Pressespiegel El País, 2.7.: Abstrakter Reichtum versus konkreten

„DIE WIRTSCHAFT BRICHT EIN UND DER WALL STREET IST ES WURSCHT
Amanda Mars, Washington

Durch Stimuli berauscht und immer weiter von der Straße entfernt, schließt die US-Börse ihr bestes Quartal seit 1998. Gleichzeitig geht das Land durch die schwerste Krise seit der Großen Depression (…)

Der S & P-Index, der das Auf und Ab der 500 größten börsennotierten Unternehmen erfaßt, schloss das zweite Quartal mit dem höchsten Gewinn seit 1998, mit bis zu 20% ab. Für den Dow Jones, beschränkt auf die 30 ganz Großen, der um 18% gestiegen ist, war es der beste Zeitraum seit 1987. Und die Technologieunternehmen von Nasdaq sind um 31% gestiegen, der höchste Wert seit fast zwei Jahrzehnten.
Parallel dazu sind die USA in eine Rezession eingetreten und haben sich von ihrer größten Wachstumsphase in der Geschichte verabschiedet. Der Abbau von Arbeitsplätzen ist auf einem Niveau, das seit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr erreicht wurde. Trotz der Anzeichen einer Erholung in der frühen Phase der Aufsperrens sind seit Februar fast 20 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, und die Insolvenzen werden mit dem schnellsten Tempo seit sieben Jahren gemeldet, wobei die Opfer so vielfältig sind wie die Autovermietung Hertz, das Kaufhaus JC Penney oder Chesapeake, der Pionier des Fracking.

Als Draufgabe ist die Coronavirus-Epidemie wieder außer Kontrolle geraten, Infektionen haben sich in weiten Teilen des Landes wieder erhöht und mindestens 16 Staaten bremsen beim Wieder-Hochfahren der Wirtschaft. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass das BIP der USA in diesem Jahr um 8% schrumpfen wird.

Woher diese Aufbruchsstimmung an der Wall Street?

Es gibt eine schnelle Antwort für dieses befremdliche Verhalten der Märkte: Die beispiellose Ausschüttung der Federal Reserve von 2 Billionen $ hat die Taschen von Anlegern gefüllt, die angesichts der Unsicherheit nicht genau wussten, wo sie das Geld anlegen sollten – außer in Aktien. Die Zinssätze für die 10-jährige US-Anleihe, eine dieser klassischen Häfen in Krisenzeiten, liegen bei 0,6%, verglichen mit 2% vor einem Jahr und 3% Ende 2018. Diese Impulse, zusammen mit dem vom Kongress genehmigten wirtschaftlichen Rettungsplan haben den wirtschaftlichen Aderlaß eingedämmt. Und laut Sam Stovall, Chief Investment Officer bei CFRA, »lässt die neue Zunahme von Covid-19-Fällen keine Befürchtungen aufkommen, dass die Erholung entgleist. Die Anleger erwarten keine neue Schließung auf nationaler Ebene, sondern gelegentliche Rückschläge.«

Die längerfristige Entwicklungen beachtende Antwort hingegen deutet auf einen seit Jahren sichtbaren Trend hin: Die Trennung der Börse von der sogenannten Realwirtschaft – die der Unternehmen, die investieren, Verträge abschließen und produzieren, und der Menschen, die konsumieren – nimmt kontinuierlich zu. Die fünf größten Werte des Parketts sind Apple, Alphabet(Google), Microsoft, Amazon und Facebook – Kolosse, die rund 20% des Wertes des gesamten S & P ausmachen, den höchsten Anteil seit 30 Jahren, und die auch in der Welt des Lockdowns bevorzugt wurden. Der hat einen Großteil des täglichen Trubels in die virtuelle Sphäre verlagert, sei es professionell, für Verbraucher oder in der Freizeit. Im April, dem ersten vollen Monat der Quarantäneregelungen, stiegen die Aktien dieser 5 nach Angaben von Goldman Sachs um 10%, während die anderen 495 um 13% fielen.

