Der Iran im Blickpunkt

WAS HEISST HIER „LIBERAL“?
Als Hassan Rohaní 2013 Präsident des Iran wurde, las man in den Medien, daß hier ein gemäßigter und liberaler Präsident den konservativen Bösewicht Ahmadinedschad abgelöst hätte.
Man stellt sich bei „liberal“ im Iran immer vor: weniger strenge Religionsvorschriften, eine lockerere Unterhaltungskultur, usw.
Außerdem verkündete Rohaní programmatisch, den Konfrontationskurs mit dem Westen mildern und in der Atomfrage zu einem Kompromiß kommen zu wollen.
4 Jahre und eine Wiederwahl später wird das Land von Unruhen und Protesten erschüttert.
Wie kam es dazu?

1. „Liberale Reformen und Pyramidenspiele führten zu den Protesten im Iran
… Hier protestieren nicht saturierte Mittelklassler, man sieht keine modischen Schuhe und Kleidungsstücke bei den Aufmärschen, wie es 2009 in Teheran oder 2011 in Moskau üblich war. Hier protestiert das einfache Volk, und es sind nicht Freiheiten, wonach es verlangt. Der Grund der Empörung ist ökonomisch und sehr gut nachvollziehbar. Gehälter werden verspätet gezahlt, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Preise steigen, das Leben wird teurer und schwieriger.
Das Volk versteht nicht, warum ihm die Existenz so schwer gemacht wird. Als die liberalen Kräfte unter Rohaní die Regierung antraten, so sagten sie, sie würden sich mit dem Westen einigen und dann ginge es bergauf. Und tatsächlich, die Einigung mit dem Westen kam zustande, einige Sanktionen wurden aufgehoben, man konnte wieder mehr Öl verkaufen, aber wirtschaftliche Erleichterungen traten nicht ein – aus mehreren Gründen.
Die liberalen Reformen halfen den Reichen, nicht den Armen. Die Regierung nahm auch den Kampf gegen illegale Banken auf, die Geld zu Wucherzinsen zur Verfügung stellten. Auch jede Menge Pyramiden-Firmen“ (wie MMM in Rußland oder Madoff in den USA) „tauchten auf, und gerade die Ärmeren begannen dort mitzuspielen“. (Komsomolskaja Pravda, 31.12. 2017)
(Offenbar handelte es sich um die gleichen Akteuere, die hier Kredite zu Wucherzinsen ausgaben, dort Einlagen mit hohen Zinsversprechen einsammelten. Zu so einer alten Geschichte siehe: Die albanische Anarchie, eine Fußnote der Weltpolitik. Diese Pyramiden-Banken im Iran wurden lange offenbar aus ähnlichen Gründen wie damals in Albanien von den Behörden geduldet, weil sie wirtschaftliche Tätigkeit ermöglichten und soziale Spannungen abfederten.)
„Aufgrund des Regierungsbeschlusses ging den illegalen Banken das Geld aus, die Pyramiden krachten zusammen und mit ihnen gingen die Einlagen der kleinen Leute flöten.
Soweit zu den inneren Ursachen. Es gibt aber auch äußere.“ (ebd.)

