DROGEN
In den USA wurde der „sanitäre Notstand“ wegen der Welle der Abhängigkeit von Opiaten ausgerufen. Trump weigerte sich, einen nationalen Notstand auszurufen, obwohl er dergleichen im Sommer versprochen hatte. Der Unterschied liegt vor allem in den für die Bekämpfung der Notlage vorgesehenen Mittel, da im Falle eines nationalen Notstandes der Katastrophenfonds angezapft werden kann. Es ist also noch gar nicht klar, welche Folgen diese Erklärung haben wird und mit welchem Geld irgendwelche Maßnahmen finanziert werden sollen.
Der Gebrauch von Opiaten ist in den USA ständig gestiegen, besonders seit 2012. Im Jahr 2016 forderte er das Leben von 64 000 Personen. Viele andere überlebten nur aufgrund rechtzeitig rechtzeitig gegebener Spritzen mit einer Art Gegengift. In den USA wird die Abhängigkeit von Opiaten inzwischen als Epidemie bezeichnet. Sie betrifft keineswegs nur die Ghettos oder die Unterschicht, sondern hat längst die weiße Mittelklasse erreicht.
Es erscheint als Paradox, daß dasjenige Land, das seit Jahrzehnten einen Krieg gegen Drogen führt und es aufgrund dessen zu der höchsten Gefängnisbelegung pro Kopf der Bevölkerung auf der ganzen Welt gebracht hat, sich der Drogen und ihrer Folgen gar nicht erwehren kann.
Hier wiederholt sich die Erfahrung der „Prohibition“, der Zeit des Alkoholverbots, als sich herausstellte, daß Kontrolle, Strafe, Einsetzen von Agenten gegen den Alkohol nur den Konsum und die illegal gemachten Gewinne erhöhten und große Teile der Bevölkerung in die Kriminalität trieben.
Was ist der Unterschied und die Gemeinsamkeit zwischen illegalen und legalen Drogen? Beides sind Rauschmittel, oder Betäubungsmittel, je nachdem, die den Leuten notwendig erscheinen, um diese Gesellschaft auszuhalten. Der Gesetzgeber entscheidet sehr willkürlich darüber, welche davon erlaubt, welche unter Strafe gestellt werden.
Das ganze Verbotssystem von Drogen seit den 60-er Jahren war politisch motiviert:
„John Ehrlichman war von 1969 bis 1973 Nixons Chef-Berater für Innenpolitik und gehörte zu dessen innerem Zirkel. In einem Gespräch mit dem Journalisten Dan Baum im Jahre 1994 äußerte er sich über die innenpolitischen Motive für die spätere Proklamation des »War on Drugs«:
»Die Nixon-Kampagne 1968 und die folgende Regierung hatten zwei Feinde: Die linken Kriegsgegner und die Schwarzen. Verstehen sie, was ich damit sagen will? Wir wussten, dass wir es nicht verbieten konnten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein, aber dadurch, dass wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren und beides heftig bestraften, konnten wir diese Gruppen diskreditieren. Wir konnten ihre Anführer verhaften, ihre Wohnungen durchsuchen, ihre Versammlungen beenden und sie so Abend für Abend in den Nachrichten verunglimpfen. Wussten wir, dass wir über die Drogen gelogen haben? Natürlich wussten wir das!«“ (Wikipedia, War on Drugs)
Inzwischen entsteht der Eindruck, daß sich die Drogenbekämpfung irgendwie verselbständigt hat, und gar keinen politischen oder pseudo-gesundheitlichen Richtlinien mehr folgt. Sie dient der Polizei in Slumgegenden zur Rechtfertig ihrer Existenz durch Drangsalisierung der Slumbewohner und füttert das teilweise privatisierte Gefängniswesen mit neuem Frischfleisch. Auf den Konsum und Handel von illegalen Drogen selbst hat das alles wenig Einfluß.
Die andere Seite, die der legalen Drogen ist jedoch viel entscheidender. Die gescheiterte und in Obamacare gemündete Gesundheitsreform hat das grundlegende Problem des US-Gesundheitswesens nicht gelöst. Die Volksgesundheit ist ziemlich am Boden und kann aus den privaten Taschen des Proletariats nicht repariert werden. Eine Finanzierung via Sozialstaat ist in den USA von Haus aus nicht vorgesehen. Das führt dazu, daß viele Behandlungen unterbleiben. Vor allem Operationen werden hinausgeschoben, so lange es nur geht, oder unterbleiben ganz – lieber läßt man den Patienten einen natürlichen Abgang machen, das kommt billiger. Viele Gebrechen werden oft gar nicht richtig diagnostiziert, weil das bereits zu teuer käme. Krankenhäuser, Ambulanzen und andere öffentliche Einrichtungen müssen nämlich mit einem beschränkten Budget auskommen, was die Versorgung derer angeht, die ihre Behandlung nicht bezahlen können.
