Die Schatten der Vergangenheit?

GENOZID
Anläßlich des 100. Jahrestages der Deportationen der Armenier im Osmanischen Reich, aber auch wegen der im Rahmen der polnisch-russischen Spannungen wieder aufgelebten Debatte um Katyn ist der Begriff des Völkermords derzeit wieder in aller Munde. Die Gemüter erhitzen sich, diplomatische Noten werden ausgetauscht, Moralwachteln und Nationalisten beschuldigen einander der Geschichtslügen, und ergreifen den Anlaß, um ihrer Selbstgerechtigkeit und ihrem Rassismus wieder einmal freien Lauf zu lassen.
Bei diesem verbalen und schriftlichen Schlagabtausch wird so getan, als sei das Genozid eine erwiesene Tatsache, die von irgendwelchen Schuften geleugnet wird – wie manchmal unterstellt wird, sicher mit dem bösen Hintergedanken, schon den nächsten Völkermord zu planen. Die Genozidvorwürfe gehen daher mit dem entsprechenden Erdogan- und Putin-bashing einher.
Dabei ist das Genozid als juristischer Begriff einer der umstrittensten überhaupt.
1. Das Völkerrecht
Zum Unterschied vom innerstaatlichen Recht, wo ein Gewaltmonopol das Recht setzt und alle seine Bürger darauf verpflichtet, gibt es im Völkerrecht eine solche übergeordnete Instanz nicht. Hier stehen sich Gewaltmonopole gegenüber. Alle Fragen des Völkerrechts betreffen dadurch unmittelbar die Souveränität und werden daher von Regierungen und Verfassungsjuristen mit Vorbehalt behandelt: Man möchte sich dieses Instrumentes vielleicht gegenüber einem anderen Souverän bedienen, aber dabei verhindern, daß es gegen den eigenen Staat in Anschlag gebracht wird.
Aus diesem Umstand, daß sich auf dem Boden des internationalen Rechts feindliche Brüder, Konkurrenten um Weltmacht und Weltmarkt gegenübertreten, ergibt sich auch, daß das Völkerrecht ständig umgeschrieben werden und sich den jeweiligen Konstellationen anpassen muß. Sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung, also des Abfassens von Tatbeständen und den dafür verhängten Strafen, als auch in der Rechtspflege gibt es da viel Anlaß für Streit und Reibungen.
So gibt es z.B. seit 2002 einen internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der von den USA nicht anerkannt wird. Verschiedene mit den USA verbündete Staaten haben bereits Erklärungen abgegeben, dorthin niemals US-Staatsbürger ausliefern zu wollen. Viele Menschenrechts-Fans betrachten das als Skandal und Mißachtung des Rechts durch die USA. Sie begreifen nicht, oder wollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß nicht das Recht über der Macht steht, sondern umgekehrt, und daß es eben die Weltmacht ist, die die Normen setzt oder dies zumindest anstrebt.
2. Der historische Kontext, unter dem der Begriff „Genozid“ entstand
Der Mann, der das Genozid „schuf“, der jüdisch-polnische Jurist Raphael Lemkin, sollte 1943 im Auftrag der polnischen Exilregierung einen Begriff erfinden, oder einen Tatbestand definieren, mit dem die Verbrechen der deutschen und sowjetischen Besatzungstruppen in Polen angeklagt werden konnten.
Die Schwierigkeit, die er vor sich hatte, war zunächst, daß damals der II. Weltkrieg noch im Gange war, obwohl sich die Niederlage der Achsenmächte bereits abzeichnete. Das erste und Allerwichtigste war, den Krieg als solchen, der ja durchaus als Völkermord betrachtet werden kann, aus dieser Definition auszugrenzen. Der Krieg ist nämlich etwas, was sich jede Nation als wichtigstes und letztes Mittel der Durchsetzung bzw. Selbstbehauptung vorbehält, ihn als solches als Verbrechen zu qualifizieren, geht gegen die Grundlagen des Völkerrechts.
