Nebenschauplatz Georgien

GEZERRE UM EINEN STAAT, DER NICHT FRONTSTAAT SEIN WILL


1. Georgien in der SU

Das Land, das als die Heimat des sowjetischen Kaugummis, eines giftgrünen Estragon-Sprudelgetränks, der besten Küche der SU und vieler anderer Spezialitäten gilt, war immer ein kultureller Rivale Rußlands. Der Georgier, der die SU beherrschte, hielt seine Landsleute für höherwertiger als die versoffenen Russen – leider waren es zu wenige, um daraus eine Weltmacht zu formen. Bis lange nach Stalins Tod genoß Georgisch den Status einer Staatssprache der SU.

Diese Rivalität setzte sich fort auf dem Gebiet der Filmindustrie – Georgien war als Drehort populär, es besaß eine renommierte Filmindustrie, eines der ältesten Filmstudios der Welt und stellte viele Regisseure und Schauspieler der SU.
Die Moskauer Dominianz auf dem Gebiet des Schachs bekämpfte Tiflis mit einer Offensive im Frauenschach, die der Welt einige Schachweltmeisterinnen bescherte.
Sogar auf dem Gebiet der Dissidenz setzte sich diese Rivalität fort: Der Publizist und Übersetzer Swiad Gamsachurdia gab als erster den „Archipel GULAG“ Solschenizyns in einer Samisdat-Druckfassung heraus und inspirierte vermutlich damit die russische Dissidenz dazu, ein „Tamisdat“ in Frankreich in die Wege zu leiten, um gegenüber Georgien wieder die Nase vorn zu haben.

Neben dem Georgier, der die SU groß machte, sollte ein zweiter nicht vergessen werden, der zu ihrem Untergang beitrug und dann eine wechselhafte Karriere als georgischer Präsident hinlegte.

2. Die Rolle Georgiens beim Zerfall der SU

Obwohl Georgien nicht zu den Beschlußmächten der Auflösung der SU gehörte, betrieb die georgische dissidentische Fraktion dieselbe bereits vorher eifrig und veranstaltete im Herbst 1990 Wahlen, die von der Partei Gamsachurdias „Freies Georgien“ gewonnen wurde.

Ein Referendum im Frühjahr 1991, das die „staatliche Wiederherstellung“ Georgiens (lies: „Unabhängigkeit“) zum Thema hatte, wird mit widersprüchlichen Resultaten im Internet zitiert: Einerseits soll sich eine überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen haben, andererseits sollen sich Abchasien und Südossetien dagegen ausgesprochen haben. Man kann annehmen, daß die Fragen so formuliert waren, daß sie in dieser Frage Mehrdeutigkeiten zuließen.
Im April 1991, also 8 Monate vor dem offiziellen Ende der SU, erklärte Georgien seine Unabhängigkeit. Man kann also die Georgier als Beschleuniger des Zerfallsprozesses der SU ansehen.
Die Unabhängigkeit Georgiens wurde praktisch sofort von den USA anerkannt.

3. Das freie und unabhängige Georgien

Es folgten 1 bis 2 veritable Bürgerkriege in den und gegen die rebellischen Regionen, die ihren Anschluß an die SU verkündeten und sich gegen von der Zentralregierung in Tiflis entsandte „Besatzungs“-Truppen verteidigten. (Sogenannte „illegitime“ Separatisten, in der heutigen Leseart …)
Nach dem Zerfall der SU erklärten diese Regionen ihre Unabhängigkeit, die bis heute nur von Rußland anerkannt und auch militärisch abgesichert wird. De facto sind es Territorien Rußlands, in denen der Rubel zirkuliert, de jure gehören sie nach wie vor zu Georgien.

In den turbulenten Zeiten zwischen der Ausrufung der Unabhängigkeit und einer Beruhigung der Lage um 1994 wurde der erste gewählte Präsident Gamsachurdia erst gestürzt und dann ermordet. Seine Vorstellungen eines unabhängigen Georgiens, zwischen ethnischen Vertreibungen und Steinerscher Anthroposophie, erwiesen sich als undurchführbar. Die Putschisten wählten Schewardnadse zum Präsidenten, die dieses Amt mit einigen Aufs und Abs von 1992 bis 2003 ausübte, bis er auch durch einen Putsch, die sogenannte „Rosenrevolution“, gestürzt wurde.

Als einzige Konstante in all diesen Auseinandersetzungen zwischen Separatisten, Clans, Paramilitärs und Mafiabossen erwies sich die Orthodoxe Kirche Georgiens als einigende und versöhnliche Kraft, weswegen auch bis heute keine Regierung an ihr vorbei kann.
Symbol dieser Entwicklung ist die Sameba-Kathedrale, zu der Schewardnadse den Grundstein legte, die von seinem Nachfolger Saakaschwili 2004 eingeweiht und vom heutigen starken Mann Georgiens, Bidsina Iwanischwili, finanziert wurde.

4. Klare Verhältnisse

Der in Rußland zu Geld gekommene Unternehmer Iwanischwili war der Mentor und finanzielle Unterstützer Saakaschwilis. Dessen Stern begann zu sinken, als sich Iwanischwili von ihm abwendete, vor allem nach dem mißglückten Ossetienkrieg 2008.

Mit der Partei „Georgischer Traum“ gewann Iwanischwili 2012 die Parlamentswahlen. Seither bestimmt er die Politik, zieht Präsidenten und Minister aus dem Ärmel und ernennt Regierungschefs. Das Präsidentenamt wurde durch eine Verfassungsänderung 2013 mehr oder weniger auf eine Repräsentations-Funktion reduziert.
Das stört die jetzige Amtsinhaberin sehr, die ihrer prowestlichen Einstellung kaum noch Geltung verschaffen und Taten folgen lassen kann.

