Die EU und ihr Hinterhof, Teil III

IM SCHATTEN DES EURO
Als der Eiserne Vorhang im Frühherbst 1989 fiel, kamen osteuropäische Bürger aus den Nachbarstaaten in vielen Busladungen für einen Tagesausflug nach Wien, um den Goldenen Westen zu bestaunen.

Besonders beeindruckt waren sie von den Bankomaten. Da ging so ein glücklicher Westbürger zu einem Gerät in der Wand, steckte ein Plastikding hinein, tippte was ein – und schwuppdiwupp, kam echtes Westgeld mehr oder weniger aus der Wand heraus!
Auf die falschen Vorstellungen, die bei ihnen im Realsozialismus über Geld vermittelt worden waren, bauten dann auch noch weitere falsche Vorstellungen über wundersame Geldausgabe in der Marktwirtschaft auf.

Aber das Problem war da: Dort die integrationswilligen Ex-Ostblockstaaten mit ihrem Monopoly-Geld, hier die Firmen und Geschäftsleute, die ihnen ihr Zeug verkaufen wollten, aber natürlich für echtes Geld.


3. Banken, Geld und Kredit: Die Herstellung von Zahlungsfähigkeit in EU-Weichwährungen
Die Aufgabe bestand also darin, diese Leute, die nichts marktwirtschaftlich Verwertbares besaßen, mit echtem, also weltmarktfähigem Geld auszustatten, um sie in den internationalen Warenaustausch zu integrieren.

Dafür gibt es eine Institution, den IWF, der seit Jahrzehnten mit ebendieser Aufgabe beschäftigt ist.
Der IWF geht so vor, daß er den entsprechenden Ländern gute Ratschläge gibt, wie man die Wirtschaft kapitalfreundlich steuern soll, und erklärt damit – und durch die Kredite, die er den entsprechenden Ländern gewährt – diese Staaten für kreditwürdig. Das grüne Licht, das der IWF gibt, dient den privaten Geldinstituten als Garantie, daß dieser Staat als Schuldner verläßlich ist und sie kaufen seine Anleihen. Damit hat dieser Staat Kredit und seine Währung ist dadurch konvertibel, weil er über einen Devisenschatz verfügt, um jederzeit seine eigenen, auf das national beschränkte Territorium gültigen Zettel gegen richtiges Geld, Weltgeld einzutauschen.

1990 hatte der IWF bereits erstens reichhaltige Erfahrungen in Lateinamerika und Südostasien mit diesem Verfahren gesammelt.
Außerdem hatte auch bei den ehemaligen RGW-Staaten den Fuß in der Tür: Rumänien war in den 70-er Jahren beigetreten, Polen und Ungarn in den 80-ern.
Der IWF übertrug nach 1990 seine bisherigen Erfahrungen, vor allem aus Lateinamerika, auf die ehemals sozialistischen Staaten.

Dabei gab es natürlich gewisse, hmmm, Holprigkeiten.

Während der IWF in Lateinamerika stets Kürzung von Staatsausgaben als Bedingung für Kredite gestellt hatte, traf dieses Verfahren in Osteuropa auf eine andere Art von Wirtschaft. In Lateinamerika wurden damit Bildungs- und Sozialprogramme gekürzt und die Armut verschärft, es gab aber daneben eine private Wirtschaft, die sich mit mehr oder weniger Erfolg am Weltmarkt bewährte.
In den ehemals sozialistischen Staaten gab es dergleichen nicht. Alles war Staatseigentum, die Betriebe dieser Staaten hatten sich am Weltmarkt bisher nicht bewähren müssen. Sie hatten daher auch keinen in Weltgeld bezifferbaren Wert.
Siehe dazu: Die Privatisierung in der Tschechoslowakei, Teil I: „Große“ und „kleine“ Privatisierung“ sowie
Es werde Markt! Die Finanzpolitik von Václav Klaus

Der IWF stellte Standby-Kredite gegen Privatisierungsvorschriften zur Verfügung. Der Geldbedarf war jedoch in den ehemals sozialistischen Staaten viel höher, und seine „Sicherheiten“ ganz unsicher. Die Kreditgewährung unterschied sich daher sehr von Staat zu Staat. Diejenigen Staaten, die bisher bereits Westhandel betrieben und Schulden aufgehäuft hatten, wurden anders behandelt als diejenigen, die sozuagen von Null anfingen. Staaten wie Tschechien oder Weißrußland hatten bessere Karten, weil sie nicht auf die Bedingungen des IWF eingehen mußten. Slowenien hingegen konnte sich deshalb besser positionieren, weil es schon lange weltmarktfähige Waren produziert und verkauft hatte.