2. Krieg und Weltmarkt
„In den USA kam Trump an die Macht und führte das Sanktionsregime wieder ein. Der Iran schleppt auch seit Jahren den Krieg in Syrien mit, der die Iraner viel kostet. Das Auftreten der russischen Streitkräfte rettete Damaskus, verringerte aber die Ausgaben des Iran nicht. Der Iran unterstützt befreundete Kräfte im Irak, im Jemen, im Libanon und in Gaza. Auch die Kurden verursachen Kosten, da die USA versucht, sie gegen die iranische Regierung zu mobilisieren. Der Iran grenzt an das von den USA besetzte Afghanistan, aus dem Flüchtlinge, Heroin und Probleme kommen
Der allerobjektivste Grund ist, daß die Politik des Iran gegen diejenige Saudi-Arabiens, Israels und der USA gerichtet ist. Sie haben viel Geld und sind entschlossen, einen Machtwechsel im Iran herbeizuführen.
Obwohl sie die Proteste nicht hervorgerufen haben, ist es doch offensichtlich, daß sie von Anfang an versuchten, sie für sich zu verwenden. Ihre Agenten nehmen an Demonstrationen teil und schreien Losungen wie: »Schluß mit der Unterstützung für Syrien und Gaza! Erst einmal die Iraner!« Es gibt auch schärfere Sprüche: »Weg mit dem blutigen Diktator Rohaní, weg mit dem Rachbar (eine hohe religiöse Autorität)!«
Es scheint, daß es wenige feindliche Agenten gibt. Man sieht auf den vorhandenen Videos, daß solche Losungen von 30-50 Leute skandiert werden, die restlichen Demonstranten beteiligen sich daran nicht. Aber die westlichen Medien geben diesen Schreiern Öffentlichkeit und stellen damit ihren vermeintlichen Einfluß verzerrt dar.
Präsident Trump forderte, daß die Demonstranten nicht behelligt werden dürfen und übrigens sei es sowieso an der Zeit, daß das iranische Regime stürzt. (Gesetzmäßige Regierungen, die dem Willen Washingtons nicht folgen, heißen »Regimes«, Versuche des gewaltsamen Sturzes derselben nennt man »Regimewechsel«.)
Bei »Telegram«, dem meistbenutzten Messenger-Dienst des Iran, gibt es einen Kanal, der aus Saudi Arabien oder womöglich aus dem CIA-Hauptquartier in Langley betrieben wird und dazu aufrief, die Polizei anzugreifen. Er erteilte einfach gehaltene Anweisungen, wie man Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit (sog. Molotov-Cocktails) befüllen und wie man überhaupt das »Regime« bekämpfen könne. Der Betreiber von Telegram, Pawel Durow, sperrte diesen Kanal auf Aufforderung der iranischen Behörden. Das mobile Internet wurde ausgesetzt und die Regierung versucht, der Protestwelle Herr zu werden.“ (ebd.)

3. Verschiedene Wirtschaftskonzepte
Unter dem früheren Präsidenten Ahmadinedschad wurde eine Art Klientelwirtschaft betrieben, die die Inflation in die Höhe trieb. Damals wurden Sozialbauten errichtet und Lebensmittel subventioniert.
Rohaní und sein Team wollten die Inflation drücken, die Wirtschaft „sanieren“ und dabei der Marktwirtschaft zum Durchbruch verhelfen und strichen dergleichen soziale Posten. Ihre sonstigen Hoffnungen auf verstärkten wirtschaftlichen Aufschwung wurden nicht nur durch die wieder verschärften Sanktionen, sondern auch durch die niedrigen Weltmarktpreise für Erdöl zunichte gemacht.

Die Zeche für dieses Reformpaket zahlen diejenigen Einwohner mit den geringsten Einkünften.
In letzter Instanz ist also die Ursache der Unruhen im Iran nicht das restriktive religiöse „Regime“, sondern die wieder stärkere Einbindung des Iran in den Weltmarkt.

Wert oder Staatsform?

DEMOKRATIE
Bei den Debatten rund um die Ereignisse in Katalonien hatte der Begriff der Demokratie wieder einmal Hochkonjunktur. Die Anhänger der Unabhängigkeit behaupten, Selbstbestimmung sei die Grundlage, sozusagen das Um und Auf der Demokratie, während die Anhänger der spanischen Zentralregierung die Ansicht vertreten, Demokratie sei in erster Linie mit der geltenden Verfassung gleichzusetzen. Die Verfassung spiegle den Konsens der Parteien wider und sei eine geordnete Niederschrift der Prinzipien, nach denen regiert wird. Auf ihr gründe der Rechtsstaat, während die einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit notgedrungen in einer Willkürherrschaft münden müsse.

Diese beiden Auffassungen werden einander gegenübergestellt und sollen sich offenbar ausschließen.


