EINE FINANZTECHNISCHE ZEITBOMBE
Die Raiffeisen-Bank
Die vorläufig letzte Meldung in der Frage war das Bekenntnis der österreichischen Raiffeisenbank, heuer einen herben Verlust bis zu 500 Millionen einfahren zu müssen, vor allem wegen der Ukraine-Krise:
„Vor allem die politische Krise um die Ukraine treibt die Kreditwertberichtigungen in die Höhe. In Summe dürften die Kreditrisikovorsorgen im Konzern 2014 nun zwischen 1,5 und 1,7 Mrd. Euro ausmachen. Bisher war die Bank von 1,3 bis 1,4 Mrd. Euro ausgegangen. Die Raiffeisentochter Aval Bank betreibt ein riesiges Filialnetz in der Ukraine. Ihr droht eine Markenwertabschreibung von 60 Mio. Euro.“ (Kleine Zeitung, 23.9. 2014)
Man blicke kurz in die Geschichte:
„Die Bank wurde im März 1992 als eine der ersten Geschäftsbanken der Ukraine gegründet. Dank der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der ukrainischen Pensionskasse, der Post sowie der Zollbehörde erzielte die Bank rasch eine Spitzenposition im ukrainischen Bankensektor. Raiffeisen wurde 2005 mit dem Erwerb von 93,5 Prozent der Geschäftsanteile zu einem Preis von 1.024 Millionen USD Mehrheitseigentümer der Bank. Dieser Kaufpreis macht die Akquisition zur bislang größten der Raiffeisen Bankengruppe. Die Akquisition war auch von maßgeblicher Bedeutung für den ukrainischen Bankensektor und unterstrich die Attraktivität des lokalen Marktes für ausländische Investitionen. Als Teil des RBI-Konzerns erlebte die Raiffeisen Bank Aval ihre erfolgreichsten und – infolge der internationalen Finanzkrise – auch ihre schwierigsten und herausfordernden Zeiten.“ (Selbstdarstellung Raiffeisen 2012)
Voriges Jahr sollte die Bank verkauft werden, der Verkauf wurde aber im Februar abgeblasen, weil die Interessenten alle zurückgetreten waren.
Angesichts dieser Zahlen ist die Meldung des Raiffeisen-Chefs Sevelda, der Verlust für 2014 werde eine halbe Milliarde „keinesfalls überschreiten“, als frommes Wunschdenken bzw. eine Beruhigungspille für die Finanzmärkte zu werten.
Dazu eine Meldung vom Februar dieses Jahres, als Janukowisch gerade frisch gestürzt war:
„Wie in Ungarn oder Kroatien haben sich viele Ukrainer in Fremdwährungen verschuldet. Rund 70 Prozent der Darlehen wurden in Fremdwährungen vergeben. Die österreichischen Banken, in der Ukraine die Raiffeisen Bank International (RBI) und die Bank Austria, hatten an dem Boom einen großen Anteil. … Beide haben laut Ratingagentur Moody’s zusammen Kredite in Höhe von acht Milliarden Euro im zweitgrößten Land Europas vergeben.“ (Standard, 27.2.)
Die Erste Bank
Diese 8 Milliarde waren noch ohne die Verbindlichkeiten der Erste Bank, die sich damals bereits unter großen Verlusten aus der Ukraine zurückgezogen hatte:
„Der Vorstand bezifferte die kumulierten Abschreibungen am Freitag mit etwa 300 Mio. Euro. Mit einer letzten Abschreibung auf Währungsschwankungen von 76,6 Mio. Euro in der Konzernbilanz 2013 schloss die Erste das Kapitel Ukraine für sich ab.“ (Format, 28.2.)
