Pressespiegel: Komsomolskaja Prawda, 19.3.

DER MAIDAN, DIE EU UND DIE USA
Interview mit Alexander Jakimenko, dem bisherigen Chef des Ukrainischen Geheimdienstes SBU (Auszug)

KP: … nach Ihren Informationen, entstand die Bewegung auf dem Maidan spontan, oder war sie gründlich vorbereitet?

A.J.: Einerseits war sie spontan, andererseits war das eine Aktion, die mehr als ein Jahr vorbereitet worden war. Aufgrund der Informationen, über die wir verfügen, bereiteten Europa und die USA diese Protestaktionen für das Jahr 2015 vor. Sie beschlossen, daß sie keinen Präsidenten Janukowitsch brauchen. Gleichzeitig wollte der Westen, daß die Ukraine dennoch aus Rußland Geld erhalten sollte, um seine Wirtschaft zu entwickeln. Mit China und Russland waren Verträge unterzeichnet worden, um bedeutende Investitionen in die ukrainische Wirtschaft hereinzubekommen – es ging um viele Milliarden Dollar. Das war mit der EU vereinbart. Aber fürs Jahr 2015 wollten sie, mittels des Maidan, (also durch Proteste der Straße) den Präsidenten auswechseln und einen anderen einsetzen, der dem Westen recht gewesen wäre und die Ukraine mit dem Geld Rußlands nach Europa führen würde. Aber die Situation änderte sich. Und Europa und die USA mußten vom Blatt improvisieren.
Ich möchte betonen, daß der Präsident und die Regierung ihren Verpflichtungen gegenüber Europa, dem Maidan, den Führern der Opposition stets nachgekommen sind. Nicht nur sie, sondern auch die Sicherheitsbehörden. Keine einzige Vereinbarung mit dem Maidan, oder besser: mit den Führern der Opposition, wurde von ihnen nicht eingehalten. Aber sie wurden in einem fort betrogen. Während der Präsident einen Kompromiß suchte, konnte die Opposition keinen Konsens finden, weder untereinander noch mit dem Maidan. Und deshalb wurde keine Bedingung der Übereinkunft erfüllt.

KP: Es gab eine große Masse von Menschen auf dem Platz. Und das Rückgrat derselben war straff strukturiert. Woher kam das?

A.J.: Es gab sogenannte Vyschkoly (ukrainisch-weißrussischer Begriff, Schulungen, Ferienlager), die zwei oder drei Mal im Jahr stattfanden, und zu denen junge Menschen gingen, um sich für Kampfhandlungen vorzubereiten.
Sie fanden in den Wäldern der westlichen Regionen statt, und wenn es nicht möglich war, wurden diese im Ausland abgehalten – in Polen, Litauen und Lettland. Und diese solchermaßen geschulten Gruppen waren straff organisiert und lenkbar. Sie hatten ihre Anführer – für Zehnergruppen und Hundertschaften. Diese Ausbildungslager wurden bereits unter der Präsidentschaft Juschtschenkos geplant, und die Westukraine erhielt dafür beträchtliche Mittel aus dem staatlichen Budget. Die Regionalparlamente hatten bereits Beschlüsse gefaßt, diese Mittel für diese Ausbildungslager zu verwenden, wo zukünftige Kämpfer unter dem Deckmantel von Kampfsportarten ausgebildet wurden. Die Gelder aus dem Budget wurden so verwendet, mit dem Argument, das sind unsere Kinder, wir versorgen sie, und sie spielen ja nur.
Und einige dieser Hundertschaften erschienen um einiges später auf dem Maidan. Sie wurden speziell angekarrt, um gewalttätige Aktionen in die Wege zu leiten.

KP: Es wurden Tote in Kauf genommen. Was ist über die ersten Toten bekannt? Die Geschichte mit diesem Armenier ist unklar. Und mit dem Weißrussen auch. (Die ersten Toten auf dem Maidan waren armenischer und weißrussischer Nationalität.)

