ATOMPOLITIK
Japan besitzt (inklusive der 4 inzwischen zerstörten Blöcke von Fukushima) 55 in Betrieb befindliche Reaktoren und damit nach den USA und Frankreich die höchste Anzahl an Atomkraftwerken in einem Land. Mehr als ein Drittel seines Strombedarfs wird aus AKWs gedeckt. Japans Atomindustrie ist der größte Exporteur weltweit von Atomtechnologie. Die Bestimmungen des Kyoto-Protokolls über Reduktion von Schadstoffemissionen sehen Japans Politiker und Kernkrafttechnologie-Erzeuger als eine große Chance, ihre Marktposition weiter auszubauen: Atomenergie sei umweltfreundlich. In Japan selber sollen bis 2050 die Schadstoffemissionen um 50% halbiert werden, durch zügigen Ausbau der Kernkraftwerke. 2006 kaufte Toshiba den US-amerikanischen Rivalen Westinghouse, um seine Marktanteile international zu vergrößern.
Aufgrund der Auflagen, die Japan von der Siegermacht USA auferlegt wurden, hat Japan keine Atomwaffen. In der japanischen Verfassung ist festgelegt, daß Japan „für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation“ verzichtet. Mit Berufung auf die erlittene Bombardierung hat Japan immer wieder betont, keine Atomwaffen herstellen oder auf seinem Territorium dulden zu wollen. In den letzten Jahren sind jedoch diese ehernen Grundsätze von den japanischen Politikern zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht worden. Mit Berufung auf die nordkoreanische Gefahr solle man sich vielleicht doch ein paar Atombomben zulegen, für den Notfall … Schön langsam wurde unter dem Namen „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ eine Armee aufgebaut, die jetzt zur Bewältigung der Erdbebenschäden, und auch in Fukushima eingesetzt wird.
Daß Japan in einer extrem erdbebengefährdeten Zone liegt, hat nie einen japanischen Politiker oder Unternehmer an der Atomkraft zweifeln lassen. Die japanischen AKWs würden bebensicher gebaut (als ob das ginge!), hieß es immer wieder. Gegen Tsunamis wurden sie vom Meer her mit Mauern „geschützt“. Die Geschichte des japanischen AKW-Betriebes ist dabei voll von Störfällen, und schon vor einigen Jahren, anläßlich eines kleineren Erdbebens in der Region, schrammte das leistungsstärkste AKW der Welt, Kashiwazaki-Kariwa knapp an einem Super-Gau vorbei und mußte dann für mehr als eininhalb Jahre abgeschaltet werden. (Es wird übrigens von der gleichen Gesellschaft betrieben wie Fukushima.) Es stellte sich heraus, daß es auf einer Erdbebenlinie gebaut ist.
Bei all diesen Pannen und Störfällen fand stets die gleiche bewährte Form der demokratischen Bewältigung statt: Erst wurde ein kleiner Skandal hochgekocht. Dann wurden irgendwelche Manager oder technischen Leiter dingfest gemacht, die sich Versäumnisse oder Verfehlungen zuschulden kommen gelassen hatten, die wurden dann entlassen oder vor Gericht gestellt. Unangenehme Gutachten wurden durch Gegengutachten aus dem Weg geräumt, und die Atomindustrie hatte weiter freie Bahn.
Denn die Kernkraft ist einer der Eckpfeiler, wenn nicht überhaupt die Grundlage des japanischen Wirtschaftserfolges. Sie stellt den billigen Strom für die japanische Industrie her und sorgt dadurch für die Konkurrenzfähigkeit Japans auf dem Weltmarkt. Außerdem ist sie selber ein bedeutender Wirtschaftszweig und steht für die zukunftsorientierte Technologie, als deren Hort sich Japan ebenfalls sieht. Deshalb, und nicht weil die „Atomlobby“ so „einflußreich“ ist, hat die Kernkraft stets die Rückendeckung der japanischen Politiker gehabt.
Diese Sichtweise – Japans Größe steht und fällt mit der Kernkraft! – haben Japans Politiker ihrer Bevölkerung auch über die Jahrzehnte nahegelegt und in Schulen, Unis und Medien verbreiten lassen. So kommt die „Mentalität“ zustande, mit der die Japaner jetzt etwas verwundert auf den Bildschirmen den Super-Gau verfolgen (solange noch Strom da ist, natürlich).
