Der europäische Banksektor in der Pandemiestarre – Teil 2

BANKENSUBVENTIONIERUNG DURCH STEUERGELD

1. Was sind diese Cum-Ex-Geschäfte und wie wurden sie ermöglicht?
„Was für Landwirte eine Heuschreckenplage ist, sind für die Steuerzahler die so genannten Cum-Ex-Geschäfte. Mindestens zehn Jahre lang bedienten sich Banken und ihre besten Kunden mit den trickreichen Deals aus der Steuerkasse.
Die Geschäfte sind kompliziert, das Prinzip einfach. Eine nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuer wurde mehrfach erstattet. Obwohl die Lücke im Steuerrecht spätestens seit 2002 auch der Politik bekannt war, brauchte der Gesetzgeber bis 2012, um sie zu schließen. In der Zwischenzeit zahlte der Fiskus munter weiter aus – der geschätzte Schaden liegt bei zwölf Milliarden Euro. Inzwischen befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem Thema.“ (Handelsblatt, Stichwort Cum-Ex)

Verschiedenste Banken haben Wertpapiere – die nicht einmal diesen Namen verdienen, weil sie vor allem digital existieren – unter Benutzung verschiedener Strohmänner untereinander herumgeschoben, und dann damit Steuerbetrug gemacht, indem sie sich eine 1x gezahlte Steuer mehrfach zurückerstatten ließen.

Die erste Frage, die sich stellt, ist: Warum können sich Wertpapierbesitzer Steuern auf Wertpapiere so einfach zurückerstatten lassen?
Welche Bestimmungen ermöglichen so einen Unsinn? Warum wird dann überhaupt eine Kapitalertragssteuer (KEST) in der Höhe von X % eingehoben?

Eine Bestimmung, und die einzige, die irgendwie sinnvoll erscheint, ist die, im Ausland lebende Kapitalbesitzer vor Doppelbesteuerung zu schützen. Es geht in diesem Fall also um die Teilung der Steuerleistung zwischen verschiedenen Staaten.
Schon diese Bestimmung lädt zu Steuerbetrug ein, weil eine woanders nicht gezahlte Steuer als gezahlte ausgewiesen werden kann, ohne daß die entsprechenden Finanzämter die Kapazitäten hätten, das zu überprüfen.
Generell sind diese Bestimmungen für Rückerstattung der KEST derartig unklar, daß es nur geschulten Wirtschaftsjuristen gelingt, sie zu durchschauen. Dieses Wissen wurde dann für den Steuerbetrug genutzt.
Aber allein die Möglichkeit der Rückforderung von KEST soll offenbar den Spekulanten den Rücken stärken, und möglicherweise mehr gesellschaftliches Vermögen für die Wertpapierspekulation anziehen.

Die zweite Frage ist: Warum haben die Finanzämter den Betrug nicht gemerkt?

Das liegt erstens daran, daß die Bestimmungen für die Rückerstattung schon absichtlich so abgefaßt worden sind, daß sich kein Schwein dabei auskennt. Sie sollten ja in Anspruch genommen werden, damit Spekulation auch noch durch Steuergeschenke belohnt wird.

Zweitens liegt es daran, daß die gesamten staatlichen Verwaltungen in den letzten 2 Jahrzehnten „abgespeckt“ und „verschlankt“ wurden, begleitet von einer medialen Verteufelung der Beamten, die auf der faulen Haut liegen und der arbeitenden Menschheit das Blut aus den Adern saugen.
Durch digitale Datenverarbeitung können man ja sooo viele Leute einsparen, frohlockten alle möglichen liberalen Sparefrohs und so macht heute in den meisten Ämtern eine Person die Arbeit, für die es eigentlich zwei bräuchte, weshalb oft Verzögerungen eintreten und man auf Bescheide ewig warten muß.

Drittens scheint es auch Weisungen gegeben zu haben, hier zügig zu arbeiten und nicht so genau zu schauen, um die Lieblinge der Nation nicht auf ihr wohlverdientes Geld warten zu lassen.