Lemkin wollte auch einen Tatbestand festlegen, nachdem folgende Ereignisse strafbar gemacht werden konnten:
1. der Völkermord an den Armeniern 1915 ff., der seit damals unter den Juristen, die sich mit internationalem Recht befaßten, eine ungelöste und ungesühnte Tat darstellten, einen historischen Präzedenzfall, der auch ihn selbst seit seiner Studienzeit beschäftigt hatte,
2. die Verbrechen der Nationalsozialisten an den europäischen Juden, deren Ausmaß damals, 1944, noch gar nicht abzusehen war, obwohl jedem klar war, daß das alles bisher auf diesem Gebiet Dagewesene sprengen würde, und
3. die Massaker des sowjetischen Geheimdienstes an polnischen Offizieren, von denen die polnische Exilregierung seit 1941 wußte, dabei aber bei den Westalliierten auf wenig Gegenliebe stieß, weil diese die Kriegskoalition gegen Hitlerdeutschland nicht gefährden wollten.
Diese drei Massenmorde oder Massenvernichtungen sollten also in diesen Begriff hineinpassen. Damit war zunächst einmal klar, daß die Zahl der Opfer nicht das Ausschlaggebende des Verbrechens sein konnte, da bei keinem der 3 Fälle die Anzahl auch nur annähernd bekannt war.
3. Der Begriff als solcher
Das Genozid als zu verfolgendes und zu bestrafendes Verbrechen ist mit dem deutschen Wort „Völkermord“ unzureichend wiedergegeben. Lemkin ging es darum, die betroffene Personengruppe so zu definieren, daß alle 3 oben beschriebenen Fälle hineinpaßten. Er wähle daher den griechischen Ausdruck „Genos“, das einen Stamm, auf jeden Fall eine Gruppe blutsverwandter Leute bezeichnet.
Hier war es wichtig, die Verfolgung aufgrund von politischer Gesinnung aus der Genozid-Definition auszuschließen – Kommunisten zu verfolgen und umzubringen, wie z.B. eine halbe Million in Indonesien, fällt nicht unter Genozid.
Interessanterweise war es gerade die Sowjetunion, die in den folgenden Jahren immer wieder darauf drang, politische Verfolgung zu keinem völkerrechtlichen Tatbestand zu machen. Die von der massenhaften Vernichtung betroffene Personengruppe mußte also die Charakteristiken aufweisen, die im Nachkriegs-Sprachgebrauch mit dem unappetitlichen Begriff „unschuldige Opfer“ zusammengefaßt wurden: Leute, die von sich aus garantiert keinen Anlaß gegeben hatten, Opfer von Verfolgung zu werden.
Dieser Genos-Begriff gibt immer wieder Schwierigkeiten auf, wenn es um die Frage geht, ob hier ein Genozid vorliegt oder nicht. Die Armenier, die im Osmanischen Reich als eigene Millet – eine bestimmte Autonomierechte genießende Glaubensgemeinschaft – anerkannt waren, fallen genaugenommen nicht unter den Genos-Begriff.
Noch problematischer ist die Angelegenheit bei den Opfern des Holocaust, die vom nationalsozialistischen Staat zu einem Volk definiert wurden, während sie in ihrem Selbstverständnis Angehörige der jeweiligen Nation waren, auf deren Staatsgebiet sie lebten, also Ungarn, Polen, usw. Es wird also bei der Anerkennung der Shoah als Genozid die Definition der Täter über das Selbstverständnis der Opfer gestellt.
Bei den polnischen Offizieren handelte es sich um Kriegsgefangene und Angehörige der Streitkräfte und Vertreter der Elite – das war der Grund, warum sie der Sowjetmacht im Wege standen, nicht bloß der Umstand, daß sie polnische Staatsbürger waren. Auch bei den Ermordeten von Srebrenica ist der Genos-Begriff fragwürdig: Die Muslime als staatsbildende Nation Jugoslawiens wurden in der Kardeljschen Verfassung von 1974 von einer Religionsgemeinschaft zu einer Nationalität umdefiniert, wo ähnlich wie bei den Juden im 3. Reich nur mehr die Abstammung, nicht die religiöse Überzeugung zählte.
Andere Gemetzel, wo der Genos-Begriff zu Recht in Anschlag gebracht werden könnte, wie bei diversen Massenvernichtungsaktionen im Zuge des Kolonialismus, werden nie in den Rang eines Genozids erhoben, weil sich kein Ankläger findet, der an einer solchen Art von Verurteilung interessiert wäre.
Ähnlich ist es mit dem 2. Teil des Wortes. Bei den alten Griechen wurde Lemkin offenbar nicht so richtig fündig – sie waren zu kleinstaatlich organisiert, um richtig klotzige Massenmorde hinzukriegen. Also wandte er sich dem Römischen Reich zu und klebte einen lateinischen Begriff an den griechischen an.