Aber generell galt, daß diese Staaten sich zunächst einmal in Devisen verschulden mußten, um einen Devisenschatz mit Hilfe von IWF-Krediten anlegen zu können. Diese Devisenreserve war die Bedingung, um ihre Währungen konvertibel zu machen. Und die Konvertibilität der Währung war – und ist – die Bedingung, damit ausländisches Kapital sich in ein Land begibt, um dort Handel zu treiben oder Produktion in die Wege zu leiten. Der Unternehmer muß die Möglichkeit haben, jederzeit seine Gewinne oder überhaupt sein Kapital in eine Weltwährung wechseln zu können – ansonsten sind sie nichts wert.

In den ehemals sozialistischen Staaten lag diesbezüglich jedoch noch viel mehr im Argen, weil sie ja noch nicht einmal über ein funktionierendes Bankennetz verfügten, das die Bevölkerung mit Geld versorgt hätte. Zunächst erschlossen einmal die Banken die Neuankömmlinge am Weltmarkt, statteten sie erst mit Konten und schließlich auch mit Krediten aus, und so folgte auf die Verschuldung der Staaten diejenige der Gemeinden und der Privathaushalte. Dafür war die Einführung der Fremdwährungskredite essentiell: So konnten sich die Bürger Osteuropas überhaupt verschulden, da das eigene nationale Geld für Kreditaufnahme schlecht geeignet war, aufgrund hoher und unberechenbarer Zinsen.
Auf diese Art und Weise, über den Kredit, wurden diese Staaten zu Märkten für das westliche Kapital, das dort mit Hilfe internationaler Institutionen und Vertragswerke – auch die Europäische Bank für Wiederaufbau, die EU-Assoziationsabkommen 1992 und ähnliches sind hier zu erwähnen – eine tabula rasa schuf, eine zwar für das freie Auge mit Industrieruinen vollgestellte Gegend, aber vom Standpunkt des Kapitals jungfräulicher Boden.

Diese ganze Schaffung von Zahlungsfähigkeit fand 2007/2008 ein abruptes Ende, und bis heute haben sich verschiedene Staaten davon nicht mehr erholt – dort „brachen Märkte ein“ und die Banken häuften uneinbringliche Kredite in ihren Bilanzen auf. Sie funktionieren zwar immer noch als Mitglieder der EU und Märkte und Standorte des Kapitals der „alten“ EU-Staaten, aber auf weitaus bescheidenerer Stufenleiter.

Der Versuch, das Kreditkarussell wieder neu in Gang zu setzen und die Ukraine mittels Kredit und Assoziationsabkommen zu einem neuen großen Markt aufzublasen, ist nicht so recht gelungen.

Imperialismus heute, Fortsetzung 2020

KRIEG IM FRIEDEN, FRIEDEN INMITTEN VON KRIEG
Stand derzeit:
Syrien – ungeklärte Verhältnisse bezüglich Rojava, Idlib, Ölfelder
Libyen – Streit zweier Parteien mit sehr unklaren Bündniskonstellationen
Iran – alles wackelig wegen Abschuß des Flugzeugs durch eigenes Militär
EU – uneinig
USA-EU – Handelskrieg latent
usw.

Vorläufige Zusammenfassung der Ereignisse in Bolivien

DER MEDIAL ABGESEGNETE PUTSCH
Lange war es eigentlich ruhig um Bolivien und Evo Morales, obwohl er auch zu der Reihe der marktwirtschaftsfeindlichen Fast-Diktatoren gehörte, wie Maduro, Correa oder Cristina Fernández, auf die sich die Presse schon seit geraumer Zeit eingeschossen hatte.
Vor allem während des ganzen Getöses über Venezuela und den Usurpator Guaidó erschien Bolivien irgendwie verschont zu bleiben von den medialen Kreuzzügen für das Gute und gegen das Böse.
Die Ruhe war trügerisch, wie sich seither herausgestellt hat.