2. Die Dimensionen

„Laut »Panorama« und »Zeit« soll es um mindestens 31,8 Milliarden Euro gehen.
Obwohl der Cum-Ex-Markt riesig gewesen sei – mehr als 100 Banken stehen im Verdacht, derlei Geschäfte zulasten des Steuerzahlers getätigt zu haben – seien es nur sehr wenige Personen gewesen, die die Fäden gezogen haben … Eine besondere Rolle spielte dabei der Finanzplatz London. … Eine Bande von nur einem knappen Dutzend Londoner Investmentbankern verursachte den Großteil des Milliardenschadens.
Die mutmaßliche Bande handelte nicht nur auf eigene Rechnung, sondern bot das Cum-Ex-Geschäft auch Dritten an. Um welch riesige Summen es dabei ging, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2011. Damals führte die Londoner Gruppe Aktientransaktionen für zwei Cum-Ex-Fonds des Luxemburger Fondsanbieters Sheridan durch, in die unter anderem Carsten Maschmeyer, Drogerie-Unternehmer Erwin Müller und Schalke-Boss Clemens Tönnies investierten. … Laut Ermittlungsakten handelten Londoner Broker allein für zwei Cum-Ex-Fonds rund um den Dividendenstichtag mit mehr als einer Milliarde deutscher DAX-Aktien im Wert von über 47 Milliarden Euro.
Im Fall dieser Fonds verwehrte das Bundeszentralamt für Steuern allerdings am Ende die Auszahlung mehrerer hundert Millionen Euro an Steuern und löste so die staatsanwaltlichen Ermittlungen um den größten Steuerskandal der Bundesrepublik aus.“ (Tagesschau, 24.3. 2019)

Man sieht hier, was heutzutage „Investmentbanking“ heißt: Mit Tricks aus irgendwelchen staatlichen Töpfen Geld abzuziehen.

Man erfährt aus diesem Artikel jedenfalls, warum die Sache aufflog: Die oberste Steuerbehörde war nicht mehr willens, ausländisches Finanzkapital in dieser Art zu kreditieren.

Es krachte aber bereits etwas früher im Gebälk, um 2007 herum:

„Allerdings wurde der Finanzindustrie mulmig, schließlich hing die Depotbank des Aktienkäufers mit drin … und stellte munter Steuerbescheinigungen aus auf Beträge, bei denen niemals sicher war, ob sie überhaupt gezahlt wurden. Sie fürchteten ein »Haftungsrisiko«, deshalb schlug der Bundesverband deutscher Banken Alarm. Allerdings eher um die Banken aus der Schusslinie zu holen, weniger um die Geschäfte ganz zu unterbinden.“ (FAZ, 13.6. 2016)

Nach einer Gesetzesänderung von 2007 wurde der Cum-Ex-Schwindel dann richtig international, was die Plausibilität der Rückforderung erhöhte und die Überprüfung derselben erschwerte.
Als dem mit einer neuerlichen Gesetzesänderung 2012 endgültig abgestellt werden sollte, änderten die Banken die Form des Umherschiebens von Wertpapieren – und machten noch größere Geschäfte.
Auch die Commerzbank soll sich daran beteiligt haben. (Ebd.)

Die Sache ist noch längst nicht in ihrem ganzen Umfang erfaßt:

„Die Staatsanwaltschaft durchsucht Büros des Bankenverbandes. Der Verdacht: Die Finanzbranche hat bei einem der größten Steuerskandale kräftig lobbyiert. Tatsächlich bezahlten sie sogar eine Schlüsselfigur im Bundesfinanzministerium.
An diesem Dienstag bekam der Bundesverband deutscher Bankenverband unangenehmen Besuch von der Staatsanwaltschaft Köln. Die Beamten durchsuchten Büros in Berlin und Frankfurt, um Material in einem der größten Steuerskandale Deutschlands zu finden.
Es geht um die berüchtigten Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich Investoren zusammen mit trickreichen Beratern und willigen Finanzinstituten allein in Deutschland schätzungsweise zehn Milliarden Euro aus der Staatskasse ergaunerten.“ (Wirtschaftswoche, 4.8. 2020)

Halten wir den bisherigen Wissensstand fest:

Zwischen 10 und 31,6 Milliarden Euro wurden durch betrügerische Wertpapiergeschäfte und Steuer-Rückzahlungen aus der deutschen Staatskasse entnommen.
Darin waren sowohl deutsche als auch ausländische Banken verwickelt.
Diese Geschäfte, die seit Anfang dieses Milleniums liefen – andere sehen die Anfänge bereits in den 70-er Jahren – wurden durch Mithilfe mindestens eines Beamten, vermutlich aber mehrerer hoher Finanzbeamter ermöglicht.

Die EU, die ständig sowohl innerhalb (z.B. gegenüber ex-sozialistischen EU-Mitgliedsstaaten) als auch außerhalb ihrer Grenzen, zuletzt im Fall des Libanon laut „Korruption!“ schreit und sich zum Hüter von Recht und Ordnung erklärt, hätte hier einigen Handlungsbedarf.

