Pressespiegel: El País, 9.12. – Einfrieren von Sparguthaben?

ANGST VOR DEM „CORRALITO“
Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige Problem, dass die Menschen beunruhigt. Eine andere verborgene und stetig anwachsende Angst macht sich inzwischen breit: der Argwohn, daß die Ersparnisse nicht sicher sind. Vor 10 Jahren wurde der „Corralito“ (eine Art Laufstall) eingeführt, was bedeutete, daß Millionen von Argentiniern von einem Tag auf den anderen ihre Bankkonten gesperrt wurden. Die Sorge davor, daß sowas auch in Spanien passieren könnte, wächst: ein Einfrieren der Sparguthaben mit Zugangsbeschränkungen, oder, noch schlimmer: die Vorstellung eines Endes des Euro als Währung und die Umwandlung von Einlagen in die neue Währung (Peseten) – was in Argentinien der „Corralón“ (ein kleines Gehege) hieß – ist heute mehr als ein bloßes irreales Planspiel für Ökonomen.
Inzwischen ist die Debatte bereits auf der Straße angekommen. Und in den Filialen der Banken. Sparer sind von Haus aus furchtsam, umso mehr, um je geringere Beträge es sich handelt. Auf Internet-Foren gewinnt die Frage „Was mache ich mit meinem Geld?“ immer mehr Anhänger. Die Vorschläge, wie man seine Spargroschen in Sicherheit bringen könnte, sind mannigfaltig:
– ein Konto in einer Fremdwährung (Dollar, Pfund, Yen) anlegen,
– ein Konto in einem Land, das noch Kredit hat, anlegen, in der Annahme, daß ein solches im Falle eines Eurozusammenbruchs zum harten Kern derjenigen Länder gehören wird, deren Währung stabil ist (Deutschland, Frankreich oder Holland, um die geographisch nächsten zu nennen)
– ein Konto in einem Nicht-EU-Land eröffnen (Schweiz, USA …)
– das Geld in Form von Edelmetallen in einem Tresor aufbewahren,
– in Gold investieren.
Es gibt noch mehr, und der Königsweg ist keiner davon.
Ein „Corralito“ oder die Rückkehr der Peseta in Europa bzw. Spanien sind unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Das Treffen der europäischen Staats-und Regierungschefs in Brüssel gestern sollte dazu dienen, diese Gefahr zu bannen, den Euro zu stabilisieren, die Schuldenkrise in den Griff zu kriegen und Liquidität für das Finanzsystem zu schaffen.
Es gibt jedoch Gründe für Misstrauen. Die Beschlüsse der vorherigen Gipfel im Juli und Ende Oktober wurden nicht umgesetzt. Und die Glaubwürdigkeit derer, die sie getroffen haben, ist nicht sehr hoch: sie haben ja auch seinerzeit bestritten, dass Griechenland zahlungsunfähig wäre oder dass Portugal und Irland ein Rettungspaket brauchen würden, und behauptet, dass der Euro nicht in Gefahr sei.
Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) bestätigte gestern, dass unter den europäischen Banken die spanischen nach den griechischen das meiste zusätzliche Kapital benötigen (26.170 Millionen Euro), um im Rahmen der neuen Vorschriften ihre Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Das griechische Beispiel gibt auch zu denken. Seit Januar 2010 schrumpften die gesamten Einlagen bei griechischen Banken um fast 25% (wie in Argentinien in den acht Monaten vor vor der Verhängung des „Corralito“). Allein zwischen September und Oktober wurden 14.000 Millionen Euro abgezogen. Zu Beginn der Krise waren es die großen Vermögen und die Konzerne, die Gelder verschoben haben. Inzwischen ist es die Mittelschicht, die ihre Einlagen aufkündigt, und es ist nicht ungewöhnlich, dass Kunden in ihre Filiale kommen, um Beträge zwischen 100.000 und 500.000 € abzuheben und zu Hause in die Matratze zu stecken. Als eine der ersten Maßnahmen der Regierung Monti in Italien wurden Barauszahlungen über 1.000 € verboten, um Geldbewegungen im Inland überwachen zu können.