Für den Gesamtstaat
An den internationalen Reaktionen hat man gesehen, daß das Kapital – das nationale wie das internationale – sich der Auffassung der Madrider Regierung anschließt. Katalanische Firmen, die ihre Sitze verlegen und ausländische Finanzinstitute, die katalanische Anleihen auf den Markt werden, um sie loszuwerden – diese Akteure weisen darauf hin, daß ein funktionierendes Gewaltmonopol Voraussetzung für Geschäftmachen ist. Wo das fehlt, kann man zwar krumme Dinge drehen und Rohstoffe hinaustransportieren, aber solide Geschäftsbeziehungen lassen sich dort nicht aufbauen.
Für ein erfolgreiches Geschäftsleben braucht es klare Verhältnisse, wer das Sagen im Lande hat. Das Eigentum muß geschützt, die Gesetze niedergeschrieben und eingehalten werden, und – last but not least – es bedarf auch eines verläßlichen, weltweit anerkannten Geldes oder der Bindung an ein solches, damit das internationale Kapital sich in einem Staat tummelt und niederläßt.
Es war auch der Angriff von Anhängern der Unabhängigkeit auf den Finanzsektor, der die Stimmung in der EU endgültig gegen die Unabhängigkeits-Kämpfer hat umschlagen lassen: Die Aufforderung, doch durch Bankruns die katalanischen Banken für ihr unpatriotisches Verhalten zu bestrafen machten dann auch noch den Dümmsten klar, daß manche katalanischen Politiker offenbar nicht alle Tassen im Schrank haben.

Das Kapital stimmte also mit den Füßen bzw. durch praktisches Handeln ab. Verlegte Firmensitze und verkaufte Wertpapiere zeigen an, daß die Position Kataloniens als produktiver Standort gelitten hat. Auch im Tourismus stehen die Zeichen auf Rückgang.
Man kann also sagen, die Vertreter des Kapitals und die maßgeblichen Politiker haben damit kundgetan, was Demokratie ist: eine Staatsform, in der die Arbeit dem Kapital zur Verfügung zu stehen hat, und die Staatsgewalt die Rahmenbedingungen dafür schafft und erhält.


Für die Unabhängigkeit
Auf die Seite der Selbstbestimmung als wahren Ausweis der Demokratie schlugen sich eher internationale Vertreter der Intelligenzia und des Sportes: Künstler, Journalisten, Professoren und Fußballspieler, oder Oppositionspolitiker, die in ihren Ländern gerne an die Macht kommen würden. Gerade Linke, die sich gerne als besonders kritisch präsentieren, bewährten sich als Schönredner der politischen Herrschaft und der Klassengesellschaft.

Erstens bekräftigten sie das Prinzip der Nation, der jemand angehört, fassen also die Menschen nur als Angehörige irgendeiner staatlichen Einheit auf. Jenseits derer gibt es gar kein Leben.

Zweitens setzten sie den Ruf nach Selbstbestimmung mit einem Ruf nach dem eigenen Staat gleich.

Nun ist die Selbstbestimmung von Haus aus ein leeres Gefäß, in das man alles hineinleeren kann. Auch der Nationalismus paßt hinein. Man kann aber auch die Erinnerung bemühen, daß „Selbstbestimmung“ nicht immer mit Fahnenschwingen gleichgesetzt wurde. Es ging da einmal – gerade in Katalonien – um Arbeiter, die Fabriken besetzten und übernahmen, oder um Frauen, die sich der Mutterrolle verwehrten.
Heute geht der Schrei nach Selbstbestimmung einher mit einem Kniefall vor der Herrschaft, sofern sie sich als „eigene“ ausweisen kann, einer demütigen Haltung gegenüber Gott (Oriol Junqueras), und einer selbstverständlichen Verpflichtung auf Eigentum und Geld und Steuern als Mittel der Bereicherung der Besitzenden.

Und das wird von einer internationalen Idiotenriege unterstützt, die nichts anderes mehr fertigbringt, als der Demokratie ihre eigenen Ideale nachzutragen und vor ihrer Realität die Augen zu verschließen, als da sind:

Überflüssigmachen und Verelenden von Menschen, unter dem Stichwort „Wettbewerbsfähigkeit“,

Hochhalten des Bestandes des als Einheitswährung verfaßten Geldes, wofür ganze Volkswirtschaften Stück für Stück ruiniert werden,

imperialistische Kriege und Beutezüge, mit den entsprechenden Opfern,

offene Unterstützung von mordenden Fanatikern durch demokratisch gewählte Regierungen,
u.a.

– das alles wird mehr oder wenig geistig gefressen, als bloße Abweichung vom Ideal der „eigentlichen“ und „wahren“ Demokratie, um dann theatralisch das Recht auf Selbstbestimmung hochzuhalten, wenn Kälber sich mit dem Stimmzettel in der Hand ihre Schlächter selber aussuchen wollen.

Übrigens nicht nur in Katalonien.

