsie als CV-Tote qualifiziert wurden. Viele Menschen, die außerhalb der Krankenhäuser sterben, gehen in die Statistik nicht ein.
Die Studie vergleicht die gemeldeten CV-Toten mit der sogenannten Übersterblichkeit. D.h., es wird über einige Jahre zurück ermittelt, wie viele Menschen in dem betreffenden Zeitraum – z.B. Jänner bis März der letzten 10 Jahre – gestorben sind, und wieviele heuer gestorben sind. Es wird also eine sozusagen kontinuierliche Kurve – oder eher ein Zickzack-Kurs, weil im Winter immer mehr Leute sterben als im Sommer – erstellt und dann geschaut, wie weit die Kurve heuer vom Mittel abweicht.
Aufgrund dieser Zahlen kommt die FT zu dem Schluß, die Sterblichkeit könnte viel höher sein.
Der von der KP befragte Experte sagt, daß es sogenannte indirekte CV-Todesfälle auch gibt: Das sind Menschen, deren Operationen oder Untersuchungen verschoben werden, weil die Krankenhäuser voll sind und die deswegen sterben, weil sie nicht rechtzeitig behandelt werden.
Demgegenüber steht eine verringerte Sterblichkeit durch Verkehrsunfälle, weil weniger Verkehr ist.
Auch der Vergleich von Krankheitsverläufen in verschiedenen Staaten ist problematisch, weil sehr unterschiedlich getestet wird und daher die Zahl der bestätigten Infektionen sehr unverläßlich ist. Das einzige Land, das seine ganze Bevölkerung mehr oder weniger durchgetestet hat, ist Island. (Da geht das ja auch einfacher, bei 357.000 Einwohnern.) Auch in der Schweiz, den USA und Rußland wird viel getestet. In Frankreich und Großbritannien werden wenige Tests gemacht. (Was hier als „viel“ und „wenig“ gilt, erfährt man nicht.)
Auch bei den gemeldeten CV-Toten muß nicht jeder an der Krankheit selbst verstorben sein – z.B. Unfallopfer, die getestet wurden und die eben auch infiziert waren. Da gibt es Unterschiede in der Handhabung. In Deutschland und in Rußland werden nur solche Tote als CV-Tote registriert, die tatsächlich daran verstorben sind, während in Italien, Belgien und Spanien jeder als CV-Toter verbucht wird, bei dem das Virus festgestellt worden ist.
Ganz unbrauchbar sind die Statistiken deshalb nicht, weil innerhalb des Landes lassen sich hier schon gewisse Entwicklungen verfolgen, aber man kann daraus keine Rückschlüsse für die Entwicklung in anderen Ländern ziehen. Natürlich kann man auch ablesen, daß manche Länder stärker betroffen sind, andere weniger, z.B. am Vergleich Spanien–Finnland.
Außerdem entsteht durch die Verzögerung bei der Datenverarbeitung ein falsches Bild über den aktuellen Verlauf.
In dem Interview wird auch auf Weißrußland, Schweden und Turkmenistan verwiesen, die keine Lockdowns verordnet haben, und von den sogenannten „CV-Dissidenten“ bewundert werden, die meinen, die Aufregung um CV sei künstlich verursacht (aus was für dunklen Motiven auch immer) und vor allem auf Schweden verweisen, und sagen: Geht doch auch anders!
Dazu bemerkt der Analyst (ein Mitarbeiter des Max Planck-Instituts), daß Schweden zwar keine Sperren von Betrieben, Lokalen usw. durchgeführt habe, aber deswegen nicht nix gemacht hat. Alte Leute sollen zu Hause bleiben, man soll im öffentlichen Leben Abstand halten, und sich irgendwie schützen. Und man kann auch nicht sagen, daß Schweden eine beispielhaft niedrige Übersterblichkeit hat – sie liegt bei 2,8 %, während sie in Vorbildländern wie Finnland oder Österreich bei 1% und darunter liegt.