Wenn eine Wirtschaft als real bezeichnet wird, könnte man daraus schließen, dass die andere etwas Fiktives hat, als ob Apple oder Amazon nicht existierten, keine Mords-Hauptquartiere, keine trendsettenden Produkte und klingelnden Kassen aufweisen würden. Sie haben sie, aber der Beitrag der Technologiegiganten zum Wohlstand auf der Straße ist geringer als der, den die Börsenführer der Vergangenheit generiert haben, als im Wesentlichen Bankwesen, Energie und Dienstleistungen den Kuchen unter sich aufteilten.“

Hier wird die Sache etwas seltsam, weil war da nicht irgendetwas mit Industrie? Die Autorin kennt sich offenbar selber nicht ganz aus mit real und fiktiv.

„Eine Studie der Brookings Institution, einer der renommiertesten Denkfabriken Washingtons, vergleicht die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Kapitalmarkt des 20. und 21. Jahrhunderts und liefert aufschlussreiche Daten: 1962 waren die beiden größten börsennotierten Unternehmen in den Vereinigten Staaten die Telefongesellschaft AT & T und die Autofirma General Motors mit 564.000 bzw. 605.000 Mitarbeitern. Das sind fast 1,2 Millionen zusammen. Im Jahr 2002 hatte Microsoft den ersten Platz belegt (51.000 Mitarbeiter), gefolgt von General Electric (315.000). Weniger als die Hälfte als 1962. Im vergangenen Jahr beschäftigten die beiden Top-Unternehmen im S & P-Index, Microsoft und Apple, insgesamt rund 297.000 Mitarbeiter.“

Daß immer weniger Leute immer mehr Profit schaffen, ist aber vermutlich nicht eine reine Besonderheit der Börsenführer, sondern für die gesamte Unternehmenslandschaft 2020 charakteristisch.

„Der Wechsel in der Arena der Wall Street in diesem Jahr war radikal, der drastischste seit acht Jahrzehnten. Der erste Schock der Sperre, als die Gesundheitskrise bereits global und kapital war, ereignete sich Mitte März und führte im ersten Quartal des Jahres zu einem Rückgang des S & P um 20%. Die Aufholjagd des 2. Quartals hat es ermöglicht, fast den gesamten verlorenen Boden wiederzugewinnen. Die Aussichten bis zum Jahresende sind jedoch mehr als ungewiss. Die Anleger wurden nicht nur durch die Impulse stimuliert, sondern spielten bis zu einem gewissen Grad auch blind an der Börse. Laut Factset, einer Finanzinformationsplattform, haben 200 der 500 Unternehmen des Leitindexes ihre Prognosen für das Jahr wieder zurückgezogen, rechnen jedoch damit, dass die Profite der großen konsolidierten und daher widerstandsfähigeren Unternehmen (die Blue Chips im Börsenjargon) im vorgenannten zweiten Quartal um 44% geschrumpft sind.“

Seltsam ausgedrückt. Es soll heißen: Die Profite aus laufendem Geschäft sind geschrumpft, während die Börsengewinne anwuchsen.
Dazu noch soziale Unruhen und Wahlen in den USA, und wer weiß, was für Stützungsprogramme es noch geben wird

Pressespiegel El Pais, 13.6.: Der Krieg in Libyen

DIE NEUE SCHLACHT LIBYENS WIRD IN SIRTE AUSGETRAGEN
Francisco Peregil aus Rabat

„Marschall Hafter zieht sich in den Osten des Landes zurück, um mit Unterstützung Russlands gegen den Vormarsch der Regierung der Nationalen Einheit die Kontrolle über die Ölquellen zu behalten
Der Kampf um die Eroberung von Tripolis, den Marschall Chalifa Haftar am 4. April 2019 begonnen hat, kann als beendet angesehen werden. Am 3. Juni nahmen die Milizen, die die Regierung der Nationalen Einheit (RNE) unterstützen – die ihren Sitz in Tripolis hat und von den Vereinten Nationen anerkannt wird –, den internationalen Flughafen ein, der seit mehreren Jahren nicht mehr genutzt wird, sich jedoch an einem idealen Ort befindet, um die Außenbezirke der libyschen Hauptstadt zu kontrollieren.