Viel genutzt hat das auch nicht:
„Die Erste Group hatte am Vorabend nach Börsenschluss für heuer einen drastischen Verlust von bis zu 1,6 Mrd. Euro in Aussicht gestellt. Eine Dividende wird es für das laufende Jahr nicht geben … Der Grund: Die Bank muss viel mehr Geld auf die Seite legen – vor allem für faule Kredite in Ungarn und Rumänien. Die Risikovorsorgen werden von den veranschlagten 1,7 Mrd. auf 2,4 Mrd. Euro steigen.“ (Kurier, 3.7. 2014)
Das blieb auch nicht ohne Folgen auf die Aktie der Bank:
„Die Aktie der Erste Group ist heute nach der Verlustankündigung des Bankkonzerns mit einem massiven Kurseinbruch in den Handel gestartet. Bis 10.20 Uhr büßten die Erste-Aktien 14,20 Prozent auf 20,00 Euro ein. Am frühen Nachmittag stieg das Minus auf über 15 Prozent. Donnerstagabend lag der Schlusskurs noch bei 23,78 Euro, bei Börsenstart am Freitag fiel die Aktie rasant auf 20,8 Euro.“ (ebd. )
Die Bank Austria
„Die der UniCredit gehörende Bank Austria hat den Schnitt schon hinter sich: Sie hat schon in der Bilanz 2013 alle Ostbanken-Firmenwerte auf null abgeschrieben, die im März vorgelegte Bilanz 2013 schloss mit einem Rekordverlust von 1,6 Mrd. Euro.“ (ebd. )
Die Bilanz der BA für 2014 steht noch aus, läßt aber nichts Gutes erwarten. Schließlich ist der „Firmenwert“ eine Sache, die von der Bank und ihren Ost-Töchtern vergebenen und nicht bedienten Kredite stehen auf einem anderen Blatt.
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Auch die Aktie der RZB hat nachgegeben und die Erste auch noch mitgenommen:
„An der Wiener Börse sind die RBI-Aktien am Montag um über 11 Prozent ins Minus gerasselt. Die Aktien der Branchenkollegin Erste Group folgten der RBI-Aktie am Dienstag in der Früh mit minus 3,7 Prozent in die Verlustzone.“ (Die Presse, 23.9.)
Der Wertverlust der Erste-Aktie im Sommer hatte damals bereits Folgen:
„Auch international schlagen die Turbulenzen Wellen: Die Wertpapierexperten von JPMorgan haben das Kursziel für die Erste Group von 30 auf 21 Euro gesenkt. Gleichzeitig stufen sie die Aktie von “Overweight” auf “Neutral” zurück. UBS hat das Kursziel von 26,50 auf 25,00 Euro gesenkt, die Bewertung der Aktien belassen sie bei “Neutral”. Auch die Wertpapierexperten der Credit Suisse haben das Kursziel der Erste Group von 30 auf 26,37 Euro gesenkt.“ (Kurier, 3.7. 2014)
Es ist eben nicht so, daß sich die Probleme der österreichischen Banken auf Österreich eingrenzen ließen.
Die Deutsche Bank, als Beispiel für Kalkulationen des europäischen Banksektors
Im März veröffentlichte Die Zeit einen Artikel, in dem es vor allem um die Kapitalflucht aus der Ukraine ging. Darin steht unter anderem:
„Die Deutsche Bank ist zu diesem Zeitpunkt seit mehr als 15 Jahren in der Ukraine aktiv. Im Jahr 2009 entscheidet sie sich, ihre Präsenz im Land auszubauen. Sie erwirbt eine Banklizenz und gründet eine Tochtergesellschaft in Kiew. In der Folge vergibt sie Kredite an ukrainische Banken und Unternehmen, der Schwerpunkt des Geschäfts aber liegt im Global Transaction Banking, der Abwicklung inländischer und grenzüberschreitender Zahlungen. Jürgen Fitschen, heute einer der beiden Vorstandschefs der Deutschen Bank, schwärmte damals, sein Haus werde in der Ukraine zu einer »idealen Bankplattform« für Kunden in Ost- und Mitteleuropa. Er glaube an die »Wachstumschancen der Ukraine«.“ (Die Zeit, 21.3.)