In Spanien gab es keinen massiven Abfluss von Einlagen, obwohl in den letzten Monaten ein erheblicher Rückgang festzustellen ist. Seit dem Höchststand im März dieses Jahres (1.425.834 Mio.), haben die Haushalte und Firmen in den letzten sechs Monaten Einlagen in Höhe von 33,197 Millionen zurückgezogen. Alle Experten sehen jedoch die Hauptursache für den Abzug in der höheren Rentabilität von Staatspapieren und anderen Anlageformen.
Es gab gelegentlich Momente der Panik im Falle von Banken, die dann gerettet werden mussten. Bei der Caja Mediterraneo (CAM) wurden seit dem Ausbruch der Krise im Februar und ihrer gescheiterten Fusion mit anderen Banken mehr als 5 Milliarden abgezogen. Nur eine Geldspritze der spanischen Nationalbank verhinderte den Zusammenbruch der Bank. Davor mußte die Caja Castilla-La Mancha (CCM) gestützt werden, da innerhalb eines Monats 500 Millionen Euro abgezogen worden waren.
In der neuesten Studie von Merco (Monitor Empresarial de Reputación Corporativa, Firma für die Erhebung von Daten über Unternehmen) wird festgestellt, daß nur ein Drittel der Bevölkerung an die Erholung der Finanzbranche glaubt, und daß 13% aus Sorge über eine mögliche Insolvenz ihr Geldinstitut gewechselt haben. Der Direktor von Merco, Justo Villafañe, stellt fest, daß „Zahlungsfähigkeit derzeit der wichtigste Aspekt für alle Bankkunden ist“.
Noch alarmierender ist die diese Woche durchgeführte Umfrage der Finanzagentur Bloomberg bei 1.100 ihrer Firmenkunden (Investmentbanken, Fonds, Kapitalgesellschaften und Fachpresse). 40% der Befragten halten einen Bankrott von Spanien für „wahrscheinlich“. Es ist bemerkenswert, daß sie den spanischen Markt als riskanter einstufen als Argentinien oder Irland. Dem Euro vertrauen sie auch nicht. 57% von ihnen sagten, sie würden ihre Euro-Positionen reduzieren.
Ein weiteres Zeichen des Misstrauens in die Banken ist die steigende Nachfrage nach Tresoren, sodaß die Erzeugerfirmen bereits Wartelisten haben.
José Maria Mollinedo, Generalsekretär der Fachleute-Abteilung des Finanzministeriums sieht die Gründe für dieses Phänomen allerdings nicht nur in der Angst vor dem „Corralito“, sondern auch in der Anhäufung von Schmuck und Schwarzgeld. Das Finanzministerium erwägt die Erstellung eines Registers aller Tresorbesitzer – ungefähr 20.000 in ganz Spanien –, ohne natürlich ihren Inhalt überprüfen zu können.
Theoretisch hätten die Kleinanleger nichts zu befürchten, da der Einlagensicherungsfonds Einlagen bis 100.000 Euro im Falle von Zahlungsunfähigkeit eines Geldinstituts garantiert. Im Falle einer allgemeinen Bankenkrisen-Panik wie in Argentinien oder vorher, in den Vereinigten Staaten während der Großen Depression von 1929, kann man sich dergleichen Sicherheiten allerdings in die Haare schmieren. Der Fonds ist mit 6593 Millionen Euro dotiert (Oktober-Daten), das entspricht ungefähr 0,5% der gesamten spanischen Bankeinlagen.
„Im Falle eines massiven Bankenkrachs, mit dem wir nicht rechnen, wäre die Situation sehr ernst und man müßte zusätzliche Maßnahmen ergreifen“, meint Santiago Pérez von der Vereinigung der Banken, Sparkassen und Versicherungen (Adicae). Er fügt hinzu, daß sich die Anfragen bezüglich der Zahlungsfähigkeit der Geldinstitute häufen, vor allem im Falle solcher, bei denen die Behörden interveniert haben.