So werden Kranke aller Art mit Schmerzmitteln nach Hause geschickt, um sie loszuwerden. Und die wirksamsten Schmerzmittel sind nun einmal die Opiate. Die Pharmaindustrie freut sich, weil dadurch macht sie gute Geschäfte. Dazu trägt bei, daß es zum ordentlichen Behandeln der Patienten zwar nicht reicht, zum Subventionieren von Schmerzmitteln aber allemal.
In Folge dessen türmen sich in den amerikanischen Haushalten opiumhaltige Medikamente oder Opiumderivate aller Art und stehen der heranwachsenden Generation zur Verfügung, für die sie anscheinend als Einstiegsdrogen dienen.
Die zunehmende Verelendung und Perspektivlosigkeit, die inzwischen weite Teile der Mittelschicht ergriffen haben, tragen dazu bei, daß viele junge Leute bereitwillig diese Trostpflaster benützen und sich damit wegtörnen, so gut es geht.
Für weiteren Konsum stellt dann das Internet alles Gewünschte zur Verfügung. Sehr beliebt sind, was man so liest, Betäubungsmittel für Pferde und Elefanten. Die fahren anscheinend besonders ein. Und was das normale Internet an legalen Drogen nicht hergibt, kann man sich über das Darknet beschaffen, ein Netz von geheimen Websites, wo man sich alles Illegale beschaffen kann.
So präsentiert sich die Weltmacht Nr. 1 an dieser Front: Der ganzen Welt ihre Drogenpolitik aufnötigend, und mit höchster Rücksichtslosigkeit gegen die eigene Bevölkerung, deren Einsatzfähigkeit in Krieg und Frieden daher immer fraglicher wird.
Staat, Nation, abstrakt freier Wille
MACHT DER STAAT DEN BÜRGER ODER DER BÜRGER DEN STAAT?
Die Frage beschäftigt offensichtlich die Gemüter von einigen Diskutanten, deswegen eröffne ich hier einmal eine eigene Diskussionsseite, weil sich erstens die Debatte zum Beitrag Desintegrationserscheinungen“ schon sehr weit vom Katalonien-Thema entfernt hat und zweitens auch schon zu viel Platz dort einnimmt.
(Die Seite ist dann schwerfällig zum Aufrufen.)
Also Krim, Ohnmacht und andere bitte hier weitermachen.
Pressespiegel El País, 10.10.
GLEICHSCHALTUNG
Joan López Alegre / Nacho Martín Blanco
„Abschied aus den Kreisen des Hasses
Unsere Präsenz im katalanischen Fernsehen und Radio ist nutzlos, sie hat nur Alibifunktion
Katalonien steht am Abgrund der Trennung, es wehen Winde des Bruches mit Spanien und der EU, aber vor allem des Zwistes zwischen uns selbst, den Katalanen. (…) Eine Frage, die sich derzeit alle stellen, ist die: wie sind wir soweit gekommen? Die Gründe sind mannigfaltig, aber es gibt 2 grundlegende Faktoren, die systematisch die Schaffung eines mentalen Rahmens der Entfremdung, sogar der Abneigung gegenüber dem Rest von Spanien befördert haben: das Bildungssystem und diejenigen öffentlichen Medien, die von der Generalitat finanziert werden.
Als regelmäßige Mitarbeiter der katalanischen Medien – Repräsentanten dessen, was mit der Zeit den Schimpfnamen Unionsquote bekommen hat – sind wir zu dem Schluß gekommen, daß unsere Anwesenheit in Talkshows und runden Tischen von TV3 und Catalunya Radio kontraproduktiv ist, weil sie nur als Alibi für ihren angeblichen Pluralismus dient und dafür, die dominante Sichtweise zu untermauern.
Die offizielle Leseart in Katalonien ist, daß es sich hier um eine natürlich, zutiefst irdische, vom Wesen her gute Nation handelt, die seit mindestens 3 Jahrhunderten einer unterträglichen kolonialen Unterdrückung innerhalb eines künstlichen, niederträchtigen und (keltisch-)chauvinistischen Staates ausgesetzt ist – Spanien, aus dem wir entkommen müssen. Dafür ist jedes Mittel recht. In allen Programmen ist dauernd von Franco die Rede. Im Radio Catalunya wurden die Hörer befragt, ob sie bereit wären, mit körperlicher Präsenz zu verhindern, daß Artur Mas vor Gericht gestellt wird. Vor kurzem wurden sie aufgefordert, in den Tagen vor dem Referendum am 1. Oktober über die Ortswechsel der Guardia Civil zu informieren – diese Informationen wurden dann im Radio ausgestrahlt. Eine Brigade für Agitation und antispanische Propaganda, und inzwischen auch ein Büro für Rekrutierung und Denunziation.