Angesichts dessen ist schwer vorstellbar, daß sich die Deutsche Bank nicht auch anderwärtig in der Ukraine engagiert hat, außer in der Abwicklung von Geldtransfers.
Dann gibt’s noch irgendwelche Hedgefonds-Zocker, die mit ukrainischen Staatsanleihen spekulieren, weil die gute Renditen haben:
„Der ukrainische Staat hat derzeit Bonds in einem nominellen Wert von rund 45 Milliarden Dollar ausstehen; die in US-Dollar denominierten Staatsanleihen werfen derzeit eine Rendite von rund 12 Prozent ab, so JP Morgan. »Ukrainische Staatsanleihen waren besonders gesucht, aber einige haben auch bei ukrainischen Unternehmensanleihen zugelangt«, zitiert die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS einen Händler in Kiew.“ (Wirtschaftswoche, 27.3. 2014)
Ähnlich war es ja seinerzeit (2002) bei Argentinien. Nur: von wem kaufen die Hedgefonds die Anleihen um einen Bruchteil ihres Werts? In wessen Bilanzen entstehen somit Löcher? Und was ist mit denen, die nicht verkaufen? Die ukrainischen Staatsanleihen sinken mit jedem Tag im Wert.
„Den Anlegern an den internationalen Kapitalmärkten dämmert langsam, dass die Ukraine pleite ist: Sie bereiten sich auf einen Schuldenschnitt vor. Misslich für den europäischen Steuerzahler ist die Tatsache, dass die Ukraine vermutlich mit europäischen Steuergeldern gerettet werden muss. … Den Investoren wird nach Ansicht von Experten die schwierige Lage des Landes zunehmend bewusst. Die Wirtschaft wird 2014 Schätzungen der Zentralbank zufolge um bis zu zehn Prozent schrumpfen. Die Waffenruhe in dem von einem Separatisten-Aufstand erschütterten Osten der Ukraine könnte zugleich den Weg für eine Umschuldung frei machen, sagte Ökonom David Spegel von BNP Paribas der Nachrichtenagentur Reuters.“ (Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 23.9.)
Fazit
Die Ukraine hat einen Haufen Staatsanleihen ausgegeben, vor allem seit 2008, weil sie seit damals als „sicher“ galt, aufgrund der IWF-Verhandlungen und eines Kredites des IWF. Die Ukraine hat sich für viele Banken als Krisen-Ventil bewährt, wo man den Kredit ausweiten konnte, während er woanders schrumpfte. Alle möglichen Banken, allen voran die österreichischen, haben sich in der Ukraine engagiert, nach dem bewährten, in anderen osteuropäischen Ländern angewandten Schema: vermeintlich „sichere“ Kredite an Staat und Konsumenten zu vergeben, weil die im Unterschied zu windigen Unternehmen nicht aufgelöst werden können.
Jetzt stehen die alle auf dem Spiel, und das wird weitere Löcher im europäischen Geldsystem verursachen.
Das Problem ist übrigens keineswegs auf die EU beschränkt: Auch die russische Sberbank oder Kolomojskis ukrainische PrivatBank werden unter der allgemeinen Zahlungsunfähigkeit des ukrainischen Staates leiden.
Dazu kommen noch Gasrechnungen … Der Winter naht.
Einmal sehen, wie die Politiker und Banker das hinkriegen.
Monat: September 2014
Der umstrittene Assoziationsvertrag
WEM GEHÖRT DIE UKRAINE, UND WER WIRD FÜR SIE BEZAHLEN?