Dazu kommt allerdings noch, daß Schweden urbanisierter ist als Finnland und Norwegen und auch die gewöhnlichen Grippeepidemien dort mehr Opfer fordern als in seinen Nachbarländern. Noch schlechter in der Grippestatistik stehen Großbritannien, Italien oder Belgien da.
Weißrußland kann man damit nicht vergleichen, weil es dort überhaupt keine Statistiken zur CV-Pandemie gibt. Alles, was es an Daten zu Weißrußland gibt, ist mehr oder weniger aus dem Ärmel geschüttelt.
Eine endgültige Statistik für den weltweiten Verlauf wird es erst Mitte nächsten Jahres geben – vorausgesetzt, daß keine 2. Welle eintritt –, aber halbwegs genaue Statistiken über den Verlauf (zumindest in Europa) erwartet der Analyst in eineinhalb Monaten, also Ende Juni.
Und wie sieht es aus in Asien, vor allem China? Dort soll ja alles vorbei sein?
Da meint der Analyst: Die chinesischen Statistiken sind fragwürdig. Dort wurde ziemlich lange gemeldet, die Zahl der tatsächlich Erkrankten sei 38 000, und um diese Zahl herum schwankte die Statistik täglich um ein paar 100 Fälle mehr oder weniger. Das ist unmöglich. Die Kurve muß steigen oder fallen.
Es gibt einzelne Daten, die glaubwürdiger sind, von diversen Spitälern oder Institutionen Wuhans erstellt, aber die sind zu gering und lokal, um daraus generelle Schlüsse ziehen zu können.
Und wie ist es mit Vietnam, wo angeblich keine Toten zu beklagen sind und von wo gemeldet wird, sie hätten die CV-Pandemie hinter sich?
Dazu meint der Analyst, in Vietnam seien alle Statistiken unbrauchbar, auch was die Bevölkerungsanzahl, Sterblichkeit, Geburtenrate usw. angeht. Im Grunde beruht in diesem Land alles auf Schätzungen, deshalb würde er sich auf die CV-Meldungen auch nicht verlassen.
Und was ist mit dem Rest der Welt, Afrika, Indien, Pakistan, Australien?
In den meisten dieser Staaten gibt es keine verläßliche Datenerfassung. Oft wird nur in den Hauptstädten irgendetwas gemeldet. In Indonesien z.B. gibt es zu Jakarta Daten, die zeigen, daß das Land stark betroffen ist. Ecuador meldet noch halbwegs brauchbare Daten, und einige Städte in Indien.
Es gibt nicht nur CV-Dissidenten, die sagen, alles ist übertrieben, sondern auch Radikale, die sagen, die Zahlen werden nach unten geschönt, in Wirklichkeit sei bei uns in Rußland alles viel schlimmer?
Die offiziellen Daten in Rußland werden von den medizinischen Einrichtungen erstellt und in einem System der Datenerfassung verarbeitet. Wir Statistiker bemühen uns, daraus Entwicklungen zu erkennen, aber derzeit ist es noch zu früh, um endgültige Schlüsse ziehen zu können.
Auch die Website der John Hopkins-Universität leistet beachtliche Arbeit, kann aber natürlich die oben angeführten Mängel der Daten selbst nicht beseitigen.
Die Krankheit ist auf jeden Fall sehr ernst zu nehmen. Die Studien zur Sterblichkeit auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess zeigen eine Sterblichkeitsrate, die 3-10mal höher ist als bei gewöhnlichen Grippewellen. Außerdem ist es viel ansteckender als SARS oder MERS-Viren, die auch eine hohe Sterblichkeitsrate aufweisen. CV hat ein enormes Verbreitungspotential.
In England und Wales wurden Studien gemacht zur Sterblichkeitsrate der Vogelgrippe 2015 im Vergleich mit CV jetzt und bereits nach 3 Wochen betrug die Übersterblichkeit heuer 13 500 Personen im Vergleich zu den ersten 3 Wochen Vogelgrippe 2015.
In den stärker betroffenen europäischen Ländern ist das überall eindeutig, daß diese Epidemie sehr viele Todesopfer fordert.