Als der Unfall in Fukushima losging, hat die russische Atombehörde Rosatom sofort ihre Hilfe und ihr Know-How im Bewältigen von Atomunfällen angeboten. Die japanische Regierung hat diese Hilfe abgelehnt. Ähnlich wie die spärliche Information, die sie zu dem Unfall an die Öffentlichkeit weitergibt, ist diese Ablehnung eine Folge des Umstandes, daß es hier wirklich um das Eingemachte dieser Nation geht, um ihre Staatsräson, und man da keineswegs Mitgliedern einer anderen, noch dazu nicht allzu befreundeten Nation (Kurilen usw.) Einblick in die Geheimnisse der heimischen Energieproduktion gewähren will.
Die Izvestija („Japans Halbwertszeit“) kommentiert diese Episode leicht hämisch: Von Anfang an seien die Japaner eher stümperhaft vorgegangen, jetzt könne man sowieso nicht mehr viel retten. Sie hätten es zu sehr mit Konfuzius und Lao-Tse gehalten: „Nichts übereilen, lieber beobachten!“ Aber diese beiden Herren hätten eben nie in einem AKW gearbeitet …
Ansonsten beschwichtigt die russische Regierungszeitung: Alles halb so schlimm, einen Super-Gau übersteht man auch, wie wir wissen. Bei Tschernobyl wurde ja sooo übertrieben. Gut, unter den Rettungsleuten gab es eine erhöhte Zahl von Todesfällen durch Krebs. Und viele Kinder erkrankten an Schilddrüsenkrebs, aber das ist bei rechtzeitiger Diagnose heilbar. Keine Rede von Tausenden und Zehntausenden von Todesopfern! Lauter Märchen. Und die Jod-Tabletten sind auch eine gute Sache. Das wichtigste sei jetzt, Panik zu vermeiden, wie sie ja leider gerne ausbricht, wenns um Stahlung geht. Die Strahlung selbst ist halb so wild.
Putin hat vor einigen Tagen erklärt, auf jeden Fall an der Atomtechnologie festhalten zu wollen, und mit Lukaschenko einen Vertrag zu Bau eines AKWs unterschrieben.
Der Zynismus, mit dem solche Politiker ihr Volk blöd halten und für ihre nationalen Ziele verheizen, ist also in beiden Ländern gleich.
Kategorie: Antikapitalismus
Pressespiegel: Rußland und Nordafrika
„RUSSLAND ZIEHT NUTZEN AUS DEN ARABISCHEN REVOLUTIONEN“
(Titel eines Artikels in El País)
Erstens ist Rußland wirklich Nutznießer insofern, als der Anstieg der Öl- und Gaspreise seine Exporteinnahmen erhöht. Es kann sich als verläßlicher Lieferant präsentieren, bei dem „sowas nicht passieren“ kann wie in diversen arabischen Ölstaaten, und damit auch noch an politischem Einfluß gewinnen. Außerdem sieht Rußland jetzt Aufwind für seine eigenen Gas-Pipeline-Projekte (North Stream und South Stream), es kann dafür Investoren anlocken und die Energiepolitik der EU kritisieren, die auf Verringerung der Abhängigkeit von Rußland zielt, und lieber auf unsichere Kantonisten wie Gaddafi setzt(e).
Auch in Rußland selbst hilft die stabile Lage, Investoren anzulocken: Die französische Firma Total (immerhin die 4-t-größte Mineralölfirma der Welt), die auch in Libyen tätig ist, will zusammen mit russischen Firmen Ölfelder im Nordmeer erschließen, und ExxonMobil hat Ähnliches im Schwarzen Meer vor.
Allerdings gibt es auch auch in dieser Sphäre mögliche Nachteile: Gazprom ist selbst in Libyen engagiert, und generell könnte ein Ansteigen der Energepreise das weltweite Wachstum bremsen und Rußlands Exporte einschränken.
Ansonsten sehen die meisten Kommentatoren der Ereignisse Rußlands Interessen auf lange Sicht gefährdet.