„Das europäische Parlament und die Oberste Rada – das ukrainische Parlament – haben diesen Dienstag in parallelen und per Videokamera verbundenen Sitzungen den Assoziationsvertrag zwischen den beiden Blöcken ratifiziert. Die Ratifikation bezieht sich nicht auf den ökonomischen – und am meisten umstrittenen – Abschnitt, der mindestens bis Anfang 2016 in der Schwebe bleibt. Solange bis er in Kraft tritt, erhält die Ukraine von der EU den Status eines bevorzugten Handelspartners.“ (El País, 16.9.)
Diese Meldung hat es in sich.
Man rekapituliere zunächst einmal die Geschichte dieses brisanten Schriftstückes: Die Nicht-Unterzeichnung dieses Abkommens im Herbst 2013 führte zum von den westlichen Regierungen genährten Maidan-Aufstand und dem Sturz Janukowitschs. Das solcherart entstandene Putschparlament ernannte einen Regierungschef und Parlamentspräsidenten, die bis heute keinerlei demokratische Legitimation – in dem Sinne, wie es in der EU üblich ist – besitzen. Dann fanden im Mai Präsidentschaftswahlen statt, wo das Ergebnis schon vorher zwischen westlichen Regierungen ausgeschnapst war. Die EU hat sich also an der in der Ukraine seit jeher üblichen Wahlfälschung beteiligt, um einen offiziell demokratisch legitimierten Statthalter einzusetzen. Wie weit sich dieser als solcher bewähren würde, war und ist immer noch offen. Poroschenko unterzeichnete im Juni das Assoziationsabkommen, ohne sich vorher mit dem Parlament ins Benehmen zu setzen. (Janukowitsch hatte die Unterzeichnung verweigert, nachdem die Rada es abgelehnt hatte.) Seit den Ereignissen vom März hat sich die Partei der Regionen praktisch aufgelöst, ihre Vertreter sind entweder anderen Parteien beigetreten oder haben Kiew den Rücken gekehrt. Die Kommunistische Partei wurde im Juli aus der Rada ausgeschlossen, aufgrund eines Gesetzes, das einige Tage vorher von ebendemselben Parlament beschlossen worden war. Und dieses – nach allen bisher gültigen Maßstäben völlig ohne Legitimation agierende – Parlament hat jetzt das Assoziationsabkommen ratifiziert.
Dem Inhalt nach sah dieses Schriftstück die Abkoppelung der ukrainischen Wirtschaft vom russischen Markt vor, die Übernahme von EU-Normen und ein Freihandelsabkommen, das den EU-Waren uneingeschränkten Zugang zum ukrainischen Markt gewährt. Es war also seiner Absicht nach eine völlige Einverleibung der Ukraine, das weit über die wirtschaftlichen Beziehungen hinausging. Im Kern war es jedoch ein wirtschaftliches Dokument, ein Handelsvertrag. Es fragt sich jetzt, wie diese Einverleibung ohne den wirtschaftlichen Teil über die Bühne gehen soll? Weiters fragt sich, wie diese ukrainische Führung, die offensichtlich kein Gewaltmonopol über ihr Territorium besitzt, irgendwelche in dem Abkommen niedergelegten Bestimmungen durchsetzen soll? Es fragt sich, was für eine Art von Dokument da eigentlich unterzeichnet wurde?
Schließlich, und diese Frage stellte sich die offizielle Presse nie, wie sollte und soll eigentlich die neue ökonomische Ausrichtung dieses Landes finanziert werden? Woher soll die Zahlungsfähigkeit der ukrainischen Konsumenten und des ukrainischen Staates kommen? Seit dem Herbst 2013 hat die Hrywna mehr als 40% ihres Wertes verloren. Der ukrainische Goldschatz wurde bereits im Frühjahr außer Landes gebracht und in die USA verfrachtet. Wer wird die Kredite geben, um dieses Land zahlungsfähig zu machen? Die EZB? Der IWF? Die europäischen Banken mit ihren maroden Bilanzen? Und mit was für Garantien? Stürzt die Stützung der Ukraine den Euro in seine nächste Krise?