A.J.: Die ersten Opfer tauchten auf Hruschevskovo-Straße auf. An diesem Tag war die Lage sehr angespannt, es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den „Berkut“-Truppen, den Einheiten des Innenministeriums und den oppositionellen Kräften – von „Swoboda“, dem „Rechten Sektor“ und den Selbstverteidigungskräften. Die „Berkut“-Einheiten attackierten und drängten die Brandbomben, Steine und andere Gegenstände Werfenden zurück. Im Zuge einer dieser Vorstöße zogen sich die „Berkut“-Einheiten 10-15 Meter zurück und standen hinter den Einsatzkräften des Innenministeriums. Aber an der Stelle, wo die (oppositionellen) Aktivisten und Militanten standen, lagen auf einmal zwei Leichen. Woher die kamen, konnte niemand erklären. Von denen, die diese beiden jungen Männer getötet haben, wurde die Theorie verbreitet, daß die Leichen nach dem „Berkut“-Angriff gefunden worden waren. Aber die „Berkut“-Leute waren gar nicht bis zu dieser Stelle vorgestoßen! Und der Lärm wurde schnell erstickt.

Es gab gar keine Reaktion auf diese beiden Leichenfunde. Dazu kommt, daß die Polizei, als sie die beiden Leichen untersuchen konnte, feststellte, daß die Einschüsse in einem 45-gradigen Winkel von unten erfolgt waren. Der Ort, wo sie erschossen wurden, ist bis heute unbekannt. Es ist auch von Interesse, daß ein Video über den erschossenen Armenier 40 Minuten nach seiner Ermordung (am Internet) erschien. Aufnahmen, auf denen er (Gedichte von) Schewtschenko rezitiert, und ein Foto von ihm. Das war alles für seinen Tod vorbereitet. Aber die „Berkut“-Einheiten und diejenigen des Innenministeriums hatten zu diesem Zeitpunkt nur Schlagstöcke und Feuerlöscher bei sich, um sich vor den Molotow-Cocktails zu schützen

(Es folgt ein Bericht darüber, wie Klitschko versuchte, sich auf dem Maidan wichtig zu machen und von den Rechtsradikalen eine Abfuhr erhielt. Nur aufgrund des Schutzes einiger Afghanistan-Veteranen kam er ungeschoren davon.)

KP: Sie erwähnten Poroschenko. (Poroschenko ist einer der großen Oligarchen der Ukraine. Wegen einer Süßwarenfabrik, die er besitzt, nennt man ihn den „Schokoladekönig“) Es stellt sich heraus, daß er sich durch den Maidan zu einem der führenden Politiker entwickelt hat. Gab es Oligarchen, die den Maidan nicht unterstützten?

A.J.: Im Wesentlichen keine. Sie wurden zu Geiseln der Situation, die sie selbst herbeigeführt hatten. Ihre Vermögenswerte, Bargeld, die sie im Laufe der Jahre angesammelt haben, sind in Europa und den USA.
Was Poroschenko betrifft, so ist es nicht der Maidan, der ihn zum Führer gemacht hat, sondern die, die ihn steuern. Das sind die Botschaft der USA und die EU.

KP: Um ehrlich zu sein, es war verwunderlich, in welchem Ausmaß westliche Diplomaten während der Ereignisse auf den Maidan pilgerten.

A.J.: Und das angesichts dessen, was dort vor sich ging. Gebäude wurden erstürmt, man schlug sich gegenseitig den Schädel ein. Und plötzlich versammeln sich dort die Leiter der Botschaften. Wie ist das mit den internationalen Gepflogenheiten vereinbar? Daß Botschafter kommen und rund um die besetzten staatlichen Gebäude spazieren. Und es fanden ständig Treffen mit Abgesandten aus den Botschaften der Vereinigten Staaten und Polens statt. Ich kann da einiges aufzählen. Kaum gab es einen der regelmäßigen Spritzer des Radikalismus auf dem Maidan, schon begannen eine halbe Stunde später Europa und die USA zu schreien, der Präsident und die Sicherheitskräfte dürften dem keineswegs mit Gewalt begegnen. Sie verurteilen den Einsatz von Gewalt gegen die friedlichen Proteste! Während dieser Zeit war es physisch unmöglich, auch nur eine Pressemitteilung schreiben.
Im Wesentlichen finanzierte sich der Maidan zunächst durch verschiedenen Kräfte, in unterschiedlicher Weise, wie durch verschiedene nichtstaatliche Stiftungen, gemeinnützige Organisationen, aber auch Botschaften. Dies wird durch die Tatsache belegt, daß sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne die Diplomatenpost beinahe verzehnfacht hat.