5. Unruhe im Kaukasus

Der Ukraine-Krieg hat etwas Unruhe in diese prästabilisierte Harmonie gebracht.

Zunächst flüchteten Ukrainer mit georgischen Verbindungen und Russen, die dem Militärdienst entgehen wollten, nach Georgien. Anfängliche Streitereien zwischen diesen beiden Personengruppen wurden inzwischen beigelegt, mit dem notwendigen behördlichen Nachdruck.
Der Freie Westen entdeckte Georgien als einen russischen Hinterhof, in dem man Unruhe stiften und womöglich nationale Ressentiments anstiften könnte, Stichwort verlorene Territorien.

Die altbekannten Schlachtrosse der Homosexuellen-Rechte und der Menschenrechte sowie Korruptionsbeschuldigungen wurden losgeschickt. Die US-Botschafterin begann, etwas lauter zu werden und von Georgien Anschluß an die westlichen Sanktionen und Verurteilung Rußlands zu verlangen.

Der „Georgische Traum“ reagierte schließlich mit dem Gesetzesentwurf gegen ausländische Agenten, der weltweit als „russisches Gesetz“ gegen Oppositionelle gebrandmarkt wird, aber in Rußland selbst seinerzeit aus der US-Gesetzgebung übernommen und schöpferisch weiterentwickelt worden war.
Dieses angebliche „Knebelgesetz“ gegen die Opposition ruft seither Straßenproteste hervor, die vor allem von jüngeren Leuten getragen werden, die in internationalen Organisationen und NGOs arbeiten und um ihren Arbeitsplatz fürchten. Sie stehen aber, trotz aller medialen Aufmerksamkeit, auf verlorenem Posten.

Erstens, weil das georgische Parlament zersplittert ist. Dort sitzen neben 11 unabhängigen Abgeordneten und 10 leeren Sitzen (alles Ergebnisse verschiedener Spaltprozesse innerhalb der Parteien) 15 (!) verschiedene Parteien, viele von ihnen aus 1 oder 2 Abgeordneten bestehend. Davon besetzt der „Georgische Traum“ 75 Sitze aus 150. Die größte Oppositionspartei, diejenige des inzwischen inhaftierten ehemaligen Präsidenten Saakaschwili, besitzt 16 Sitze. Mit den restlichen sich als pro-europäisch bezeichnenden Parteien ist sie restlos zerstritten – so wie viele dieser Mini-Parteien untereinander auch. Das Gesetz geht also auf jeden Fall durch das Parlament, notfalls hilft der „Georgische Traum“ mit etwas Bakschisch bei einzelnen Abgeordneten nach.

Zweitens, weil der Gewaltapparat fest hinter dem „Georgischen Traum“ steht. Erst seitdem Iwanischwili auf die politische Bühne Georgiens trat, werden Militär und Polizei nämlich anständig bezahlt und ordentlich ausstaffiert.

Drittens, weil die Präsidentin, die in ihrem Palast vor sich hintobt und ihre politische Ohnmacht verflucht, das Gesetz durch Vetos nicht ewig verhindern kann:
„Das Veto der Präsidentin kann nur erwirken, daß das Parlament es einer erneuten Abstimmung unterwirft, wonach der Text endgültig Gesetz wird.“ (El País, 14.5.)

Der extra angereiste US-Beamte O’Brien wurde von Iwanischwili nicht empfangen, weil er sowieso keine ausländischen (westlichen) Politiker sehen will, solange er das Geld nicht zurückkriegt, das ihm im Rahmen der Credit Suisse-Rettung vom Westen, der „Partei des Globalen Krieges“, gestohlen worden ist.

Pressespiegel El País, 29.12.: Die Waffenindustrie der Ukraine

„DIE UKRAINE STEIGERT DIE PRODUKTION EIGENER WAFFEN IN GEHEIMEN FABRIKEN

Kiew will seine Militärindustrie ankurbeln, auf die Gefahr hin, daß die Waffenvorräte seiner Verbündeten zur Neige gehen

Der Lieferwagen holt den Journalisten auf einem Parkplatz in einer Stadt in der Zentralukraine ab. Die Fenster des Fahrzeugs sind mit dunklen Stoffen verhängt, sodaß die Fahrgäste die von dem Fahrzeug eingeschlagene Route nicht erkennen können. Auch Handys müssen ausgeschaltet werden. Der Lieferwagen erreicht sein Ziel auf verschlungenen Wegen: eine Fabrik der Metinvest-Unternehmensgruppe, der größten der Ukraine.
In einem der dortigen Lagerhäuser werden Antiminenwalzen für Panzer montiert.“

D.h., sie werden nur zusammengebaut. Die einzelnen Komponenten müssen von woanders kommen.

„Sie stellen ein sehr wichtiges Element dar, um den Weg durch die russischen Verteidigungslinien zu öffnen. Sie sind eine grundlegende Technologie für die ukrainische Armee und ein Beispiel für die Bemühungen des ukrainischen Privatsektors, seine Militärindustrie anzukurbeln und nicht mehr von internationaler Hilfe abhängig zu sein.“

Autarkie in der Waffenproduktion? Da will die Ukraine offenbar zu Rußland aufschließen, trotz weitaus schlechterer Voraussetzungen bezüglich Territorium und Ressourcen …

„Der größte Aktionär von Metinvest ist Rinat Achmetov.

