Staat und Revolution, Teil 2

VOM IMPERIALISMUS, DEN BEAMTEN, DEN WAHLEN UND DEM „ABSTERBEN DES STAATES“

Als nächstes kommt der Imperialismus ins Spiel:

„Das letzte Vorwort von Engels datiert vom 16. Juni 1891. Damals nahm die Wendung zum Imperialismus – sowohl im Sinne der völligen Herrschaft der Trusts und der Allmacht der größten Banken als auch im Sinne einer grandiosen Kolonialpolitik usw. – in Frankreich gerade erst ihren Anfang, noch schwächer war sie in Nordamerika und Deutschland.
Seitdem hat die „Eroberungskonkurrenz“ Riesenschritte vorwärts getan, um so mehr, als zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts der Erdball endgültig unter diese „konkurrierenden Eroberer“, d.h. die räuberischen Großmächte, aufgeteilt war.“ (S 18)

Auch hier ist wieder eine gewisse Unentschlossenheit am Werk. Wenn sich die „räuberischen Großmächte“ – (gibt es nicht-räuberische?) – die Welt aufteilen, warum von der „Herrschaft der Trusts“, also industrieller Korporationen, sprechen? Was ist jetzt Imperialismus? Konkurrenz der Nationen, der Staaten, oder ihre Unterordnung unter die Macht des Kapitals?
Es handelt sich hier nicht um Haarspalterei. Die Unentschiedenheit darüber, wer jetzt wirklich die Macht hat, – sowohl innerhalb des Staates, als auf dem Erdball – zieht sich durch das ganze Buch Lenins.

Es folgt eine Verurteilung der Sozialdemokraten wegen ihrer Verteidigung des 1. Weltkrieges:

„… in den Jahren 1914-1917, als gerade diese um ein vielfaches verschärfte Konkurrenz den imperialistischen Krieg hervorgerufen hat, bemänteln die Halunken des Sozialchauvinismus die Verteidigung der Raubinteressen „ihrer“ Bourgeoisie mit Phrasen über „Verteidigung des Vaterlandes“, über „Schutz der Republik und der Revolution“ u.dgl.m.!“

Wieso das möglich war, warum die Proletarier aller Länder ihr „Vaterland“ und die „Republik“ gegen auswärtige Feinde verteidigen wollten und auch verteidigten, bleibt hier unklar. Offenbar war die Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg nicht ganz unbeteiligt am Aufbau eines positiven Bildes der Volksgemeinschaft. Aber vielleicht kommt die Auflösung dieses Widerspruchs später. Hier steht die Sache wieder nur als ungelöstes Rätsel und Verurteilung von „Verrätern“.

„Zur Aufrechterhaltung einer besonderen, über der Gesellschaft stehenden öffentlichen Gewalt sind Steuern und Staatsschulden nötig.“

Eine völlig richtige Feststellung, wenngleich nicht allzu überraschend. Der Leser wartet auf Begründungen. Sie kommen allerdings nicht, sondern erst wird eine zirkuläre Begründung des Staates eingeführt: Beamte entstehen, kleben an ihren Sesseln und entwickeln dadurch ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Systems. Die Idee der Bürokratie ist geboren.
Steuern und Schulden sind also nötig, um die Beamten zu bezahlen. Obwohl eigentlich nicht klar ist, wer sie braucht:

„Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse.“
Die Klassen erschaffen demzufolge den Staat, im Klassenkampf, und so setzt sich die stärkere durch und setzt diese übergeordnete Gewalt ein.
Wenn dem so wäre, warum bedarf die stärkere Klasse einer übergeordneten Gewalt – wenn sie ohnehin schon gesiegt hat? Und was heißt: „in der Regel“? Kann man sich einen Staat denken, der von der schwächeren, der ausgebeuteten Klasse eingesetzt wird? Ist er dann ihr Instrument?
„In der demokratischen Republik, fährt Engels fort, »übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus«, und zwar erstens durch seine »direkte Beamtenkorruption« (Amerika) und zweitens durch die »Allianz von Regierung und Börse« (Frankreich und Amerika).“