Der Fonds übernimmt zudem keine Garantie für alle Finanzprodukte. Wie zum Beispiel Vorzugs-Anteilscheine, die Direktoren der Banken und vor allem Sparkassen Kleinanlegern zwischen 2008 und 2010 verkauft haben, als ob es sich um längerfristig gebundene Spareinlagen handeln würde, während sie in Wirklichkeit nicht einmal die ursprünglich eingezahlte Summe garantieren, da ihre „Performance“ an diejenige des Kreditinstitutes und die Kalkulationen seiner Betreiber gebunden ist. Die Beschwerden der Zeichner dieser Anteilsscheine, die ihr Geld zurückfordern, haben sich vervielfacht. Die Adicae bezeichnet die Lage von Tausenden von kleinen Sparern, die nicht über ihre Einzahlungen von insgesamt 12 Milliarden Euro verfügen können – zu denen sie mit „falschen Informationen“ veranlaßt wurden – als eine Art „Corralito“.
Sperrung oder Zugangsbeschränkungen von Einlagen wären allerdings ein Klacks im Vergleich zum Verschwinden des Euro und den verheerenden Auswirkungen, die die verpflichtende Umwandlung der Ersparnisse in Peseten (oder eine neue nationale Währung) hätte. Genau das geschah nämlich in Argentinien. Vom Augenblick der Verfügung des „Corralito“ am 3. Dezember 2001 konnten die Besitzer der Einlagen nicht mehr als 250 Dollar pro Woche abheben, aber ihre Ersparnisse waren noch da. Ein Jahr später kam die Verordnung des „Corralón“, mit der Aufhebung der automatischen Konvertierbarkeit zwischen Dollar und Peso (Verhältnis von 1 bis 1), was die Abwertung der Währung und die allgemeine Verarmung der Sparer zur Folge hatte.
Wenn sich dieses Szenario in Spanien wiederholt, was von fast allen als unwahrscheinlich – aber nicht unmöglich – bezeichnet wird, würden Einlagen und Schulden automatisch in Peseten umgewandelt, mit allgemeinem Wertverlust. Die neuesten Meldungen von UBS und Citigroup schätzen, dass eine Wiedereinführung der Drachme, Lira oder Peseta zu einer Abwertung von 40% und 60% führen würde, was bedeutet, dass die Einleger plötzlich rund die Hälfte ihrer Ersparnisse verlieren.
Die Unterschiede zwischen der Situation in Argentinien vor einem Jahrzehnt, und der Euro-Zone heute sind enorm, beginnend mit der Größe ihrer Wirtschaft oder die Widerstandsfähigkeit der Europäischen Zentralbank. Aber es gibt einige beunruhigende Ähnlichkeiten: Argentinien ging unter, als der IWF sich weigerte, weiterhin Mittel zur Verfügung zu stellen, genau wie es Griechenland passiert ist und was in Italien oder Portugal geschehen würde, wenn die EZB sich weigern würde, sie weiter zu unterstützen. Die vom IWF (vor dem Bankrott) verordneten Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung in Argentinien beschleunigten die Rezession und die Unfähigkeit, die Schulden zu refinanzieren – genau was jetzt in Griechenland geschehen ist, und in Italien oder Spanien ebenso auf die sogenannten Sparpakete folgen kann. Schließlich stritt die argentinische Regierung bis zum Überdruss ab, daß sie eine Aufhebung der Dollar-Peso-Parität anstreben würde, – genau wie die EU-Politiker bis vor ein paar Tagen abgestritten haben, daß der Euro in Gefahr sei.
Guillermo Ambrogi, Präsident der spanischen Handelskammer in Argentinien, sieht einige Parallelen zwischen der EU und dem südamerikanischen Land: „Es gibt drei Momente, vor denen man die Augen nicht verschließen kann: eine schwere Rezession, eine sehr hohe öffentliche und private Verschuldung im Vergleich zum BIP jedes Mitgliedslandes, und schließlich eine Geldpolitik, die den Wert der Währung über das Wachstum der Wirtschaft stellt. “ Allerdings erscheint es weder „sinnvoll noch notwendig“, zu Maßnahmen wie dem „Corralito“, also einer Beschränkung oder Einfrieren der Depositen zu greifen, da die EZB andere Instrumente zur Verfügung hat, wie die Ausgabe von Euro.
