Pressespiegel El País, 1.2.: Der IWF und die Eurokrise

FALSCHE VERSPRECHUNGEN UND VON WUNSCHDENKEN BESTIMMTE PROGNOSEN

Die Tageszeitung El País hatte Zugang zu Akten des IWF, die ein aktuelles Bild der Gegensätze im imperialistischen Lager zeichnen.

„Deutschland, Frankreich und Holland hatten sich in einem der schlimmsten Momente der Eurokrise dazu verpflichtet, daß ihre Banken Griechenland unterstützen und an den griechischen Schuldtiteln festhalten würden.“

Dazu fällt dem unbefangenen Leser auf, daß Staaten solche Zusagen eigentlich gar nicht machen dürften. Schließlich sind Banken inzwischen fast überall – auf jeden Fall in den 3 genannten Staaten – Privatunternehmen, deren Kauf- und Verkaufspolitik von Schuldtiteln die jeweiligen Bankleitungen entscheiden, und nicht die nationalen Politiker.
Dieser Umstand kann auch dem IWF nicht entgangen sein. Warum ließ seine Leitung – an der Spitze der Institution stand damals Strauss-Kahn – sich dennoch auf so etwas ein?

„Es war einer der Tricks, mit denen sie“ (unter diesem „sie“ kann man jetzt alle möglichen Akteure einreihen) „spielten, um die erheblichen Widerstände innerhalb des IWF zu überwinden, damit das größte Stützungspaket in der Geschichte dieser Institution gewährt werden konnte.“

Wie sich herausstellte, kam der Widerstand aus anderen Nicht-EU-Mitgliedsstaaten des IWF. Die IWF-Leitung und die 3 genannten Staaten einigten sich daher auf dieses „Versprechen“, um mit dieser „Garantie“ den Widerstand anderer wegzubügeln.
Daß das überhaupt gelungen ist, also die anderen Länder dieses jeder Grundlage entbehrende Ehrenwort für bare Münze nahmen, liegt wahrscheinlich daran, daß sie natürlich auch kein Scheitern des Euro wünschten. Die einen schummelten, die anderen drückten die Augen zu. Ähnlich wie bei Griechenlands Euro-Beitritt …

„Aber die 3 EU-Mitgliedsstaaten hielten ihr Wort nicht ein. Kaum war der Plan für ein Land am Lande des Bankrottes genehmigt, so begannen ihre Finanzinstitute, Titel abzustoßen, die ihnen die Hände verbrannten.“

Irgendwie verständlich vom Standpunkt der Banken aus. Damit verschärften sie natürlich die Schuldenkrise Griechenlands weiter.
In diesem Artikel wird nicht erwähnt, wohin sie diese toxischen Papiere abstießen. Andere Finanzinstitute scheiden als Käufer aus: die wollen sich ja auch nicht die Finger verbrennen. Heuschrecken- oder Geier-Fonds, die entwertete Schulden kaufen, um sie dann über dem Einkaufswert abzustoßen, zahlen nur Cents für den Schrott. An solche Fonds zu verkaufen, würde heißen, ein großes Loch in der Bilanz des jeweiligen Instituts entstehen zu lassen.
Bleibt also nur ein einziger Käufer, der aus politischen Gründen einen annehmbaren Preis zahlt, das ist die EZB. Die EZB unterwanderte damit das Versprechen der 3 Staaten an den IWF, interpretierte es aber wahrscheinlich so, daß sie damit ja auch helfe, dieses Versprechen einzuhalten.
Die Frage stellt sich, was die EZB seither mit diesen Anleihen gemacht hat …

„Die vor vier Jahren in Büros in Brüssel, Frankfurt und Washington getroffenen Entscheidungen haben tiefe Spuren in Südeuropa hinterlassen. Damals wurde eine Troika der Gläubiger (Europäische Kommission, IWF und EZB) geschaffen, die Kürzungen und Reformen im Gegenzug für Kredite auferlegte, zuerst in Athen, und später in Dublin, Lissabon und Nikosia. Die Protokolle … des IWF vom Tag der Rettung zeigen, dass die Meinungsverschiedenheiten und Zweifel über den Erfolg des Plans bereits an diesem 10. Mai (2010) begannen.“

Innerhalb der EU gelang es damals offenbar, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Kritik kam von Staaten außerhalb der EU:

„Diese Dokumente sind von entscheidender Bedeutung, nicht nur, weil sie klar die Kritik zeigen, die Länder wie China, Australien, Argentinien und Brasilien von Anfang an hatten. Im Rückblick erscheinen die damals gefallenen Argumente für die Ausschüttung … von 30 Milliarden Euro in einem anderen Licht.“

Es zeigt, daß die Versprechen der 3 Staaten nichts wert waren. Natürlich nur vom Standpunkt Griechenlands oder der anderen Krisenstaaten aus. Vom Standpunkt der Banken Deutschlands, Frankreichs und Hollands hat die Versprecherei ja ihre Wirkung getan: der Euro wurde bis heute stabilisiert, und die Banken wurden ihre griechischen Anleihen zu einem annehmbaren Preis los:

„Die Banken der drei Länder hielten im ersten Quartal 2010, vor der Rettung, mehr als 122 Milliarden Dollar in griechischer Staatsschuld. Ende letzten Jahres war diese Zahl um 72% zurückgegangen, auf etwas weniger als 34 Milliarden.“

Gegen die Versprechen und Vorschläge einiger Euro-Staaten und Dänemarks entstand ein vierseitiges Memorandum:

„»Einige Vertreter (China, Ägypten und der Schweiz) betonen die Gefahr, die von dem Umstand ausgeht, daß die gemeinsame Analyse die Anwendung unterschiedlicher Kriterien zwischen den drei vertretenen Institutionen enthüllt«, stellte das von Francesco Spadafora, dem Berater des IWF-Direktors unterzeichnete Memorandum fest. Im Laufe der Zeit prallten diese verschiedenen Positionen deutlich aneinander. Als der IWF einräumte, die Auswirkungen der Kürzungen auf die griechische Wirtschaft unterschätzt zu haben, bestritt die EU-Kommission entrüstet, irgendeinen Fehler begangen zu haben.“

Vom Standpunkt der Eurokrise aus sieht sich die EU-Kommission im Recht. Der IWF hingegen ist der gesamten Weltwirtschaft verpflichtet und sieht bei Griechenland keine Aussicht auf Besserung in dem Sinne, daß dieses Land wieder als Handelspartner funktionieren könnte.

„Einer der Einwände – von China und der Schweiz – warnte vor der Möglichkeit, daß die Wachstumsprognosen für Griechenland zu optimistisch ausgefallen seien. »Schon eine geringe Abweichung von der Basisszenario könnte die Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast gefährden«, wird dort erklärt. Diese Befürchtungen wurden von IWF-Beamten mit der Anwort vom Tisch gefegt, daß das BIP Griechenlands genauso gut mehr als erwartet wachsen könne.“

Der Artikel führt leider nicht an, womit China und die Schweiz ihre Zweifel begründeten, und ob die IWF-Beamten ihre Antwort überhaupt begründeten.

„Gleichzeitig wiesen Argentinien, Australien, Kanada, Brasilien und Russland auf »die immensen Risiken« des Programms hin, nicht nur für Griechenland, sondern für das Prestige des IWF. Die Fonds-Beamten gaben selbst zu, daß diese Gefahren real sind.“

Der IWF garantiert nämlich die Kreditwürdigkeit seiner Beaufsichtigten. Er garantiert, daß an dieses Land vergebene Gelder sicher sind. Wenn diese Sicherheit einmal versagt, wie bei Argentinien 2002, so hat das keine unmittelbaren Folgen für den IWF.
Eine weitere schwere Fehleinschätzung jedoch könnte die Glaubwürdigkeit des IWF untergraben und damit diese ganze Institution entwerten. Was für Folgen das auf das internationale Währungssystem hätte, läßt sich nicht abschätzen. Die derzeitigen Abstürze vieler Währungen von aufstrebenden Mächten weisen jedoch darauf hin, daß der Prestigeverlust des IWF wegen der anhaltenden Probleme Griechenlands bereits eingetreten ist.

Australien erlaubte sich die Stichelei, die Forderungen der Europäischen Kommission an Griechenland hätten den Charakter einer »Einkaufsliste«.“

Sie seien also, so meinten die Vertreter Australiens damit, eine Art Wunschzettel an den Weihnachtsmann, der jeglicher Grundlage für Griechenland entbehre, diesen Anforderungen zu genügen.