Mit dem bloßen Hinrichten und Abschlachten ist es hierbei aber auch nicht getan: Damit ein Genozid vorliegt, muß die Absicht nachgewiesen werden, die betroffene Personengruppe vernichten zu wollen. Liegt ein derartiger Beweis vor, so genügt das theoretisch bereits für ein Genozid-Urteil, auch wenn die Absicht gar nicht zur Durchführung gelangt ist. So ergibt sich das juristische Paradox, daß die wirklich konsumierten Genozide an afrikanischen und amerikanischen Eingeborenen nie zur Anklage gelangen, während Kriegshandlungen unter dem Gesichtspunkt eines Genozids untersucht und abgehandelt werden, weil sich ein Ankläger findet, der behauptet, diese Absicht hätte bestanden, wie im Fall von Bosnien.
4. Die Geschichte der Genozid-Anklagen und -Vorwürfe
Thematisch gehört das Genozid zu den „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die nicht verjähren und vor jedem Gericht der Welt angeklagt werden können. Wegen der politischen Implikationen in Sachen Verfolgung wurde es jedoch ausgegliedert und 1948 durch UNO-Resolution die Völkermord-Konvention erlassen, die seither von einer Reihe von Staaten ratifiziert wurde. Das Gedränge hielt sich in Grenzen. Die Schweiz z.B. ratifizierte sie erst im Jahr 2000. Die Zurückhaltung erklärt sich daraus, daß die meisten Staaten darin kein Mittel ihrer Außenpolitik entdeckten oder aber, wie die Türkei oder die Sowjetunion, als mögliche Täter ins Visier genommen wurden, was ihr Begeisterung für diese völkerrechtliche Keule dämpfte.
In den Nürnberger Prozessen kam der Genozid-Anklagepunkt nicht zum Einsatz – die Urteile wurden auf Grundlage der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verhängt. Das war deshalb, weil sich die Debatten um den Genozidbegriff hinzogen und er deshalb dem Gericht nicht als Instrument zu Verfügung stand.
Während des Kalten Krieges führte der Begriff in juristischen Fachzeitschriften und UNO-Kommissionen ein Schattendasein. Erst in den 90-er Jahren, nach dem Abgang der SU erwachte er zu Leben und ist inzwischen eine regulärer Bestandteil der Außenpolitik vieler Staaten geworden. Die EU machte die Anerkennung des Armenier-Völkermords durch die Türkei zur Bedingung eines EU-Beitritts. Die bosnische Regierung möchte den Genozid-Begriff für einen Staatsgründungs-Mythos instrumentalisieren. In der Ukraine dient der „Hungermord“, der Holodomor, zur Begründung einer antirussischen Politik.
5. Die politische Bedeutung des Genozid-Begriffs
Man muß begreifen, was der Genozid-Vorwurf gegenüber einem Staat bedeutet: Damit wird er bezichtigt, sein Gewaltmonopol mißbraucht und damit seine Legitimation eingebüßt zu haben. Auch wenn es eine Vorgängerregierung war, die dieses Verbrechens bezichtigt wird, so bleibt aufgrund der ebenfalls völkerrechtlichen Rechtskontinuität doch das meiste an der gegenwärtigen hängen: Ein Staat, dem Völkermord vorgeworfen wird, wird zu einem Unrechtsstaat erklärt. Bei aller Vergangenheitsbewältigung und Auschwitz-Gedenkfeiern usw. hat Deutschland nie eine offizielle Erklärung über den Völkermord an den Juden abgegeben – das, was jetzt von der Türkei in Bezug auf die Armenier verlangt wird.
Es kommt den EU-Staaten gelegen, daß sich die Armenier-Massaker dieses Jahr zum hundertsten Mal jähren. Der Grund für die jetzige Verurteilung der Türkei ist diese runde Zahl jedoch nicht.
Die Türkei ist der EU schon seit einiger Zeit ein einziges Ärgernis: Ihre Regierung läßt nämlich durchblicken, daß sie nicht vorhat, sich zum Hinterhof der EU zu machen, und daß sie auch ohne EU-Beitritt gut leben kann. Auch mit den USA hat sie sich angelegt: Sie schert aus der antirussischen Politik des Westens aus und schließt sich den Sanktionen gegen Rußland nicht an, sondern bietet ihnen sogar Unterschlupf für Pipeline-Projekte. Sie unterstützt den IS.