Das Misstrauen gegenüber dem Euro ist nicht auf Wertpapierfirmen beschränkt. Die Rockbands Metallica und Red Hot Chilli Peppers haben ihre Europa-Tourneen vorverlegt wegen der Befürchtung, dass der Euro verschwindet und ihre Gagen in abgewerteten Währungen gezahlt werden. Beide Gruppen planen Konzerte in Spanien.
„Ist ein „Corralito“ in Spanien möglich? Diese Frage habe ich in den letzten Monaten oft gehört. Meine Antwort war immer: Nein“, sagt Antonio Argandoña, Professor an der IESE (Instituto de Estudios Superiores de la Empresa, Postgraduate Business-School der Universität von Navarra) auf seinem Blog. „Und ich denke, das ist die richtige Antwort, wenn die Frage lautet, ob in Spanien eine Finanzkrise im Ausmaß derer von Argentinien im Jahr 2001 absehbar ist, wo die Menschen ihr Geld nicht von den Banken abheben konnten und das ganze Finanzsystem paralisiert war . Aber wenn die Frage ist, ob es passieren kann, das heißt, ob nicht physisch oder metaphysisch unmöglich ist, ist die Antwort eindeutig ja. “

Demokratie und Imperialismus 2011

DIE ABSCHLACHTUNG GADDAFIS
Gaddafi wurde erledigt, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Einige seiner Volksgenossen, die er über 40 Jahre lang regiert hat, haben ihn – nachdem die NATO kräftig mitgeholfen hat, ihn außer Gefecht zu setzen – erst ein wenig geprügelt, ihm irgendwas in den Arsch gesteckt, und schließlich abgeknallt. Alles mit Handy-Fotos und -Filmen dokumentiert, wir sind ja modern.
Danach wurde seine Leiche noch zur Schau gestellt, er und sein Sohn wurden ausgeweidet, um das Schauspiel ein wenig zu verlängern, und dann wurden die beiden irgendwo in der Wüste verscharrt, weil sie schon gar zu sehr zu stinken begannen.
Das Ganze erinnert ein wenig an die Gepflogenheiten des Mittelalters, wo die Gehenkten vor den Stadttoren den Reisenden zur Schau gestellt wurden, um die Neuankömmlinge mit den örtlichen Rechtsbräuchen vertraut zu machen.
So endete ein Potentat, der in vielen Hauptstädten der Welt zu Gast war, seine Petrodollars in Europa investiert und mit dem CIA und anderen westlichen Geheimdiensten bei der Jagd auf Al-Kaida-Terroristen zusammengearbeitet hat, und meinte, daß ihm seine früheren antiimperialistischen Terroranschläge und andere Streiche verziehen worden seien. Er wiegte sich in solcher Sicherheit gegenüber seinen neuen Haberern, daß er die Flugabwehrraketen Libyens demontieren ließ.
Dabei hat Gaddafi eines nie aufgegeben: Eine eigenständige Innen- und Außenpolitik, die er sich aufgrund der Erdöleinnahmen auch leisten konnte, und das war sein Todesurteil.
Die Anklage beim internationalen Gerichtshof war ein rein formaler Akt: Niemand wollte Gaddafi auf der Anklagebank sitzen sehen, wo er über die Zusammenarbeit mit dem CIA oder die Finanzierung von Sarkozys Wahlkampf und ähnliche delikate Themen viel zu erzählen gehabt hätte. Mit dieser Anklage wurde nur einerseits klargestellt, wer das Völkerrecht definiert und wer sich diesen Grundsätzen zu unterordnen hat. Zweitens wurde damit auch aller Welt mitgeteilt, daß ein ehrenvoller Abgang für den Mann, – wie er vielen Hurensöhnen des Imperialismus gewährt worden war –, nicht vorgesehen ist. Kein Land der Welt hätte ihn aufnehmen dürfen. Abgesehen davon, daß er auch nicht der Typ gewesen wäre, der vor überlegener Gewalt abhaut, aber so blieb ihm auch nichts anderes übrig, als in Libyen zu bleiben und sich lynchen zu lassen. Das war von den Machthabern der USA, Großbritanniens und Frankreichs genau so vorgesehen und wurde auch durch das Bombardement Sirtes und seines Fahrzeugkonvois eingeleitet.