Alle in diesem Artikel zitierten Dokumente datieren von 2010. Daß der IWF sie einer großen Tageszeitung zugänglich gemacht hat, weist darauf hin, wie unzufrieden seine Macher selbst mit der Entwicklung der Eurokrise sind, wie sehr ihnen die Rolle mißfällt, die sie dabei einnehmen, und weist auch auf ihre eigenen Befürchtung hin, sich mit diesem „Fall“ übernommen zu haben.
An den zitierten Dokumenten fällt die Abwesenheit der USA unter den Kritikern auf. Entweder sie hatten damals keine Kritik, sondern unterstützten das Vorgehen des IWF, um über ihn selber ihren Fuß in die Euro-Rettung hineinsetzen zu können. Oder aber den Journalisten von El País wurden nur solche Dokumente zugänglich gemacht, in denen die Position der USA nicht aufscheint.

Man kann jedoch davon ausgehen, daß diese „IWF-Leaks“ von den USA ausgehen, die mit dem Verlauf der Euro-Entwicklung sehr unzufrieden sind.

Daß es an eine spanische Tageszeitung weitergereicht wurde, geschah wahrscheinlich aus der Berechnung, daß in Spanien ebenfalls große Unzufriedenheit mit der Handhabung der Eurokrise herrscht. Schließlich ist Spaniens Staatskredit keineswegs konsolidiert, gleichzeitig ist es Garantiemacht für den Kredit der 4 „geretteten“ Krisenstaaten.

Bald auch Bürgerkrieg in Europa?

