Serie Daten und Statistiken, Teil 3

DAS BRUTTOINLANDSPRODUKT

Das BIP ist ein Begriff, mit dem man in den Medien dauernd konfrontiert ist und der sozusagen zu einer Selbstverständlichkeit des politisch-ökonomischen Denkens gehört.

Um zu verstehen, was in diesem Begriff alles enthalten ist und was er über unser Gesellschaftssystem aussagt, ist es nötig, sich einmal der Entstehung der Volkswirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften zu widmen.
Alle Leute, die mit der Entstehung von Wirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht werden – William Petty, Adam Smith, die Physiokraten und Merkantilisten, und viele andere mehr – waren Staatsdiener oder Höflinge, die ihrem König, ihren Eliten erklären wollten, was sie machen müßten, um die Einnahmen in den Staatssäckel zu erhöhen – um sich zum Beipiel Kriege leisten zu können.

Die Entstehung des BIP und anderer Statistiken ist daher auch eng verknüpft mit der Entwicklung der allgemeinen Besteuerung.

Es beginnt auch damals, daß „Wohlstand“ nicht mit gutem Leben der Massen zu verwechseln war – wenn es um Wohlstand ging, so war dabei immer die Absicht, den Leuten etwas für staatliche Ziele wegzunehmen. Sie mußten also genug haben, damit man bei ihnen als Steuereintreiber etwas holen konnte. Und in allen diesen Fällen – im Unterschied zum Zehent und zu den Roboten der Feudalzeit – ging es um Geld. Die Staatskasse, der Kriegsrat, die Hofkammer und die gekrönten Häupter selbst waren nicht interessiert an Kartoffeln oder Eisenstangen, die ihnen Großgrundbesitzer oder Bergwerksbetreiber liefern konnten – nein, sie brauchten Geld, um ihre eigenen Ausgaben bestreiten zu können.

Die Volkswirtschaftslehre ist daher eine Dienst-Wissenschaft des Staates, wo statistikbeflissene Experten den Politikern sagen, was sie machen müssen, um diejenige Art von Wirtschaft zu fördern und zu unterstützen, die der Staatskasse Einnahmen bringt.
Der Ehrgeiz, dem Staat Einnahmen zu verschaffen, hat überhaupt erst die Statistik als Hilfswissenschaft des Staates ins Leben gerufen.

Man kann sagen, die BIP-Berechnung ist historisch eine Art Geburtshelfer der Marktwirtschaft und des dieselbe betreuenden Staates.

Wohlstand und Konsum

Ebenfalls charakteristisch für die Vorläufer der Volkswirtschaftslehre und der BIP-Berechnung ist der Umstand, daß „Wohlstand“ mit Konsumtion gleichgesetzt wird.
Je mehr materielle Güter jemand aufhäufen kann, als um so reicher gilt er.

Marx wies auf etwas anderes hin. Während sich der Reichtum in unserer, der kapitalistischen Gesellschaft, als eine „ungeheure Warensammlung“ präsentiert, ist das, was das Leben eigentlich schön und lebenswert macht, die Muße, der man sich hingeben kann, also diejenige Zeit, die man zu seiner freien Verfügung hat. Das heißt nicht nur, am Strand liegen und nichts tun, oder Kartenspielen und Schifferl versenken, sondern auch Lesen, ein Musikinstrument spielen, oder sich der Wissenschaft verschreiben. Um das alles tun zu können, braucht es frei verfügbare Zeit, „disposable time“:

„Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums. … Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher, jetzt länger zu arbeiten, als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohesten Werkzeugen tat.“ (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 604)

Was immer sich Marx unter den „Wilden“ vorstellt – in verschiedensten vorkapitalistischen und außereuropäischen Wirtschaftsformen gab es diese Muße, die heutzutage zur „Freizeit“ heruntergekommen ist – also die Zeit, die man nicht arbeiten muß, sich aber wieder fürs Arbeitsleben fit zu halten hat.

Nach dieser Einleitung jetzt zu dem, was das BIP ist und wie es berechnet wird.

Abstrakter Reichtum

Das BIP berechnet den abstrakten Reichtum einer Gesellschaft, also das, was an in Geld gemessenem Gewinn auf dem Territorium eines Staates erwirtschaftet wird.