Man kann schon sagen, der Besitzer …

„In Europa ist er vor allem als Besitzer des Fußballvereins Schachtar/Schachtjor Donezk bekannt, der regelmäßig an der Champions League teilnimmt. In der Ukraine ist er der reichste Mann des Landes.
Achmetow stammt aus Donezk, der Hauptstadt der Donbass-Region. Metinvest ist ein vom Krieg betroffener Stahlgigant: Das Unternehmen hat das Azovstal-Stahlwerk, das größte des Landes, in Mariupol verloren. Auch der Betrieb seiner Kokerei, der größten in Europa, ist schon seit geraumer Zeit eingestellt: Der aus Kohle gewonnene Brennstoff für Hochöfen wurde in Avdejevka hergestellt, das derzeit von russischen Streitkräften belagert wird.

Achmetov, sein Industriekonzern und auch sein Fußballverein verließen Donezk, als die prorussischen Separatisten 2014 die Kontrolle über die Stadt übernahmen. Er blieb auf der Seite der Ukraine, im Gegensatz zu anderen Donbass-Oligarchen, die im Jahrzehnt der neunziger Jahre mit der Privatisierung der Vermögenswerte der kürzlich aufgelösten Sowjetunion den Grundstein für ihr Vermögen legten.“

Die Privatisierung der sowjetischen Industriebetriebe begünstigte vor allem Achmetov selbst. Die anderen waren kleinere Kaliber und in den Donbass-Republiken auch nicht wohlgelitten.
Man kann sagen, daß die Oligarchen im pro-russischen Teil des Donbass’ nach 2014 Geschichte waren.

„Mit der russischen Invasion im Februar 2022 wurde Achmetovs Einfluss durch neue, von Präsident Wolodimir Zelenskij unterzeichnete Gesetze in Frage gestellt, die von der EU gefordert wurden, um die politische Macht der Oligarchen zu reduzieren.“

Wohlgemerkt, „in Frage gestellt“ – nicht eingeschränkt. Die Anti-Oligarchen-Maßnahmen trafen eher seinen großen Rivalen Kolomojskij, den früheren Gönner und späteren Gegner Zelenskijs, und stärkten daher Achmetovs Stellung.

„Doch sein Engagement für die Verteidigung der Ukraine blieb bestehen und Metinvest engagiert sich zum ersten Mal in der Verteidigungsindustrie.“

Achmetov, der seine Macht früher auf die pro-russischen Segmente der ukrainischen Eliten aufbaute, hat im Zuge des Maidan sehr gründlich die Seiten gewechselt.

„Er tut dies zu einer Zeit, in der es die Präsidentschaft für eine Frage von Leben und Tod hält, eine nationale Militärindustrie aufzubauen.“

Sehr eigenartig formuliert. Mit „der Präsidentschaft“ ist offensichtlich Zelenskij und seine Clique gemeint, und das mit Leben und Tod kann sich auch auf diese Personen beziehen. Es besteht offenbar eine begründete Befürchtung, daß sie einen russischen Sieg nicht nur politisch, sondern auch persönlich nicht überleben würden.

„»Wenn wir uns nicht helfen, wird es niemand anderer tun«, sagt Igor – seinen Nachnamen möchte er nicht nennen –, als Vertreter des Metinvest-Projekts zur Herstellung der Antiminenwalzen. Sie produzieren durchschnittlich fünf bis sechs pro Monat. Mehr ist angesichts der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und vor allem Anlagen nicht drin, die sie vor periodischen feindlichen Bombenangriffen auf die Industrieinfrastruktur schützen.“

Das klingt nicht gerade nach einem Durchbruch bei der Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte …

„»Viele Metinvest-Mitarbeiter sind in der Armee und es mangelt uns an Fabriken«, bestätigt Igor.
Der Verlust der Kokerei in Avdejevka stelle ebenso wie die Schließung mehrerer Kohlebergwerke im Donbass eine große Behinderung dar, betont dieser Firmenvertreter.“

Die ukrainische Rüstungsindustrie, sofern dieser Begriff überhaupt auf dergleichen Betriebe anwendbar ist, leidet also in erster Linie unter Energiemangel.
Man muß sich hier in Erinnerung rufen, daß die Ukraine zu sowjetischen Zeiten ein Zentrum der Rüstungsindustrie war, wovon bis zum Majdan und sogar noch nachher fast alles abgebaut worden war – was jetzt durch solche Untergrund-Manufakturen ersetzt werden soll.
Die ukrainischen Rüstungsbetriebe produzierten nämlich für den russischen Markt bzw. waren nur mit ihm kompatibel.

„Die Ukraine war eines der reichsten Länder der Welt bezüglich dieses Minerals, aber der Krieg hat diese Ressource reduziert.“

Die „Ressource“ wurde nicht reduziert, – die Kohle ist ja nach wie vor da –, nur ihr Abbau hat unter den Kriegshandlungen gelitten, da die meisten Bergwerke geschlossen oder zerstört sind.

„Die Preise sind in die Höhe geschossen. Das Ergebnis ist, daß eine Tonne Kohle vor dem Krieg 300 Dollar gekostet hat. Heute muß man laut Igor 550 Dollar dafür hinlegen.“

Fast das Doppelte.
Diese Preisveränderung gilt übrigens nicht nur für die Ukraine, sodaß hier auch Aussagen über die Rüstungsindustrie in der ganzen EU getroffen werden.

„Die Antiminenwalzen von Metinvest wurden erstmals letzten Sommer eingesetzt, während der Gegenoffensive an der Zaporozhje-Front. Die russischen Verteidigungsanlagen in diesem Teil der Kampflinie und auch in der Provinz Donezk werden durch die am dichtesten verminten Felder geschützt, an die sich Militäranalysten in einem Krieg erinnern können.“

Dagegen schauen die 6 Walzen pro Monat, die der Betrieb ausspuckt, irgendwie alt aus …

„Im vergangenen September schätzten Mitglieder der Spezialeinheitengruppe Tor gegenüber EL PAÍS, daß es an dieser Front auf jeden Quadratmeter fünf Minen geben könnte, sowohl Antipersonen- als auch Panzerabwehrminen.