1. Demokratie
Bezüglich der Demokratie als Staatsform herrschen verschiedene Vorstellungen.
Die einen, dazu gehören auch die Eliten der Weltmacht USA, betrachten sie vor allem als eine Form der Absicherung des Privateigentums und der Kapitalakkumulation. Als solche schätzen sie auch das Spektakel namens „Wahl“, mit dem alle paar Jahre die Verwalter dieser Veranstaltung neu bestellt werden. Die sollen nicht zu lange an ihren Sesseln kleben, deswegen gibt es in den meisten demokratischen Verfassungen Beschränkungen der Amtszeit – das ist deshalb, weil auch die Ausübung der Macht als Konkurrenzveranstaltung organisiert ist. Die Kandidaten sollen lernen, sich gut zu verkaufen. Damit soll die sonstige Konkurrenz ums Geschäft gesichert und angestachelt werden.
Die anderen schätzen die Demokratie besonders als Ermächtigung der Herrschaft und immer wieder erneute Herstellung der Einheit zwischen Staat und Volk. Wahlen werden von diesen Menschen als eine Art Abstimmung über die Leistungen der Regierung gesehen, wo die Wähler ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit ausdrücken. Sie meinen auch, die Regierenden seien ihren Untertanen verpflichtet, und bei der Wahl bekämen sie dann bestätigt, daß sie ihre Sache als „Diener des Volkes“ gut gemacht hätten.

Diese beiden Auffassungen ergänzen sich oft, und bestätigen einander sogar.
Aber manchmal geraten sie auch in Gegensatz zueinander.

Solches geschah und geschieht in Lateinamerika, wo sich unter dem Firmenschild „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ einige Staatsoberhäupter gefunden haben, die nicht gegen die Bevölkerung regieren wollten, sondern im Lincolnschen Sinne „mit dem, durch und für das Volk“ tätig sein wollten.
Für diese guten Absichten fanden sie ungünstige Rahmenbedingungen vor. Ihre Versuche, den ärmeren Bevölkerungsschichten Teile des nationalen Reichtums zukommen zu lassen, stießen im In- und Ausland auf Widerstand.
Um weiter ihren Weg verfolgen zu können, setzten manche auf Nachfolger. So ermöglichte Néstor Kirchner noch zu seinen Lebzeiten seiner Ehefrau die Nachfolge. Rafael Correa scheint sich mit seinem Nachfolger vertan zu haben.
Daniel Ortega glaubt nur an sich und ließ das Wiederwahlverbot aus der Verfassung Nicaraguas streichen.
Evo Morales gelang das nicht, sodaß er sich in einem umstrittenen Verfahren über das internationale Recht vom Verfassungsgericht – gegen die bolivianische Verfassung – zu einer weiteren Amtszeit ermächtigen ließ.

Vor Morales wurden in den letzten 11 Jahren 3 Regierungschefs gestürzt: 2009 in Honduras Manuel Zelaya durch einen Militärputsch, 2012 Fernando Lugo in Paraguay, in einem sehr umstrittenen Amtsenthebungsverfahren, 2016 Dilma Rousseff in einer ebenfalls sehr neuartigen Art von Mißtrauensvotum im Parlament Brasiliens.

Wurde hier die Demokratie mit Füßen getreten, wie manche meinen, oder wurde sie vor Usurpatoren gerettet, wie andere meinen?
Eher wird hier eine Neudefinition von, oder eine Klarstellung zur Demokratie vorgenommen: Demokratie ist, was den Besitzenden nützt und was die Weltmächte als Demokratie anerkennen.


2. Medien
Die Medien weltweit bemühen sich, auf diese letztere Definition einzusteigen – das merkt man der Berichterstattung zu diesem Putsch an.
Die bolivianische Putschistenregierung unterhält Schlägertrupps, die Jagd auf Journalisten machen. Ein paar argentinische Journalisten mußten von ihrer Botschaft evakuiert werden. Die bolivianischen Zeitungen wissen, daß sie nur das schreiben dürfen, was genehm ist, sonst wird auch ihre Redaktion gestürmt, ihre Zeitung bedroht.

Wenn das woanders auf der Welt geschähe, z.B. in Rußland oder in Venezuela, oder auch in Polen oder Ungarn, so wäre in den Medien der Teufel los: Die heilige Pressefreiheit wird mit Füßen getreten! Ein „Regime“ unterdrückt Information! usw. usf.
In Bolivien ist das keiner Rede wert.