Zwei Tage später zogen sich die Truppen, die Haftar ergeben waren, aus der Stadt Tarhuna zurück, die 90 Kilometer südöstlich der Stadt liegt. Damit endete die 14-monatige Belagerung. Der Himmel über Tripolis ist frei von feindlichen Angriffen. Aber der Krieg ist noch lange nicht vorbei.

Während die RNE unter Premierminister Fayez Serrasch in Tarhuna ein Massengrab mit von Haftars Truppen ermordeten Personen entdeckt haben will – Zeitungen schreiben von bis zu 120 Opfern –, berichten dem Rebellenmarschall nahestehende Medien, daß die Truppen aus Tripolis in Tarhuna plündern, Häuser niederbrennen und Menschenrechtsverletzungen begehen.

Das Geschehen scheint sich jedoch inzwischen aus Tripolis oder Tarhuna in die 400 Kilometer östlich der libyschen Hauptstadt gelegene Küstenstadt Sirte verlagert zu haben. Die Regierungstruppen der RNE, die vor Ort von türkischen Offizieren und von der Türkei rekrutierten syrischen Söldnern unterstützt wurden, starteten diese Woche eine Offensive gegen Sirte, die Stadt, in der Gaddafi geboren wurde, und den Ort, an dem er Zuflucht suchte, bevor er gefangen wurde.

Diese Stadt der einstigen Ghaddafi-Anhänger, der Schlüssel zur Kontrolle der Ölexporte, wurde 2011 von den Tripolis-treuen Misrata-Milizen erobert. Später wurde sie im Juni 2015 vom Islamischen Staat übernommen. Die Misrata-Milizen eroberten Sirte im Dezember 2016 zurück. Im Januar dieses Jahres wurde die Stadt von Haftars Truppen eingenommen, als bedeutender Schritt seines Vormarsches in diesem Teil des Landes.

Jetzt halten Haftars Truppen, unterstützt von 14 im letzten Monat entsandten russischen Jagdflugzeugen, den Angriff der von der Türkei unterstützten Tripolis-Milizen auf. Haftars Soldaten werden zudem von Hunderten russischer Söldner der vom Kreml unterstützten Firma Wagner verstärkt. Wagners Männer kamen im Oktober nach Libyen und schafften es, das Kriegsglück zu Gunsten Haftars zu wenden. Danach bat die RNE den türkischen Präsidenten Erdogan um direkte Hilfe. Und Ankara schickte Waffen, Offiziere und syrische Söldner, als Gegenleistung für einen vorteilhaften Energievertrag. Heute ist die Türkei das einzige Land, das seine militärische Beteiligung am Libyenkonflikt offen anerkennt. Und bis jetzt hat diese Unterstützung ihre militärische Wirksamkeit bewiesen.

Jetzt geht es um die Entscheidung in Sirte und auch um die Ölquellen. Die Regierung in Tripolis gab am 7. Juni bekannt, dass das Scharara-Ölfeld, das größte des Landes im äußersten Südwesten und – bei voller Funktionsfähigkeit mit einer maximalen Produktion von 300.000 Barrel pro Tag – wieder unter seine Oberhoheit zurückgekehrt ist.

Scharara, ein Ölfeld, an dem unter anderem das spanische Unternehmen Repsol beteiligt ist, stand seit Januar unter der Kontrolle von Haftar. Anfang dieser Woche frohlockte Tripolis angesichts der Rückeroberung und gab bekannt, dass es dort wieder Öl fördert. Am nächsten Tag kündigte er auch eine Wiederaufnahme der Produktiont im Ölfeld El Fil an.
Aber es dauerte nicht einmal 48 Stunden, bis sich die wechselhafte Wirklichkeit des Landes wieder durchsetzte. Die Nationale Ölgesellschaft (NOC) berichtete auf ihrer Website, dass beide Felder von Milizsoldaten übernommen worden seien, die die Arbeiter gezwungen hätten, die Produktion einzustellen.