Andrij ist Oberst, Kommandeur einer Nationalgarde-Brigade, die im Osten des Landes kämpft und Metinvest-Walzen verwendet.
Sie sind Adaptionen sowjetischer Ausrüstung, wurden jedoch so entwickelt, daß sie durch die Explosion von bis zu acht Minen funktionieren, im Vergleich zu den fünf, die dieselben Walzen aus sowjetischer Produktion zerstören können, bevor sie ersetzt werden müssen.
Andrij fügt hinzu, daß diese Walze die erste in der Ukraine sei, die an jedem Panzermodell angebracht werden könne.“

Eine universell einsetzbare Antiminenwalze, die neue Wunderwaffe?
Irgendwie entsteht der Eindruck, daß Achmetov sich schon darauf einstellt, in einer Nachkriegs-Ordnung wieder die Seiten zu wechseln und zu sagen: Ich habe doch ohnehin nur Defensiv-Waffen herstellen lassen und niemand ist durch meine Produkte zu Tode gekommen!

„Eine geheime unterirdische Basis

Das Treffen mit Andrij findet in einer geheimen, unter der Erde gegrabenen Basis statt. Aus Sicherheitsgründen wird verlangt, daß die Provinz nicht erwähnt werden darf, in welcher sie sich befindet. Sie ermöglichen es dem Journalisten auch nicht, die Funktionsweise der Walzen zu sehen.
Je mehr Kriegsmonate vergehen, desto größer werden die Geheimhaltung und Informationsbeschränkungen durch die ukrainischen Streitkräfte.“

Begreiflich.
Denn die russische Armee hat es sich zum Ziel gesetzt, die Waffen-, vor allem die Drohnenproduktion in der Ukraine durch gezielte Militärschläge auszuschalten.

„Wenn es um die Produktion von Waffen geht, ist die Geheimhaltung noch größer. Der Kommandant bestätigt, daß Metinvest sie auch mit kugelsicheren Westen, Helmen und tragbaren Bunkern“ (???) „beliefert. Am häufigsten werden jedoch im Inland entwickelte Bomben- und Aufklärungsdrohnen eingesetzt.“

Hier bleibt die Formulierung vage, ob Metinvest sich auch daran beteiligt?
Es kann allerdings auch sein, daß dieses zentrale Element der ukrainischen Kriegsführung den Mitarbeitern dieser Firma nicht anvertraut wird, da der ukrainische Geheimdienst – mit guten Gründen – dort undichte Stellen vermutet.

„»Ich weiß nicht, wie lange der Krieg dauern wird«, sagt Andrij, »aber wir haben eine 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland, wir werden immer in Gefahr sein und wir brauchen unsere Waffenproduktion.«
Signale der NATO-Verbündeten der Ukraine deuten darauf hin, daß es schwieriger sein wird, Hilfe zu erhalten. Die Republikanische Partei blockiert im Kongress und Senat der USA die Zuweisung von 61.000 Millionen Dollar (55.056 Millionen Dollar), die das Weiße Haus im Jahr 2024 für die Ukraine bereitstellen will. Auch in der EU wurde ein Unterstützungsbudget von 50 Milliarden Euro von der moskaunahen ungarischen Regierung blockiert.“

Diese Blockierer werden – nicht nur von El País, sondern auch von anderen Medien – als das einzige Hindernis dargestellt, um die Ukraine zu unterstützen.
Daß es sowohl in den USA als auch in der EU einen Haufen Politiker gibt, die nicht weiter Geld in das schwarze Loch Ukraine hineinleeren wollen, da es klar ist, daß der Krieg verloren ist, wird hier absichtsvoll verdreht – ebenso wie die Tatsache, daß die Waffenlager der westlichen Verbündeten ziemlich leer sind und sich auch in absehbarer Zeit nicht wieder füllen werden.
Dessenungeachtet wird so getan, als scheitere die Unterstützung der Ukraine nur an einzelnen Bösewichten.

„Zwischen Sommer und Herbst waren die Militärlieferungen der westlichen Partner der Ukraine die kleinsten des Krieges, 90% weniger als 2022, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft in seinem neuesten Bericht bestätigt.
In diesem Zusammenhang besteht Zelenskijs vorrangiges Ziel darin, die nationale Militärindustrie zu stärken und vor allem die wichtigsten westlichen Rüstungsunternehmen dazu zu bewegen, Produktionszentren in der Ukraine zu errichten.

Im vergangenen September berief der Präsident 250 Vertreter von Militärunternehmen zu einer Konferenz nach Kiew, um einen Plan bekannt zu geben, mit dem er das Land zum größten Waffenproduzenten des Westens machen will. Fast 40 dieser Unternehmen verpflichteten sich, Investitionen in Produktionszentren in dem von Russland überfallenen Land zu prüfen.“

„Verpflichten sich … zu prüfen“.
Das ist etwas anderes als eine Absichtserklärung und verpflichtet zu nichts.

„Die wichtigste Nachricht in dieser Hinsicht kam im Dezember dieses Jahres, als das deutsche Unternehmen Rheinmetall ankündigte, daß es im Jahr 2024 mit einem lokalen Partner mit der Produktion von Schützenpanzerfahrzeugen des Typs Fuchs und Lynx auf ukrainischem Boden beginnen werde.
Zuvor hatte bereits die britische BAE ihr Engagement in die gleiche Richtung gezeigt.“

Diesen „Engagements“ ist nach Zeitplan und Wortwahl zu entnehmen, daß die Begeisterung von Seiten der betroffenen Unternehmen endenwollend ist.