DIE EU MISCHT DIE UKRAINE AUF
Um zu verstehen, was heute in der Ukraine geschieht, ist es hilfreich, sich zurückzuerinnern, wie dieser Staat entstanden ist.
Der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 gingen keine Demonstrationen oder Straßenkämpfe voraus, wie in der DDR, der Tschechoslowakei oder Rumänien. Niemand ging auf die Straße und forderte einen eigenen Staat. Der Satz, mit dem Wikipedia die Geburt dieses immerhin mehr als 45 Millionen Einwohner zählenden Staates zusammenfaßt: „Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion erlangte die Ukraine im Jahr 1991 ihre staatliche Unabhängigkeit“ – zeugt von der intellektuellen Anspruchslosigkeit dieser Enzyklopädie, die offenbar gar nicht so genau über die Umstände informieren will. Drei sowjetische Regional-Häuptlinge trafen sich nämlich im Dezember 1991 auf einer Datscha in Weißrußland und schnapsten miteinander aus, daß sie jetzt neue, „eigene“ Staaten gründen wollten. Diese wodkatrunkene Zusammenkunft wird, wenn überhaupt, als „Belavezha-Abkommen“ gehandelt, und damit wurden die Staaten Rußland, Weißrußland und die Ukraine geschaffen.
Die Episode ist deshalb wichtig für die heutige Entwicklung, weil es in der Ukraine kein Staatsvolk, keinen Staatswillen gibt, auf den sich die jeweiligen Regierungen stützen könnten. Der ukrainische Nationalgedanke entwickelte sich seinerzeit im damals österreichischen Galizien und dort ist er auch geblieben. Er war und ist antipolnisch und antirussisch, schließt also einen Teil der Bevölkerung der Ukraine – immerhin 8,5 Millionen, oder über 18% der Bevölkerung, – dezidiert aus. Aber nicht nur die restlichen Minderheiten der Ukraine passen eigentlich in den ukrainischen Nationalstaat schlecht hinein, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Ukrainer selbst, – also derer, die sich in den Volkszählungen zur ukrainischen Nationalität bekennen, – spricht oft Russisch oder ein Mischmasch, und interessiert sich überhaupt nicht für „seinen“ Staat.
Während also die meisten Bewohner der Ukraine für diesen Staat nichts übrig haben, spricht in ihren Augen eine Menge gegen ihn. Die Ukraine hat es nach über 20 Jahren ihres Bestehens zu keiner Ökonomie gebracht. Nachdem in den 90-er Jahren flächendeckend jahrelang keine Gehälter gezahlt wurden – weder Lehrern noch Ärzten noch Fabriksarbeitern oder Bergleuten – so wurde auch seither durch Betriebsschließungen und Massenentlassungen klargestellt, daß dieses Staatsgebilde für einen guten Teil seiner Bevölkerung keine Verwendung hat. Ukrainische Söldner kämpften am Balkan und in den Bürgerkriegen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ukrainische Gastarbeiter findet man in der EU von Portugal bis Skandinavien. Sie stellen das größte Kontingent an Arbeitsemigranten in Rußland. Eine Generation von Kindern wächst ohne Eltern auf, weil diese sich in fremden Landen verdingen müssen. In den Hafenstädten der Ukraine, wo wegen mangelnder Nachfrage aus dem Hinterland sogar der Schmuggel eher kümmerlich verläuft, richten sich die perspektivlosen Jugendlichen mit Heroinsucht und Aids zugrunde.
Schließlich hat auch im Westen jeder mitgekriegt, daß dieses Land sich seine Energieversorgung nicht leisten kann und auf Preisnachlässe und Kredite Rußlands angewiesen ist.
Dadurch ist natürlich auch der Staatsapparat selbst schlecht ausgestattet, weil weder aus Steuern noch aus Zöllen nennenswerte Einnahmen in die Staatskasse fließen. Kredit hat so ein Staat wie die Ukraine sowieso keinen. In den 90-er Jahren wurden vor Wahlen regelmäßig IWF-Kredite erteilt, damit die im Amt befindliche Regierung irgendwelche ausstehenden Gehälter zahlen und dadurch überhaupt so etwas wie eine Wahlbeteiligung erzielen konnte, damit die Wahlen nicht zu einer Farce verkommen, und der neuen Regierung jegliche Legitimation abhanden käme. Die Ukraine mußte sich also verschulden, um überhaupt den Staatsapparat in die nächste Legislaturperiode weiterschleppen zu können.
Die mangelnde ökonomische Grundlage verhindert somit auch das Zustandekommen einer Staatsräson. Der Staat kann sich gar keine Ziele setzen, er ist mit Selbsterhalt beschäftigt.
Die relativ dünne herrschende Elite der Ukraine ist in der Frage zur EU gespalten, bzw. inzwischen schon eher EU-skeptisch. Während sie auf den westlichen Markt, vor allem Arbeitsmarkt nicht verzichten kann und will, haben doch alle möglichen Illusionen bezüglich der Segnungen der Westintegration in den letzten Jahren einen Dämpfer bekommen. Sowohl die Euro-Krise als auch die Zypern-Konfiskation im Frühjahr 2013, bei der auch ukrainische Geschäftsleute Federn lassen mußten, die ihr Geld in einer der zypriotischen Banken verstaut hatten, zeigen die Grenzen für das Geschäft auf, das ukrainischen Betrieben winkt. Die Nachbarländer Ungarn und Rumänien sind nicht gerade leuchtende Beispiele dafür, wie gut man mit der EU fährt. Die EU verteufelt zwar die Abhängigkeit der Ukraine von Rußland, zahlt aber die Öl- und Gasrechnungen der Ukraine nicht.
Es ist also ganz verkehrt, wie es die westlichen Medien darstellen, daß Janukowitsch sich von Putin „unter Druck setzen“ hat lassen und deswegen das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat. Es war eher im Gegenteil, daß er sich der Rückendeckung Putins für diesen Schritt versichert hat – der ja auch nicht seine einsame Entscheidung, sondern der Beschluß des ukrainischen Parlamantes, der Rada, war. Genaugenommen hat das Parlament eine Begnadigung Julia Timoschenkos abgelehnt, die die EU ihrerseits zur Bedingung der Unterzeichnung des Abkommens gemacht hatte. Der Kabinettsbeschluß, von dem Abkommen zurückzutreten, war nur eine Folge der Abstimmung im Parlament.
Der Versuch der EU und der sie unterstützenden Medien, so etwas wie eine Neuauflage der Orangen Revolution hinzukriegen, verlaufen diesmal etwas turbulenter. Die von der EU offen unterstützten Oppositionsführer, der farblose Technokrat Jazeniuk und der Boxer Klitschko, kriegen langsam selber kalte Füße angesichts der Lawine, die sie mit losgetreten haben. Die ukrainischen Faschisten hingegen sehen ihre Stunde gekommen: Endlich können sie mit dem nötigen Rückenwind aus dem Westen, Bewaffnung und Medienunterstützung auf die Staatsmacht losgehen und versuchen, sich als entscheidende Kraft in das Machtgefüge einzubringen.
Die Gewaltbereitschaft der rechten Opposition ist weniger überraschend als die geringe Gegenwehr, die der ukrainische Staat dem entgegenzusetzen hat. Die schlechtbezahlten Polizisten, das Militär, das eigentlich auch nicht weiß, was seine Aufgabe ist – sie alle sind offenbar nicht bereit, mit der notwendigen Gewalt gegen Demonstranten einzuschreiten, die das Zentrum der Hauptstadt in ein Trümmerfeld verwandeln. Janukowitsch und seine Partei können aber auch auf keine eigenen Freiwilligen zählen, die man mit entsprechender Bewaffnung auf ihre Gegner loslassen könnten.
Und die westlichen Medien päppeln Faschisten und vermummte Straßenkämpfer, die im eigenen Land sofort niedergeknüppelt und verhaftet würden, stacheln sie an und verlangen von der bedrängten ukrainischen Regierung „Zugeständnisse“.
Was wollen sie eigentlich, die EU-Politiker und ihre der Tagespolitik noch vorauseilenden Meinungsmacher? Syrische oder ägyptische Zustände an der Ostgrenze der EU?