KP: Aus den USA?

A.J.: Nicht nur. Auch aus Polen. In unterschiedlichen Mengen, jeweils über die eigenen Botschaften. Aus den USA per Flugzeug, aus Polen mit Autobussen. Auf dem Maidan begannen frischgedruckte Dollars aufzutauchen. Und in Wechselstuben, die in der Nähe des Maidan waren, gab es diese Dollars als Wechselgeld. Das zeigt einiges auf. Auf den Maidan wurden neue Zelte gebracht, mit teurer Ausrüstung wurde die Dauerhaftigkeit dieser Maidan-Proteste gewährleistet. Auf einmal wurden kugelsichere Westen, Schlagstöcke, Schilde, Helme und Gasmasken eingekauft

KP: Es stellt sich also heraus, daß das alles vorher vorbereitet war?

A.J.: Das System entwickelte sich mit der Zeit. Ursprünglich war alles für 2015 vorgesehen. Zu Beginn der Wahlkampagne hätte sich die Protestbewegung auf dem Maidan bilden und Aktionen anstiften sollen, die sich dann zu einer bewaffneter Konfrontation weiterentwickeln würden. Soweit war die Angelegenheit bereits geplant. Alle Schritte, von der Einnahme der Gebäude in Kiew bis zur Erstürmung der Waffenlager sowohl des Innenministeriums als auch der Streitkräfte waren bereits geplant.
Zunächst trafen sich die EU und die USA öffentlich mit denen, die sie als Führer des Maidan betrachteten, mit Klitschko, Jazenjuk, Tyahnibok und anderen. Und nur die USA begriffen, wer wirklich führt, und wie geführt wird. Und sie begannen mit ihnen zusammenzuarbeiten.

KP: Mit wem?

A.J.: Die Personen, die ihnen zu Willen waren und dies im Untergrund durchführten, und alle radikalen Aktionen anleierten, waren Lutsenko, Gritsenko, Gwozd, Malomusch und Nalivajtschenko, der den Sicherheitsdienst von UDAR leitete. Und die Leute, die ihnen zur Seite standen. Ihnen und den USA genügten diejenigen Kräfte nicht, die sie sich schließlich kauften und derer sie sich bedienten, um den bewaffneten Umsturz herbeizuführen. Sie führten Verhandlungen mit der „Swoboda“, die ihre Vorschläge verwarf, und mit dem „Rechten Sektor“, der von ihren Vorschlägen auch nichts wissen wollte. Aber dann fanden sie jemanden, der sich für sie einspannen ließ. Das war zwei Tage vor den grauenhaften Ereignissen, die sich dann auf dem Maidan abspielten. Diese Person war Parubij.

KP: Was meinen Sie? Der Kommandant des Maidan? Der Mann, der in der öffentlichen Wahrnehmung jemand zwischen Verwalter und Befehlshaber des Maidan

A.J.: Ja, genau der. Die Struktur des Maidan war so beschaffen, daß jede Einheit für ihr Territorium verantwortlich war. Auf so einem Territorium hatte ein Vertreter anderer Einheiten nichts verloren. Niemand verstieß dagegen, weil das konnte unangenehm werden, bis zu physischen Auseinandersetzungen. Aber damit jemand überhaupt das Territorium des Maidan betreten konnte, dafür waren die Selbstverteidigungskräfte zuständig, und damit ihr Kommandant Parubij. Auch was an Lebensmitteln und Medikamenten dorthin kam, und die LKWs und Personen, die sie brachten, überwachte er persönlich und ausschließlich er. Als die ersten Waffen auftauchten, beobachteten wir, wie jede Ladung von ihm genehmigt wurde. Wer ihn zu umgehen versuchte, kam nicht durch. … Eine Schlüsselposition. Weder die „Swoboda“ noch der „Rechte Sektor“ konnten sich ohne Parubijs Erlaubnis versorgen.
Mit ihm führten die Amerikaner Verhandlungen am 19. Feber bis 11 Uhr abends, die mit der Vereinbarung endeten, daß er die ihm verfügbaren Einheiten für weitere, nicht genau umrissene Aktivitäten am 20. einsetzen würde.