NATO-Haubitzenmunition

Die Ukraine produziert bereits Munition im Kaliber 155 Millimeter, die grundlegendsten Projektile für Nato-Haubitzen,“

– wobei Haubitzen nicht die einzigen Artillerie-Rohre sind und es auch dort Unterschiede bei den Geschossen gleichen Kalibers zu geben scheint, denen sich die Produzenten anpassen müssen.
Außerdem sagt der Umstand, daß ukrainische Fabriken/Werkstätten solche Geschosse produzieren, nichts darüber aus, in welcher Menge es ihnen gelingt. Der Bedarf an der Front ist nämlich gewaltig –

– „und hat eine neue Langstreckenrakete entwickelt, eine Weiterentwicklung der Neptun-Marineraketen, aber die hergestellten Einheiten sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums minimal. Ein großer Erfolg der ukrainischen Industrie im Krieg ist die monatliche Produktion von sechs Bogdana-Haubitzen in Charkiw, von denen es im Jahr 2021 nur einen Prototypen gab.“

6 Stück pro Monat scheint der Rythmus vieler dieser Produktionsstätten zu sein …

„Am autarksten hat sich die Ukraine bei der Entwicklung und Produktion von Drohnen, Luft- und Seedrohnen erwiesen. Auch europäische Hersteller wie die deutsche Quantuum haben sich für die Produktion dieser Fahrzeuge in der Ukraine registriert und nutzen dabei die ihnen gewährten Steuervorteile und vor allem die Erfahrung des Landes beim Einsatz dieser Flugzeuge im Kampfeinsatz.
Das Hauptproblem besteht darin, daß jede industrielle Infrastruktur ein Ziel russischer Beschuss sein kann, insbesondere solche, die strategisches Material für die Verteidigung der Ukraine produzieren.

Dem Vertreter von Metinvest, Igor, ist nicht bekannt, daß unterirdische Fabriken gebaut werden. Seiner Erfahrung nach ist der beste Schutz ein gutes Flugabwehrsystem. Doch je näher an russischen Stellungen, desto geringer ist der Reaktionsspielraum einer Flugabwehrbatterie, insbesondere gegen ballistische Raketen und Marschflugkörper. Auch weit vom Feind entfernt lauern Gefahren: EL PAÍS konnte 2022 feststellen, wie zwei russische Marschflugkörper ihr Ziel trafen, eine Rüstungs-Reparaturanlage in Lemberg in der Westukraine, Hunderte Kilometer von der Front entfernt.

Das Carnegie Endowment for International Peace, ein amerikanisches Zentrum für Politik- und Verteidigungsstudien, veröffentlichte am 4. Dezember einen pessimistischen Bericht über das Potenzial der ukrainischen Militärindustrie.
Die Autorin des Dokuments ist Katerina Bondar, ehemalige Beraterin des Verteidigungs- und Finanzministeriums der Ukraine. Ihre Schlußfolgerungen waren in allen Bereichen düster, das erste war die Sicherheit: »Es gibt keine magische Lösung, um Risiken zu reduzieren. Beispielsweise würde eine Verlagerung der Produktion in den Untergrund die Kosten stark erhöhen und die Arbeitsbedingungen verschlechtern.“

Man fühlt sich an die V1- und V2-Produktion im nationalsozialistischen Deutschland erinnert …

„Flugzeugabwehrsysteme hingegen sind erstens rar und können zudem keinen vollständigen Schutz garantieren.«

Für Bondar sind die Bemühungen von Unternehmen wie Metinvest oder Tausenden kleiner Privatinitiativen eine zeitaufwendige Lösungsaufgabe: »Große Investitionen in neue physische Infrastruktur sind unwahrscheinlich, solange die Gefahr eines russischen Angriffs besteht.«
Korruption, unprofessionelles Management, ineffiziente Unternehmen und technologische Defizite sind nur einige der Herausforderungen, denen sich Kiew stellen muss, bevor die Ukraine Waffensysteme und Munition in einem Umfang produzieren kann, der für ihren enormen militärischen Bedarf erforderlich ist.“

Der Krieg ist einerseits der Ausgangs-, andererseits auch der Endpunkt aller Bemühungen, sich in Sachen Rüstung auch produktionsmäßig in das westliche Bündnis einzureihen.

Die Auflösung der ETA

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS

Die ETA (Abkürzung für „Euskadi Ta Askatasuna“, „Baskenland für Freiheit“) hat vor einigen Wochen offiziell ihre Selbstauflösung verkündet. De facto war sie seit dem „Waffenstillstand“ von 2011 nicht mehr aktiv gewesen, jetzt wurde der Schlußakt formal vollzogen.
Das hat hierzulande kein besonderes Echo gefunden, genausowenig, wie die jahrzehntelange Tätigkeit dieser Organisation niemanden außerhalb Spaniens besonders gestört hat.

Die ETA war nämlich nicht in die Konfrontation des Kalten Krieges eingebunden. Sie suchte den Kontakt mit der Sowjetunion nicht und erhielt von dort keine Unterstützung. Die SU soll Ende der 70-er Jahre sogar angeboten haben, die ETA zu beseitigen, wenn Spanien der NATO nicht beitrete. Die damalige spanische Regierung (Suarez) reagierte, wenn überhaupt, ablehnend.

Daraus sieht man, daß die spanischen Eliten mit dem ETA-Terror gut leben konnten. Im Gegenteil, der ständige Kampf gegen einen inneren Feind kam als Rechtfertigung vieler höchst unangenehmer Maßnahmen gerade recht.