Brösel beim Bau des Panamakanals

WENN GESCHÄFTSKALKULATIONEN, POLITISCHE PRÄFERENZEN UND TECHNISCHE PROBLEME EINANDER IN DIE QUERE KOMMEN

Seit ein paar Wochen gibt es ernsthafte Differenzen über die Erweiterung des Panamakanals zwischen der panamesischen Regierung, repräsentiert durch die Panamakanal-Gesellschaft, und den europäischen Baufirmen, die den Zuschlag für diese Großbaustelle bekommen haben. Was ist da los?

1. Historisches zum Panamakanal

Die Idee, einen Kanal durch die Landenge von Panama zu bauen, gehen auf die Anfänge des spanischen Kolonialreiches zurück. Nachdem Balboa als erster die Landenge von Panama durchquert und dadurch festgestellt hatte, daß hier die kürzeste Verbindung der beiden Weltmeere bestand, gab es Pläne, einen Durchstich zu machen. Das Unternehmen überstieg jedoch die technischen und finanziellen Möglichkeiten der spanischen Kolonialverwaltung. Die Landenge von Panama war dennoch der wichtigste Verbindungsweg für die Ausbeute der Bergwerke auf dem Gebiet des heutigen Peru und Bolivien: das Gold und Silber von Potosí und anderen Bergwerken wurde auf dem Seeweg von Callao, dem Hafen Limas, nach der Vorgängerstadt der heutigen Stadt Panama transportiert, und von dort auf Lasttieren nach den Städten Nombre de Dios und Colón, an der Karibikküste, um von dort auf Schiffe verladen zu werden und als Teil der spanischen Silberflotte den Weg nach Europa anzutreten.

Nach der Unabhängigkeit der spanischen Kolonien begann das Projekt eines Kanals die Unternehmer Europas und Amerikas zu beschäftigen. Zunächst wurde 1850-55 eine Eisenbahn zwischen Atlantik und Pazifik gebaut, deren Existenz und Route die Trasse des späteren Kanals entscheidend beeinflußte. Es bedurfte jedoch des Erfolges seines Vorgängerprojektes, des Sueskanals, um tatsächlich ernsthafte und maßgebliche Interessen für einen Kanalbau in Bewegung zu setzen. Wenn man Afrika umschiffen kann, warum nicht Südamerika?

1879 konstituierte sich in Frankreich die Panamakanal-Gesellschaft, die eine Konzession des damals über dieses Gebietes verfügenden Staates Kolumbien erhielt und den Erbauer des Sueskanals, Ferdinand de Lesseps, als Ingenieur für das Unternehmen gewann. Mit dem Prestige des 1869 eröffneten Sueskanals im Rücken sammelte das Unternehmen große Mengen an Kredit durch Werpapierausgaben. Die technischen Schwierigkeiten wurden jedoch von Anfang an unterschätzt, und später vertuscht. Unter anderem existiert ein Höhenunterschied von 26 Metern zwischen Atlantik und Pazifik, und ein Bergrücken, der einen Riegel zwischen den beiden Küsten bildet. Die französische Gesellschaft baute ab Baubeginn 8 Jahre, bis 1889, an dem Kanal. Schließlich warf sie das Handtuch, und die Investoren verloren ihr Geld. Das Unternehmen wurde zu einem Synonym für einen groß angelegten Betrug. (Auf Ungarisch heißt es für einen Betrug: „Das Ganze ist ein Panama!“) Die Angelegenheit erschütterte die französische Gesellschaft. Die 22.000 Toten, die dieser Kanalbau – vor allem durch Seuchen – forderte, sprechen jedoch gegen einen geplanten Betrug.