Und was alle besonders ärgert: Die türkische Regierung kann sich diese Haltung leisten. Sie ist nicht erpreßbar, weil sie durch ihre Lage ein viel zu wichtiger Vorposten der NATO ist, um sie Sanktionen oder einer Blockade zu unterwerfen, die sie womöglich endgültig aus dem westlichen Lager abdriften lassen würden.
Also muß sich die westliche Wertegemeinschaft zähneknirschend mit etwas Genozid-Getöse zufriedengeben.

Vom Grundeigentum

„ENTEIGNUNG“ ÖSTERREICHISCHER LANDWIRTE IN UNGARN?!
1. „Unsere“ biederen Landwirte werden enteignet!
„Rund 200 Österreicher haben seit der demokratischen Wende in Ungarn Grundstücke gekauft, um diese landwirtschaftlich zu nutzen. Nun müssen sie um ihren Besitz fürchten. … Das sind hervorragende Böden. Schwarze Erde, mit schönen Erträgen. Und es sind abgerundete, große, tafelförmige Grundstücke – der Traum eines jeden Bauern. “ (Standard, 15.10. 2014)
Diese Böden, so verschweigt der Artikel im weiteren nicht, wurden damals sehr günstig eingekauft, z.B. um den Preis eines Kleinwagens. Das alles zu einer Zeit, als der Erwerb von landwirtschaftlichem Grund für Ausländer verboten war, und auch keineswegs klar war, wem das Land gehörte, wer also das Recht besaß, den Grund zu verkaufen.
Die österreichischen Medien überbieten sich seit Jahren in der Produktion von Falschmeldungen und Halbwahrheiten:
„Auch bereits abgeschlossene Kaufverträge könnten davon betroffen sein. Die Eigentümer, zum Großteil Österreicher, könnten trotz rechtmäßigen Erwerbs aus dem Grundbuch gestrichen werden.“ (Krone, 8.3. 2013)
Dabei ist das Problem das, daß im Grundbuch ein Strohmann steht, und der Österreicher nur als Pächter aufscheint. Vorher hatte er einen Kaufvertrag in der Tasche, und dieses illegale Verhältnis wurde im Laufe des letzten Jahrzehnts in sogenannte „Nießbrauch“-Verträge umgewandelt, eine Rechtskonstruktion ähnlich der Leibrente bei uns.
Diese Art von Verträgen, mit denen mit Hilfe windiger Winkeladvokaten die illegal erworbenen Grundstücke legalisiert worden sind, kranken daran, daß erstens die Pachtsumme fiktiv ist oder gar keine gezahlt wurde und wird, und zweitens dafür ein Wohnsitz des „Nutznießers“ am Ort des Vertragsgegenstandes bestehen muß, der ebenfalls fiktiv ist. Ihnen ist in den meisten Fällen deutlich anzusehen, daß sie ein Versuch sind, eine illegale Eigentumsübertragung gesetzlich zu „sanieren.“
Die österreichischen Politiker und alle möglichen Interessensverbände, unterstützt von den Medien, schreien Zetermordio und betrachten das Vorgehen der ungarischen Regierung quasi als Auftakt zu Enteignungen aller Art. Stolz vermelden sie einen Etappensieg:
„Die EU-Kommission hat am heutigen Donnerstag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, weil die neuen Regelungen in Rechte ausländischer Investoren eingreifen.“ (Tiroler Tageszeitung, 16.10.)
Die österreichischen Landwirte bauen hauptsächlich – soweit das beim Durchfahren erkennbar ist, Statistiken gibt es dazu keine – Kukuruz und Futtergetreide an. Dergleichen Feldfrüchte sind vor Flurdiebstahl sicher. Außerdem haben Futtermittel seit der BSE-Hysterie und dem anschließenden Verbot von Tiermehlfütterung an Hornvieh einen stabilen Markt in der EU. Ausführen läßt sich das ganze seit dem EU-Beitritt Ungarns auch problemlos – vorher fanden sich eben Schleichwege und Hintertürln, mit etwas Bakschisch geölt.
Die illegalen Besitzer dieser Grundstücke machten also einen guten Schnitt, der ungarische Konsument und der ungarische Staat hatten nichts davon. Versteuert wurde das Zeug nämlich auch nicht.