Das alles wurde von der internationalen gleichgeschalteten Presse begleitet, die das Terrain mit einer beispielslosen Hetzkampagne bearbeitet hat. Es geht doch nichts über eine freie Presse, die die überlegene Gewalt hofiert und diensteifrig ihre Taten für das gemeine Volk aufarbeitet.
Was kommt nach ihm?
Erstens einmal ein Terrorregime in Libyen. Die neuen Sieger machen Jagd auf die tatsächlichen oder vermuteten Sympathisanten Gaddafis. Das betrifft ganze Städte, und sogar einen Landesteil, den Fezzan, wo die dunkelhäutigen Libyer herstammen, auf die ja bereits seit Monaten im Norden Jagd gemacht wird. Was in dieser Hinsicht bereits geschehen ist, wieviele Tote der Bürgerkrieg bis jetzt gefordert hat, und welche Schlächtereien noch bevorstehen ist nicht mehr Anliegen der freien Presse, und irgendwelche unabhängigen Journalisten, die sich nach Libyen hinwagen sollten, riskieren ihr Leben.
Zweitens die Neuaufteilung des libyschen Öls. Die drei Staaten, die den Bürgerkrieg in Libyen eingeleitet und entschieden haben, wollen die Hand auf die libyschen Ölvorkommen legen. Das richtet sich gegen China, dessen Expansion durch Entzug von Rohstoffquellen gestoppt werden soll. Es belebt aber auch die Konkurrenz der traditionellen imperialistischen Mächte und fördert die Disharmonie in der EU: Die traditionellen Bezieher dieses Öls, Deutschland, Italien und Österreich werden wahrscheinlich außen vor bleiben oder sich mit Trosthäppchen zufriedengeben müssen. Was wieder die Abhängigkeit von und Hinwendung zu Rußland verstärken wird. Eine Bruchlinie quer durch die EU zeichnet sich hier ab, die auch rund um die eingefrorenen Gaddafi-Konten weitere Reibungspunkte verspricht.
Der „arabische Frühling“, der aus einer Reihe von Blutbädern besteht und noch mit weiteren winkt, wurde und wird in Zusammenarbeit von Geheimdiensten, Umsturz-Firmen und NGOs ausgeheckt und von der NATO finalisiert. Das Labor für diese Art von Umstürzen war Jugoslawien. Seither wurde das System perfektioniert.
Was für Schlüsse die Regierungen und Völker der Welt aus dem Sturz und der Ermordung Gaddafis ziehen werden, wird sich erst weisen.

Die Zerstörung Libyens

EIN KOLONIALKRIEG DES 21. JAHRHUNDERTS
Seit März wird Libyen von NATO-Streitkräften bombardiert. Über 9.000 Bombenabwürfe werden bisher gezählt. Die Zerstörungen, die dadurch angerichtet worden sind, werden der Vorstellungskraft überlassen. Die Medien, die sich, wie wir es spätestens seit den Jugoslawienkriegen gewohnt sind, als williges Propagandainstrument der kriegsgeilen NATO-Allianz bewähren, unterrichten einen von angeblichen Untaten Gaddafis und seiner Anhänger – über die Opfer der Bombardements gibt es keine Berichte.
Tripolis wurde 5 Monate lang bombardiert. Keine Journalisten schwärmen aus, um nach der Eroberung durch die Verbündeten der NATO über den Zustand der Stadt zu berichten.