Der Kanal wurde von den USA unter Einsatz des Militärs in den Jahren 1905-14 erbaut. Er ist ein Beispiel für den Einsatz der Gewalt als ökonomischer Potenz.
Um den Bau überhaupt beginnen zu können, schufen sie den Staat Panama. Sie trennten das Gebiet des heutigen Panama von Kolumbien ab, besetzten es und zahlten Kolumbien eine Ablöse. Militäringenieure planten und bauten den Kanal, an dessen Durchführung neben angeheuerten Arbeitern aus Europa und den USA auch US-Soldaten im Einsatz waren. Die US-Ingenieure verwarfen das ursprüngliche Projekt eines durch die Landschaft gegrabenen Kanals und stauten den Chagres-Fluß zum damals größten Stausee der Welt auf, zu dem die Schiffe auf beiden Seiten des Kanals in riesigen Schleusen emporgehoben werden.

Der nach dem 1. Weltkrieg offiziell eröffnete Panamakanal war eine gewaltige technische Leistung und nebenbei ein Bauwerk, bei dem auch in der zweiten, erfolgreichen Phase über 5.000 Arbeiter an Unfällen und Krankheiten starben. Die USA vollbrachten damit eine unüberschätzbare Vorleistung für Welthandel und Weltmarkt.
Die Breite des Panamakanals wurde zu einem Datum für die Konstruktion von Schiffen. Die ersten Post-Panamax-Schiffe, die zu breit für den Kanal sind, wurden für die japanische Kriegsmarine gebaut. Handelsschiffe, die zu breit für den Panamakanal sind, wurden seit Anfang der 60-er Jahre und verstärkt seit den 90-er Jahren gebaut, als sich stärkere Schiffsschrauben durchsetzten. Dennoch gilt der Panamakanal als wichtige Schiffsroute und beschert Panama Einnahmen, auf Grundlage derer sich diese einstige Bananenrepublik zu einem Boomstaat Mittelamerikas entwickelt hat.

Zunächst bedungen sich die USA für ihr technisches Meisterwerk Exklusivität aus. Auf Grundlage dubioser, teilweise noch von ihrem Rechtsvorgänger mit Kolumbien geschlossener Verträge und einer jährlich zu entrichtenden Pacht, vor allem aber ihrer überlegenen Gewalt sicherten sie sich das Recht auf den Betrieb des Kanals und einer exterritorialen, einzig den USA unterstehenden Zone zu beiden Seiten des Kanals. Die vorgesteckten Kosten für den Bau des Kanals holte sich der amerikanische Staat also vielfach zurück. Neben eines Mittels zur Kontrolle des weltweiten Schiffsverkehrs verfügten die USA damit über eine exterritoriale Zone für Aktionen, die auf US-amerikanischem Boden verfassungsrechtlich nicht möglich waren: 1946 wurde in der Panamakanal-Zone das „School of the Americas“ benannte Ausbildungszentrum zur „Bekämpfung der Subversion“ in Lateinamerika gegründet, das vor allem als Ausbildungszentrum für Diktatoren und Schule der Folter in der westlichen Hemisphäre bekannt ist. Sie bestand bis 1984 in dieser Zone, dann wurde sie in die USA verlegt, später aufgelassen.

Unter dem Präsidenten Jimmy Carter, der die Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten neu regeln wollte, wurden auf Drängen Panamas 1977 die Torrijos-Carter-Verträge über die Übergabe des Kanals an Panama geschlossen. Es bedurfte jedoch auch nach dem Ende des Kalten Krieges noch einiger Jahre, bis diese Verträge in die Tat umgesetzt und der Kanal samt des umliegenden Territoriums 1999 tatsächlich an den Staat Panama übergeben wurden. Seither profitiert Panama als Staat, d.h. seine Eliten, enorm von dieser Einkommensquelle, die eine Immobilien- und Finanzspekulation in Gang gesetzt und Panama zu einer Art Eldorado für schwindlige Unternehmen aller Art gemacht haben.
Von diesen Einnahmen beflügelt, begannen die panamesische Regierung und die ihr unterstehende Kanalverwaltung an einen Ausbau des Kanals zu denken, um auch die Post-Panamax-Schiffe oder zumindest einen großen Teil derselben durch Panama schleusen zu können. Sehr demokratisch wurde der entsprechende Regierungsbeschluß 2006 durch eine Volksabstimmung abgesegnet. Und die Panamakanal-Gesellschaft nahm eine Ausschreibung vor.