Während in der Frühzeit der ökonomischen Statistiken noch tatsächliche Kühe und Schweine, oder Tonnen Weizen oder Eisen erfaßt wurden, so interessiert die BIP-bezogene Statistik heute nur das, was diese Dinge für einen Preis haben, zu dem sie veräußert worden sind. Es muß etwas nicht da sein, vorhanden sein, sondern verkauft worden sein, um in die Statistik einzugehen. Und es ist gar nicht wichtig, um was für eine Ware es sich handelt, sondern sie muß nur verkäuflich sein. Im Verkaufsakt, der sich in einem dafür erlösten Preis ausdrückt, ist der zum Verkauf anstehende Gegenstand völlig gleichgültig. Im BIP sind Rinder, Computer, Wertpapiere, Haarschnitte oder Reinigungsdienst miteinander gleichgesetzt und damit auch in ihrer Besonderheit gelöscht. Sie interessieren nur als Verkaufsakte.

So ist es überhaupt möglich, daß Börsen- und Wertpapiergeschäfte, Kredite und Warentermingeschäfte in die volkswirtschaftliche Berechnung eingehen und einen beträchtlichen Teil des Reichtums der Nationen ausmachen. Weltweit gesehen, machten zumindest bis vor 10 Jahren dergleichen windige Geschäfte die überwiegende Mehrheit der weltweiten Transaktionen aus, ein großer Teil davon ist jedoch exterritorial, schlägt sich also in keinen nationalen Bilanzen nieder.

So ist es auch möglich, daß z.B. ein Land wie das Vereinigte Königreich einen Großteil seines BIP in der City of London, hmmm, macht.
Man kann auch sagen, „erwirtschaftet“, weil das Geld, das da über Server wandert und vor Ort als Transaktion verbucht wird, ist auf der einen Seite sehr real. Es ist das universelle Maß des Reichtums, eine Devise wie das Pfund zählt zu den Weltwährungen.

Von einer anderen Seite betrachtet, bleibt an den Händen der Banker und Börsenhändler der City ein guter Teil des Reichtums der Welt kleben, der in Form von Agrarprodukten oder Rohstoffen dort seinen Weltmarktpreis erhält und den Besitzer wechselt. Der Reichtum, der über die City nach Großbritannien – oder über die Wall Street in die USA, usw. – gelangt, stellt also eine Art modernes Raubrittertum dar, wo allerdings die Produzenten ihren Reichtum freiwillig hinliefern.

Schließlich, drittens, ist viel von diesem Reichtum sehr fiktiv in dem Sinne, als er auf Spekulation, auf zukünftig zu machenden Geschäften beruht. Das im Auge zu behalten, ist auch wichtig, weil er kann sich deshalb auch sehr schnell in Luft auflösen.

Kartoffeln oder Kaffeebohnen muß man erst physisch vernichten, ins Meer kippen oder verbrennen. Bei Aktien, Anleihen, Optionen usw. genügt ein Sturz des Pfundes oder derjenigen Währung, in der die Transaktionen verbucht wurden, damit sie sich aus den Datenbanken vertschüßen..
Auch der Absturz eines Rohstoffpreises vernichtet einiges an Kapital und läßt Währungen wackeln, wie man derzeit am Öl beobachten kann. Vieles von dem geförderten und irgendwo gelagertem oder in Tankern schwimmendem Öl löst sich vom Standpunkt des BIP in Luft auf.

Die Berechnung des BIP und die berechnenden Behörden

Die Berechnung des BIP ist, wenn man sich ein wenig durch das Internet durchliest, eine hochkomplexe und recht unsichere Angelegenheit, ähnlich wie der Wetterbericht. Die ersten Zahlen beim Jahresende – auf die alle „Analysten“ (!) sehnlichst warten, – beruhen zu einem guten Teil auf Schätzungen. Sie werden dann nach und nach ergänzt. Bis zu 4 Jahre kann es dauern, bis ein BIP halbwegs sicher die Wirtschaftsleistung des betreffenden Jahres wiedergibt.

