Die Trostlosigkeit der Neoliberalismus-Kritik

DIE SELBSTBEWUSSTE LEUGNUNG DER WIRKLICHKEIT

Aus Anlaß einiger linker Veranstaltungen des letzten Jahres sehe ich mich veranlaßt, einmal darauf hinzuweisen, wo das gesellschaftskritische Denken heute gelandet ist.

Auf einer Veranstaltung von „Linkswende“, die sich stets marxistisch gibt, also auf Marx beruft, wurde ein düsteres Bild gezeichnet: Monopolisten bemächtigen sich der Schlüsselstellen in Politik und Wirtschaft, „wirtschaftliche Interessen“ setzen sich gnadenlos durch und unterwerfen die Welt ihren Berechnungen. Der Staat mitsamt seiner Politikermannschaft: ein von Termiten längst ausgehöhlter Papiertiger.

Eine Pressekonferenz von Attac: Eine der Damen am Podium beklagt als Skandal, daß man sich gar nicht vorstellen könne, was überall an Lobbying stattfinde! Überall wird wahnsinnig viel Druck auf die Politik ausgeübt, damit sie sich den Kapitalinteressen beuge! Eine andere Teilnehmerin des Podiums gibt wichtigtuerisch zum besten, wie sie auf Jagd nach Briefkastenfirmen gegangen sei – und tatsächlich welche gefunden hat!

Schließlich, angesichts des Uni-Streiks: Professionell Bewegte aller möglichen Fraktionen eilen herbei, beglückwünschen die Studenten zu ihrer kritischen Haltung und „klären auf“: Hinter allem stünden Strukturen, meistens auch noch „hierarchische“, das Bildungssystem sei daran, Kapitalinteressen dienstbar gemacht zu werden, neoliberalistische Dogmen gehören angegriffen, das Bildungssystem gehöre allen, usw.

Nachdem sich bei einer Veranstaltung über die Schule der Vortragende über eine Stunde lang bemüht hatte, darzustellen, warum bei unserem Bildungssystem lauter Unfug, also falsche Urteile und Praktiken über die Welt herauskommen, wurde ihm von einem Zuhörer vorgeworfen, er sei nur bei Oberflächenphänomenen verharrt und „eigentlich“ ginge es doch um ganz was anderes. Was, stellte sich allerdings nicht heraus.

Allen diesen Denkformen und Erklärungsmustern ist gemeinsam, daß sie sich um die Gegenstände, um die es geht, keinen Deut scheren. Was das Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitswesen ausmacht, aus welchen Gründen diese Einrichtungen existieren, was Rechte bzw. Menschenrechte sind – alles unwesentlich. Der kritische Mensch heute ist schon weiter, hat die Welt durchschaut, bevor er sie überhaupt zur Kenntnis genommen hat: Hinter allem stehen dunkle, auf jeden Fall finanziell potente Figuren, schieben den Politikern, die doch „eigentlich“ einen ganz anderen Auftrag hätten, dem Volk zu dienen vermutlich (man erfährt auch das meistens nicht), das Geld in die Taschen und kaufen sich den gesamten Staat.

Die Welt wird dadurch zu einer einzigen großen Verschwörung erklärt, mit „vorne“ und „hinten“, und die Dummen, die sich noch über Oberflächenphänomene wie Schule, Justiz oder Polizei den Kopf zerbrechen, sind hoffnungslos verstrickt in die Scheinwelt, die sich die großen Manipulatoren fürs einfache Volk ausdenken und dann über die Medien versprühen.

Der kritische Geist ist da schon viel weiter und hat die Welt durchschaut: Finanzhaie und Lobbyisten, (etwas rechter formuliert: Freimaurer und Juden), der Da Vinci Code und wer weiß noch alles ziehen die Fäden und „wir“ müssen jetzt diesen Hintermännern das Handwerk legen und die Zustände wieder – ja was jetzt? – auf ein genauso imaginäres „vernünftiges Maß“ herunterbringen.