Und da sind die politischen Verwicklungen, gegenwärtige und kommende Aufstände und Kämpfe, und die Rolle Rußlands noch gar nicht einbezogen …
Pressespiegel: Izvestija, 14.9.
INTERVIEW MIT PJOTR GETSKO; DEM „ZUKÜNFTIGEN REGIERUNGSCHEF“ DER AUTONOMEN KARPATOUKRAINE
Der ruthenisch-ungarische Kongreß faßte den Beschluß, sich an das ungarische Parlament zu wenden mit dem Ansuchen, die Karpatoukraine als autonome Republik anzuerkennen – auf Grundlage der Volksabstimmung von 1991. Nächste Woche wird das Dokument bereits den Komitees des Parlaments vorgelegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Beurteilung gelangen werden. Der Anführer der Ruthenischen Nationalbewegung und Premierminister der nicht-offiziellen Republik „Podkarpatskaja Rus” (Russisches Land am Fuße der Karpaten), Pjotr Getsko, erzählt der Izvestija, wie es dazu kam und was sich die Betreiber dieser Bewegung erwarten.
Iz: „Wieso war dieser Beschluß gerade jetzt möglich und wieso kam es nicht bereits im Frühjahr dazu, wie ursprünglich geplant?
P.G.: Das ist in erster Linie auf den langwierigen Prozeß der Verhandlungen zurückzuführen. Eine Sache ist die, allein die Macht zu ergreifen, eine andere, sich dafür der Unterstützung einiger Staaten zu versichern – Rumäniens, Ungarns und Rußlands. Heute sind wir sicher, diese Unterstützung zu erhalten, deshalb schreiten wir zur Tat. Ich denke, nächste Woche legen wir die Resolution unseres Kongresses dem ungarischen Parlament vor, wo die Autonomie unserer Region unterstützt wird. Ich bin davon deshalb so überzeugt, weil uns zwei große Parteien in Ungarn unterstützen, die zusammen mehr als 70% der Sitze im ungarischen Parlament innehaben.“ (D.h., Fidesz und Jobbik)
„Nachdem diese Frage vom ungarischen Parlament behandelt wurde, werden wir sie dem Parlament Rumäniens vorlegen. In einer anderen Formulierung, aber im Wesentlichen geht es um das gleiche: Die Anerkennung der Ergebnisse des Referendums von 1991 und die Beendigung des Krieges und des mit ihm verbundenen Genozids an den Ungarn, Rumänen und Ruthenen.
Wenn beide Parlamente unseren Beschluß unterstützen, werden wir Kiew mit dem Faktum konfrontieren, die dieser Beschluß darstellt.
Iz: Wie steht die Bevölkerung zu diesem Schritt? Ist sie bereit, diesen Beschluß zu unterstützen?
P.G.: Bei dem Referendum (von 1991 über die Autonomie der Karpatoukraine) wurde er von 70% der Bevölkerung unterstützt. Wenn sie auch vom ungarischen Parlament angenommen wird, so wird sie von 99% der Bürger unterstützt werden. Daran, daß dieser Beschluß unterstützt wird, zweifle ich nicht.
Iz: Wie gedenkt Ihr euch zu verteidigen? Kiew hat ja schon verkündet, sein Staatsgebiet gewaltsam schützen zu wollen.
P.G.: Das sollen sie nur versuchen. Immerhin gehen wir auf den Winter zu und über unser Gebiet verläuft ein Fünftel der ukrainischen Gasleitungen: ein Zweig nach Ungarn, einer nach Rumänien, einer in die Slowakei. Sobald auch nur eine Granate auf dieses Gebiet fällt, wird Ungarn seine Armee zum Schutz der ethnischen Ungarn und Bürger Ungarns einmarschieren lassen. Mehr als 200.000 Bewohner haben bereits einen ungarischen Paß. Der Schutz der Bürger Ungarns ist in der ungarischen Verfassung verankert. Das wird Kiew anerkennen müssen. Im Unterschied zu Rumänien ist Ungarn in dieser Frage sehr entschlossen.