Katalonien, Fortsetzung 2

KATALONIEN UND SPANIEN
Der derzeitige Stand der Dinge ist, daß die Parteien in Katalonien für die Wahlen in die Startlöcher gehen. Bisher stehen 7 Parteien fest. Da die Sozialisten und Podemos national andere Positionen einnehmen als in Katalonien bzw. sich nicht entscheiden können oder wollen, schaut es mit Koalitionen nicht gut aus.
Das wahrscheinlichste Ergebnis wird ähnlich sein wie bei den spanischen Wahlen von 2016, die ihrerseits schon eine Wiederholung derjenigen von 2015 waren. Weder 2015 noch 2016 kamen Mehrheiten zustande. Die jetzige spanische Regierung ist also eine Minderheitenregierung, was die Handhabung der Katalonien-Krise sehr erschwert hat: Mariano Rajoy mußte sowohl für den Polizeieinsatz gegen das Referendum als auch für die Verhängung des Notstandsparagraphen und die damit einhergehenden Maßnahmen immer erst eine Mehrheit zusammenkriegen.
Das wiederum hat die Oppositionsparteien unter Zugzwang gesetzt, sich für oder gegen die spanische Regierung zu entscheiden. Und sie mit ihren Filialen in Katalonien in Konflikt gebracht.
Der Wahlkampf hat etwas von Klamaukfilm an sich. Der destituierte Präsident sitzt in Brüssel, bezeichnet sich als legitim und wettert gegen die spanische Regierung und die EU. Seine Partei hat er schnell wieder umbenannt, für alle Fälle, um einem etwaigen Verbot zuvorzukommen. Hin und wieder hält er Hof vor angereisten Bürgermeistern oder belgischen Oppositionellen, immer mit Presse-TamTam.
Sein Vize, der Vorsitzende der Partei ERC sitzt im Gefängnis, gibt den Märtyrer und betet viel. Er hat schon anklingen lassen, daß er – wie die katalanische Parlamentspräsidentin – vielleicht auch die Verfassung anerkennen würde, um seinen Wahlkampf auf freiem Fuß führen zu können. Das wäre allerdings eine schwierige Sache, denn die spanische Verfassung sieht Austritt einer Provinz nicht vor. Er müßte also entweder der Unabhängigkeits-Idee abschwören oder lügen. Wenn er nach einem möglichen Wahlsieg wieder auf Unabhängigkeit machen würde, so hätte er sich damit delegitimiert und würde wahrscheinlich wieder im Gefängnis landen.
Die Vorsitzende des katalanischen Zweigs der kleineren Regierungspartners Ciudadanos (Staatsbürger) reist jetzt nach Belgien, um den Wahlkampf auch dort zu führen. Sie möchte nicht Puigdemont die Bühne allein überlassen.
Belgien kommt als Schauplatz des spanischen Rosenkrieges deshalb zu Ehren, weil beide Seiten die EU für sich als Wahlhelfer einspannen möchten. Die belgische Regierung hat gar keine Freude mit diesem Theater, kann die verschiedenen Politkasperln aber aus rechtlichen Gründen nicht daran hindern.
In Katalonien selbst vollführen verschiedene Politiker einen Eiertanz, weil sie sich einerseits von ihren Bundes-Zentralen distanzieren, andererseits aber wieder auf sie stützen wollen. Da werden Koalitionen gekündigt, aber auch mit ihnen geliebäugelt. Besonders bei der Protestpartei Podemos, die ihre Orientierungslosigkeit im Parteinamen trägt, ist guter Rat teuer. Sie würde gerne von allen gewählt werden und sieht eine Positionierung als hinderlich für dieses Ziel an. Also schwatzt ihr Vorsitzender belangloses Zeug und versucht sich mit allen anzubiedern. Um so mehr, als die katalanische Filiale, zumindest ihre sichtbarste Repräsentantin, Barcelonas Bürgermeisterin, klar für die Unabhängigkeit ausgesprochen hat. Natürlich nur, wenn alle wollen, also ganz demokratisch …
Die spanischen Medien haben ihre liebe Not, diese seltsamen Vorkommnisse zu kommentieren, ohne den ganzen Wahlkampf in seiner Lächerlichkeit darzustellen. Immerhin soll durch die Wahlen am 21. 12. wieder Ruhe ins Land kommen, die Kapitalflucht aus und Rechtsunsicherheit in Katalonien beendet werden und wieder Normalität einziehen.
Was angesichts der handelnden Personen und ihren Positionen unwahrscheinlich ist.