Die Wirklichkeit wird von so kritischen Hinterfragern und Drüberstehern zu einer Schimäre erklärt, einem Potemkinschen Dorf, das zur Roßtäuscherei der breiten Masse eben hingestellt wird, während die Welt ihrer Einbildung – weil das ganze Verhältnis von Macht und Geld, so wie sie es besprechen, beruht einzig und allein auf ihrem unbegrenzten und gleichzeitig wasserdichten Idealismus – zur wahren Welt erklärt wird, die natürlich nur eine begrenzte Anzahl von Auserwählten überhaupt erkennen kann.
Von der Vorgangsweise ähnelt dieses Weltbild dem der Esoteriker und Astrologen: Glaub doch nicht, daß dir Chefs, Behörden und Hausherren das Leben schwermachen – nein, in Wirklichkeit sind es die Sterne, der Mond und irgendwelche Strahlungen!
Der wissenschaftliche Gehalt von dem, was erklärte Gegner des „Neoliberalismus“ verzapfen, gleicht dem von den Aussagen einer Zigeunerin mit einer Kristallkugel!

Neben dem trostlosen, aber sehr schnell anzueignenden Gehalt dieses Weltbildes – man braucht sich nicht sehr anstrengen, um die paar Sprücherln und Vokabeln auswendig zu lernen und dann am richtigen Ort wieder zu versprühen – bietet es auch einiges fürs Gemüt, also für das Selbstbewußtsein des modernen Staatsbürgers.

1. Man gehört einer elitären Minderheit an, die gelernt hat, kritisch zu hinterfragen und die Welt durchschaut hat. Dem Rest, den Deppen, die immer noch meinen, Politiker hätten Macht oder die Justiz sei effizient, die muß man halt aufklären, aber schon mit dem klammen Gefühl, daß die zu solchen tiefen Einsichten eh nicht fähig sind.
Der erste Bonus der modernen Verschwörungstheorie ist also ein sattes Elitebewußtsein.

2. Nicht zu unterschätzen sollte man auch die Dialektik von Macht und Ohnmacht, die sich hier auftut: Die Politiker, die Minister und Präsidenten, die sich in Brüssel, bei G 8 oder 20-Treffen über die weitere Vorgangsweise verständigen, wie mit dem Globus zu verfahren sei – diese in den Medien und für das gemeine Volk so scheinbar mächtigen Leute sind eigentlich Hampelmänner, Marionetten, die sich von irgendwelchen Großunternehmen und Bankiers an den Fäden ziehen und die Taschen füllen lassen. Und die einem in ihrer Hilflosigkeit gegenüber ihren Hintermännern schon fast leid tun können. Und die werten Kritiker, allen voran Attac, machen sich auf, diese Leute aus ihrer vermeintlich untergeordneten Stellung zu befreien, ihnen mit guten Ratschlägen zu Hilfe zu eilen und sie an ihren „eigentlichen“ vornehmen Auftrag zu erinnern, dem Volk zu dienen und die Armutspflege mit den Interessen ihrer Lieblingsbürger, der Unternehmer, zu vereinen. Die Gegner des „Neoliberalismus“ erklären sich also mit ihren Regulierungsvorstellungen und Appellen an die hohe Politik zu Möchtegern-Think Tanks der jeweiligen Politiker und vollziehen problemlos einen geistigen Schulterschluß mit den Herren der Erde.

3. Und schließlich, die immer beschworenen und angeblich so bedenklichen Kapitalinteressen, wie kommen die eigentlich weg? Auch sehr gut! Sie gehen nämlich voll in Ordnung, solange sie sich in irgendwelchen imäginären anständigen Grenzen bewegen, „Maß halten“, ihr „Profitstreben“ brav einschränken.
Nun ist aber einmal das Streben nach Gewinn ein solches, das sich gar nicht mäßigen kann, denn das einfache Prinzip des Kapitalismus – aus jeder investierten Geldsumme soll mehr werden – ein solches Prinzip kennt kein Maß, und konsequenterweise können die Anhänger der Mäßigung ja auch kein solches angeben. Um so entrüsteter wird dann immer auf „riesige“, „immense“, „Riesen-“ Gewinne hingewiesen.