Irgendwie ist das also alles ein Schwindel-System, in dem die Reichen ihre Lakaien bezahlen, um Macht auszuüben, in ihrem Sinne selbstverständlich. Einmal direkt, einmal über die Börse.
Nachdem wir irgendwie nicht erfahren haben, warum der Staat Steuern einhebt und Beamten einsetzt, erfahren wir auch nicht, warum es Wahlen gibt:

„Es muß noch hervorgehoben werden, daß Engels mit größter Entschiedenheit das allgemeine Stimmrecht als Werkzeug der Herrschaft der Bourgeoisie bezeichnet. Das allgemeine Stimmrecht, sagt er unter offensichtlicher Berücksichtigung der langjährigen Erfahrungen der deutschen Sozialdemokratie, ist »… der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat …«“

Wahlen sind also das Instrument der herrschenden Klasse. Warum? Gleichzeitig sind sie „der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse“. Warum das? Wenn die Arbeiter wählen gehen, dienen sie doch offensichtlich der Herrschaft der Bourgeoisie. Warum ist es dann ein Ausdruck ihrer „Reife“? Wäre es nicht ehen ein Ausdruck ihrer „Reife“, also ihres Bewußtseins des Klassengegensatzes, zu sagen: Dieser ganze Zirkus geht mich als Ausgebeuteten nichts an?

Was ist eigentlich mit „Reife“ gemeint? Engels wie Lenin sahen offenbar die Arbeiterschaft als „unreif“ an und ihre vornehme Aufgabe als Oberlehrer, sie zu erziehen.

(Man möge mich nicht falsch verstehen. Natürlich ist es die Aufgabe von Marxisten, Marx’ Gedanken zu verbreiten und denjenigen, die sie noch nicht kennen, möglichst allgemein verständlich darzulegen. Das ist aber etwas anderes, als sich sozusagen zum Lehrmeister über die Massen aufzuschwingen und ihnen nach – übrigens, am Beispiel der Wahlen, sehr dummen – Maßstäben Reife zu bescheinigen.)
Nachdem also der ganze Staatsapparat mit einer Mischung von Zirkelschlüssen, Zitaten und Nicht-Erklärungen vorgestellt worden ist, geht Lenin über zur Zukunft:

„Das „Absterben“ des Staates und die gewaltsame Revolution …
»Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. … Der Staat wird nicht abgeschafft, er stirbt ab.« (Anti-Dühring)
Der bürgerliche Staat »stirbt« nach Engels nicht ab, sondern er wird in der Revolution vom Proletariat aufgehoben. Nach dieser Revolution stirbt der proletarische Staat oder Halbstaat ab.“ (S. 26)

Lenin läßt sich mit diesem Zitat von Engels auf dessen widersprüchlichen Staatsbegriff ein, ohne ihn im geringsten zu kritisieren. Wenn das Proletariat die Staatsgewalt ergreift, so hebt es den Staat eben nicht auf. Außerdem: was ist ein „Halbstaat“? Nachdem der Staat bisher schon nicht oder höchst unbefriedigend erklärt worden ist, wird er jetzt noch halbiert!
Engels’ verkehrte Geschichtsauffassung, die später als „Histomat“ in die marxistische Theorie eingegangen ist, wird hier richtig beweihräuchert, mit der Bekräftigung seiner Auffassung vom „Absterben des Staates“.