Iz: Meinen Sie nicht, daß die USA und die EU, die die Kiewer Führung unterstützen, gegenüber Ungarn tätig werden würden?
P.G.: Dergleichen Gerede gab es auch damals, als Ungarn die Verhandlungen mit dem IWF abbrach. Wenn das geschieht, so wird es sofort Sanktionen geben und Ungarn wird sich wieder dem IWF zuwenden. Und dennoch brach Ungarn mit dem IWF und schloß sein Büro, und verweigerte alle weiteren Verhandlungen über seine Staatsschulden. Ungarn vertritt jetzt seine Interessen. Angesichts der Tatsache, daß ihm mit jedem Jahr der Zugang auf die Märkte der EU erschwert wird, ist die einzige Richtung, in die es sich entwickeln kann, Rußland. Ungarn hat das begriffen.
Iz: Gestern kam es in Ungarn zu Problemen mit den Tochterbanken der Sberbank, wegen der Sanktionen?
P.G.: Das ist vor allem deshalb, weil die ungarische Nationalbank keine volle Autonomie hat.
Es war ein Schritt gegen Rußland, als der ungarischer Premier Viktor Orbán ein Dokument über die Einrichtung von Stützpunkten für Drohnen im Baltikum unterschrieb. Aber in diesem Falle, das will ich betonen, geht es um die nationalen Interessen Ungarns.
Iz: Haben Sie die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft mit einberechnet?
P.G.: Es ist eine Besonderheit der Karpatoukraine, daß sie weltweit in Sachen Transitkonzentration an zweiter Stelle steht. Das heißt, die Dichte der verschiedenen Korridore – energetische, Eisenbahnlinien usw. – ist sehr hoch. Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft nicht so ekelhaft verhalten will wie die Ukraine, so wird sie uns verstehen. Um so mehr, als wir offen sagen, daß wir nichts unternehmen werden, was einen dieser Korridore unterbrechen würde.
Iz: Wie reagiert die Bevölkerung der Karpatoukraine auf die gegenwärtigen Ereignisse im Südosten der Ukraine?
P.G.: Es gibt eine Führungsschicht, die Kiew ergeben ist, aber die einfachen Leute leben so wie immer. Die Banderisten betrachten sie als Faschisten und Extremisten, so wie 1939. Es scheint heute so zu sein wie damals, als die Banderisten die Macht in der Karpatoukraine übernahmen. Damals wurden sie allerdings sehr schnell vertrieben. Ich denke, ein solches Szenario wäre auch heute möglich. Mehr als 80% der Bevölkerung hängt heute nicht vom Staat ab, sondern lebt von Einkünften, die außerhalb der Ukraine erzielt werden. Die einzige Verbindung zum ukrainischen Staat ist die Entrichtung der Grundsteuer. Gegenüber dem Kriegsgeschehen in der Ukraine sind die Menschen negativ eingestellt, und mit der Erklärung der Unabhängigkeit wollen wir uns davon abkoppeln. Unsere Tätigkeit wird sich auf Lokales beschränken und nur auf Rechten Sektor, SBU (Sicherheitsdienst) und Staatsanwaltschaft ausgerichtet sein.
Iz: Hin und wieder erscheinen in den Medien Berichte über ein ungarisches Genozid.“ (Vor allem die Jobbik verwenden diesen Ausdruck.) „Worauf bezieht sich das?