KP: Am 20., wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, verübten die Maidan-Aktivisten ohne ersichtlichen Anlaß einen Angriff auf die „Berkut“-Einheiten?

A.J.: Da gibt es noch ein Detail. Für diesen Angriff wurden neu gebildete Hundertschaften verwendet. Die, die schon länger auf dem Maidan waren und den Kern der geschulten Kämpfer bildeten – denn auf dem Maidan wurden ständig Übungen abgehalten – wurden nicht eingesetzt, sondern solche, die gerade erst angekommen waren. Sie wurden auf den Maidan gelassen und organisierten sich, alles mit der Erlaubnis Parubijs.
An diesem Morgen begann der von Schüssen begleitete Angriff auf die Sicherheitskräfte des Innenministeriums und auf die „Berkut“-Einheiten. Er ging vom Gebäude der Philharmonie aus, und wir sehen das so, daß sich dort Parubijs Stab befand. Nach 30 Minuten gab es 23 Verletzte unter den Ordnungskräften des Innenministeriums und den „Berkut“. Aber nachdem dieser Angriff zurückgeschlagen worden war, wurden die Kämpfer von hinten von Heckenschützen beschossen. Viele Politiker wissen davon. Sogar solche, die jetzt Regierungsfunktionen innehaben. Aber niemand will das zugeben.

KP: Weiß Europa von diesem Schachzug der USA, oder geschah das hinter dem Rücken der EU?

A.J.: Erinnern Sie sich an das Gespräch Nulands mit dem Botschafter der USA, das soviel Staub aufgewirbelt hat. Sie drückte dort ihr Verhältnis zur EU klar aus. Die EU wollte nicht, daß sich die Lage so entwickelt. Sie wollten Verhandlungen, Ausschöpfung der Möglichkeiten, Einigung zwischen Präsident und Opposition. Sie wollten sich als Vermittler zwischen der Ukraine und Rußland aufstellen und ihren Assoziationsvertrag durchbringen.

KP: Europa war mehr auf dem Evolutions-Weg?

A.J.: Noch bis zum letzten Augenblick redeten sie davon, bereit zu sein, ihre ganze Position gegenüber Russland und der Ukraine zu überdenken. Das paßte den USA überhaupt nicht. Wenn sie sich an den Verhandlungstisch gesetzt, einen Konsens in dieser Frage (welcher?) gefunden hätten und irgendetwas Vorteilhaftes für die Ukraine (was nur?) gefunden hätten, – das hätte den USA nicht gefallen, wie Nuland auch sagte: Europas Maßnahmen paßten ihnen nicht, und es sei unbedingt notwendig, Gewalt anzuwenden.

USA zeigte seine Verachtung nicht nur gegenüber Russland, von der Ukraine ganz zu schweigen, aber sie spuckten auch auf Europa. Sie gaben der EU eine Ohrfeige, wenn nicht mehr. Aus einer europäischen Politik für die Ukraine wurde nichts.

Der Westen verstand nicht, daß die Oppositionsführer – ich rede jetzt nicht von Tyahnibok, sondern von Jazeniuk und Klitschko – daß diese Leute nicht die Repräsentanten des Maidan sind. Es sind nur Leute, die auf irgendeinem Weg an die Macht gekommen sind – wie Jazeniuk. Die wirkliche Macht liegt bei Parubij. Jetzt stellt sich heraus, daß der Leiter der SNBO – des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung – eine Kreatur der USA ist. Er ist ein Provokator, mit dem die USA Vereinbarungen getroffen haben, und der ihre Befehle ausführen wird.

KP: Der Leiter des Nationalen Sicherheitsrates – ein Geschöpf der USA, der Leiter der SBU Nalivajtschenko – ein Geschöpf der USA, gegen den sogar ein Strafverfahren eröffnet wurde? Was geht da vor?