Die Vorwegnahme des Staates als Gewaltapparat

In ihre Gründungszeit herrschten noch verschiedene Vorstellungen über die Ziele dieser Organisation, die in Spaltungen und Vereinigungen mündeten. Als Ziel setzte sich schließlich die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch und verschiedene terroristische, also gewaltsame Akte zur Durchsetzung dieses Ziels.
Dieser vornehme Auftrag, der gebeutelten Nation endlich zur ihr zustehenden Entfaltung zu verhelfen, gab den Mitgliedern von ETA das gute Gewissen, von ihrer Gründung 1968 bis 2011 nach offiziellen Zählungen 853 Menschen umzubringen.

„Wir haben eine alte Sprache, daher sind wir ein Volk und deshalb werden wir einen Staat haben“ – mit diesen Worten charakterisierte eine französische Juristin seinerzeit das Selbstverständnis der ETA.
Der Wille zu einem eigenen Staat einte die ETA mit verschiedenen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Es gibt aber wenige Organisationen, die diese Sehnsucht so sehr in Reinkultur verkörpert haben wie die ETA.

Diese Vorstellung, sich als ideelle Staatsmacht mit der realen gleichzusetzen, zeigt sich auch an den angebotetenen „Waffenstillständen“. Da ist es unwichtig, ob sie gehalten haben oder gebrochen wurden. Die ETA definierte dieses Angebot auf Gewaltverzicht als einen Hoheitsakt, bei dem eine kriegsführende Seite sich mit der anderen auf etwas verständigt.

Der Kampf des spanischen Staats gegen die ETA

Der Umstand, daß die ETA nach Francos Tod nicht die Waffen streckte und weiter aktiv blieb – und sich auch einer gewissen Unterstützung im restlichen Spanien erfreute, aufgrund der Tatsache, daß sie die einzige Organisation war, die dem Regime die Stirn geboten hatte – kam den spanischen Eliten gerade recht. Mit Berufung auf „Bekämpfung des Terrorismus“ konnte die Übergangsregierung unter Suarez und die Nachfolgeregierungen auch gegen linke Studenten- und Arbeiterorganisationen vorgehen und den Gewaltapparat aus der Franco-Zeit 1:1 übernehmen. Er diente jetzt der „Verteidigung der Demokratie“.

Eine besondere Rolle kam dabei der Guardia Civil zu. Diese spezielle Einheit, die als „Gendarmerie“ übersetzt wird, wurde 1844 als eine Art Militär für das Inland gegründet, zur Überwachung der ländlichen Bevölkerung. Ihre Mitglieder leben in Kasernen, kommen aus anderen Landesteilen und dürfen sich nicht mit der Bevölkerung vor Ort verbrüdern, verheiraten usw. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit werden sie versetzt und in die nationale Polizei übernommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Guardia Civil eine Art interne Terrororganisation gegen das aufständische Landproletariat Spaniens. Im Baskenland wurde sie zu einer Besatzungsarmee. Sie verfügte über spezielle Vollmachten, die alle demokratischen Gepflogenheiten außer Kraft setzten. Während die baskische Polizei, die Ertzaintza, mehr oder weniger auf verkehrspolizeiliche Maßnahmen und ähnliches beschränkt war, konnte die Guardia Civil problemlos in Wohnungen eindringen, Hausdurchsuchungen vornehmen, Leute verhaften und tage-, sogar wochelang Leute in Gewahrsam nehmen, verprügeln, demütigen, usw., ohne ihre Angehörigen auch nur in Kenntnis zu setzen.

Es ist nicht herauszukriegen, wieviele Personen der Repression der Sicherheitskräfte seit 1975 zum Opfer gefallen sind. Darüber wird offenbar keine Statistik geführt, während die Opfer der ETA genau verzeichnet wurden. Zu den Ermordeten, ob ETA-Mitglieder oder nur der ETA-Mitgliedschaft Verdächtigen, muß man auch diejenigen hinzuzählen, die durch die Polizeihaft bleibende Schäden erlitten haben.

Das war aber offenbar dem Staat noch nicht genug.

Von 1983 bis 1987 übten die paramilitärischen Einheiten der GAL (Antiterroristische Befreiungsgruppen), die vom Innenministerium zur Zeit der sozialistischen Gonzalez-Regierung organisiert wurden, ihre Tätigkeit aus, die später als „schmutziger Krieg“ bezeichnet wurde. Ihnen werden 27 Morde zugeschrieben. Sie entführten Personen und ermordeten sie, auch in Frankreich.

Die Organisationsstruktur der ETA

Die ETA verfügte mit der 1978 von aus dem Exil heimgekehrten Politikern gegründeten Partei Herri Batasuna („Volkseinheit“), die sich 1986 formal als Partei gründete, über ein legales Standbein im baskischen Regionalparlament, bis HB und auch Nachfolgeorganisationen 2003 verboten wurden.

Die „Volkseinheit“ definierte sich als „patriotische Linke“, womit sie erstens die Liebe zur Heimat als linke Tugend definierte, und zweitens sich als ehrbare Opposition darstellte, die letztlich immer für das Gute und gegen das Böse war.
Zur Erreichnung dieser hohen Ziele sind natürlich alle Mittel erlaubt.

Die paramilitärischen Einheiten, die „Kommandos“, agierten unabhängig voneinander, sodaß die Verhaftung eines oder mehrer Mitglieder eines solchen Kommandos keine Auswirkungen für die anderen hatte. Auch unter Folter konnten die Verhafteten keine Informationen weitergeben, weil sie keine hatten.
Die Unabhängigkeit der Kommandos bezog sich auf die Wahl der Opfer, der Tatorte, die Form der Ausführung, und auch auf Geldbeschaffung und Einbrüche in militärische Depots zur Beschaffung von Sprengstoff.