Mit dieser frommen Beschwörung des fairen Handels und Profits sind die Neoliberalismus-Kritiker die Erben der sozialdemokratischen Lüge, daß es bei der richtigen Handhabung und Regulierung „unserer Wirtschaft“ keinen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit gäbe, sondern sich die beiden wunderbar ergänzen. Der Umstand, daß ein großer Teil der Menschheit dazu genötigt ist, sich bei anderen, den Kapitalbesitzern, zu verdingen und deren Reichtum zu vermehren, während er damit nur seine eigene Armut reproduziert – dieser Umstand ist für diese Gesellschaftskritiker wechselweise (es scheint vom Publikum abzuhängen) unvermeidlich, naturgegeben; die einzig mögliche Art, Wirtschaft zu betreiben, und wahrscheinlich gar noch gedeihlich für die davon Betroffenen, weil sonst würden sie womöglich auf der faulen Haut liegen und dadurch am Ende noch eine Sinnkrise kriegen.

Warum hat sich dieser Unfug, den Kapitalismus als „Neoliberalismus“ zu brandmarken und gleichzeitig in seiner schaumgebremsten Variante des Sozialstaates gleichsam zu umarmen, so flächendeckend durchgesetzt?

Ganz einfach.

Erstens ist man echt kritisch und kein Dödl! Man kennt sich aus auf der Welt!

Zweitens tut auch diese Kritik niemandem weh. Sie kennt ja gar keine realen Gegner, sondern nur imaginäre, und keine anrüchigen gesellschaftlichen Zwecke, sondern nur Übertreibungen und dergleichen. Es ist immer nur das Ausufern an und für sich ehrenwerter Absichten und Tätigkeiten, das periodisch ganze Landstriche ins Unglück stürzt.

Man sieht, wie billig „Kritik“ heute zu haben ist: Sie kürzt sich zusammen auf die Oma-Weisheit: Alles zuviel ist schlecht.

Und auch praktisch haben diese Weltverbesserer was zu bieten:
Falls sie was zun wollen gegen das Elend der Welt, unterschreiben sie bitte hier
und zahlen sie dort
ein.

Ungarns Rettung: Die Einführung der Monarchie?