Überlegungen zum Coronavirus – 2.: Textilindustrie
WARUM ITALIEN? – TEIL 2
Hier wird die Serie der Erklärungen fortgesetzt:
1. Der Mailänder Flughafen ist der wichtigste europäische Flughafen für Ostasienflüge
2. Die italienische Mode wird seit geraumer Zeit von Chinesen in Sweatshops in Norditalien hergestellt
3. Der Karneval in Venedig + die Kreuzfahrten nach Venedig haben als Verteiler gewirkt
4. Es gibt halt so viele alte Leute dort
5. Die Einrichtungs-Messe Homi in Mailand im Jänner wurde vor allem von chinesischen Arbeitern aufgebaut.
6. Das Gesundheitswesen in Italien war auch vor der Epidemie schlecht beinander
2. Italiens Textilindustrie
a) Mode
Die Textilindustrie Italiens begnügte sich seit Jahrzehnten nicht damit, billige oder strapazierfähige Kleidung herzustellen, sondern verschrieb sich der Eleganz und Mode. „Made in Italy“ war eine Art Marke für eine bestimmte Art von Lifestyle, von flotten Autos bis hin zu eben ebenso flotten Fetzen.
Wer sich der Mode verschreibt, legt bei Kleidung weder auf Bequemlichkeit, noch auf Strapazierfähigkeit Wert. Im Gegenteil, diese Eigenschaften nützen dem Träger. Wer sich modisch kleidet, will seiner Umwelt imponieren. Die ganze Modewelt ist also ein Ergebnis der Konkurrenzgesellschaft und soll die Kleidungsinhaber in ihr voranbringen.
Die Designer von modischen Lumpen geben ästhetische Standards vor, die sich zu einer Norm verfestigen und vom individiellen Schönheitsempfinden unabhängig machen.
Genauso wichtig wie die normierende Potenz der Mode ist ihre Vergänglichkeit. Wenn von Frühjahrs-, Sommer und Wintermode die Rede ist, so soll damit den Leuten nicht nur nahegelegt werden, sich der Temperatur entsprechend zu kleiden, sondern um Himmels willen nicht ihre alten Fetzen vom Vorjahr wieder aus dem Kasten zu holen. Wenn voriges Jahr die Herbstmode lila war und dieses Jahr orange, so ist es völlig uncool, mit einem lila Pullover irgendwo aufzutauchen.
Durch diesen Druck, bloß nicht mit unmodischen Gewand irgendwo unangenehm aufzufallen, ist der modebewußte Bürger genötigt, ständig seine Garderobe zu durchforsten und stofflich gut erhaltene, aber gesellschaftlich verbrauchte Kleidungsstücke dem Roten Kreuz zu übergeben, das denen durch Verkauf in ärmere Länder ein zweites Leben verschafft.
Um der Individualität dennoch Raum zu gewähren, kann man „Geschmack“ beweisen, indem man sich auf bestimmte nationale Moden oder Marken versteift. Der geübte Blick erkennt sofort, ob ein für Arglose völlig unauffälliges T-Shirt oder Hemd aus einer Wühlkiste oder einer britischen oder italienischen Designer-Werkstatt stammt, und taxiert dann seine(n) Träger(in) auch gleich mit.
Damit ist das Terrain bereitet für nationale Textilindustrien, die marca España oder British style oder französische elégance in Kleidungsstücke einbauen und so auch den Bürgern weniger modebewußter Länder die Möglichkeit geben, sich an eine vermeintlich höhere Kleidungskultur anzulehnen und darüber smarter zu erscheinenen.
Letztlich lügen sich alle diese flott gekleideten Menschen über den Effekt ihrer Bemühungen in die eigene Tasche, aber die ganze Mode- und Design-Industrie lebt von diesem kollektiv praktizierten Selbstbetrug.
Da letztlich ohnehin nur das Design zählt, und nicht der Stoff oder die Verarbeitungsqualität, ist es zwar wichtig, wer dieses Design entwirft und wo, aber relativ unwichtig, von wem es dann wo hergestellt wird.