P.G.: Das hängt mit der Zwangsmobilisierung der Bevölkerung für die Kriegshandlungen in der Ostukraine zusammen. Mehr als 100 Personen kamen in Särgen zurück und ungefähr 200 sind spurlos verschwunden. Natürlich ist das ein Genozid, da dieser Krieg auch nicht unser Krieg ist. Die Ungarn und die Rumänen werden als Kanonenfutter verwendet. Wenn sich jemand der Einberufung verweigert, so kommen die Vertreter des Rechten Sektors zu ihnen ins Haus und drohen: wenn du nicht dort sterben willst, so stirbst du hier, mitsamt deiner Familie. Das wird natürlich nicht vergessen und nicht verziehen. Kann sein, daß sie auf Laternenpfählen aufgehängt oder erschossen werden, aber es ist 100-prozentig, daß sie umgebracht werden. Der Haß ist groß.
Iz: Was für Perspektiven gibt es für eine zukünftige Entwicklung einer autonomen Republik? Fürchten Sie keine Versorgungsschwierigkeiten, oder eine Art von Blockade?
P.G.: Vor einer Blockade muß sich die Ukraine fürchten. Das Gas fließt durch die Karpatoukraine. Die EU muß keine Befürchtungen hegen, denn wir wollen es uns mit ihr nicht verscherzen. Die Ukraine soll sich das überlegen. Wir wollen niemandem drohen. Selbst wenn wir die Autonomie sehr strikt auslegen, so heißt das nicht, daß wir gegen die Führung in Kiew sind. Wir wollen nur ein neues vertragliches Verhältnis bezüglich des Haushaltes, der Grenzen usw. Aber wenn Kiew zur Gewalt greift, so werden wir antworten …
Man muß sich auch vor Augen halten, daß die Ukraine mit jedem Tag schwächer wird. Ihre Wirtschaft kann keinen Krieg mehr tragen. Deswegen wird Poroschenko sicherlich versuchen, mit uns zu verhandeln.
Iz: Wie wollt ihr die Autonomie finanzieren?
P.G.: Der Haushalt der Karpatoukraine würde heute faktisch 4 Milliarden Euro aus dem Gastransit einnehmen. Aber Kiew überläßt uns daraus nicht einmal 2 Milliarden Hrywna (118 Millionen Euro) und behauptet, daß die Karpatoukraine sowieso ein Zuschußbetrieb ist und mit dieser Summe begünstigt wird. Wären wir autonom, so könnten wir über diese Summen aus dem Gastransit verfügen. Wir würden dann nur mehr maximal 10% an Kiew abführen.
Sogar dann, wenn das Gas durch die South Stream Pipeline fließen würde, so bliebe uns immer noch der Güter- und Passagier-Transit. Außerdem besitzen wir eine entwickelte Landwirtschaft und Roboter-Industrie, und haben große Wasserreserven, auch was Mineralwasser betrifft. Deshalb kann man sagen, daß unsere Perspektiven und Potentiale für eine eigenständige Existenz bedeutend sind.”
Quelle
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Wahrscheinlich ist dieser ruthenisch-ungarische Kongreß lediglich eine Gruppe von Leuten, die sich hin und wieder im Hinterzimmer eines Wirtshauses trifft. Das Interview zeigt, wie Rußland versucht, sich in die ukrainischen Belange einzumischen. Es wirft aber auch ein Licht auf die Zustände in der bettelarmen Karpatoukraine und in die Berechnungen, die lokale Politiker angesichts der gegenwärtigen Situation entwickeln. Außerdem könnte der Typ nicht solche großen Töne spucken, wenn er sich nicht der Unterstützung ungarischer Politiker sicher wäre.
Die erwähnte angebliche Abstimmung von 1991, von der auch nicht klar ist, in welchem Umfang sie stattgefunden hat, bzw. die damals in der Karpatoukraine vorherrschende Stimmung dienten dem damaligen MDF (Demokratisches Forum)-Politiker István Csurka als Anlaß, im ungarischen Parlament die Unterzeichnung eines Grenzvertrages mit der Ukraine zu beeinspruchen und stattdessen die Einverleibung der Karpatoukraine auf die Tagesordnung zu setzen. Er gründete dann eine eigene Partei, die Partei der Wahrheit und des Lebens, und gilt als der geistige Ziehvater der Jobbik.