MONARCHIE ODER REPUBLIK?
Vor ein paar Wochen hat der Historiker András Gerő in der „Népszabadság“ einen Artikel geschrieben, in dem er zur Wiedereinführung der Monarchie aufruft.
Er meint, die in der derzeitigen Form bestehende Demokratie könne verschiedene Probleme nicht lösen, vor allem aber gäbe es einen Autoritätsmangel. Der Staat braucht eine oberste Autorität, der Präsident kann die nicht einnehmen, weil er in Parteipolitik verstrickt ist und daher Partikularinteressen vertritt. Er wird also von der Bevölkerung nicht als Repräsentant des ganzen Volkes anerkannt.
Gerő deutet auf verschiedene Monarchien in der EU (GB, Spanien, Schweden usw.) und meint, dort geht’s ja auch. Und überhaupt: „Die äußere Erscheinung der Monarchie verströmt diejenige mit historischer Patina verbrämte Spiritualität, die jedes politische System, jede Gemeinschaft braucht.“
Irgendwie soll diese Patina und der ganze monarchische Zinnober auch verhindern, daß Demagogie und Rassismus in der Art um sich greifen, wie es in Ungarn inzwischen üblich ist.
Dann meint er noch, wer wählen gegen wolle, solle sich in Zukunft registrieren müssen, nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten (die keine Monarchie sind …), weil da würden die unreifen Wähler, die jedem Demagogen nachlaufen, durch die zeitraubende Prozedur abgeschreckt.
Dann schlägt er noch vor, Steuerhinterzieher vom Gebrauch ihrer politischen Rechte auszuschließen. Nicht etwa deshalb, weil die dann Steuer zahlen würden, sondern um bei den anderen, den braven Steuerzahlern, den Glauben an die Verfassung zu stärken.
Alles das, um die ungarische Verfassung zu einem wirklichen Herzensanliegen aller Bürger zu machen, denn „eine größere Tragödie kann einer Verfassung gar nicht widerfahren, als daß die Menschen das Grundgesetz des Staates als ein leeres, für sie nicht bedeutendes Papier betrachten.“
Abgesehen von den inneren Widersprüchen dieses Gefasels – als ob es nicht in Monarchien auch genug Gehässigkeiten im öffentlichen Diskurs gäbe!, und als ob das amerikanische Wahlsystem Rassismus ausschließen würde! der Ku-Klux-Clan läßt grüßen! – sagt dieser Artikel einiges über die geistige Verfassung der ungarischen Intelligenzia aus.
Es gab ja auch einiges an Kritik, Gerő wurde als altmodisch und weltfremd hingestellt, und auch Spott kam vor, neben juristischen Spitzfindigkeiten, mit denen Kommentatoren ihren überlegenen Intellekt zur Schau stellten.
Was kann man aber über Ungarn ableiten, wenn so ein Artikel in der angesehensten Tageszeitung erscheinen kann?
1. In dem von 20 Jahren Kapitalismus, Schulden und Wirtschaftskrise gebeutelten Land denkt offenbar niemand daran, die Zustände ernsthaft in Frage zu stellen, die ihm Armut und Existenzprobleme aller Art bescheren, sondern zerbricht sich lieber den Kopf über die richtige politische Betreuung der ganzen Misere.
So ein Standpunkt ist sehr untertänig, auch dort, wo er, wie bei der extremen Rechten, gewalttätig und systemkritisch wird: Da werden für Armut und Elend in Ungarn entweder gerade diejenigen verantwortlich gemacht, die am meisten davon betroffen sind, die Zigeuner nämlich; – oder gerade diejenigen Kosmopoliten, die meinen, die Übernahme von Marktwirtschaft und Demokratie seien Garanten für das Gedeihen der ungarischen Nation, werden als Volksverräter beschimpft.
2. Den Rassismus gegen Juden und Zigeuner kann offenbar niemand kritisieren, und nach den Gründen fragt auch niemand, um so mehr zerbrechen sich verantwortungsbewußte Menschen den Kopf darüber, wie man dergleichen Äußerungen verbieten könnte. Sie haben also gegen den alltäglichen demokratischen Rassismus nichts anderes zu bieten als Gewalt. Nach dieser trostlosen Logik der selbsternannten Think-Tanks der hohen Politik gab es den Faschismus auch nur deswegen, weil er nicht rechtzeitig verboten wurde.
3. Folgerichtig landet Gerő in seiner Sorge ums Vaterland bei dem Ruf nach dem starken Mann, der eigentlich mit dem eisernen Besen diesen ganzen zertrittenen und korrupten Augiasstall auskehren sollte. Aber nein, einen Diktator will dieser Humanist seiner Mannschaft keineswegs verordnen: Nicht mit einfacher Gewalt, Notverordnungen und Polizei soll er den Mißständen beikommen. Nein, durch das Verströmen von „mit historischer Patina verbrämter Spiritualität“ soll er die Achtung und Ehrerbietung erzeugen, die die zerstrittenen Fraktionen eint.
Mit Purpur und Hermelin gegen Hakenkreuz und Pump-Guns?
In Ungarn gibt es, das muß man vielleicht auch einmal erwähnen, mehr mit Schußwaffen bewaffnete Angestelle von privaten Sicherheitsdiensten als Angestellte im öffentlichen Dienst, also Polizei und Berufsmilitärs. Dieser Umstand hat zu Tragödien geführt wie dem Bankraub von Mór, wo 2002 8 Leute in einer Bankfiliale der Erste Bank erschossen wurden, weil der von der Bank angestellte Sicherheitsdienst zur Waffe griff. Vor ein paar Monaten sind ein paar Disco-Hinausschmeisser verhaftet worden, die sich, mit einem beachtlichen Waffenlager ausgestattet, privat an die Ausrottung der Zigeuner gemacht haben. In Budapester Supermärkten kann man auch regelmäßig Bewaffnete antreffen, die mit einer Pistole am Gürtel die lebensmittel vor Ladendieben schützen sollen.
Also nur, damit die Leser im deutschsprachigen Raum wissen, wie es in dem Land zugeht, wo Herr Gerő mit einem ehrwürdigen Monarchen der Bevölkerung Achtung vor der Verfassung einflößen will.
Solcher Unfug kommt heraus, wenn jemand an Kapitalismus, Eigentum, Staat usw. keine Kritik üben und sich ins globalisierte Weltsystem einfügen will. Der will dann mit solchen dummen Mittelchen die Nation retten.