Jetzt läuft der Countdown für die Zerstörung von Sirte und Bani Walid, Städten mit 100.000 bzw. 80.000 Einwohnern. Abgesehen von getöteten Bewohnern und zerstörten Häusern ist noch gar nicht abzusehen, was die Kämpfe für die Infrastruktur Libyens, also Strom-, Treibstoff- und Wasserversorgung bedeuten. Ebenso ist der größte Teil des materiellen Stoffwechsels des Landes zum Erliegen gekommen – die Ölförderung stockt, und wann sie wieder anlaufen wird, steht in den Sternen. Eines aber ist klar: Sobald in Libyen wieder Öl gefördert wird, so unter dem Zugriff ausländischer Konzerne und unter anderen Bedingungen der Beteiligung Libyens, als es unter Gaddafi der Fall war. Libyen ist zwar in den 50-er Jahren dem IWF beigetreten, hat sich aber nie bei ihm oder bei anderen internationalen Institutionen verschuldet. Das aus den Öleinnahmen erzielte Geld, sofern es nicht für außenpolitische Ziele, wie Kriege in Afrika oder terroristische Aktivitäten da zu sein hatte, wurde stets dazu verwendet, das Land in Schwung zu halten und die Grundversorgung der libyschen Bevölkerung sicherzustellen.
Damit ist es jetzt vorbei.
Aber außer den materiellen Schäden, Toten und Verletzten des noch immer andauernden Krieges und düsteren wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven ist auch die innenpolitische Situation einen Blick wert.
Die Bewohner von Bengasi und generell der Cyrenaika haben sich zu den Bodentruppen der NATO funktionalisieren lassen und streben die Herrschaft über Libyen an. Damit geraten sie zunächst einmal mit den bisherigen Eliten und Nutznießern des Gaddafi-Regimes aneinander, und zerstören gleichzeitig deren Zusammenhalt. Die Berber Tripolitaniens haben sich zwar den Aufständischen angeschlossen, werden aber bald mit ihnen über Kreuz geraten bei der Aufteilung des Kuchens. Bereits bei der Eroberung von Tripolis, und weiter bei den noch anhaltenden Kämpfen geraten die Kämpfer aus Misrata mit denen der Cyrenaika aneinander: Alle wollen sich positionieren für den Tag X, wenn Gaddafi und seine Anhänger endlich vernichtet sind und die Neuaufteilung der Einflußzonen und vermeintlichen Pfründen angeht.
Völlig ungeklärt ist die Lage des Fezzan und seiner Bewohner. Unter Gaddafi wurden Leute aus den Wüstengegenden Libyens nach dem Norden umgesiedelt. Die dunkelhäutigen Fezzanis gelten den Aufständischen durch die Bank als Anhänger, „Knechte“, „Söldner“ Gaddafis und wurden im Zuge der Kämpfe entweder vertrieben oder umgebracht. Der Fezzan harrt noch der Eroberung und der Bombardements, wenn die Lage im Norden einmal „geklärt“ ist.
Verschiedene (US-, britische und französische) Firmen, die sich bereits im Irak bereichert haben mit „Sicherheitsdiensten“ und „Wiederaufbau“, stehen sicherlich schon in den Startlöchern.
Großbritannien und Frankreich nutzen diesen Konflikt, um ihre Waffen einmal auszuprobieren und sich im östlichen Mittelmeer festzusetzen – militärisch, als politischer Faktor, und ökonomisch. Was Letzteres angeht, besteht der Plan offenbar darin, sich einen Zugriff auf Öl zu sichern, der mit ihren eigenen Waffen abgesichert wird, und nicht denen der USA.
Außerdem wurde mit Gaddafi ein lästiger Konkurrent um den Einfluß in Afrika ausgeschaltet.
Die zukünftigen zerstrittenen – ja, was eigentlich? Herren, Machthaber, Marionetten Libyens werden sich schon aufgrund eines nicht vorhandenen politischen Konzepts zu willfährigen Werkzeugen der zwei Haupt-„Befreiungsmächte“ entwickeln.
Und das alles assistiert von freien und gerade darin völlig gleichgeschalteten Medien, die nicht müde werden, uns von den Greueltaten des wahnsinnigen Diktators vorzusingen, dem endlich das Handwerk gelegt wurde.