Gegenüber der Parteinahme für die Aufständischen, wie sie in der europäischen Öffentlichkeit stattfindet, betrachten russische Politiker und Medien die Sache eher distant. Einer Intervention in Libyen von Seiten der NATO oder einzelner Staaten stehen sie ablehnend gegenüber. Ähnlich wie die Interventionen in Jugoslawien und dem Irak würde es dem „Weltgleichgewicht“, also dem Einfluß und Gewicht Rußlands in der Welt Schaden zufügen. Allerdings hat die USA inzwischen zwei Endlos-Kriege am Hals, und eine solche Intervention halten russische Politiker dadurch für wenig wahrscheinlich.
Bezüglich der Ursachen gehen die Meinungen auseinander. Manche, wie der Arabist und Nahost-Experte Primakov, sehen eine vom Gerechtigkeitsgefühl angetriebene Eigendynamik der Aufstände. Die Mehrheit, wie der Vizepremier Setschin, hängen eher Verschwörungstheorien an, in deren Zentrum die USA stehen. Medvedjew ging bei einem Auftritt in Vladikavkaz sogar noch weiter und sieht Rußland im Visier künftiger dunkler Kräfte, die ähnliches in Rußland anstreben könnte. Er erinnerte dabei an die „Farb“-Revolutionen in der Ukraine, in Georgien und in Kirgistan. Putin warnte in Brüssel vor dem Erstarken des Islamismus in Nordafrika und verwies auf das Beispiel der Hamas, die ja auch demokratisch gewählt wurde.
Russische Politiker befürchten ein Übergreifen von dergleichen Aufständen auf die mittelasiatischen Nachbarrepubliken, vor allem auf das sehr verarmte, aber bevölkerungsreiche Usbekistan, wo ein bereits absehbarer Anstieg der Lebensmittelpreise die sozialen Spannungen erhöhen würde. Diese Besorgnis wird von einigen usbekischen Kommentatoren geteilt.
Ein paar russische Politologen äußern sich auch zu Libyen. Einige halten Gaddafi für erledigt. Es sei nur mehr eine Frage der Zeit, wann er gehen muß. Man sollte das jedoch den Libyern selber überlassen. Andere sind da nicht so sicher. Sie verweisen auf die überlegene Bewaffnung der Gaddafi-treuen Truppen – zu einem guten Teil aus russischer (bzw. sowjetischer) Produktion. Und wenn, was nicht ganz auszuschließen ist, sich Gaddafi doch gegen seine Gegner durchsetzen könnte, so stünde jeder, der ihn jetzt verteufelt, extrem blöd da.
Rußland hat sich dem UNO-Beschluß unterworfen, der Waffenexporte nach Libyen untersagt. Das bedeutet für Rußland einen Verlust von 2.880 Millionen Euro an Waffenlieferungen. Aber da sind Insider zuversichtlich: Sobald sich dort in Libyen eine neue Macht durchsetzt, sind das wieder unsere Kunden!
Ein paar liberale Seufzer gibt es auch in Rußland, die meinen: Ach, wenn es hier doch endlich einmal Aufstände gegen Korruption gäbe!
Gaddafis Konten
IM FREIEN WESTEN GEPARKTE PETRODOLLARS – WESSEN EIGENTUM?
Bis zu 30 Milliarden Euro soll Gaddafi in Österreich in Konten und Stiftungen investiert haben. In Italien dürfte die Lage ähnlich sein. Sicher ist jedenfalls, daß er einen nicht unbeträchtlichen Anteil an Aktien der UniCredit besitzt, der größten italienischen Bank und Mehrheitseigentümerin der Bank Austria.
Den Anfang der Debatte machten die Schweizer Banken, als sie beschlossen, Mubaraks Konten in der Schweiz zu sperren. Ähnlich soll jetzt auch Gaddafi enteignet werden.
Die selbstgerechte Begründung der diversen Bankiers und Politiker, mit der ein solcher Schritt gerechtfertigt wird, lautet: Die Leute seien Diktatoren gewesen, die ihr Land ausgeplündert hätten (noch ergänzt um die Lüge, deswegen sei ihr Volk verarmt), gewöhnliche Diebe also in großem Maßstab, und jetzt wird dieses Diebsgut beschlagnahmt.