A.J.: Ich betone, warum diese Personen in diese Positionen gehievt wurden. Ich sagte, daß der Maidan diese Aktionen, die Jazeniuk bzw. seine Regierung durchführen, nicht akzeptieren wird. Die radikale Kräfte brauchen das nicht. Sie wollen einen völlige Umverteilung der Macht. Sie wollen eine komplette Änderung des Systems, die in der Ukraine herrscht. Und der Maidan will von Polen, der EU und den USA nichts wissen. Und genau solche Leute wie Nalivajtschenko und Parubij und ihre Leute sollen jetzt den Maidan auflösen, diejenigen Kräfte vernichten, die den Vorstellungen der USA etwas entgegensetzen können. Sie werden das mit verschiedenen Machinationen und Verhaftungen zu erreichen versuchen. Daran beteiligt sich jetzt auch das Innenministerium, obwohl das bis zu einem gewissen Grade demokratisiert wurde. (?) Diese Kräfte sollen also mit Überredung, Betrug und Geld den Protest vom Maidan wegräumen. Also die Repräsentanten des Protestes, die sich noch auf dem Maidan befinden, auf die Seite der USA ziehen.


Ergänzung: Die Heckenschützen des Maidan

Die Besprechung der Weltpolitik

DEMOKRATISCHER PERSONENKULT 2014
„Wählen, was Putin will“ (Die Zeit, 16.3.) – „Putin, der auf Währungsreserven sitzt, die zu den größten der Welt gehören“ (Tiroler Tageszeitung, 17.3.) – „Wie hart muss der Westen Putin bestrafen?“ (Bild, 17.3.)
„Verzocken Janukowitsch und Asarow die Ukraine?“ (Berliner Tageszeitung, 29.11. 2013) – „Janukowitsch möchte das Handelsabkommen unterzeichnen“ (Huffington Post, 12.12. 2013)
„Präsident Obama schlug die Russen mit Sanktionen“ (New York Daily News, 6.3.) – „Obama stärkt Jazenjuk den Rücken“(ORF, 12.3.) – „Obama muss sich als Krisenmanager bewähren“ (Standard, 3.3.)
„Merkel ringt Putin in Krim-Krise Zugeständnis ab“ (n-tv 16.6.) – „Merkel bekräftigt Drohung mit EU-Wirtschaftssanktionen“ (FAZ, 13.3) – usw.
Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ drängen sich auf:
„Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“
Wenn man dergleichen Meldungen ernst nehmen würde, so entsteht der Schein, es wären wirklich nur ein paar Supermänner und -frauen, die die Welt regieren, der Rest sind Statisten, oder bloße Befehlsempfänger.
Damit wird ein demokratisches Ideal verbreitet und gepflegt: daß sich die werte Bevölkerung brav in regelmäßigen Abständen die Personen aussucht, die dann Land und Leute beherrschen und benützen, und sich nach der Bestellung ihrer Herren widerstandslos für alle Ziele der Politik einspannen läßt.
Mit dieser Art der Berichterstattung soll dem Leser/Hörer auch nahegelegt werden, sich vorzustellen, man müßte nur eine böse oder unnötige Figur wegräumen, entweder durch Krieg und Enthauptung, wie Saddam Hussein, oder durch einfaches Einsetzen eines geeigneten Technokraten, wie Monti oder Papadimos, oder durch eine sogenannte Revolution von der Straße, wie Mubarak oder eben jetzt Janukowitsch – und alles würde gut. Trotz der gegenteiligen Beispiele aus Irak, Ägypten usw. wird zäh an diesem Personenkult festgehalten: Die Welt wird so dargestellt, als gäbe es auf der einen Seite einen allmächtigen Alleinherrscher, und auf der anderen Seite das passive, gehorsame Volk.
Erstens haben ja sowohl Putin als auch Merkel eine Regierungsmannschaft hinter sich, die ihre Entscheidungen mitträgt und unterstützt. Zweitens haben auch beide große Teile der Bevölkerung ihres Landes auf ihrer Seite. (Das wird von der Presse im Falle Deutschlands wohlwollend quittiert und als Charisma der Kanzlerin positiv verbucht, während es in Rußland verärgert und als „Gefahr für die Demokratie in Rußland“ zur Kenntnis genommen wird.) Es sind also keineswegs einsame Entscheidungen, die diese Machthaber treffen, sondern sie beruhen auf Konsens und werden daher von einer Mehrheit mitgetragen. Die Regierungen Rußlands und Deutschlands sind also handlungsfähig.