Die Zogajs und das Asylrecht

FAMILIE ZOGAJ *
oder
VON DEN SCHÖNHEITEN DES ASYLGESETZES

Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1999? Und an die Berichterstattung über Kosovo? Die armen Kosovo-Albaner, vertrieben von den bösen Serben (dann noch ein bißl bombardiert von der NATO, aber das war eher unter ferner liefen). Und bitte bitte, spenden Sie doch für die armen Leute. Die alljährlich stattfindende Weihnachts-Schnorr-Aktion um Spenden für Bedürftige aller Art stand 1999 ganz im Zeichen des Kosovo und die Presse vermeldete befriedigt, daß die Österreicher wieder einmal irgendeinen Spenden-Rekord hingelegt hätten.
Eine ältere Dame kommentierte mir das damals richtig so: Das machen die ja alles nur, damit die ja nicht hierherkommen!
Zum Leidewesen der Behörden und, wie man den Kommentaren entnehmen kann, auch eines guten Teiles der österreichischen Bevölkerung, haben es aber einige von ihnen doch gemacht und haben die Insel der Seligen mit ihrer Anwesenheit belastet.
Und damit die Freuden des Asylrechtes kennengelernt.
Asyl gibt es nur für politisch oder rassisch Verfolgte, also für Leute, die bei Rückkehr in ihre Heimat um Leib und Leben fürchten müssen.
Generell gilt der alte Spruch nach wie vor: Derjenige ist zu Hause politisch verfolgt, der hier politisch erwünscht ist.
Bei allem Gefasel um Humanität und Menschenrechte ist der erste Gesichtspunkt der Behörden: Wie stehen wir zum Herkunftsland des Flüchtlings, welche Stellung nimmt Österreich gegenüber dem Land X ein? Der Flüchtling ist also in erster Linie Paßträger (sogar dann, wenn er keinen hat).
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„ … der Paß muß ein Paß sein, damit sie einen in das Land hereinlassen.
Der Untersetzte
Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.
Der Große
Man kann sagen, der Mensch ist nur der mechanische Halter eines Passes. Der Paß wird ihm in die Brusttasche gesteckt wie die Aktienpakete in das Safe gesteckt werden, das an und für sich keinen Wert hat, aber Wertgegenstände enthält.
Der Untersetzte
Und doch könnt man behaupten, daß der Mensch in gewisser Hinsicht für den Paß notwendig ist. Der Paß ist die Hauptsach, Hut ab vor ihm, aber ohne dazugehörigen Menscben wär er nicht möglich oder mindestens nicht ganz voll. Es ist wie mit dem Chirurg, er braucht den Kranken, damit er operieren kann, insofern ist er unselbständig, eine halbe Sach mit seiner ganzen Studiertheit, und in einem modernen Staat ist es ebenso; die Hauptsach ist der Führer oder Duce, aber sie brauchen auch Leut zum Führen. Sie sind groß, aber irgend jemand muß dafür aufkommen, sonst gehts nicht. “(Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche)
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Wenn also jemand das Pech hat – und das haben viele –, aus einem Land zu kommen, mit dem Österreich kein Problem hat und diese Person Geld auch keines hat, sondern einfach so hierbleiben will, weil es ihm/ihr hier besser gefällt als dort, so ist klar, daß diese Leute „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind, Schmarotzer, „unser“ volles Boot zum Kippen bringen könnten, „uns“ auf der Tasche liegen wollen, usw. usf. Und schleunigst hinausgeschmissen gehören, schon allein deshalb, um keine „Präzedenzfälle“ zu schaffen. Weil da könnt ja ein jeder kommen, und wir könnten uns der Habenichtse gar nicht mehr erwehren.
Diese Argumente, wenn man sich soweit herablassen will, sie als solche zu bezeichnen, sind ziemlich dumm.
Erstens ist es ja nicht so, daß das Land voll wäre und keiner mehr hineinpaßt. Sonst würde nicht immer wieder gejammert, daß die Österreicher zuwenig Kinder kriegen, und es würden nicht Hilferufe von der Wirtschaftskammer erschallen, daß doch mehr qualifizierte Arbeitskräfte im Ausland angeworben werden sollen, damit man hier wichtige Arbeitsplätze entsprechend besetzen kann. Löcher sind also da im Volkskörper.