Es gibt verschiedene Berechnungsmethoden, von denen manche in manchen Staaten gar nicht anwendbar sind, weil dort die ihnen zugrunde liegenden Daten nicht erhoben werden. Genauso wie bei Bevölkerung und Sterblichkeit ist also die BIP-Berechnung sehr von der Qualität der Datenerhebung abhängig.
Je schlechter die Datenlage, um so mehr wird geschätzt. Dabei gibt es von allen Seiten die Neigung, die Wirtschaftsleistung höher einzuschätzen, als sie nach allen vorliegenden Daten sein kann. Der jeweilige Finanzminister, die OECD, der IWF sind professionelle Gesundbeter, die die Lage immer viel positiver darstellen, als sie ist, weil sonst die ganze Geschäftswelt vom Kater befallen wird und aus dem betroffenen Land abzieht.
Das alles ist deshalb bemerkenswert, weil sich ja auf das BIP wiederum recht viele Dinge stützen, wie das jeweilige Budget, die Steuerpolitik, die Berechnung der Verschuldungsrate, die im jeweiligen Rating ausgedrückte Kreditwürdigkeit usw. Alle diese scheinbar so objektiven, in Zahlen repräsentierten Summen und Posten sind also praktisch auf Sand gebaut.

Soviel nur zur Rationalität unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Das bezieht sich zunächst einmal auf so „ordentliche“ Staaten wie Deutschland, Benelux-Staaten, Österreich, skandinavische Staaten.

In den meisten Staaten der Welt geht in die BIP-Schätzungen jedoch auch der sogenannte „informelle Sektor“ ein, der, wie man zugibt, auch große Geldmengen bewegt. Das sind Schwarzarbeit, Drogenhandel, Menschenhandel, Prostitution, Organhandel, Geldwäsche, Geldfälschung usw.
Auch das ist bemerkenswert. Es handelt sich um illegale Tätigkeiten, also Dinge, die nach dem Recht dieses Landes verboten sind.

Erstens wird mit ihrer schätzungsweisen Einbeziehung in das BIP zugegeben, daß Verbote nix bringen und die verbotenen Dinge trotzdem gemacht werden. Die Einberechnung des informellen Sektors ist also das Eingeständnis, daß das gesamte Strafrecht der Bekräftigung des Gewaltmonopols des Staates dient, aber nicht der Verhinderung des Verbrechens.

Zweitens werden diese illegalen Tätigkeiten damit auch anerkannt als volkswirtschaftlicher Faktor. Eine gewisse Kumpanei des Rechtsstaates mit seinen Kriminellen ist damit eingestanden: Besser, Leute verkaufen ihren Körper oder handeln mit Organen als sie liegen dem Staat auf der Tasche.

Die zuständige Behörde für alle Statistiken, also auch für das BIP, ist das jeweilige Statistische Zentralamt. Dieses wiederum stützt sich vor allem auf die Finanzämter.
(Historisches Detail: Als sich die BRD anschickte, mittels Währungsunion die DDR zu übernehmen, stellten die westdeutschen Politiker, an der Spitze Thilo Sarrazin, mit Befremden, sogar mit einer Art Schock, fest, daß es in der DDR keine Finanzämter gab!
Bei aller geheimdienstlichen Tätigkeit war ihnen dieser Umstand entgangen.
Deshalb hatten sie überhaupt keine Kalkulationsgrundlage für die Abwicklung der DDR und so sah dann die ganze Tätigkeit der Treuhand auch aus.)

Die Finanzämter, die Melkmaschinen des Staates an der Volkskuh, müssen also die Daten liefern, die dann zum BIP verarbeitet werden. Aus dem Vergleich der verschiedenen direkten Steuern mit der Umsatzsteuer läßt sich dann erahnen, wie viel Geld an der Steuer vorbei verdient wurde. Fix ist aber auch da nix, weil z.B. mit der KEST, der Kapitalertragssteuer, bekanntermaßen viele linke Dinge gedreht wurden, wie man an den Cum-Ex-Geschäften sehen kann.

Aber auch bei der Körperschaftssteuer kann dank der großzügigen EU-Gesetzgebung die Steuer irgendwo in der EU entrichtet werden, auch wenn dort weniger Geschäft anfällt. Verluste einer Filiale in Ungarn können in Frankreich vom Gewinn abgezogen werden, und dann kommt möglicherweise eine 0 heraus, also wird keine Steuer gezahlt. Manche Firmen halten sich extra deshalb Töchterfirmen in manchen EU-Staaten Osteuropas und des Balkans, um dergleichen Manöver abzuwickeln.

Das alles zu kontrollieren ist unmöglich, da bräuchte jeder Staat ein Mehrfaches des jetzigen Finanzbeamten- und Juristenbestandes. Außerdem heißt es dauernd vielerorten, es gäbe zu viele Beamte, die schnarchen nur am Schreibtisch, also Abbau, Verschlanken.

Man gewinnt fast den Eindruck, als ob die Geschäftswelt regelmäßig Werbeeinschaltungen für Beamtenvernichtung macht, um ungestörter ihren windigen Geschäften nachgehen zu können.

Fazit

Das BIP, auch eine der Größen, an denen die Staaten, Nationen, Völker gemessen werden und das sozusagen als Gradmesser der wirtschaftlichen Tüchtigkeit gilt, mißt eigenartige Dinge mit unverläßlichen Methoden und unzuverlässigen Daten.

Genauso wie Bevölkerung und Sterblichkeit wird geschätzt und manchmal werden ganz fest die Augen zugedrückt.
Wenn sich dann herausstellt, daß da ordentlich daneben gegriffen wurde, oder ein Währungsverfall oder Börsensturz das ganze Ausmaß der haltlosen Behauptungen und schiefgegangenen Spekulationen sichtbar macht, so geht das Geschrei und die Schuldsuche los.

Fortsetzung: Die Inflation

Der europäische Banksektor in der Pandemiestarre – Teil 1

„WENN DIE FLUT ZURÜCKGEHT, WERDEN DIE LEICHEN AM STRAND SICHTBAR“
sagte jemand aus der Finanzwelt im Jahr 2008 anläßlich des Platzens des Madoff-Pyramidenspiels.

Er meinte damit, daß in Zeiten der Krise eben alle diejenigen Machinationen ans Tageslicht kommen, die in der Euphorie der Konjunktur und des Glaubens an die Unendlichkeit des Kredites unbemerkt geblieben waren.

Man kann zwar nicht sagen, daß vor der Coronakrise eine ähnliche Euphorie herrschte. Eher ging es darum, mit staatlichen Hilfen und medialer Schönwetter-Berichterstattung den Umstand zu verschleiern, daß die ganze Finanzwelt gründlich angeschlagen war. Aber so plätscherte es dahin, man begrüßte vermeintliche oder minimale Aufschwünge und wartete auf den Tag X, wo alles wieder ins Lot kommen würde.
Bankenprobleme und schlechte Nachrichten wurden kleingeredet, zu nationalen Besonderheiten erklärt und hinter verschlossenen Türen irgendwie geregelt, meistens mit Hilfe von Interventionen der EZB.
Die Coronakrise mit ihren Lockdowns und Umsatzrückgängen hat diesem Treiben ein jähes Ende gesetzt, und jetzt geht eine Art notwendige Neubestimmung der Rolle des Finanzsektors einher.

So sind eben jetzt wieder diverse Banken aus verschiedenen Gründen im Gerede.

ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND

1. Commerzialbank Mattersburg
In Österreich ist gerade einmal eine kleine Provinzbank gekracht. Es stellt sich heraus, daß diese Commerzialbank Mattersburg seit Jahrzehnten die Bilanzen gefälscht hatte, der Chef keinen Computer anrührte, die meisten Unterlagen nur auf Papier existierten und die Bankenaufsicht nie etwas gemerkt haben will.
Der Direktor und seine engste Vertraute betrieben eine Art Pyramidenspiel, mit dem die Wirtschaft im Einzugsbereich dieser Bank am Laufen gehalten wurde: Sparer und auch Gemeinden, die ihr Geld dort veranlagten, erhielten 4–4,5% Zinsen.

Schon daran, meinen viele Leute aus dem Banksektor, hätte man merken können, daß etwas nicht stimmt, weil diese Zinserlöse sind auf dem Finanzmarkt heute nicht mehr zu erwirtschaften.

Um das Pyramidenspiel aufrechtzuerhalten, spiegelte die CBM Kreditgeschäfte vor, deren Kreditnehmer aus dem Telefonbuch zusammengesucht wurden, vornehmlich Ärzte, weil die eine hohe Bonität besitzen, und besicherte diese Kredite mit fiktiven Immobilien, die nicht ins Grundbuch eingetragen wurden.
Außerdem unterhielt sie fiktive Konten bei anderen Banken, die mit Briefen mit gefälschten Briefköpfen bestätigt wurden. Die Stempel für diese Briefköpfe lagerten im Tresor, die Briefe wurden von Kurieren in verschiedenen Teilen Österreichs aufgegeben, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Um immer genügend Bargeld zur Verfügung zu haben, wurden große Summen in Schuhschachteln im Tresor gelagert.

„Rund 13.500 Privatkunden und 720 Betriebe sind betroffen. Der Technologiekonzern Frequentis wird 31 Millionen Euro verlieren, der Veranstalter Barracuda-Events 34, der Wohnbaukonzern Gesiba 17,5, Tausende ihr Erspartes – die Einlagensicherung reicht bis 100.000 Euro. Laut Chef der Einlagensicherung werden 450 Millionen Euro an Ex-CBM-Kunden ausbezahlt werden.“ (Kurier, 4.8. 2020)

Bisher ist nur von österreichischen Geschädigten die Rede. Der österreichische Banksektor ist auf jeden Fall stärker betroffen, als die bisherigen Berichte vermelden, da die CBM auch Kredite bei anderen Geldinstituten aufgenommen hat.

Vor allem der Finanzplatz Österreich kommt hier in ein schiefes Licht. Während der österreichische Staat im letzten Jahrzehnt mehrmals Anleihen mit 100 Jahren Laufzeit plaziert hat, was auf das gute Kredit-Rating Österreichs zurückzuführen ist, machen die Bankenaufsicht und die Nationalbank keine gute Figur.
Es entsteht der Eindruck, daß sie diesen Betrug gedeckt haben, um nicht durch das Auffliegen desselben einen Domino-Effekt auszulösen, weil andere Banken möglicherweise ähnlich beinander sind.
Dazu kommen die Strapazierung der Einlagensicherung und Klagen der Geschädigten, wie Großkunden und Gemeinden, deren Ansprüche vermutlich in der Zukunft aus der Staatskasse befriedigt werden müssen.

Verstärkt wird das Unbehagen über die CBM durch den fast zeitgleichen Crash von Wirecard, Zahlungsdienstleister mit österreichischen personellen Wurzeln.

2. Wirecard

Der Skandal um Wirecard hat weitaus größere Dimensionen.

Erstens war Wirecard an der deutschen Börse notiert.

Zweitens erfreute sich diese Firma offensichtlich des Wohlwollens der deutschen Regierung und Finanzwelt, und hatte unter anderem vor, die Deutsche Bank zu übernehmen. Das wäre vielen Akteuren aus dem Finanzsektor recht gewesen, weil dieses größte deutsche Geldinstitut seit über einem Jahrzehnt ein Milliardengrab ist, in das die EZB und die deutsche Staatskasse regelmäßig enorme Summen zuschießen müssen, um einen Crash zu verhindern.

Drittens hat Wirecard Ähnliches getrieben wie die CBM, aber in weitaus größeren internationalen Dimensionen, also fingierte Kredite vergeben und fingierte Konten angelegt, und außerdem Kredite bei anderen Banken aufgenommen, in der EU und weltweit.

Das Kerngeschäft von Wirecard war der internationale Zahlungsverkehr.

Der ist traditionell in der Hand von Kreditkartenfirmen und Banken. Er ist mit erheblichen Kosten belastet, weil wenn jemand per Mausklick etwas kauft oder mit der Kreditkarte eine Hotelrechnung bezahlt, sitzen in verschiedenen Büros und auch zu Hause Computerexperten, die diese Transaktion verschlüsseln und dadurch sicher machen.
Diese Leute muß man auch gut zahlen, damit sie bei der Stange bleiben und nicht womöglich mitsamt ihrem Know-How ins Lager der Hacker überwechseln.

Diese Verschlüsselung braucht auch immer stärkere und potentere Server, weil überall auf der Welt sitzen Hacker, die versuchen, in diese Transaktionen einzudringen. Die Konkurrenz um die Sicherheit der Übertragungsdaten wird also über das dabei investierte Kapital ausgetragen: Die Zahlungs-Dienstleister verfügen über mehr Experten und größere Server-Parks als die Hacker, und liefern sich mit ihnen tagtäglich eine Schlacht um die Datenverschlüsselung.

Wenn es dennoch einmal einem Hacker gelingt, Daten zu entschlüsseln und von den Konten der User Geld abzuziehen, so müssen die Kreditkartenfirmen bzw. Paypal, Amazon oder die Hausbank die Kosten tragen, also den Usern das Geld zurückerstatten – sonst würde niemand mehr ihre Services in Anspruch nehmen bzw. die Bank klagen und zu einer anderen Bank wechseln.
Das heißt, daß jede Sicherheitslücke die Zahlungsverkehrs-Dienstleister Geld kostet. Sie können also bei der Sicherheit nichts einsparen, weil das würde sofort ungeheure Kosten verursachen.
Für diese Dienstleistung halten sich die Banken bei ihren Kunden mit Kontogebühren schadlos. Bei Amazon, Zalando und anderen trägt die Firma selbst die Kosten und schlägt sie auf den Verkaufspreis der Waren drauf (bzw. zieht sie davon ab).
Bei Geschäften, d.h. Verkaufslokalen, Reisebüros, Restaurants, Hotels, Apartments etc. trägt ebenfalls der Anbieter die Kosten, die in Form von Gebühren an die Kreditkartenfirmen oder booking.com, AirBnB usw. als Vermittler abgeführt werden müssen. Diese oftmals eher klein strukturierten Betriebe, Familienbetriebe usw. stöhnen unter diesen Kosten, die sie aus Gründen der Konkurrenz nicht einfach 1:1 an die Kunden weitergeben können.
Hier setzte Wirecard an. Es versprach allen Kunden geringere Gebühren und versuchte damit die angestammten Zahlungsverkehrs-Anbieter zu verdrängen.

Nach dem oben Erläuterten hatte Wirecard die in der kapitalistischen Konkurrenz übliche Vorgangsweise – Drücken der Kosten und darüber Erhöhung des Gewinnes – nicht zur Verfügung. Jegliches Sparen bei der Sicherheit hätte erstens Kosten für Sicherheitslücken verursacht und zweitens ihren Versuch, auf diesem Markt Fuß zu fassen, vereitelt.
Wirecard mußte also von Anfang an große Investitionen in Internet-Präsenz und Sicherheit tätigen, um in diesem Markt Fuß zu fassen, praktisch ohne Einnahmen zu haben. Dieses Geld holten sie sich von Investoren, die stets auf der Lauer liegen nach vielversprechenden Start-Ups, mit denen man auf einem ziemlich stagnierenden Markt doch noch Gewinne lukrieren könnte.

Der Weg zum Börsengang war holprig, durch Insolvenzen, Namensänderungen, Fusionen und andere Bruchstellen gezeichnet. Genaugenommen war Wirecard unter diesem Namen erst seit 2018 im DAX notiert. Vorher dümpelte sie unter anderem Namen in einer Art Vorfeld-Segment der Deutschen Börse herum. Die Aufnahme von Wirecard als DAX-Unternehmen war auch dem Interesse der Deutschen Börse geschuldet, als Zeichen einer Erholung des Finanzmarktes mehr Unternehmen zu listen. Da wurde nicht so genau nachgeschaut, Hauptsache, es geht voran.
Die Berechnung der Wirecard-Gründer sah offenbar so aus: Erst einmal fest investieren und sich nachher durch niedrige Gebühren einen Platz im Zahlungsverkehrs-Markt zu verschaffen. Zunächst nahm es also Verluste in Kauf, mit der Hoffnung, schließlich über die Masse der Umsätze bei dennoch niedrigeren Gebühren einen Profit zu verschaffen. Und schließlich, wenn man zum Platzhirschen geworden wäre, die Gebühren wieder zu erhöhen.
Im Grund war diese Berechnung ein Unsinn. Weil die Banken geben ihren Sicherheitsapparat nicht auf, dieser Markt war von Anfang an geschlossen. Amazon und Ebay mit Paypal gaben ebenfalls aus Gründen ihres Geschäftsmodells ihren Zahlungsverkehr nicht aus der Hand, ebensowenig Alibaba. Vermutlich gelang es auch nicht, andere, kleinere Internet-Handelsunternehmen für Wirecard zu gewinnen.

Wirecard arbeitete als „Unterstützer“ für die großen Kreditkartenfirmen, Paypal usw., übernahm also Zahlungen über diese Kreditkarten und Zahlungssysteme zu geringeren Gebühren. Auch hier muß es mit Verlust gearbeitet haben, anders ist es nicht möglich, diese Firmen zu unterbieten.
Es blieben weiters die kleinen Betreiber auf dem Boden, also vor Ort: Der Einzelhandel, die Reisebranche, Tourismusbetriebe, die Dienstleister aller Art.
In diesem Segment versuchte Wirecard zu expandieren, mit mäßigem Erfolg.

Die Schulden und die von Jahr zu Jahr wachsenden Verluste versuchte es mit Krediten und, ähnlich wie die CBM, fingierten Kreditgeschäften und Konten zuzuspachteln. Dafür suchte es sich, aufgrund der Ferne zur europäischen Banken- und Börsenaufsicht, Singapur und Hongkong aus. Dort sind aus Gründen der internationalen Finanzkrise seit 2008 ff. die Bestimmungen auch eher lax: Hauptsache, es tut sich was! Wodurch sich diese beiden Destinationen geradezu anbieten für betrügerische Transaktionen europäischer Banken.

Es war ein Bericht der Financial Times im Februar 2019, der den Untergang von Wirecard einleitete. Man darf das Organ der City of London getrost als ein Vehikel der Konkurrenz betrachten, das die gegnerischen Leichen im Keller zur Kenntnis der Behörden bringt. Es war möglicherweise ein Vorstoß, im Zusammenhang mit dem Brexit die kontinentale Deutsche Börse und überhaupt den Finanzplatz Deutschland ein bißl anzupatzen – da wurde auch vorsichtig ein Unternehmen ausgesucht, das am britischen Finanzmarkt nicht so sehr präsent war.
Das Interessante an Wirecard ist, wie sich dieses – zu keinem Augenblick wirklich seriöse – Unternehmen über diverse Manipulationen und Verfahren, wo sie andere Personen wegen übler Nachrede und Kursmanipulation klagte und immer recht bekam, so lange an der Börse halten konnte.

Die politische Rückendeckung ist hier, ebenso wie bei der österreichischen Bank, offensichtlich. Die Idee, ein wichtiges Unternehmen aus dem Bereich des Welthandels und der IT-Branche bei sich zu beheimaten, war hier bestimmend, es sollte mit allen Mitteln gehalten und gefördert werden.

Auch hier, bei Wirecard, läßt dieser Fall Rückschlüsse auf den Zustand anderer Unternehmen aus der Finanzbranche und die Bedeutung fernöstlicher Handelsplätze für europäische Unternehmen zu. Die unterliegen nämlich nicht oder nur bedingt der EU-Finanzaufsicht und dort kann man viel verstecken bzw. vorspiegeln.