Schon ein wenig anders ist die Lage bei Barack Obama. Der Präsident der Weltmacht Nr. 1 kann zwar Pakistan mit einem Drohnenkrieg überziehen und dort regelmäßig Dörfer in Schutt und Asche legen. Aber im eigenen Land schafft er es nicht, eine landesweite Krankenversicherung durchzusetzen, und inzwischen hat sich das Theater etabliert, das jedes Jahr einmal um das Budget und die Verschuldung aufgeführt wird. Die US-Regierung ist mit einem System von Institutionen und einer Opposition konfrontiert, die den Staat zeitweise an den Rand der Handlungsunfähigkeit bringen.
Noch anders ist die Lage in der Ukraine. Die ukrainische Führung hatte gar nicht die Autorität und die Mittel, ein Gewaltmonopol zu errichten. Das Land funktioniert nach einer Art Konkursverwaltung, wo sich die Verwalter aus der Masse bedienen. Es gibt keine Trennung zwischen Staat und Privatsektor, es fand keine Privatisierung statt, der Staat kann seine Rechnungen nicht zahlen, er hat keinen Kredit, und kann sich daher kaum über Verschuldung finanzieren. Nirgends war also das Bild des allmächtigen Herrschers falscher als in der Ukraine. Der „Statthalter“ Rußlands, die Marionette der ukrainischen Oligarchen, die im Parlament nur mittels Duldung der Kommunistischen Partei Mehrheiten zustande und Gesetze durchbringen konnte, wurde von den westlichen Medien zu einem Willkürherrscher aufgebaut, der in der Ukraine nach Belieben schalten und walten kann.
Zunächst wurde Janukowitsch von den Medien als Bösewicht dargestellt, dessen Laune es zu verdanken sei, daß das Assoziationsabkommen nicht zustandekam. Sozusagen aus Jux und Tollerei, oder weil er sich von Putin „unter Druck“ habe setzen lassen, habe er und nur er die Unterschrift „verweigert“. Damit wurde einerseits das Bild vermittelt, es läge nur an ihm und hätte nichts mit irgendeiner Staatsraison zu tun, wie die Entscheidungen der ukrainischen Regierung ausfallen. Zweitens wurde damit so getan, als wäre dieser Vertrag eine wahre Wohltat für die ukrainische Bevölkerung, die ihr durch die Engstirnigkeit oder Selbstsucht eines einzigen Mannes verwehrt wurde.
Als dann Janukowitsch – für die EU-Politiker überraschend – gestürzt wurde, waren kurzzeitig lange Gesichter angesagt. Der mühsam aufgebaute Drehpunkt der eigenen Interessen war weg. Und damit war auch die Vorstellung blamiert, man müsse nur auf den – rechtmäßig gewählten – „Diktator“ genug Druck machen, damit sich dieser den eigenen Ansprüchen beugt.
Die jetzigen beiden Hampelmänner aus der Timoschenko-Truppe unterschreiben zwar bereitwillig alles, was man ihnen vorlegt, inwiefern sie das aber durchsetzen können, ist unklar. Es werden jedenfalls von EU und IWF Fakten gesetzt, um dann später Rechtstitel gegen etwaige andere Politiker in der Hand zu haben.
Es ist durchaus möglich, daß diese harten Bedingungen, die jetzt dieser sogenannten Übergangsregierung („Übergang“ wohin?) diktiert werden, dann auch der Grund werden, warum gar keine Regierung mehr zustandekommt: Sich eine Regierung wählen, die die Preise erhöht und die Gehälter und Pensionen kürzt, – ja natürlich, aber dafür gehören wir jetzt zu Europa?!
In diesem Falle wären die triumphierend vorgelegten und von den Statthaltern der EU unterzeichneten Vertragswerke allerdings Makulatur, und etwaige Kredite des Westens (IWF, EU, private Banken) stünden auf dem Spiel.