2. Der zweite Panamakanal

Bei der Ausschreibung bewarben sich 3 Konsortien: Das siegreiche besteht zu je 48 % aus der spanischen Firma Sacyr und der italienischen Firma Impregilo. (Die anderen zwei Teilnehmer sind nur zu 3% bzw. 1% beteiligt und daher vernachlässigenswert.) Sie schlugen das Konsortium, das von der US-Firma Bechtel angeführt wurde, da ihr Anbot um eine Milliarde $ unter dem von Bechtel & Co. lag. Versuche der US-Behörden, eine Entscheidung für das US-geführte Konsortium zu erreichen, waren eher kontraproduktiv: Panama wollte, nachdem es die USA endlich aus der Kanalzone expediert hatte, den Zuschlag für den neuen (parallelen) Kanal keiner US-Firma geben. Die Entscheidung für Sacyr/Impregilo war also sowohl ökonomisch als auch politisch motiviert.
Die unterlegenen Vertreter von Bechtel meinten damals verärgert, die beiden Firmen hätten gar nicht das Zeug, so ein Bauwerk zu errichten, und der Kostenvoranschlag sei so niedrig angesetzt, daß es nicht einmal für den Beton reichen würde.

2. a) Sacyr
Sacyr ist eines der größten Bauunternehmen Spaniens, und eines der wichtigsten der an der Madrider Börse notierten Unternehmen. Spanien erlebte zwischen 1999 und 2007 einen beispiellosen Bauboom, der Firmen wie Sacyr expandieren ließ. Kredit floß reichlich, der Markt für Immobilien erschien unbegrenzt. Seit 2008 ist das alles vorbei. Leere Baugrundstücke, halbfertige Betonskelette und Schilder „zu verkaufen“ zieren seither Spaniens Städte und Dörfer.
Die spanischen Baufirmen versuchten, den zusammengebrochenen heimischen Markt durch Aufträge im Ausland, vor allem in Lateinamerika zu kompensieren – wo die großen spanischen Banken, die seit den 90-er Jahren dort ihre Präsenz verstärkt hatten, ihnen auch mit Kredit unter die Arme greifen konnten. Der Zuschlag für den Auftrag zum Ausbau des Panamakanals kam 2009 wie gerufen bzw. war möglicherweise unbedingt notwendig, um Sacyr im Geschäft zu halten. Die von Baufirmen übliche Praxis, ein möglichst günstiges Anbot zu machen, um dann Mehrkosten durch Nachforderungen auszugleichen, war hier um so mehr geboten, um unbedingt diesen Auftrag zu ergattern.
Bei

2. b) Impregilo
war die Not auch groß, wenngleich aus geringfügig anderen Ursachen.

Impregilo ist die wichtigste und größte Baufirma Italiens für Großprojekte aller Art, also für solche, wo Staaten oder Gemeinden die Bauherren sind. Impregilos Aufstieg war daher eng an den ihres Gönners und Beschützers Silvio Berlusconi gebunden, der selber über die Bauindustrie groß geworden war. Berlusconi sorgte dafür, daß alle Klagen gegen Impregilo – wegen Vertragsbrüchen oder eben wegen der Verwendung minderwertiger Materialien – im Sand verliefen.
Seit Berlusconis Abgang haben sich die Geschäftsbedingungen für Impregilo sehr verschlechtert: Das Unternehmen kommt nicht mehr so leicht an Aufträge, viele, wie der Bau einer Brücke über die Straße von Messina fielen der Budgetkonsolidierung zum Opfer, und es ist auch nicht so sicher, daß in Zukunft alle Klagen gegen Impregilo so glimpflich ausgehen werden wie zu Zeiten Silvios. Auch deswegen war es für Impregilo wichtig, an Aufträge außerhalb Italiens heranzukommen, wo natürlich erstens die Konkurrenz größer ist und zweitens die Zusammenarbeit mit den Regierungen/Bauherren oft nicht so reibungslos verläuft wie zu Hause. Es steht jedenfalls zu vermuten, daß die Leiter der Baufirma die Erpreßbarkeit der

2. c) Panamakanal-Gesellschaft
bzw. der panamesischen Regierung überschätzt haben.