2. Die Vorgeschichte: die Enteignung der Bevölkerung in Ungarn und anderen ehemals sozialistischen Staaten
Dabei lassen diese Verteidiger des heiligen Eigentums alle Details der Wiedereinrichtung des Grundeigentums im ehemals unfreien Osten weg. Immerhin gehörte dort, zumindest in Ungarn, alles agrarische Land dem Staat, der dort Kooperativen errichtete, deren Erträge Ungarn zum führenden Agrarexporteur des COMECON machten. Die Wiedereinführung des Privateigentums bedeutete also, daß einige Private sich den Grund unter den Nagel reißen konnten, der Rest ging leer aus. Das war übrigens in den meisten sozialistischen Staaten so, mit Ausnahme Polens und Jugoslawiens, wo nicht kollektiviert worden war.
Das Verfahren der ungarische Regierung unter József Antall wählte nicht die Verteilung des agrarischen Bodens unter die Mitglieder der Kooperativen, also die bisherigen landwirtschaftlichen Produzenten. Noch weniger wurde eine Umwandlung der Kooperativen in Genossenschaften marktwirtschaftlichen Zuschnitts erwogen. Das wäre zwar ökonomisch das Vernünftigste gewesen, entsprach aber nicht den politökonomischen Zielsetzungen der damaligen Regierung und auch nicht den Vorgaben der EU, die bei den neuen Anschlußkandidaten auf keinen Fall Konkurrenz auf dem Agrarmarkt dulden wollte. Also wurde eine Restitution mit Hilfe von Wertpapieren, den sogenannten Entschädigungsscheinen, beschlossen. Damit sollte der Schein erzeugt werden, hier würde ein ursprünglich bestandener, rechtmäßiger, quasi natürlicher Zustand wiederhergestellt werden. Noch dazu bezog sich die Restitution nicht auf den jahrhundertelang üblichen Großgrundbesitz, sondern auf die Ergebnisse einer Agrarreform Ende der 40-er Jahre, die Kleinparzellen schuf, die wenige Jahre später aufgelöst und in die Kooperativen überführt worden waren.
Die Entschädigungsscheine brachten etwas Leben in die Budapester Börse, wurden von Juristen aufgekauft und schließlich bei Auktionen in den jeweiligen Regionen versteigert, und auf Grundlage dieser Entschädigungsscheine fanden die Grundkäufe – übrigens nicht nur der Österreicher – statt. Es wurde auf diese Art eine völlige Zersplitterung des Grundbesitzes verursacht, die Leute vor Ort gingen leer aus, die neuen Grundbesitzer ließen ihn von anderen – oft ohne gültige Pachtverträge – bewirtschaften. Dazu kommt, daß es für Pacht auch keine sichere Rechtsgrundlage gab, da diese nicht vorgesehen war.
Das Ergebnis all dessen ist, daß viel Land brach liegt, daß Ungarn über keinen Bauernstand verfügt, daß die tatsächlichen Produzenten sich von den im Grundbuch eingetragenen Besitzern unterscheiden, daß oft nicht das angebaut wird, was irgendwo eingetragen ist, daß es keine Kontrollmöglichkeiten gibt (das wäre zu teuer), daß landwirtschaftliche Gewinne nicht versteuert werden, und Ungarn Grundnahrungsmittel importieren muß.
3. Das Orbán’sche Runderneuerungsprogramm
Es ist begreiflich, daß die derzeitige Regierung diesen Stand der Dinge als unbefriedigend empfindet. Es ist eher bemerkenswert, wie wenig sich die MSZP-Regierungen um diese Frage geschert haben. Sie wollten eben lieber zukunftsträchtige Industrien, und es sich mit der EU nicht verscherzen, die öfters unmißverständlich angedeutet hatte, daß sie keine landwirtschaftlichen „Überkapazitäten“ im postsozialistischen Raum wünschte.
Bereits die erste Orbán-Regierung (1998-2002) versuchte, den trostlosen Zustand der Landwirtschaft zu verbessern, durch Gesetzesänderungen und Förderprogramme, z.B. des Weinbaus. Die Eigentumsfrage wurde damals nicht in Angriff genommen, da sich Ungarn vom bevorstehenden Beitritt zur EU eine Verbesserung der Situation erwartete. Diese Erwartungen, das mußten die 2010 wieder an die Macht gekommenen Fidesz-Politiker feststellen, hatten sich nicht erfüllt. Also geht die jetzige Regierung daran, die Eigentumsverhältnisse zu klären.