Ein Moment der Dauerhaftigkeit und Unterstützung der ETA war das absolute Verbot des Konsums von Alkohol und Drogen.

In der Zeit der Transición, des Übergangs zur Demokratie, wo sich eine ganze Generation mit Heroin zu- und wegtörnte – durchaus von den Behörden geduldet –, war das ein Anziehungspunkt. Den meisten Eltern war es lieber, wenn ihre Kinder sich in ETA-Kreisen herumtrieben, als sie im Drogenmilieu versumpfen zu sehen.
Ihre Mittel beschaffte sich die ETA über Schutzgelderpressung – mit sehr glaubwürdigen Drohungen unterlegt –, über Entführungen von Unternehmern und das dafür gezahlte Lösegeld, und über Einbrüche in Munitionsdepots.

Die Unterstützer der ETA

Das Staatsprojekt der ETA fand auf der Welt wenig Unterstützer. Spekulationen auf Unterstützung von Seiten der Sowjetunion oder anderer Staaten des Warschauer Paktes werden nicht einmal von den größten Antikommunisten in die Welt gesetzt.
Auch der CIA hatte nichts mit der ETA zu tun, weder vor noch nach Francos Tod. Die USA waren mit Spanien hochzufrieden, sie hätten gar keinen Grund dafür gehabt.

Die ETA wurde lange von Algerien unterstützt. Die Regierungen von Boumedienne und Bendjedid sahen offenbar im nationalen Befreiungskampf der ETA eine Parallele zur eigenen Befreiung von der Kolonialmacht. Algerien diente sowohl als Versteck und Zufluchtsort für ETA-Mitglieder, die in Spanien gesucht wurden, als auch als Ausbildungslager für die Mitglieder der Kommandos.
Aus verschiedenen lateinamerikanischen Staaten erhielt die ETA ebenfalls Unterstützung, vor allem aus Mexiko, Venezuela, Argentinien und Uruguay. Von staatlicher Seite wurde diese Unterstützung nur geduldet, nicht aktiv betrieben. Die Freunde der ETA waren in diesen Staaten republikanische Flüchtlinge und deren Angehörige sowie Nachfahren baskischer Auswanderer.

Nicht ganz klar erschließt sich die Rolle Frankreichs. Die ETA hätte sich nie so lange halten können, wenn die französischen Behörden mit den spanischen zusammengearbeitet hätten. Aber daran bestand offenbar kein Interesse von Seiten Frankreichs.
So diente das französische Baskenland als Rückzugsgebiet und logistisches Hinterland. Der Sprengstoff kam aus französischen Militäreinrichtungen, die weniger streng bewacht waren als die spanischen. Aktionen der spanischen Polizei und Guardia Civil in Frankreich, bei denen öfters auch französische Staatsbürger zu Schaden kamen, wurden zwar geduldet, führten aber regelmäßig zu Verstimmungen und Protesten von französischer Seite.
Diese Duldung ist um so verwunderlicher, als der Wunsch nach einem eigenen Staat durchaus auch das französische Baskenland bedrohte und damit die Einheit Frankreichs. Zunächst konzentrierte sich die ETA auf den spanischen Teil – Hegoalde, die „südlichen Länder“ –, aber der Norden – Iparralde – lag als Fernziel durchaus im Staatskonzept der baskischen Patrioten.

Schließlich ist auch eine Unterstützung der ETA bei der baskischen Unternehmerschaft nicht zu unterschätzen. Nicht alle wurden genötigt, Schutzgeld zu zahlen. Es gab auch in der Unternehmerschaft welche, denen die Vorstellung eines unabhängigen Baskenlandes angenehm war und die dafür gerne etwas ablegten.
Sie erhofften sich dadurch geringere Abgaben und damit höhere Profite.

Die Attentate

Der bewaffnete Arm der ETA betrachtete sich als Nachfolger der baskischen Armee im Bürgerkrieg, der Finger saß recht locker am Abzug. Sie betrachtete sich als Armee im Krieg und wollte den Feind treffen, wo es nur ging. Die Auswahl ihrer Opfer fand so statt, daß diese Personen von den Mitgliedern der Kommandos für lebensunwert betrachtet und zur Liquidierung verurteilt wurden.
Die Attentate erfolgten in Form von Hinrichtungen mit Schußwaffen, oftmals aus nächster Nähe – der Attentäter ging zu seinem Opfer und teilte ihm vorher mit, daß es jetzt erschossen würde.

Andere Attentate erfolgten mit Bombenanschlägen. Die Frequenz von Anschlägen mit Bomben hing davon ab, welche Mengen der ETA gerade zur Verfügung standen. Die Anschläge erfolgten teilweise auf Wohneinheiten der Guardia Civil.
Oftmals wurden aber einfach auf Lokale, Flughäfen, Bahnhöfe und Supermärkte Anschläge verübt, weil die ETA die als legale Ziele gegen die Besatzungsmacht ansah.

Mit der Zeit bürgerte sich ein, daß bei den Bombenattentaten in öffentlichen Gebäuden vorher eine Warnung erfolgte, damit die betreffende Örtlichkeit rechtzeitig geräumt werden konnte.
Beim Attentat auf den Hipercor in Barcelona 1987, das 21 Todesopfer forderte, war die Warnung von der Polizei ignoriert worden, weil sie es für günstig hielt, mit einem blutigen Attentat die Stimmung in der Bevölkerung gegen die ETA aufzuhetzen. Die Toten von damals kann man also als Gemeinschaftswerk von Polizei und ETA betrachten.
Beim Bombenattentat auf den Flughafen Barajas 2006 war der Flughafen zwar geräumt worden, zwei Ecuatorianer, die in ihren Autos schliefen und deshalb die Evakuierung verschliefen, fielen der Explosion jedoch zum Opfer.