Wenn die Wirklichkeit sich auf ein einziges Thema reduziert, die Abspaltung, und die Diskussionsrunden sich um ein einziges Thema drehen, dient die Anwesenheit eines einzigen Diskutanten, der dem Konsens des Restes widerspricht – der von den anderen 3 oder 4 Diskutanten getragen wird, sowie vom Moderator und vielleicht noch Anrufern während der Sendung unterstützt wird – nur dazu, ihn als Vertreter einer verschwindenden Minderheit, einer Randgruppe innerhalb der katalanischen Gesellschaft darzustellen. Unter diesen Bedingungen wird der Vertreter der abweichenden Meinung, auch wenn er sich auf den Kopf stellt, immer ein notwendiger Watschenmann, um nicht zu sagen, der nützliche Idiot des Abspaltungsprojektes.
Diese aufgenötigte und verzerrte Meinungsvielfalt wird auch in den Fernsehserien von TV3 präsentiert, wo – in den harten Worten des Spanienkorrespondenten des Wall Street Journal – nur die Huren und die Verbrecher Spanisch sprechen. Falls wirklich die Mehrsprachigkeit Kataloniens dargestellt werden sollte, müßten mindestens die Hälfte der Personen in diesen TV3-Serien regelmäßig Spanisch sprechen, und der abwechselnde Gebrauch von Spanisch und Katalanisch durch die Darsteller – am Arbeitsplatz, auf der Straße und zu Hause – wäre völlig natürlich. Aber genauso, wie den für den Separatismus werbenden Diskussionsrunden der Anspruch zugrundeliegt, daß es normal ist, für die Unabhängigkeit zu sein, so wird in diesen Serien unverhohlen die Absicht verfolgt, in der kollektiven Vorstellungswelt der Katalanen die Idee zu verankern, daß es normal ist, Katalanisch zu sprechen, und daß Spanisch nur die verwenden, die Randgruppen angehören oder nicht ganz dicht sind.
(…) Es ist traurig, das zuzugeben, aber das Zusammenleben in Katalonien, wenn jemand seinen Frieden haben will, besteht in der resignierten Übernahme der agressiven nationalistischen 10 Gebote, die auf der Verachtung Spaniens und der Spanier beruhen, aber vor allem derjenigen Katalanen, die sich als Spanier fühlen.
Man muß nur die Zeitungsartikel der letzten Jahre durchschauen, um zu begreifen, daß das Zusammenleben bereits jetzt völlig unmöglich wäre, wenn die mit Spanien verbundenen Katalanen die gleiche Verachtung gegenüber den Separatisten an den Tag legen würden wie diese uns gegenüber. So kommt es, daß viele Katalanen – möglicherweise die Mehrheit – lieber wegschauen und nicht mit Pilar Raholas oder Joan B. Cullas(1) diskutieren wollen – weder in Fernseh- und Radiosendungen, noch bei Abendessen und Treffen im Familien- und Freundeskreis.
Wenn eine öffentliche Rundfunkanstalt einen Teil der Bürger, für die ihr Programm gemacht wird, als schlechte Katalanen hinstellt, oder sogar als antidemokratische 5. Kolonne, weil sie die von der Provinzregierung betriebene Abschaffung des Rechtsstaats nicht unterstützt, bleibt nichts anderes übrig, als das auszusprechen und ihr den Rücken zu kehren.
Mit diesem Artikel wollen wir unseren Abschied von den öffentlichen Medien Kataloniens kundtun, solange diese ihrer Verantwortung nicht nachkommen, die gesamte Bevölkerung Kataloniens zu respektieren und ihr mit einem Minimum an Ehrlichkeit eine Stimme zu verleihen. Lieber verzichten wir auf unsere Einkünfte, um nicht weiter den emotionellen Verschleiß ertragen zu müssen, den die Teilnahme in Kreisen, die Haß auf Spanien verbreiten, verursacht, und die moralische Belastung, daß wir mit unserer Anwesenheit dieses Treiben legitimieren.“
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(1) Katalanische Journalisten, die regelmäßig das p.t. Publikum auf die Eigenständigkeit und Großartigkeit Kataloniens einpeitschen.
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Man muß nur immer wieder darauf hinweisen: wenn genau das Gleiche in Ungarn von der Fidesz-Regierung und in Polen von der Kaczynski-Partie betrieben wird, so schreien sowohl die EU-Politiker als auch die fortschrittliche Intelligenzia der EU Zetermordio, und die Demokratie! und die Menschenrechte! sind in Gefahr!
In Katalonien hingegen faseln sie vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, den braven fleißigen Katalanen und den post-franquistischen Madrider Unterdrückern.