Engels wollte die Geisteswissenschaften verwissenschaftlichen, indem er für sie naturwissenschaftliche Gesetze erfand. Er hielt es für wissenschaftlich, historische Entwicklungen gesetzmäßig vorherzusagen. Die Idee vom Absterben des Staates fällt in diese Kategorie. Er wollte aus der Vergangenheit Gesetzmäßigkeiten für die Zukunft ableiten. Dieses Verfahren war Marx fremd, wenngleich er sich auch manchmal zu Prophezeiungen verstiegen hat. Seine Auffassung war jedoch die, daß Wissenschaft die Analyse des Bestehenden ist, und daraus leitete er Gesetzmäßigkeiten ab, wie zum Beispiel diejenige der Notwendigkeit der Krisen im Kapitalismus, oder die des tendenziellen Falles der Profitrate, mitsamt derer entgegenwirkenden Ursachen.
Engels, wenn er vom „Absterben des Staates“ redet, überträgt eine Kategorie der Biologie in die Gesellschaftswissenschaft. Er charakterisiert den bürgerlichen Staat als ein Naturphänomen, das eine Ablaufzeit hat. Ohne sich um die Gründe zu bekümmern, die die Existenz des modernen Staates bedingen, und vor allem: ohne sich um seine Besonderheiten als eigenständiges Subjekt Gedanken zu machen, deklariert er sein Verschwinden, sobald für ihn seine Notwendigkeit – der Klassengegensatz – entfällt. Der Staat ist bei Engels genauso wie bei Lenin ein Bedingtes, eine bloße Folge von etwas anderem. Das trifft weder auf die kapitalistische Demokratie zu, noch auf andere Staats- oder Herrschaftsformen.

Die Weichen sind gestellt für den „proletarischen Staat“ ohne Klassengegensätze, der natürlich mitnichten abgestorben ist, wenngleich er sich schließlich auf andere Art vertschüßt hat:

„Die Ablösung des bürgerlichen Staates durch den proletarischen ist ohne gewaltsame Revolution unmöglich. Die Aufhebung des proletarischen Staates, d.h. die Aufhebung jeglichen Staates, ist nicht anders möglich als auf dem Wege des »Absterbens«.“ (S 30)

Man beachte hier Lenins Vorgangsweise: Engels wird zitiert, als wäre er die Bibel, und als Schlußfolgerung wird die Notwendigkeit des Ersatzes einer Art von Staatsgewalt durch eine andere postuliert. Von Begründung keine Spur.

Fortsetzung: Staat und Revolution, Teil 3

Staat und Revolution, Teil 1

LENINS „MARXISTISCHE LEHRE VOM STAAT“

Vorausschicken muß man zunächst, daß Lenins gesamtes theoretisches Werk höchst zweifelhaft ist, und zwar wegen seiner Art, Kritik zu üben.

Er kritisierte die Sozialdemokraten, also diejenigen Leute, die sich wie er auf Marx beriefen, vom Standpunkt der Verfehlung. Ihre Überzeugungen und Taten waren für ihn Abweichungen von der reinen Lehre von Marx und Engels, zu deren befugtem Hüter er sich selbst erklärte. Sie waren daher „Opportunisten“, „Nationalchauvinisten“, „Renegaten“ und dergleichen. Verräter. Seine Kritik lief daher stets auf eine moralische Verurteilung hinaus. Das ist ein Unterschied zur Kritik Marx’ an den Sozialdemokraten, der sich in der „Kritik des Gothaer Programms“ darum bemühte, ihnen inhaltliche Fehler nachzuweisen.

„Staat und Revolution“ wurde zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution geschrieben, in Petrograd, als Lenin sich vor den Behörden verstecken mußte. Er sah eine Revolution vor sich und suchte nach Handlungsanweisungen. Er wollte eine theoretische Grundlage schaffen für das, was er vorhatte.
Die Fehler, die ich ihm ankreide, sind sicherlich Ergebnisse von Vorstellungen, die er schon vorher gehabt, und in dieser Schrift nur mehr niedergeschrieben hat. Hätte er jedoch Zeit und Muße gehabt, seine Überzeugung in Ruhe zu entwickeln, so wären ihm vielleicht die einen oder anderen Widersprüche aufgefallen.
Die Kritik an seiner Schrift ist jedenfalls angebracht, weil sich auf „Staat und Revolution“ jede Menge von Marxisten berufen, die Lenin als Revolutionär und Praktiker schätzen, und ihn deshalb als Theoretiker hochhalten.