Die Klage vor dem EU-Gerichtshof wird interessant. Da wird sich nämlich herausstellen, auf welcher Grundlage die EU eigentlich das Zustandekommen des Grundeigentums in Ungarn für rechtmäßig, also das Raubrittertum der 90-er Jahre für gesetzeskonform erklärt. Außerdem wird sich auch herausstellen, ob die Jurisdiktion eines Landes – Österreich – über der eines anderen – Ungarn – steht.
Wer Orbán jetzt als eine Art Robin Hood betrachtet, der den ausländischen Raubrittern das Land abjagt und unter die Armen verteilt, – als der er sich fallweise auch gerne präsentiert – sei gewarnt: Die Fidesz-Regierung hat längst begriffen, daß es in Ungarn überall, so auch im Agrarsektor, am nötigen Kapital mangelt, ohne die eine produktive Landwirtschaft heute nicht zu betreiben geht. Die Einrichtung eines ungarischen Bauernstandes ist also weiterhin nicht vorgesehen, wie der 2012 aus Protest zurückgetretene Staatssekretär für Agrarentwicklung, József Ángyán, feststellen mußte.
Der derzeitige Plan ist, den Grundbesitz wieder möglichst unter staatliche Kontrolle zu bekommen und dann mit ausländischen Konzernen genau geregelte Pachtverträge und eine entsprechende Abgabenpflicht einzuführen.
verwandte Artikel:
Der Niedergang der ungarischen Landwirtschaft seit dem Systemwechsel (1993)
Das Grundeigentum als Grundlage allen Privateigentums (2013)
Das Grundeigentum und die Wohnungsfrage (2013)

Pressespiegel: Izvestija, 14.9.

INTERVIEW MIT PJOTR GETSKO; DEM „ZUKÜNFTIGEN REGIERUNGSCHEF“ DER AUTONOMEN KARPATOUKRAINE
Der ruthenisch-ungarische Kongreß faßte den Beschluß, sich an das ungarische Parlament zu wenden mit dem Ansuchen, die Karpatoukraine als autonome Republik anzuerkennen – auf Grundlage der Volksabstimmung von 1991. Nächste Woche wird das Dokument bereits den Komitees des Parlaments vorgelegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Beurteilung gelangen werden. Der Anführer der Ruthenischen Nationalbewegung und Premierminister der nicht-offiziellen Republik „Podkarpatskaja Rus” (Russisches Land am Fuße der Karpaten), Pjotr Getsko, erzählt der Izvestija, wie es dazu kam und was sich die Betreiber dieser Bewegung erwarten.
Iz: „Wieso war dieser Beschluß gerade jetzt möglich und wieso kam es nicht bereits im Frühjahr dazu, wie ursprünglich geplant?
P.G.: Das ist in erster Linie auf den langwierigen Prozeß der Verhandlungen zurückzuführen. Eine Sache ist die, allein die Macht zu ergreifen, eine andere, sich dafür der Unterstützung einiger Staaten zu versichern – Rumäniens, Ungarns und Rußlands. Heute sind wir sicher, diese Unterstützung zu erhalten, deshalb schreiten wir zur Tat. Ich denke, nächste Woche legen wir die Resolution unseres Kongresses dem ungarischen Parlament vor, wo die Autonomie unserer Region unterstützt wird. Ich bin davon deshalb so überzeugt, weil uns zwei große Parteien in Ungarn unterstützen, die zusammen mehr als 70% der Sitze im ungarischen Parlament innehaben.“ (D.h., Fidesz und Jobbik)
„Nachdem diese Frage vom ungarischen Parlament behandelt wurde, werden wir sie dem Parlament Rumäniens vorlegen. In einer anderen Formulierung, aber im Wesentlichen geht es um das gleiche: Die Anerkennung der Ergebnisse des Referendums von 1991 und die Beendigung des Krieges und des mit ihm verbundenen Genozids an den Ungarn, Rumänen und Ruthenen.
Wenn beide Parlamente unseren Beschluß unterstützen, werden wir Kiew mit dem Faktum konfrontieren, die dieser Beschluß darstellt.
Iz: Wie steht die Bevölkerung zu diesem Schritt? Ist sie bereit, diesen Beschluß zu unterstützen?
P.G.: Bei dem Referendum (von 1991 über die Autonomie der Karpatoukraine) wurde er von 70% der Bevölkerung unterstützt. Wenn sie auch vom ungarischen Parlament angenommen wird, so wird sie von 99% der Bürger unterstützt werden. Daran, daß dieser Beschluß unterstützt wird, zweifle ich nicht.
Iz: Wie gedenkt Ihr euch zu verteidigen? Kiew hat ja schon verkündet, sein Staatsgebiet gewaltsam schützen zu wollen.
P.G.: Das sollen sie nur versuchen. Immerhin gehen wir auf den Winter zu und über unser Gebiet verläuft ein Fünftel der ukrainischen Gasleitungen: ein Zweig nach Ungarn, einer nach Rumänien, einer in die Slowakei. Sobald auch nur eine Granate auf dieses Gebiet fällt, wird Ungarn seine Armee zum Schutz der ethnischen Ungarn und Bürger Ungarns einmarschieren lassen. Mehr als 200.000 Bewohner haben bereits einen ungarischen Paß. Der Schutz der Bürger Ungarns ist in der ungarischen Verfassung verankert. Das wird Kiew anerkennen müssen. Im Unterschied zu Rumänien ist Ungarn in dieser Frage sehr entschlossen.
Iz: Meinen Sie nicht, daß die USA und die EU, die die Kiewer Führung unterstützen, gegenüber Ungarn tätig werden würden?
P.G.: Dergleichen Gerede gab es auch damals, als Ungarn die Verhandlungen mit dem IWF abbrach. Wenn das geschieht, so wird es sofort Sanktionen geben und Ungarn wird sich wieder dem IWF zuwenden. Und dennoch brach Ungarn mit dem IWF und schloß sein Büro, und verweigerte alle weiteren Verhandlungen über seine Staatsschulden. Ungarn vertritt jetzt seine Interessen. Angesichts der Tatsache, daß ihm mit jedem Jahr der Zugang auf die Märkte der EU erschwert wird, ist die einzige Richtung, in die es sich entwickeln kann, Rußland. Ungarn hat das begriffen.
Iz: Gestern kam es in Ungarn zu Problemen mit den Tochterbanken der Sberbank, wegen der Sanktionen?
P.G.: Das ist vor allem deshalb, weil die ungarische Nationalbank keine volle Autonomie hat.
Es war ein Schritt gegen Rußland, als der ungarischer Premier Viktor Orbán ein Dokument über die Einrichtung von Stützpunkten für Drohnen im Baltikum unterschrieb. Aber in diesem Falle, das will ich betonen, geht es um die nationalen Interessen Ungarns.

Iz: Haben Sie die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft mit einberechnet?

P.G.: Es ist eine Besonderheit der Karpatoukraine, daß sie weltweit in Sachen Transitkonzentration an zweiter Stelle steht. Das heißt, die Dichte der verschiedenen Korridore – energetische, Eisenbahnlinien usw. – ist sehr hoch. Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft nicht so ekelhaft verhalten will wie die Ukraine, so wird sie uns verstehen. Um so mehr, als wir offen sagen, daß wir nichts unternehmen werden, was einen dieser Korridore unterbrechen würde.
Iz: Wie reagiert die Bevölkerung der Karpatoukraine auf die gegenwärtigen Ereignisse im Südosten der Ukraine?
P.G.: Es gibt eine Führungsschicht, die Kiew ergeben ist, aber die einfachen Leute leben so wie immer. Die Banderisten betrachten sie als Faschisten und Extremisten, so wie 1939. Es scheint heute so zu sein wie damals, als die Banderisten die Macht in der Karpatoukraine übernahmen. Damals wurden sie allerdings sehr schnell vertrieben. Ich denke, ein solches Szenario wäre auch heute möglich. Mehr als 80% der Bevölkerung hängt heute nicht vom Staat ab, sondern lebt von Einkünften, die außerhalb der Ukraine erzielt werden. Die einzige Verbindung zum ukrainischen Staat ist die Entrichtung der Grundsteuer. Gegenüber dem Kriegsgeschehen in der Ukraine sind die Menschen negativ eingestellt, und mit der Erklärung der Unabhängigkeit wollen wir uns davon abkoppeln. Unsere Tätigkeit wird sich auf Lokales beschränken und nur auf Rechten Sektor, SBU (Sicherheitsdienst) und Staatsanwaltschaft ausgerichtet sein.
Iz: Hin und wieder erscheinen in den Medien Berichte über ein ungarisches Genozid.“ (Vor allem die Jobbik verwenden diesen Ausdruck.) „Worauf bezieht sich das?