Die Opfer der ETA

Die ETA hatte ein relativ breit gestreutes Spektrum an Opfern.

Der größte Teil ihrer Opfer waren Mitglieder der Exekutive – der Guardia Civil und der Polizei, des Militärs, sowie deren Angehörige. Es gab keinerlei Bedenken oder Reue, wenn bei einem Attentat gegen eine als Feind definierte Zielperson auch deren Partner und Kinder umkamen, oder die Erschießung ihres Vaters mit ansehen mußten. Die ETA betrieb also bei ihren Attentaten auch eine Art Sippenhaftung.

Weiters wurden Lokalpolitiker – Bürgermeister oder Gemeinderäte von nicht-baskischen Parteien – ins Visier genommen, mit ähnlich tolerierten Kollateralschäden. Sie waren immerhin Verräter, die sich trotz ihrer baskischen Abstammung dem spanischen Kolonialherren andienten.
Ein – sogar baskischstämmiger – Schulwart wurde vor einem Haufen Schüler am hellichten Tag an seinem Arbeitsplatz erschossen – in der irrigen Annahme, er hätte früher einmal bei der Polizei gedient.

Gerne und reichlich wurden Taxifahrer, Kellner oder Barbetreiber erschossen, weil die ETA von ihnen annahm, daß sie Spitzel waren. Sie hatten nämlich hin und wieder Polizisten in ihren Taxis geführt oder in ihren Etablissements bewirtet, waren also eindeutig Kollaborateure der Besatzungmacht.
Bei diesen Menschen war auch noch zusätzlich verdächtig, daß sie oftmals aus anderen Teilen Spaniens stammten, also schon ihrer Herkunft nach als Feinde zu gelten hatten. In dieser Logik wurden auch diverse Andalusier oder aus Kastilien, Murcia oder Extremadura stammende Leute einfach so erschossen, um klarzustellen, daß die ETA keinen Wert auf Zuzug legte.

Auch Leute, die die ETA verlassen hatten, weil sie genug von diesem Wahnsinn hatten, wurden hingerichtet, sobald sie sich wieder ins Baskenland wagten, in der irrigen Annahme, daß über die Sache Gras gewachsen sei.

Einmal ETA – immer ETA!

Die Nachfolgeorganisation Bildu

Die Organisation Bildu (= „versammelt“) ist das Ergebnis verschiedener Koalitionen, die sich aus baskischen Kleinparteien seit dem sogenannten „Abkommen von Gernika“ im Jahre 2010 gebildet hat. Damals wurde der Waffenstillstand, also das Ende des bewaffneten Kampfes vereinbart, und alle anderen politischen Organisationen auf die Zusammenarbeit mit der ETA verpflichtet.

Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß die ETA jahrzehntelang keine Organisationen der spanischen oder sogar internationalen Linken auf dem Territorium des Baskenlandes duldete. Sobald irgendwelche anarchistischen, trotzkistischen, maoistischen, marxistischen und ähnlichen Gruppen eine Filiale im Baskenland eröffnen wollten, erhielten sie einen Besuch, der ihnen davon abriet, weil dergleichen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sei. Diese Drohungen betrafen auch den französischen Teil des Baskenlandes.
So ergab es sich zwangsläufig, daß alle Organisationen, die sich dort bildeten, ob sozialistisch oder ökologisch orientiert, als erstes die nationale Frage in ihre Statuten oder sonstigen Absichtserklärungen aufzunehmen hatten. Sie hatten sich als baskische Patrioten zu definieren, mußten sich einen baskischen Namen geben und hatten ihre Veröffentlichungen auf Baskisch zu machen.

Man kann sagen, daß die ETA sich auf diese Art und Weise den Boden für den Übergang in die Legalität vorbereitet hat. Erstens hat sie eine Infrastruktur für die Teilnehme am demokratischen Machtkampf zugelassen, derer sie sich jetzt bedienen kann. Zweitens hat sie damit gesorgt, daß alle Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen sich nur innerhalb der „patriotischen Linken“ artikulieren kann. Dadurch hat sie drittens ein breites Reservoir von jungen Anhängern und Wählern, denen es selbstverständlich ist, ihre gesamten Anliegen zu Bildu und deren Koalitionspartnern zu tragen.
Der Übergang in die Legalität ist also geglückt. 44 abgeurteilte und nach langen Haftstrafen wieder entlassene Etarras, also ehemalige ETA-Kämpfer, kandidieren jetzt für die laufenden Gemeinderatswahlen und werden es vermutlich auch schaffen, auf einen Gemeinderatssitz zu kommen. Dort sitzen sie bald neben den Anhörigen ihrer ehemaligen Opfer, die sich bei anderen Parteien betätigen und oft erst als Ergebnis der Ermordung ihrer Väter zu einem politischen Engagement entschlossen haben.
Alle Einsprüche gegen diese Umwandlung von ETA in Bildu – oft mit Zwischenschritten über andere, kurzlebige Organisationen wurden abgeschmettert.
Es ist anzunehmen, daß die PNV mit Bildu Pakte geschlossen hat, um möglichst viele Gemeinderatssitze für die nationale Sache zu sichern und andere Parteien nach Möglichkeit aus dem Baskenland zu entfernen.

Die Vereinigung mit dem Norden ist weiterhin nicht ausgeschlossen, wenngleich derzeit auf die Gemeindeebene reduziert: Bildu bzw. mit der Partei verbündete Parteien kandidieren auch in Frankreich.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels findet sich hier:

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS