GEOPOLITIK UND MORAL
Ein ukrainischer Freund hat mir folgende Frage gestellt:
„Ich möchte deine Meinung bezüglich der Ukraine wissen. In letzter Zeit sind einige westliche Führungsfiguren der Ansicht, man müsse Rußland Gelegenheit geben, das Gesicht zu wahren. Was soll man darunter verstehen, angesichts dessen, was Rußland bereits getan hat? Und warum kommt eine solche Meinung überhaupt auf? Vielleicht, weil die Großkonzerne keine Gewinne einbüßen und die Geschäftsbeziehungen mit Russland wiederherstellen wollen?
Was denkst du dazu?“
Ich habe ihm geantwortet:
„Zunächst einmal und ganz prinzipiell gesagt: Diese westlichen Politiker sind draufgekommen, daß man Rußland nicht zerstören kann und daher mit ihm leben muß.
Dazu tragen die Erfahrungen der letzten drei Monate bei: Es hat sich unangenehmerweise herausgestellt, daß weder die USA noch die westeuropäischen Staaten mehr die Dirigenten des Weltgeschehens sind, sondern daß sie mächtige Gegenspieler haben.
Das ist eine bittere Erkenntnis, aber sie läßt sich nicht verscheuchen.
Es gibt seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Heartland-Theorie MacKinders, die im Grunde besagt: Wer Rußland beherrscht, hat den Schlüssel zur Weltherrschaft in der Hand. Den russischen Eurasiern (Dugin & Co.) gilt das als Chance und Sendung, den westlichen Politikern als ein ständiges Schreckgespenst, das sie dazu drängt, Rußland isolieren zu wollen.
Man darf auch die Situation nicht vergessen, als die EU im Dezember 1991 gegründet wurde: Damals ist die SU zerfallen und die europäischen Politiker dachten, sie können jetzt diese abgetretene Macht beerben und sich nach Osten ausdehnen, Ende nie. Jelzin war ihnen als Politiker ganz recht: Je mehr er kaputt macht, um so besser für die EU und überhaupt den Freien Westen. Seit Putin versucht, den Laden zusammenzuhalten, sind sie sauer und sehen ihre Felle davonschwimmen.
Mit dem Ukraine-Krieg ist eine Situation eingetreten, wo für beide Seiten gilt: Kopf oder Zahl? Zusammenarbeit oder Untergang?
Die Isolation Rußlands gelingt nicht, und alle Seiten wissen, daß einen Atomkrieg niemand gewinnen kann.
Hier in Portugal, wo ich mich derzeit aufhalte, gibt es jeden Donnerstag abend eine politische Diskussionssendung, die heißt „Die Achse des Bösen“, und dort hat gestern eine Teilnehmerin klar gesagt: Bei den derzeitigen Energiepreisen und den dadurch verursachten Preissteigerungen wird Europa in eine schwere Rezession verfallen und darüber möglicherweise die EU auseinanderbrechen. Man muß daran arbeiten, dieses Szenario zu verhindern.
Auch die militärische Situation sollte man nicht unterschätzen. Die Republikanische Partei hat mit Trump klargestellt, daß sie für Europa keinen Finger rühren wird. Die Demokraten haben keinen Kandidaten für die nächste Wahl, also wird 2024 die Republikanische Partei wieder an die Macht kommen und das heißt, daß dann Europa auf sich gestellt ist.
Schließlich wies die Dame darauf hin, daß es nicht im Interesse der EU ist, wenn die ukrainische Regierung auf die große Pauke haut und sagt, sie werden keine Gebiete hergeben und auch die Krim wieder zurückerobern – das heißt Krieg auf Jahre hinaus, vor der Haustür der EU. Flüchtlinge, Energie- und Lebensmittelengpässe, und Zerstörungen, die eigentlich wer wieder reparieren wird?
Du hast ja selber einmal gesagt: Wer soll all das wieder aufbauen, was jetzt niedergebombt wird?
Will die EU gegen Rußland Krieg führen? Es zeigt sich schon bei den Sanktionen, daß die einige Staaten nicht wollen. Manche stellen sich offen dagegen, andere unterlaufen sie.
Will Deutschland gegen Rußland Krieg führen?
Will Polen gegen Rußland Krieg führen, auch wenn es von den USA dabei unterstützt wird? Kann Polen nach 2024 überhaupt auf diese Unterstützung zählen?
Und wie soll das alles finanziert werden?
Wer zahlt eigentlich die Waffen, die der Ukraine versprochen und teilweise auch geliefert werden?
Das alles bei sicherer Rezession hüben und drüben des großen Teiches …
Gegen diese Fakten nützen die ganzen moralischen Schreie nichts, daß man Putin einschränken muß, daß er verrückt ist usw.
Putin hat genau diese Situation schaffen wollen, wo sich Europa entscheiden muß. Und man muß sagen, die US- und europäischen Politiker haben ihrerseits auch alles dazu getan, den Krieg zu provozieren und damit die Frage der Wahrung der russischen Sicherheitsinteressen auf die Tagesordnung zu stellen.“