Im Vorwort gibt Lenin das Ziel an, das er mit diesem Buch verfolgt:
„Wir betrachten zunächst die Lehre von Marx und Engels vom Staat und wollen besonders eingehend bei den in Vergessenheit geratenen oder opportunistisch entstellten Seiten dieser Lehre verweilen.“
Er behauptet also zunächst, es gebe eine solche Lehre.

Marx hat das „Buch vom Staat“, das er geplant hatte, nie geschrieben. Auch Engels behauptet von sich nicht, eine „Lehre vom Staat“, eine Analyse „des Staates“ in die Welt gesetzt zu haben, auch wenn eines seiner Bücher unter anderem beansprucht, seinen „Ursprung“ zu erläutern. Den Ursprung, die Entstehung einer Sache zu erklären, ist jedoch etwas anderes, als ihr Wesen und ihre Notwendigkeit zu analysieren.

Wenn jetzt Lenin gesagt hätte: Die zwei von mir geschätzten Theoretiker hatten dieses Vorhaben, sind aber nicht dazu gekommen, und deswegen muß ich jetzt eine Lehre vom Staat entwickeln, das nicht geschriebene Buch vom Staat selber schreiben – dagegen wäre nichts einzuwenden. Damit hätte er sich selber zur Autorenschaft bekannt, und sich der Kritik an seinen Ausführungen gestellt.
Voraussetzung für ein solches Unterfangen wäre allerdings, die Äußerungen von Marx und Engels auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und etwaige Mängel und Widersprüche aufzuzeigen. Es wäre auch notwendig gewesen, dort, wo die beiden spätere Entwicklungen (z.B. in Sachen Bismarck’sche Sozialreformen und die Stellung der deutschen Sozialdemokraten zu ihnen) nicht kennen konnten, diese theoretische Lücke zu schließen und selber eine Analyse vorzunehmen.
Er definiert sein Vorgehen aber von Anfang an ganz anders. Er sagt: Diese Lehre gibt es, sie ist aber verschütt gegangen, ich muß sie jetzt wieder ausgraben und darstellen. Was er hier macht, ist eine Kindesunterschiebung: Er entwickelt seine eigene Lehre vom Staat, beruft sich aber auf Marx und Engels und behauptet, das sei alles eigentlich von ihnen. Damit erklärt er sie für ein Kriterium der Wahrheit und sich nur zu ihrem Sprachrohr: Wer gegen mich antritt, ist ein Abweichler, ein Opportunist usw.! Denn bei Marx und Engels steht geschrieben …
In diesem Zusammenhang ist es auch angebracht, darauf hinzuweisen, daß er für sein Buch eine Auswahl des vorliegenden Schrifttums trifft, die dadurch in der marxistischen Tradition als eine Art Kanonisierung angesehen wurde und wird: Die von ihm herangezogenen Schriften gelten als das Um und Auf des Marxismus, das „Kapital“ und die mit ihm verwandten Schriften hingegen sind schon irgendwie den Ökonomen und spezialisierten Marxologen vorbehalten.


Kapitel I

Lenin betitelt dieses Kapitel mit der Überschrift: „Der Staat – ein Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze“.
Damit stellt er erstens fest: Die Klassengesellschaft braucht eine übergeordnete Gewalt, um bestehen zu können – eine Gewalt, die über den Klassen steht und sie beide auf ihre Rolle im Prozeß der Akkumulation verpflichtet.
Gleichzeitig relativiert er aber bereits in dieser Überschrift die Bestimmung des Staates, indem er sagt, sie sei ein „Produkt“. Damit bestimmt er die Staatsgewalt sozusagen als einen Nachschößling der Klassengesellschaft, als etwas von ihr Abhängiges, das keine eigene Bestimmung hat.

„Nach Marx ist der Staat ein Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere, ist die Errichtung derjenigen „Ordnung“, die diese Unterdrückung sanktioniert und festigt, indem sie den Konflikt der Klassen dämpft.“ (S 14)

Die Vorstellung des „Produktes“ wird weiterentwickelt: Jetzt ist der Staat ein „Organ“, das von der einen Klasse zur Unterdrückung der anderen geschaffen wird.
Diese Behauptung wird von da an zur erkenntnisleitenden Idee, von der anderes gefolgert wird:
„Wenn der Staat das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ist, wenn er eine über der Gesellschaft stehende und „sich ihr mehr und mehr entfremdende“ Macht ist, so ist es klar, daß die Befreiung der unterdrückten Klasse unmöglich ist nicht nur ohne gewaltsame Revolution, sondern auch ohne Vernichtung des von der herrschenden Klasse geschaffenen Apparates der Staatsgewalt, in dem sich diese „Entfremdung“ verkörpert.“ (S 15)

Wenn sich der Staat „mehr und mehr der Gesellschaft entfremdet“, so wird dabei unterstellt, daß er einmal mit ihr identisch war. Woher diese Vorstellung? „Gesellschaft“ und „Staat“ werden hier als ursprünglich gleiche bestimmt, die sich immer mehr voneinander entfernt haben.
Der Umstand, daß der Staat nicht mehr der Gesellschaft dient, stellt den Proletariern die Aufgabe, ihn zu stürzen. Soweit, so gut. Dennoch bleibt hier der schale Nachgeschmack, daß es einmal eine graue Vorzeit gab, in der Harmonie herrschte. Also der Staat vornehme Aufgaben hatte, die er aufgrund der Klassengesellschaft und Klassenherrschaft nicht mehr wahrnimmt.

Es folgen langweilige Ausführungen über den bürgerlichen Staat, mit Berufung auf Engels, die sich darin erschöpfen, daß die moderne Staatsgewalt etwas anderes ist als Stammesgesellschaften oder Affenherden.
Der Beweiszweck ist unklar: Muß man beweisen, daß die Staatsgewalt existiert, und etwas anderes ist als frühere, urzeitliche Gesellschaftsformationen?
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„Staat und Revolution“ wird zitiert nach der Taschenbuchausgabe des Dietz-Verlages von 1989.
Ich hab mir vorgenommen, im Sommerloch dieses bahnbrechende Werk des Marxismus-Leninismus in Fortsetzungen zu verreißen und hoffe auf reges Interesse und Streit, um das ganze dann einmal in ausgereifter Form zu veröffentlichen.

Fortsetzung: Staat und Revolution, Teil 2

Sparen oder Subventionieren?