Alles bisher Geschriebene über Mode trifft übrigens auf alle Sparten des täglichen Lebens zu, die von Mode erfaßt werden und wo die einzelnen Individuen sich ihr unterwerfen, wie Speisen und Getränke, Sportarten, Einrichtungsgegenstände und Urlaubsdestinationen.
Hier geht es jedoch um die Kleidung.
b) Textilindustrie
Die Art und Weise, wie Kleidung produziert wird, hat sich im Wesentlichen seit den Zeiten von Karl Marx nicht geändert.
Damals, zur Zeit des Manchesterkapitalismus, wurden die Gewebe selber in großen Fabriken erzeugt, und dann teilweise in kleinen ausgelagerten Produktionsstätten zu Kleidungsstücken verarbeitet. Statt mangelernährten und bleichen Frauen und Kindern, die zusammengepfercht in miesen Cottages in der englischen Provinz Spitzen klöppeln oder in Hinterhof-Werkstätten im Londoner East End die Hemden nähen, mit denen der britische Adel dann auf die Jagd ging, sind heute eben Produktionsstätten im fernen Osten, Marokko oder Bangladesh gebräuchlich, die auch einmal mitsamt ihrer Belegschaft in sich zusammenstürzen können.
Natürlich gibt es auch eine Art von Luxusproduktion, wo Gewebe und Schnitt und Zusammennähen in einem Betrieb von etwas besser bezahlten Arbeiter(inne)n erledigt werden.
Aber die großen Bekleidungsfirmen, die den Markt beherrschen, wie Inditex oder H&M, oder auch die italienischen Armani, Versace oder Gucci gehen nach genau diesem obigen Schema vor.
Sie kaufen dort ein, wo es am billigsten ist – Rohstoffe, Fabriken, Arbeitskräfte – und produzieren dort, wo sie die günstigsten Bedingungen vorfinden.
Schließlich verkaufen sie überall, wo sich eine gewisse Kaufkraft vorfindet und die Währung konvertibel ist bzw. ihre Produkte auf andere Märkte ausgeführt werden können. Nach Nordkorea z.B. drängen sie nicht und auch Kuba bleibt von all dem verschont.
Sie sortieren also die ganze Welt ein nach den Kriterien von Standort und Markt.
Das Idealste ist, wenn beide zusammentreffen.
c) Standort und Markt
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, als beinahe alle Schranken für das Kapital weltweit gefallen waren, begann ein neuer Wettlauf um Kapital. Besonders die Regierungen ehemals sozialistischer Staaten boten sich an, billige willige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, und die werten Investoren mit Arbeitsrecht- und Umweltschutz-Auflagen nicht allzu sehr zu behelligen. Sie hatten aufgrund bis dahin intakter Bildungssysteme, besserer Infrastruktur und geographischer Nähe bessere Karten als Länder Afrikas oder Südostasiens, die das schon länger anboten. Ein Wettlauf um Investitionen auf dem eigenen Staatsgebiet setzte ein und das ohnehin wählerische Kapital hatte ein reiches Angebot.
Zunächst verlagerte die Textil- und Spielzeugindustrie ihre Produktion nach Fernost, weil deren Produkte nicht verderblich und einfach zu transportieren waren, dann folgten andere Sparten.
Dabei war natürlich die Größe des betreffenden Landes ein zusätzlicher Gesichtspunkt. Wie viel von dem produzierten Zeug kann ich vor Ort absetzen, zu welchem Preis? Und so machte zunächst einmal China das Rennen.
All das trieb den Verkehr zu Land und Wasser und in der Luft voran. Superschnelle Frachtschiffe wurden gebaut, und zusehends verlagerte sich der Transport auch auf die Luftfracht, sobald die mit Preisen lockte, die den Reedereien Konkurrenz machen konnten.
Aufgrund dessen, was weiter oben zur Mode geschrieben wurde, erwiesen sich jedoch irgendwann die langen Transportwege als Hindernis: Man konnte nicht schnell genug auf Trends reagieren, die Klimaveränderungen machten Stress beim Wechsel der Frühjahrsmode, usw.