Was man aus den Ereignissen in der Ukraine über die moderne Herrschaft lernen kann

DEMOKRATIE 2014 – WEDER VOLK NOCH HERRSCHAFT

Bisher, so war der lose Konsens, nannte man solche Regierungen demokratisch, die durch Wahlen an die Macht gekommen waren. Zugegeben, so Dinge wie eine geringe Wahlbeteiligung wurden zwar von den Medien bedauernd vermerkt, aber irgendwie erhielten die solchermaßen zustande gekommenen Regierungen das Etikett „demokratisch“ verpaßt.

Hier merkte man natürlich als aufmerksamer Leser auch, daß ein und die gleiche Erscheinung anders bewertet wurde, ob sie in einem EU-Mitgliedsland oder einem Nicht-EU-Land stattgefunden hatte. Eine geringe Wahlbegeisterung in der Ukraine oder Rußland wird anders kommentiert als in Ungarn oder Spanien, wo sie zumeist gar nicht thematisiert wird.
In dieser unterschiedlichen Betrachtungsweise zeigt sich ein Bewußtsein dessen, daß entgegen aller Propaganda über die Wichtigkeit und Entsprechung der Natur des Menschen, die freien und geheimen Wahlen innewohnt, sie doch ein bloß formaler Akt sind, während die Stabilität und Marktwirtschafts-Gemäßheit einer politischen Führung sich anderen Faktoren verdankt, die durch diesen Zettel-Zirkus nur bestätigt werden.

Mit anderen Worten: Die Ermächtigung der Herrschaft durch Ankreuzen auf dem Stimmzettel hat nur dann ihre Wirkung, wenn die solchermaßen zu den Urnen strömenden Bürger die Herrschaft von Freiheit des Eigentums und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz anerkennen und wollen. Sie müssen sich auch dann, wenn sie nicht als Bourgeois, sondern als Proletarier an der kapitalistischen Gesellschaft teilnehmen, bei der Bestellung derer, die über sie bestimmen, als Citoyen betätigen. D.h., sie müssen sich auch dann, wenn sie in dieser Gesellschaft Loser sind, zu der Macht mehrheitlich zumindest wohlwollend verhalten, die ihnen dieses Leben ermöglicht und auch verordnet.

Die Politiker und Meinungsmacher hierzulande wissen, daß Wähler und Nichtwähler gleichermaßen über den Zwangszusammenhang des Geldes, der Konkurrenz und der Lohnarbeit längst in das Staatswesen eingebunden sind und ihre formelle Zustimmung zwar schön, aber nicht unbedingt notwendig ist.
Gegenüber dieser propagandistischen Sicherheit, daß die Wahlen sowieso nur die Richtigen an die Macht bringen können, weil Politiker und Staatsbürger sowieso nur an der Aufrechterhaltung der Marktwirtschaft interessiert sind, gab es anläßlich der griechischen Wahlen 2012 einige Neuerungen bzw. Klarstellungen.
Wenn ein Land in der imperialistischen Konkurrenz schlecht gefahren ist, wenn Handel und Wandel sich zerstörerisch auf die nationale Kapitalakkumulation und die Einbindung der arbeitenden Bevölkerung in dieselbe ausgewirkt haben, so kommt es dennoch einer Regierung nicht zu, daran Korrekturen vorzunehmen. Den Griechen wurde von allen Seiten befohlen, sich eine Regierung zu wählen, die so weiter macht wie bisher, was die Freiheit des Kapitals im Lande betrifft, und sich ansonsten den Vorgaben der EU unterordnet.

Die Ukraine ist ein anderer Fall. Daß in diesem Land keine nennenswerte Kapitalakkumulation stattgefunden hat und daher ein Großteil ihrer Bewohner sich für gar kein Kapital nützlich machen kann, wurde nicht dem bereits fertig eingerichteten Weltmarkt zugeschrieben, auf dem ukrainische Produkte entweder nicht konkurrenzfähig waren, oder aber nicht zugelassen wurden, wenn sie konkurrenzfähig waren. Es wurde einer unwilligen Führung angelastet, die sich viel zu sehr dem Einfluß Rußlands hingibt. Der erste Versuch, eine der EU, den USA und dem westlichen Kapital genehme Regierung in den Sattel zu heben, war die Orange Revolution. Ihr Scheitern war dem Umstand geschuldet, daß auch eine prowestliche Regierung die ökonomische Struktur des Landes nicht verändern konnte. Mangel an Kapital, Mangel an Zahlungsfähigkeit, überflüssige Bevölkerung, die sich im Ausland verdingen muß, Abhängigkeit von russischen Energielieferungen – das Regieren über dieses große Land, das weder eine funktionierende Marktwirtschaft in Gang bringen kann noch eine sozialistische Kommandowirtschaft à la Lukaschenko in die Wege leiten will, ist im Grunde eine ständig fortgesetzte Konkursverschleppung, die mit Geld- und Kreditspritzen sowohl Rußlands als auch der EU bisher immer hinausgeschoben wurde.