Ein westlicher Beobachter, der die Ereignisse genau verfolgt und lieber anonym bleibt, sagte: »Die Situation auf diesen Ölfeldern ist stets kompliziert. Sie sind weit weg von allen kämpfenden Parteien. Und sie werden gewöhnlich von Warlords kontrolliert, die sich an den Meistbietenden verkaufen.«

In Bezug darauf, wer Sirte und das Öl erobern wird, heißt es von dieser Quelle: »Die RNE hat es mit Hilfe der Milizen von Tripolis geschafft, Haftar aufzuhalten. Und jetzt hält Haftar Tripolis auf dem Weg nach Sirte und zu den Ölfeldern auf. Alles deutet darauf hin, dass beide Parteien versuchen, ihren Einfluß zu steigern, um in den Verhandlungen, die sie jetzt unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen aufnehmen werden, eine starke Position einzunehmen. Es wird einen neuen Versuch zu einem Friedenschluß geben. Aber der wird nicht einfach sein, weil es in Libyen keine soliden Institutionen gibt.«

Hafter kontrolliert weiterhin den Osten und Süden des Landes und einen Großteil der ruhenden Ölproduktion. Der Marschall wird von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Russland und Frankreich unterstützt. Und die Regierung von Tripolis hat die diplomatische Unterstützung Italiens, die wirtschaftliche Katars und die militärische der Türkei.
Hunderte Tote und mehr als 16.000 Vertriebene waren notwendig, damit sich Haftars Truppen nach Osten zurückziehen er sich auf den Dialog einlassen würde. Aber die Realität sieht ganz anders aus als vor 14 Monaten, als der Marschall mit der Belagerung begann. Damals war die Beteiligung Russlands und der Türkei nicht so eindeutig. Jetzt sind diese beiden Länder zu unverzichtbaren Mächten für die Gestaltung der Zukunft Libyens geworden.“
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Schon die Geschichte der Ölförderung in diesem El Schahara Ölfeld im Fezzan würde Bände füllen. Erschlossen wurde es in den 80-er Jahren mit Know-How der rumänischen Ölgesellschaft Petrom. Darüber findet man wenig Information, da die Petrom inzwischen mehrheitlich der österreichischen ÖMV gehört und die Geschichte der rumänischen Ölförderung zu Zeiten des Sozialismus unter den Tisch gekehrt wird.
Die ÖMV hat jedenfalls mit der Petrom um 2005 herum Anteile an libyschen Ölfeldern gekauft. Damals war Ghaddafi noch in Amt und Würden.

Wie diese Anteile fixiert wurden und was davon an Eigentumsrechten bei der ÖMV landete, steht nicht in den Büchern. Vor allem wußten das andere Ölgesellschaften nicht, als sie sich sich nach Ghaddafis Tod dort breitmachten, nach der Devise: Nimm, was du kriegst!
Repsol verkündete jedenfalls 2016, es hätte in dieser Gegend Ölreserven „entdeckt“.
So so. Gefunden.
Daß andere Firmen dort auch unterwegs sind, wird am Rande erwähnt. Aber wie Repsol dazu kommt, dort überhaupt Öl zu suchen und zu fördern – das bedarf ja einer gewissen Infrastruktur – bleibt im Dunkeln.
Das spanische Unternehmen teilt jedenfalls angeblich die Eigentumsrechte mit der ÖMV und Total (Fr) im Verhältnis 40:30:30.
Verträge?
Mit wem?
Alle Eigentümer – oder besser: Räuber – unterstützen beide Parteien dieses Krieges, um an ihr Öl zu kommen. Aber selbst wenn die Ölförderung laufen würde, ist es unter den gegebenen Umständen sehr fragwürdig, ob irgendwelche Quoten eingehalten werden und das von irgendjemandem konntrolliert würde.