Für die Panamakanal-Gesellschaft kommt die Nachforderung von 1 Milliarde 600 Millionen überraschend, aber nicht so ungelegen, wie es in einem Teil der deutschsprachigen Presse dargestellt wird. Wenn die Firma nachweisen kann, daß ihre Forderungen berechtigt sind, so werden wir zahlen, erklärte der Leiter der Gesellschaft, Jorge Quijano. (Damit läßt er anklingen, daß Panama das Geld problemlos zahlen kann …) Er weist jedoch darauf hin, daß es bei internationalen Bauprojekten ein völlig unübliches Vorgehen sei, so eine Forderung auf den Tisch zu knallen und gleichzeitig mit einem Baustopp zu drohen. „Sie glauben, bei uns handelt es sich noch um Eingeborene mit Federschmuck“, beschwerte er sich. Sollte die Gesellschaft es aufs Äußerste ankommen lassen, bauen wir den Kanal ohne sie fertig, meinte Quijano, und sehen uns vor den Gerichten wieder. Er erwähnte auch, daß der Kanal-Gesellschaft die ganze Forderung der 1,6 Milliarden in Form eines informellen Wisches ins Haus flatterte, daß es vorher offenbar einen Konflikt zwischen den Vertretern der beiden Firmen gegeben habe, und daß Sacyr sich inzwischen von dieser Drohung weitgehend verabschiedet habe.

Die in verschiedenen Medien lancierte Meldung, daß es die Kanalgesellschaft besonders eilig habe, ist ein Unsinn. China will zwar einen Kanal durch Nicaragua bauen, aber da hat noch kein Spatenstich stattgefunden. Die Schwierigkeiten beim seinerzeitigen ersten Panamakanal-Bau, und die jetzigen Verzögerungen weisen darauf hin, daß solche Unternehmungen, wenn sie überhaupt zustandekommen, Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Außerdem gab es ja seinerzeit Gründe, warum die Route durch Nicaragua nicht gewählt wurde. Die Panamakanal-Gesellschaft muß sich also vor möglicher Konkurrenz noch lange nicht fürchten.

Außerdem ist der bisherige Panamakanal gut ausgelastet und der zweite wird parallel dazu gebaut. D.h., ein eventueller Baustopp beeinträchtigt die Tätigkeit des bisherigen Kanals nicht, dessen Einnahmen weiterhin das Rückgrat der Ökonomie Panamas bilden.

3. Mögliche Folgen, die niemand will

Für Sacyr und Impregilo hingegen könnte es eng werden. Bei einem Baustopp würden ihnen die monatlichen Überweisungen der Kanalgesellschaft entgehen. Andere Bauvorhaben in Lateinamerika wären in Gefahr, weil die dortigen Regierungen sagen könnten – das sind unsichere Partner! Die Aktien Sacyrs sind seit Bekanntwerden der Probleme um 10% gefallen, die von Impregilo haben sich etwas besser gehalten. Sollte der Streit weitergehen, so hätte das auf jeden Fall nachteilige Folgen für den Kredit und die Finanzierung dieser Firmen. Sollte eine der Firmen oder beide Konkurs anmelden, wären die Folgen für die gesamte europäische Bauwirtschaft, bzw. Ökonomie überhaupt unabsehbar.
Ebenso gefährdet ein Absturz dieser Firmen den keineswegs konsolidierten Staatskredit Spaniens und Italiens. Deswegen ist Spaniens Entwicklungsministerin gleich einmal nach Panama geflogen, um die Wogen zu glätten, und Italiens Regierungschef Letta hat die Firmenleitung Impregilos bekniet, doch bitte das Ding fertig zu bauen. Der Firmenchef von Sacyr hat ebenfalls seinen unbedingten Willen zur Kooperation betont und sich von der Drohung mit dem Baustopp weitgehend distanziert. Es ist jedoch nicht klar, inwiefern sein Partner Impregilo da hinter ihm steht.

Panamas Regierung und die Kanalgesellschaft selbst wollen im Grunde auch keinen Ärger mit den europäischen Baufirmen. Daß diese 2009 den Zuschlag bekommen haben, war auch als ein Versuch zu verstehen, das europäische Kapital überhaupt für Panama zu interessieren und die ökonomischen Bande zu intensivieren. Auch politisch wollte sich Panama der EU nähern, um den US-Hinterhof im Rahmen der Möglichkeiten zu verlassen.
Scheitert jetzt das ganze und der Vertrag platzt, so müsste Panama womöglich zähneknirschend wieder bei einer US-amerikanischen Firma anklopfen und mit der einen Vertrag machen – eine Perspektive, die in Panama niemanden begeistert.

Wille zur Einigung gibt es also allerorten – was jedoch noch nichts über die Fähigkeit der Baufirmen sagt, dieses Jahrhundert-Bauwerk zu Ende zu führen. Das bezieht sich sowohl auf technische Details, als auch auf den Kredit, den sie vielleicht nicht mehr haben.