Die EU in ihrem maßlosen Anspruch, ihren imperialistischen EInfluß auf die Ukraine auszudehnen, hat jetzt wieder neue Maßstäbe für die Begriffe „Demokratie“ und „demokratische Wahlen“ gesetzt:
Nur eine ihr genehme Herrschaft wird als demokratisch anerkannt. Bei der ist es aber dann gleichgültig, inwiefern sie durch den Wahlzirkus legitimiert ist. Die kann durchaus durch Straßenkämpfe an die Macht geputscht worden sein. Das heißt dann „Revolution“ und ist viel besser als „demokratische Wahl“, solange damit „unsere“ EU-Statthalter an die Macht gekommen sind, die alles machen werden, was wir von ihnen wollen. Die dürfen dann auch Antisemiten sein, Neonazis, gewaltbereit und rassistisch – lauter Dinge, die in der EU bisher mit Verboten und Sanktionen behandelt worden sind.
Diese Klarstellung sollte man einmal zur Kenntnis nehmen, sie weist nämlich weit über die Ukraine hinaus und eröffnet neue Perspektiven für die Krisenbewältigung in der EU.

In Bezug auf die Ukraine wurde zweierlei erreicht: Ein paar Tausend bewaffnete Krawallmacher wurden zum „Volk“ erklärt, dem sich die restlichen 45 Millionen der Ukraine unterordnen sollen. Der gewählte Präsident wurde aus dem Amt gejagt und eine Übergangsregierung eingesetzt, hinter der eingestandenermaßen niemand steht. Sogar die Putschisten nicht, die sich weigern, ihre Waffen abzugeben oder besetzte öffentliche Gebäude zu verlassen. Die Regierung verfügt also über kein Gewaltmonopol und ist somit keine Regierung. Die Bevölkerung der Ukraine steht entweder nicht zu ihrem Staat oder möchte einen großen Teil ihrer Mitbürger am liebsten von jeder Beteiligung ausschließen, wie der Vorschlag der Swoboda zeigt, eine Klasse von Landesbewohnern ohne Staatsbürgerschaft zu schaffen.

Schlüsse und Perspektiven

Der Zusammenhang zwischen Oben und Unten ist also endgültig in die Brüche gegangen, und das unter tatkräftiger Mithilfe der EU-Politiker.
Die Ukraine verfügt über kein Staatsvolk, das sich als einheitlicher Wille auf eine kapitalistische Konkurrenzgesellschaft bezieht.

Die Ukraine verfügt über keine kapitalistische Marktwirtschaft, die über Scheidung in Kapitalbesitzer und Eigentumslose klare Verhältnisse darüber schafft, wer wessen Eigentum vermehren darf.
Die Ukraine verfügt über keine nennenswerten Rohstoffquellen, mit denen etwaige Unternehmer auf dem Weltmarkt reüssieren könnten. Ihr einziger Rohstoff ist Kohle, die aber heute auf keine besondere Nachfrage trifft, zumindest in der Nähe.
Die Staatsgewalt hat daher keine Einnahmequellen, aus denen sie ihren Gewaltapparat finanzieren könnte.

Daß sie über keinen schlagkräftigen Gewaltapparat verfügt, haben die Ereignisse der letzten Monate gezeigt, und deshalb gibt es auch keine Gewalt, der das Land zusammenhalten könnte.
Einmischungen in den bevorstehenden Bürgerkrieg und die Teilung des Landes haben das Potential eines Showdowns der Weltmächte, und daher eines 3. Weltkriegs, der der letzte sein wird.