Der libysche Dauerkrieg birgt zwar Risiken für die dort versammelten Ölfirmen, aber diese für die Landesbevölkerung durchwegs unerfreulichen Zustände eröffnen den ausländischen Ölgesellschaften auch Möglichkeiten, für etwas Bakschisch an örtliche Milizen und Warlords Öl in beträchtlichen Mengen an Steuer, Zoll usw. vorbei in andere Länder zu verfrachten.
Das alles gilt allerdings nur, solange das Öl auch gebührend nachgefragt wird. Sowohl die Förderung und die Verladung desselben waren Einnahmequellen der libyschen Kriegsparteien. In Corona-Zeiten mit sinkender Nachfrage und einem kurzfristig sogar negativen Ölpreis ist weder der Abbau des Öls für die Betreiber sehr atttraktiv, noch wollen sie die nötigen Gebühren an Milizen und die RNE-Regierung bzw. die Armee Haftars entrichten.

Aufgrund des Umstandes, daß der einzige wirkliche, auf dem Weltmarkt gültige Reichtum Libyens derzeit ziemlich entwertet ist, kommen vermutlich Haftar seine Geldgeber abhanden. Saudi Arabien z.B. ist sehr betroffen durch den Rückgang der Öleinnahmen.
Katar unterstützt die RNE, weil es seine Hand auf das libysche Öl legen will, um seinen eigenen Einfluß als ölproduzierender Staat zu steigern. Es will die Hand am libyschen Ölhahn haben, bei dem sich dann Repsol, OMV usw. anstellen müssen.
Die Türkei hingegen will das libysche Öl für sich, um der türkischen Wirtschaft eine Energiequelle zu sichern, sie ist also auf den Gebrauchswert des Öls scharf.
Rußland wiederum scheint zu meinen, Haftar sei eher in der Lage, Libyen zu einen als die RNE, und unterstützt ihn deshalb.

Der Kampf um Libyen geht also in die nächste Runde.

EZB, Euro und Währungssysteme überhaupt

GRUNDSÄTZLICHES ÜBER GELD UND KREDIT IN DER EU (UND AUSSERHALB)
Wenn heute von der „Corona-Krise“ geredet wird, ist das irreführend, weil die wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund der Lockdowns treffen auf ein Wirtschafts- und Währungssystem, das schon vorher höchst wackelig war. Es geht also nicht um eine neue, zyklische Krise, nachdem die vorige überwunden worden wäre, sondern um die Verschärfung einer sowieso auf die Dauer unhaltbaren Lage.
Wie man auf Spanisch sagt: Llueve sobre mojado – es regnet auf nassen Grund.

1. Die Rolle der EZB

Lagarde hat gleich bei Amtsantritt angekündigt, das Aufkaufsprogramm ihres Vorgängers fortzusetzen, was ja auch schon gewaltige Geldmengen zumindest in die Bankenwelt geleert hat, indem Staats- und Firmenanleihen aufgekauft wurden. Vergessen wir dabei auch nicht die Bankanleihen, zur Vermeidung von Bankencrashes.
Dieses Programm wurde von Draghi kurz nach seiner Übernahme verkündet, nachdem Trichet die EZB mehr schlecht als recht und durch ad-hoc-Aufkäufe durch den Anfang der Euro-Krise manövriert hatte.
Draghi sagte damals sinngemäß: Wir werden alles Nötige tun, um den Euro zu retten.
Diese Maßnahme war zunächst als Überbrückungsmaßnahme gedacht, bis „die Konjunkturlokomotive wieder anspringt“, ein ordentliches Wachstum zustandekommt, usw. usf.
Was nicht eingetreten ist.
Bis zum Wechsel Draghi-Lagarde war bereits klar, daß es sich hierbei um eine Dauereinrichtung handeln wird, weil all die Jubelmeldungen um 1,5%-Wachstümer irgendwo in der EU nicht darüber hinwegtäuschen konnten, daß auch die kreditfinanziert waren und der große Sprung nach vorn nicht mehr passieren wird.
Damit war auch entschieden, daß man dieser Tatsache ins Auge sehen muß und die EZB daher in Zukunft eher mehr als weniger Geld in die Wirtschaft pumpen muß. Das war bereits vor der Coronakrise klar.
Die Klage vor dem deutschen Verfassungsgericht mit dem Anliegen, der EZB die Schuldenfinanzierung zu untersagen, war ebenfalls bereits vorher anhängig und wurde erst jetzt, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, entschieden.
(Wer sind eigentlich die Kläger?)