Und so setzte eine Entwicklung ein, die Arbeitsplätze zurückholte, aber erst recht wieder mit Gastarbeitern besetzte, direkt vor der Haustür.
d) Italiens Textilsektor
Es war nicht die Initiative des italienischen Textilkapitals, sondern der bereits erstarkten chinesischen Textilindustrie, die sich vor allem in der Stadt Prato bei Florenz ansiedelte. Diese Stadt, die die Modegeschäfte von Mailand und anderen Teilen Italiens im Eiltempo mit Konfektionsware beliefert, war schon öfter Schauplatz von Reportagen, vor allem, nachdem 7 Personen beim Brand einer dieser Sweatshops zu Tode kamen.
Prato war ursprünglich ein Zentrum der italienischen Textilindustrie für Gewebe – Stoffe und Tuch, die dann woanders weiterverarbeitet wurden. Mit dem Niedergang der italienischen Textilindustrie durch die Fernost-Konkurrenz mußten viele Firmen zusperren, und die neuen chinesischen Unternehmer mieteten sich in die verlassenen Fabriksgebäude ein, die seither zu Arbeits- und Schlafplätzen für Zehntausende von fleißig im Akkord zuschneidende, nähende, bügelnde und verpackende chinesische Arbeiter verwandelt wurden. Das Geschäftsmodell von Prato wurde sozusagen umgedreht, die Stoffe kommen aus Fernost, verarbeitet werden sie jedoch vor Ort.
Mit einer Mischung aus Neid und Gruseln wird regelmäßig berichtet, wie dort jede Menge von Männern und Frauen auf engstem Raum ohne Murren oder Beschwerden – freiwillig! – schuftet, wie man es eben den chinesischen Kulis nachsagt, und diese Branche in Italien exklusiv beliefern. Pronto moda – „schnelle Mode“ werden ihre Erzeugnisse genannt, und kriegen dann neben dem „Made in Italy“ dann noch den Markennamen verpaßt, der dem Endverkäufer seinen Profit sichert.
Die Nähfabriken von Prato können auch deshalb preisgünstig verkaufen, weil der Zwischenhandel ausgeschaltet wurde. Die Fabriksbesitzer von Prato, die diese Konservenbüchsen voller chinesischer Ameisen betreiben, verkaufen direkt an die mondänen Geschäfte in den norditalienischen Innenstädten. Außerdem an der Steuer und anderen Gebühren vorbei, was ihnen einen zusätzlichen Konkurrenzvorteil verschafft.
Man kann von diesem Geschäftsmodell halten, was man will – für die Verbreitung des Coronavirus in Italien scheinen die chinesischen Näher(innen) nicht verantwortlich zu sein – obwohl manche Artikel das nahelegen.
Erstens fahren sie fast nie weg, weil sie Geld aufhäufen für die angestrebte eigene Selbstständigkeit. Besuch erhalten sie auch keinen, weil bei ihren engen Schlafkojen sowieso kein Platz wäre für Gäste. Sie sitzen auf ihren Arbeitsplätzen und verlassen schon die Fabrik und zusätzlich Prato fast nie.
Nach Prato kommt der Rohstoff per normaler Transportmittel, und ebenso fährt die fertige Ware von dort weg, also keineswegs exklusiv chinesisch.
Ein letzter Grund ist, daß die Textilindustrie von Prato nicht mit der chinesischen Provinz Hubei zusammenhängt, wo der Ausgangspunkt des Virus in der Stadt Wuhan liegt, sondern aus der an der Küste liegenden Provinz Zhejiang, vor allem in der Stadt Wenzhou, die als Ursprung des Feng shui gilt.
Außerdem sind die Ansteckungspunkte und Verbreitungsgebiete in Italien nicht die Toskana, wo Prato liegt, sondern die Lombardei, gefolgt von der Emilia-Romagna und dem Veneto.
Fortsetzung folgt: Der Tourismusmagnet Venedig