DAS GWIRXT MIT DEN SCHULDEN
Obama telefoniert schon wieder. Während er dem spanischen Regierungschef vor ein paar Wochen ins Gewissen geredet hat, seine Ausgaben zu senken, und die Spanier das doch glatt gemacht haben, ist er jetzt für das genau Umgekehrte:
„In Briefen und Telefonaten drängt US-Präsident Barack Obama die Deutschen, ihr Sparprogramm aufzugeben und die Konjunktur mit neuen Schulden anzukurbeln.“ (Handelsblatt, 25.6.)
Das spanische Sparprogramm hat dann erst recht das Mißtrauen der „Märkte“ ausgelöst. Die Finanzwelt hat richtig darauf hingewiesen, daß, wenn an allen Ecken und Enden gespart wird, die Kaufkraft des kleinen Mannes schwindet. Dieser Umstand, zusammen mit der Tatsache, daß sich die Kriterien der Kreditvergabe verschärft haben, wird aller Voraussicht nach die Konjunktur „abwürgen“, so meinen die Experten für Profit und Konjunktur.
Wenn die Griechen, Ungarn und Rumänen Sparprogramme verabschieden, die einen kräftigen Verarmungsschub quer durch die Bevölkerung auslösen, so ruft das weitaus weniger Sorgenfalten bei den Währungshütern hervor – das sind arme Schlucker, bei denen ist nicht viel zu holen, wenn die dort verelenden, so ist das kein großer Schaden für die Weltwirtschaft.
(Eine irrige Meinung, übrigens, gegenüber EU-Mitgliedsländern, auch wenn sie noch so wenig zur Gesamtwirtschaftsleistung beitragen. Auch von dort werden noch Signale kommen, die den Euro ins Wackeln bringen.)
Spanien hingegen ist schon ein größerer Brocken, und ein wichtiger Markt für deutsche und französische Waren, aber auch für das Engagement der Banken dieser Länder, deren Vorstände mit bangem Blick die negativen Entwicklungen im Banksektor Spaniens verfolgen.
Nicht auszudenken, wenn jetzt auch Deutschland, wie es angekündigt hat, sparen will! Der deutsche Markt schrumpft, Deutschland wird noch mehr exportieren (wollen), es fragt sich nur, wohin?
Staatsanleihen und Wirtschaftswachstum
Man muß einmal folgendes begreifen: Die Staatsanleihen der verschiedenen Staaten haben 2 Funktionen.
Erstens verschaffen sie derjenigen Regierung, die sie ausgibt, Geld. Irgendwer kauft diese Anleihen, und das dafür gezahlte Geld fließt in die vielgerühmte Staatskasse. Damit finanzieren sich die jeweiligen Staaten, seis für Militär, Soziales, Unterrichtswesen oder Wirtschaftsförderung.
Zweitens wird mit ihnen Anspruch auf Reichtumsvermehrung in die Welt gesetzt. Die Anleihen sind schließlich verzinst, die Regierungen müssen mehr zahlen, als sie bekommen haben. Sie zahlen diese Zinsen durch Ausgabe weiterer Anleihen, und dadurch vergrößert sich die Staatsschuld. Und das, so die Auffassung der Wirtschaftsfachleute, ist nicht weiter schlimm, solange auch die Wirtschaft wächst und die Schulden und das BIP in einem bestimmten, bisher als solide angesehenen Verhältnis stehen.
Dieses Verhältnis wurde mit den Maastricht-Kriterien in Zahlen gegossen und somit mehr oder weniger dekretiert: 60% Verschuldung zum BIP, das ist solide, fertig! Und die Finanzwelt hat das auch so gesehen und damit diese Festsetzung auch wahrgemacht.
Man könnte jetzt vielleicht einfach sagen: Erhöhen wir die Soliditätsgrenze doch auf 80 oder 90%, und alles ist ok! (De facto ist das bereits geschehen.)
Das Problem ist jedoch, daß die Staaten zwar irgendwie bestimmen können, wieviele Anleihen sie ausgeben, wie hoch sie sich also verschulden, aber nicht bestimmen können, wie viel Profit auf ihrem Territorium gemacht wird. Während Gehaltskürzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst, wie sie jetzt in Europa großflächig vorgesehen sind, sicher die Gewinnemacherei erschweren, weil die Zahlungsfähigkeit schrumpft, ist ja gar nicht gesagt, daß die Wirtschaftsankurbelungsmaßnahmen in den USA wirklich die Wirtschaft ankurbeln, und nicht womöglich wieder irgendwelche Spekulations-„blasen“ entstehen lassen.
Und damit ist die Frage weiter im Raum: Welche Schulden werden irgendwann unbezahlbar, weil irgendwelche Wertpapiere nicht mehr gekauft werden?
Die US-Regierung ist sich offensichtlich sicher, daß ihre Anleihen immer gekauft werden, während verschiedenen europäischen Staaten kürzlich beschieden worden ist, daß ihre Anleihen den Status von Ladenhütern erreicht haben oder erreichen werden.
Daher täuscht sich das Handelsblatt in seiner Häme, wenn es schreibt: „USA steuern auf griechische Verhältnisse zu“: Es mag europäisches Wunschdenken sein, daß den USA von den Finanzmärkten genauso ihre Rechnung präsentiert werden möge, wie es Griechenland erfahren mußte, sieht aber über den Unterschied zwischen der Weltmacht Nr. 1 und diesem kleinen Wurmfortsatz der Weltwirtschaft, den Griechenland darstellt, locker hinweg: Der $ ist immer noch die die Grundlage des Weltwährungssystems, die amerikanischen Anleihen anzuzweifeln hieße die ganze Weltwirtschaft in Frage stellen.