2. Die Rolle der Nationalbanken

Die Notenbanken in der Eurozone haben inzwischen andere Aufgaben als die außerhalb derselben.
Die Notenbanken Ungarns, Polens usw. sind darauf verpflichtet, ihren Wechselkurs zum Euro, an den sie in ausschließlicher Form gebunden sind, durch Anleihen-Emissionen auf Euro-Börsen halbwegs stabil zu halten. Dadurch, daß sie bei ihrem Beitritt die Bindung an andere Währungen in Form von Währungs-Körben aufgeben mußten, stärken sie den Euro, ohne an ihm teilzuhaben, und erweitern sein Spektrum. Sie sind dadurch weitaus abhängiger und schwächer, als es diverse westeuropäische Währungen vor der Einführung des Euro waren. Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen: Der heutige Forint ist eine lokal begrenztere Währung als es die Drachme vor der Euro-Einführung war.
Das zeigt sich auch an den großen Unterschieden, die zwischen An- und Verkaufskurs dieser Währungen zum Euro bestehen – mit Ausnahme etwas stärkerer Währungen, wie der schwedischen, dänischen oder tschechischen Krone.
Die NB-Chefs Ungarns, Polens oder Rumäniens usw. sind deshalb im Wesentlichen mit Währungspflege beschäftigt, mit Zinsfuß hinauf und hinunter, um ihre Staatsanleihen attraktiv zu halten. Ein guter Teil ihrer Staatsschuld ist also dem Aufrechterhalten des Wechselkurses geschuldet.
Anders die Notenbanken der Euro-Staaten: Ihre Direktoren sitzen im Aufsichtsrat der EZB und bestimmen den EZB-Kurs mit. Die Staaten mit intaktem Kredit kritisieren schon seit einiger Zeit das Aufkaufsprogramm der EZB und die sich daraus ergebenden Null- und Niedrigzinsen, was auf eine gewisse Kurzsichtigkeit von deren Vertretern hinweist: Der Euro besteht nur solange, als sich auch die auf der Verliererschiene befindlichen Staaten finanzieren können, und auch Deutschlands Export funktioniert nur, indem im EU-Ausland genug Zahlungsfähigkeit existiert.
De facto kreditieren die produzierenden Staaten die konsumierenden, um ihr Zeug loszuwerden. Und das müssen sie auch, um dieses schiefe Verhältnis weiter aufrechtzuerhalten.
Die EZB will mit ihrem Programm diesen Zustand weiter aufrechterhalten und Geld ohne Ende in die Ökonomien der EU oder zumindest Eurozone hineinleeren.
Andere Staaten, so vermute ich, denken schon eine einen möglichen Crash des Euro und wollen sich für die Zeit danach mit möglichst wenigen Verbindlichkeiten belasten. Es ist übrigens auffallend, daß dieser Einwand inzwischen von Regierungschefs und nicht von Notenbankchefs verkündet wird.
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Eine Erinnerung an einen anderen Schauplatz: Argentinien ist de facto zahlungsunfähig. Die einzige Möglichkeit, einen neuerlichen Bankrott zu verhindern, besteht darin, daß der IWF die Schulden übernimmt. Das hieße aber, daß der der IWF praktisch zu einer Stützungsinstitution für US-Banken wird, die die Haupt-Gläubiger Argentiniens sind.
Die Entscheidung darüber wird durch Fristverlängerungen hinausgeschoben, aber das geht auch nicht ewig.
Ginge Argentinien neuerlich bankrott, wäre das als Scheitern des IWF zu verbuchen, mit unabsehbaren Konsequenzen, und würde das US-Bankensystem und das weltweite Währungssystem erschüttern. Diesmal ließe es sich nämlich nicht, wie 2002, als eine kleine Störung im Getriebe handhaben und wegwischen.