Daß Asylanten dem Bund oder den Ländern (das ist was anderes als „Wir“, wohlbemerkt, also der berühmte kleine Mann von der Straße) auf der Tasche liegen, liegt an den Schönheiten des Asylrechts: Solange ein Asylverfahren läuft, darf der Antragsteller gar nicht arbeiten. Wenn er trotzdem schwarz arbeitet, ist das ein sofortiger Grund für einen negativen Bescheid und Abschiebung. Es sind also gar nicht die Immigranten, die schmarotzen wollen, sondern es ist die Rechtslage, die sie zu Hilfeempfängern macht.
Der kleine Mann von der Straße schließlich, der jammert, daß mit seinen Steuergeldern Schindluder getrieben wird, wird immer ausgerechnet bei Leuten fündig, die gar nichts haben und einfach wo in Frieden leben und überleben wollen. Wenn österreichische Soldaten in Afghanistan und im Tschad herumfuhrwerken – was ja schließlich auch aus Steuergeldern bzw. Staatshand finanziert wird, und sicher einiges kostet –, dann gibt es keine Beschwerden. Auch nicht, wenn am Nationalfeiertag alles mögliche an schwerem Gerät aufgefahren wird, das dem Schutz der Nation dient. Nein, dafür ist „uns“ unser Geld nicht zu schade! Aber die Familie Zogaj hier durchzufüttern, das geht zu weit.
Dennoch, wenn sich auch immer auf uns und „wir alle“ berufen wird, die Richtung ist schon von den Machern im Lande ausgegeben worden. Die Frau Ministerin (mit Wolfsschnauze), die verkündet hat, sich von Arigonas „Rehaugen“ nicht beeindrucken zu lassen, hat von Anfang an klargestellt, daß die Zogajs verschwinden müssen. Und zwar, weil sie das Asylrecht gegen Mißbrauch schützen muß und weil es gerecht zugehen muß. Keine Extrawürschte für junge Mädchen!
Man kann dieser Auskunft der Ministerin auch einiges über Gerechtigkeit entnehmen: Während manche Leute hartnäckig daran glauben, daß Gerechtigkeit so etwas ist wie Weihnachten, wo alle etwas kriegen vom großen Kuchen und keiner leer ausgeht, schaut die wirkliche Gerechtigkeit anders aus: Das ist nämlich, wenn keiner etwas kriegt, außer vielleicht einer Watschn. Wenn alle abgeschoben werden als Tachinierer und Schmarotzer, dann ist das höchst gerecht.
Ganz am Schluß enthält dieses kleine Drama auch eine Aufklärung über das, was „Europa“ ist. Während alle möglichen Schaumschläger aus Politik und Kultur sich darüber ergehen, wie toll Europa ist und wie sehr sie Europäer sind, und daß die EU die angemessene Fortsetzung der Wiege der Zivilisation ist, so gibt es offensichtlich Gegenden, die von dieser exklusiven Zone ausgeschlossen sind, obwohl sie zweifelsohne in Europa liegen.
Europa heißt also: Bahn frei für Kapital und Marktwirtschaft, her mit Geld und Wirtschaftswachstum, und wieviele von den Proleten dieses Kontinents sich dafür nützlich machen dürfen, das entscheiden auch noch allemal wir, die Verwalter dieses geglückten Kapitalwachstums.
Deswegen ist es besonders dumm und kurzsichtig, wenn sich österreichische Habenichtse über Asylanten aufregen, nur weil die auch nichts haben: Sie bekunden damit, daß sie weiterhin für die Schaffung fremden Reichtums, von dem sie nichts haben, zur Verfügung stehen und das „Privileg“, dafür verwendet zu werden, eifersüchtig gegen andere verteidigen. Ausbeutung exklusiv für Inländer!
Und überhaupt, die Zogajs haben ja gar keinen Paß, weil sie kommen aus einem Land, das es gar nicht gibt.
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* Information für Leser aus dem Ausland: Die Zogajs sind eine Mutter und 5 Kinder aus dem Kosovo, an denen seit Jahren ein Exempel dafür statuiert wird, daß „Österreich kein Einwanderungsland ist“ – obwohl es das natürlich immer war, und deren Asylgesuch dieser Tage in letzter Instanz abgewiesen wurde.