Hier ist zunächst einmal der völkerrechtliche Aspekt interessant: Regierungen und Behörden erklären sich zu Hütern von „redlich“ und „unredlich“ verdientem Geld und negieren Subjekten, die sie noch gestern als rechtmäßige Eigentümer anerkannt haben, die Verfügung über ihr Eigentum. Und zwar ohne daß diese gegen österreichisches oder Schweizer Recht verstoßen hätten, wird dieses jetzt auf sie angewandt, als ob es sich bei den in Ungnade gefallenen Machthabern um gewöhnliche Mafiosi oder Steuerhinterzieher handeln würde. Man könnte den Spieß genauso umdrehen und sagen: Diese Institutionen rauben jetzt den umstrittenen Potentaten Ägyptens und Libyens ihr rechtmäßiges Eigentum.
(Frau Trabelsi hat dem in weiser Voraussicht vorgebeugt, als sie mit dem tunesischen Gold an Bord abgehaut ist. Was man hat, das hat man.)
Man muß sich die Tragweite solcher Entscheidungen vor Augen führen: Jede Menge Petrodollars aus Saudi Arabien, den Emiraten, vielleicht auch dem Irak, sind in europäischen und amerikanischen Firmen und Banken investiert. Wenn jetzt an Gaddafi und Mubarak vorgeführt wird: Ein gestürzter Diktator kriegt sein Geld nicht mehr – was werden dann die (noch) nicht gestürzten Diktatoren daraus für Schlüsse ziehen? Lieber ihr Geld abziehen und in China oder Rußland anlegen? Wenn das geschieht, was bedeutet das für die krisengebeutelten Ökonomien Europas und der USA?
Die nächste Frage ist, wem gehört jetzt dieses Geld?
Zunächst wird „ermittelt“, hinter welchen „Scheinfirmen“ sich der Gaddafi-Clan befindet. (Bemerkung am Rande: Als Investoren waren diese „Scheinfirmen“ seinerzeit hochwillkommen.) Dann werden die solchermaßen „gefundenen“ Gelder „gesperrt“. Was heißt das? Das heißt, sie verfallen einmal den jeweiligen Staaten, solange, bis ein rechtmäßiger Eigentümer festgestellt und anerkannt ist, und zwar von genau den gleichen Instanzen, die Gaddafi die Eigentumsrechte aberkannt haben. Österreichische Behörden oder Gerichte entscheiden also über die Rechte auf libysches Vermögen.
Was geschieht mit dem Geld bis dahin? Wird es sozusagen treuhändisch verwaltet? Von wem? Zu welchen Bedingungen? Dürfen es die betroffenen Stiftungen und Banken weiter verwalten oder wird ein staatlicher Gaddafi-Fond gegründet? Diese Fragen sind nicht rein rechtliche Spitzfindigkeiten, sie betreffen die Funktionalität des gesamten österreichischen Kreditwesens. 30 Milliarden sind ja eine ordentliche Summe, mit der kann man schon einiges anleiern … Umgekehrt, werden sie abgezogen oder eingefroren, so könnte es im Gebälk des Kreditsektors ordentlich krachen – der, vergessen wir es nicht, den Zusammenbruch der Hypo Alpe Adria noch keineswegs überstanden hat.
Schließlich: Wer wird einmal der „rechtmäßige“ Besitzer? Sollte sich Gaddafi im libyschen Machtkampf durchsetzen, so wird es ihm wahrscheinlich nicht zurückgegeben werden, so mit den Worten: Äh, öh, war wohl ein Versehen. Willkommen als künftiger Investor!
Sollten sich die Rebellen im libyschen Bürgerkrieg durchsetzen und tatsächlich so etwas wie eine Regierung hinkriegen, so müßte die erst einmal international anerkannt werden, um als Repräsentant des „libyschen Volkes“, dem dieses Geld ja angeblich gehört, in den Genuß der Rückgabe dieser Gelder zu kommen. Dazu müßte sie alle internationalen Verträge, die unter Gaddafi mit Libyen geschlossen worden sind, anerkennen. Und wer weiß was sonst noch für Auflagen erfüllen. Da kann man die Rückgabe der Gelder sicher lang hinauszögern.
Fall 3 wäre eine Intervention der USA, oder der NATO, mit oder ohne UNO-Mandat: Wird dann einer Besatzungsmacht, einem Protektor – ähnlich wie in Bosnien – das Geld ausgehändigt und von der „internationalen Staatengemeinschaft“ nach Gutdünken verwendet?
Vielleicht, auch das ist nicht auszuschließen, setzt sich völkerrechtlich ein übergeordnetes Subjekt über die Republik Österreich, und diese 30 Milliarden müssen an die EZB oder an die UNO abgeliefert werden.