Fortsetzung: Cum-Ex-Geschäfte

Neues vom Coronavirus

LEBEN MIT CV-19
Während in Nord- und Lateinamerika die Zahlen weiter in die Höhe schnellen, scheint sich in Europa eine Art neue Normalität eingebürgert zu haben, täglich in den Medien mit Corona-Briefings und über „Cluster“ und Vorsichtsmaßnahmen informiert zu werden.
Die meisten Politiker scheinen nach wie vor etwas ratlos zu sein, wie mit dieser nicht enden wollenden Pandemie umzugehen ist.
Außer sie heißen Trump, Bolsonaro oder Áñez und es ist ihnen wurscht, wie viele ihrer Mitbürger dabei draufgehen oder schwere Schäden davontragen. Sie verlassen sich offensichtlich auch darauf, daß es nur die ärmeren Bevölkerungsschichten hart treffen wird und bei mit dem nötigen Kleingeld ausgestatteten Personen die Medizin einer allfälligen Erkrankung schon Herr werden wird.
Zunächst einmal die von mir erstellten Statistiken zu den Todesraten (Gemeldete Coronavirus-Tote zu Bevölkerung) weltweit:
0,000860174155305 Belgien
0,000690052238598 UK
0,000603646729425 (seit 3 Tagen gleiche offizielle Todeszahl), oder
=> 0,000952603455818 Spanien
0,000582855402026 Italien
0,000555115041855 Schweden
0,000450972489663 Frankreich
0,000370443093200 Irland
0,000356261127377 Holland
0,000229895744953 Schweiz
0,000162452830189 Portugal
0,000109719380390 Deutschland
0,000093091442554 Rußland
0,000080485168660 Österreich
0,000589614015386 Peru
0,000522760807541 Chile
0,000448518181818 USA
0,000413616322215 Brasilien
0,000342185377774 Mexiko
0,000323372712532 Ecuador
0,000245472986284 Bolivien
0,000236048223926 Kanada
0,000197395438883 Iran
0,000188029075255 Kolumbien
0,000121720899027 Südafrika
0,000071127800526 Argentinien
0,000067885276937 Türkei
0,000024208625482 Indien
Zuwachsraten:
Peru + 0,000154910534285
Bolivien + 0,000040340597378
Chile + 0,00002902013844
Brasilien + 0,00002252878142
Iran + 0,000018496271693
Mexiko + 0,000017882215164
USA + 0,000017810953529
Ecuador + 0,00001262450776
Rußland + 0,0000075709562
UK + 0,000006728325422
Schweden + 0,000003873120822
Indien + 0,000003388395975
Frankreich + 0,000000656785037
Obwohl in einigen europäischen Staaten die Ansteckungszahlenwieder ansteigen oder, wie z.B. in Rußland und Portugal, trotz relativ rigoroser Maßnahmen unvermindert angestiegen sind, drückt sich das nicht in einer parallel ansteigenden Todesrate aus, woraus man entweder schließen kann, daß das Virus inzwischen zu einer harmloseren Art mutiert ist, oder die Behandlungsmethoden besser und sicherer geworden sind.
In Spanien gibt es keine Einigkeit zwischen Gesundheitsbehörden und Lokalpolitikern. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie soll Spanien über 44.000 Coronavirus-Todesfälle zu verzeichnen haben, was sich aus dem Zusammenzählen lokal registrierter Verdachtsfälle und generell sehr dezentralen Statistiken ergibt. Man hat den Eindruck, in Spanien weiß die eine Hand nicht so recht, was die andere tut, und sehr viel wird ad hoc entschieden – keine gute Perspektive für ein Land mit derzeit stark ansteigenden Infektionszahlen und vielen leerstehenden touristischen Unterkünften.
Schlimm sieht es in Lateinamerika aus. Dort werden ständig ansteigende Infektions- und Todesraten gemeldet, die die meisten Beobachter – Epidemologen und andere Mediziner mit internationaler Erfahrung – für zu niedrig halten.
Peru hat bisher nur als Verdachtsfälle geführte Verstorbene inzwischen auch in die Statistik aufgenommen, deshalb die abrupte Zunahme der Todesfälle seit voriger Woche. Außerdem wurde Anfang Juli die Quarantäne in 18 Provinzen aufgehoben und die Restaurants wieder geöffnet, was zu einem rapiden Anstieg der Infektionen geführt hat. Nach einem New York-Times-Artikel, der sich auf die mittels einer Studie gemessene Übersterblichkeit von 136% beruft, liegen die gesamten gemeldeten Coronavirus-Zahlen von Peru weit unter unter den tatsächlichen. Auch so, mit diesen angeblich zu niedrigen Zahlen liegt Peru derzeit in Lateinamerika an 3. Stelle hinter Brasilien und Mexiko.
In Bolivien, wo die Pandemie weiter um sich greift, wurden die längst fälligen Wahlen wieder um einen Monat verschoben. Das ist zwar seuchenpolitisch argumentierbar, kommt aber der Putschistenregierung gerade recht, weil keine der Putschparteien sich Chancen auf einen Wahlsieg ausrechnen könnte. Die stärkste Partei in allen Umfragen ist die MAS. Die Putschisten und der CIA beten jetzt zum Coronavirus, daß sie bis zu einem endgültigen Wahltermin eine Möglichkeit finden werden, diese Partei oder ihre aussichtsreichsten Kandidaten zu verbieten, ähnlich wie es den Eliten und der mit ihnen kooperierenden Justiz in Ecuador oder Mexico gelungen ist.
Generell verlieren sich alle Gewißheiten um tatsächlich Infizierte oder Verstorbene in Lateinamerika in einem Netz von Kriminalität, Regionalismus, medizinischer Unterversorgung und unverläßlicher Datenerfassung. Manche Regionalbehörden melden Opfer von Schießereien oder Entführungen als Coronatote, oder umgekehrt, um mehr Mittel von der Zentralregierung zu erhalten. Andere verbergen das Ausmaß der Betroffenheit, weil sie um ihre Wiederwahl fürchten. Dazu kommt noch die Situation mit den Tests, die ja schon den Behörden in Österreich und Deutschland zu teuer sind (von den reichen Leuten kann man das Sparen lernen), erst recht in krisengeschüttelten lateinamerikanischen Staaten.
Auch die Vergleiche mit der „Übersterblichkeit“ helfen nur bedingt, da in Staaten wie Mexiko, Brasilien, El Salvador, Honduras u.a. die Rate der gewaltsamen Tode von Jahr zu Jahr ansteigt, wodurch der Durchschnitt der letzten 10 Jahre gegenüber den heutigen Mordzahlen niedrig wirkt.