P.G.: Das hängt mit der Zwangsmobilisierung der Bevölkerung für die Kriegshandlungen in der Ostukraine zusammen. Mehr als 100 Personen kamen in Särgen zurück und ungefähr 200 sind spurlos verschwunden. Natürlich ist das ein Genozid, da dieser Krieg auch nicht unser Krieg ist. Die Ungarn und die Rumänen werden als Kanonenfutter verwendet. Wenn sich jemand der Einberufung verweigert, so kommen die Vertreter des Rechten Sektors zu ihnen ins Haus und drohen: wenn du nicht dort sterben willst, so stirbst du hier, mitsamt deiner Familie. Das wird natürlich nicht vergessen und nicht verziehen. Kann sein, daß sie auf Laternenpfählen aufgehängt oder erschossen werden, aber es ist 100-prozentig, daß sie umgebracht werden. Der Haß ist groß.
Iz: Was für Perspektiven gibt es für eine zukünftige Entwicklung einer autonomen Republik? Fürchten Sie keine Versorgungsschwierigkeiten, oder eine Art von Blockade?
P.G.: Vor einer Blockade muß sich die Ukraine fürchten. Das Gas fließt durch die Karpatoukraine. Die EU muß keine Befürchtungen hegen, denn wir wollen es uns mit ihr nicht verscherzen. Die Ukraine soll sich das überlegen. Wir wollen niemandem drohen. Selbst wenn wir die Autonomie sehr strikt auslegen, so heißt das nicht, daß wir gegen die Führung in Kiew sind. Wir wollen nur ein neues vertragliches Verhältnis bezüglich des Haushaltes, der Grenzen usw. Aber wenn Kiew zur Gewalt greift, so werden wir antworten …
Man muß sich auch vor Augen halten, daß die Ukraine mit jedem Tag schwächer wird. Ihre Wirtschaft kann keinen Krieg mehr tragen. Deswegen wird Poroschenko sicherlich versuchen, mit uns zu verhandeln.

Iz: Wie wollt ihr die Autonomie finanzieren?

P.G.: Der Haushalt der Karpatoukraine würde heute faktisch 4 Milliarden Euro aus dem Gastransit einnehmen. Aber Kiew überläßt uns daraus nicht einmal 2 Milliarden Hrywna (118 Millionen Euro) und behauptet, daß die Karpatoukraine sowieso ein Zuschußbetrieb ist und mit dieser Summe begünstigt wird. Wären wir autonom, so könnten wir über diese Summen aus dem Gastransit verfügen. Wir würden dann nur mehr maximal 10% an Kiew abführen.
Sogar dann, wenn das Gas durch die South Stream Pipeline fließen würde, so bliebe uns immer noch der Güter- und Passagier-Transit. Außerdem besitzen wir eine entwickelte Landwirtschaft und Roboter-Industrie, und haben große Wasserreserven, auch was Mineralwasser betrifft. Deshalb kann man sagen, daß unsere Perspektiven und Potentiale für eine eigenständige Existenz bedeutend sind.”
Quelle
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Wahrscheinlich ist dieser ruthenisch-ungarische Kongreß lediglich eine Gruppe von Leuten, die sich hin und wieder im Hinterzimmer eines Wirtshauses trifft. Das Interview zeigt, wie Rußland versucht, sich in die ukrainischen Belange einzumischen. Es wirft aber auch ein Licht auf die Zustände in der bettelarmen Karpatoukraine und in die Berechnungen, die lokale Politiker angesichts der gegenwärtigen Situation entwickeln. Außerdem könnte der Typ nicht solche großen Töne spucken, wenn er sich nicht der Unterstützung ungarischer Politiker sicher wäre.
Die erwähnte angebliche Abstimmung von 1991, von der auch nicht klar ist, in welchem Umfang sie stattgefunden hat, bzw. die damals in der Karpatoukraine vorherrschende Stimmung dienten dem damaligen MDF (Demokratisches Forum)-Politiker István Csurka als Anlaß, im ungarischen Parlament die Unterzeichnung eines Grenzvertrages mit der Ukraine zu beeinspruchen und stattdessen die Einverleibung der Karpatoukraine auf die Tagesordnung zu setzen. Er gründete dann eine eigene Partei, die Partei der Wahrheit und des Lebens, und gilt als der geistige Ziehvater der Jobbik.