Unabhängige Berichterstattung ist sowieso schon seit längerer Zeit unüblich, die kostet nur Geld und verschreckt womöglich Kundschaft, die Werbung in dem Medium plazieren will und dafür gut zahlt.
Und so finden sich in den meisten Leitmedien der Welt – wenn überhaupt – die gleichen Fertig-Texte zu den Ereignissen in dem Andenstaat.
Wenn nicht überhaupt der Scheinwerfer von Bolivien weg und hin zu Uiguren und Hongkong geschwenkt wird, wo natürlich nur Unterdrückung und Propaganda herrschen.
Das betrifft einmal die Redaktionen und die dort Beschäftigten oder sogar freien Mitarbeiter.

Eine andere Abteilung sind die vielen – oder vielleicht auch wenigen, aber sehr eifrigen – Propaganda-Ameisen, die die Weltmedien über Twitter und Postings mit Kurztexten überschütten, demzufolge der ganze Putsch nur die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes sei, und Morales und seine Mannschaft mafiöse Verbrecher waren, die sich unverschämt die Taschen gefüllt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und sich durch feige Flucht ihrer rechtmäßigen Verhaftung und Verurteilung entzogen haben.
(Vorgesehen war von den Putschisten ursprünglich offenbar ein Milosevic- oder Ghaddafi-Szenario, aber Mexiko hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Zorn auf Mexiko ist bei den bolivianischen Bibelfreunden entsprechend groß.)

Sobald solche Fake-News-Verbreiter angeblich für Rußland tätig sind, heißen sie „Trolle“, und das ganze ist eine hinterlistige Form der Einflußnahme, deren eben nur böse „Regimes“ fähig sind, – aber wenn sie für die Sache der Freiheit tätig sind, gibt es darüber keine Aufregung und niemand prüft ihre Profile oder Postingnamen nach.
Die freie Presse steht also Gewehr bei Fuß für die geistige Aufrüstung.


3. Ökonomie, Imperialismus und internationale Arbeitsteilung
Bei der ganzen Sache geht es um das in Bolivien vorhandene Lithium, so liest man in alternativen Medien.
Da ist auch etwas dran, aber die Angelegenheit geht weit über das Lithium hinaus.
Wenn aus den USA verlautet, Lateinamerika habe wieder als „unser Hinterhof“ zu funktionieren, so hat das zwei Schwerpunkte:

1. „Hinterhof“: Schluß mit Vorstellungen über freien Handel mit der ganzen Welt, womöglich unter Vermeidung des Dollars! Schluß mit Industrialisierungspolitik! Diese ganzen Vorstellungen, mehr Waren im Inland herzustellen, als sie zu importieren, raubt uns unsere Märkte!
Diese Staaten des amerikanischen Kontinents haben uns unsere Konsumgüter abzunehmen – dafür dürfen sie sich auch fest verschulden – und ihre Rohstoffe herzugeben, und zwar möglichst billig!
(Es mag sein, daß genau deshalb diese sehr unbekannte Bulgarin zur IWF-Direktorin ernannt wurde, weil die sich als Werkzeug einer ungehemmten Verschuldung US-treuer Regierungen angeboten hat.)

2. „unser“
In der Art einer Kolonie würden die USA gerne aus Lateinamerika eine exklusive Einflußzone machen und alle Konkurrenten hinausdrängen, vor allem China, und auch die EU.
Da geht es also in Bolivien nicht nur um das Lithium, sondern auch um Öl, Gas und Zinn – was die Rohstoffe anbelangt. Was Importwaren angeht, so würden die USA und ihre bolivianischen Freunde gerne China hinausdrängen und dessen bolivianische Freunde irgendwie plattmachen.
Bolivien ist zusätzlich als eine Art großer Stützpunkt eingeplant, ähnlich wie es Honduras in Mittelamerika darstellt. Von hier aus würden die USA gerne alle anderen Staaten Südamerikas überwachen und mit schnellen Eingreiftruppen ruckzuck erreichen können.
Was in Bolivien selbst geplant ist – Reprivatisierung und möglicherweise sehr repressive Maßnahmen – sind vergleichsweise Kleinigkeiten gegenüber den Plänen, die mit diesem Putsch einhergehen.
Ob diese Pläne aufgehen, hängt natürlich von den Handlangern der USA vor Ort und der Opposition gegen dieselben ab.