Und Deutschland noch mehr, schließlich haben sich auch ausländische Individuen und Unternehmen am deutschen Staatssäckel bereichert.

Wie steht es darum?

3. Die Reaktion der Politik

Man merkt der Herangehensweise an, daß die Aufklärung und strafrechtliche Abwicklung keine Chefsache ist:

„Bis heute kommt die strafrechtliche Aufarbeitung des Skandals nur zögerlich voran. Es gibt zwar ein erstes Strafurteil, doch das Gros der Fälle ist noch in Arbeit. Das liegt auch am mangelnden Personal. Rund zehn Staatsanwälte und einige LKA-Beamte und Steuerfahnder müssen sich um knapp 70 Ermittlungskomplexe mit 900 Beschuldigten kümmern.“ (Handelsblatt, 7.9. 2020)

Gerade dem Finanzminister ist anzumerken, daß er diese Betrugsgeschichten eher als Kavaliersdelikt unter den Tisch fallen lassen würde:

„Die Hamburger Warburg-Bank war in den Jahren 2007 bis 2011 in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt, bestreitet aber jede rechtswidrige Absicht. Sie war im Januar 2016 wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung durchsucht worden. …
Die Stadt Hamburg habe spätestens seit 2016 von einem Anspruch gewusst, die Finanzbehörde der Hansestadt sei zudem darüber sowohl vom Bundesfinanzministerium als auch von der Staatsanwaltschaft Köln unterrichtet worden, berichteten die beiden Medien. Die Finanzverwaltung habe die Rückforderung für das Steuerjahr 2009 jedoch Ende 2016 verjähren lassen. …
Hamburger SPD-Spitzenpolitiker sollen sich trotz der Ermittlungen gegen die Bank den Berichten zufolge mit Christian Olearius, dem Inhaber und ehemaligen Chef der Warburg-Bank getroffen haben.“ (Spiegel, 13.2. 2020)

Es ging damals um rund 90 Millionen Euro, auf die die Stadt Hamburg verzichtete.

„Vermutlich auch um jeglichen Verdacht von Verstrickung zu entkräften, stellte der Finanzminister nun eine Gesetzeskorrektur in Aussicht. Durch sie soll die Einziehung von Gewinnen aus diesen Betrugsfällen auch nach einer steuerlichen Verjährung sichergestellt werden.“ (Spiegel, 9.9. 2020)

Man sieht, zunächst war vorgesehen, sich kommod der Verjährungsbestimmung zu bedienen, um Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Hier geht es nicht einfach um ein paar windige Banken, korrupte Politiker und bestochene Beamte.
Der ganze Wertpapierhandel, die Steuerbegünstigungen desselben, das Funktionieren der Börse, und schließlich die Schulden, faulen Kredite und sonstigen Probleme der Banken in Deutschland und im Euro-Raum sind in diese Cum-Ex-Geschäfte verwickelt.
Schließlich halten sie sich seit 12 Jahren nur mit windigen Geschäften und milliardenschweren Stützungen über Wasser. Und an diesen Riesen auf tönernen Füßen hängt die gesamte Wirtschaft des Euro-Raumes.

Weder die Politik noch das Finanzkapital wollen, daß da jemand zu genau nachschaut.

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Fortsetzung: SPANIEN

Der europäische Banksektor in der Pandemiestarre – Teil 1

„WENN DIE FLUT ZURÜCKGEHT, WERDEN DIE LEICHEN AM STRAND SICHTBAR“
sagte jemand aus der Finanzwelt im Jahr 2008 anläßlich des Platzens des Madoff-Pyramidenspiels.

Er meinte damit, daß in Zeiten der Krise eben alle diejenigen Machinationen ans Tageslicht kommen, die in der Euphorie der Konjunktur und des Glaubens an die Unendlichkeit des Kredites unbemerkt geblieben waren.

Man kann zwar nicht sagen, daß vor der Coronakrise eine ähnliche Euphorie herrschte. Eher ging es darum, mit staatlichen Hilfen und medialer Schönwetter-Berichterstattung den Umstand zu verschleiern, daß die ganze Finanzwelt gründlich angeschlagen war. Aber so plätscherte es dahin, man begrüßte vermeintliche oder minimale Aufschwünge und wartete auf den Tag X, wo alles wieder ins Lot kommen würde.
Bankenprobleme und schlechte Nachrichten wurden kleingeredet, zu nationalen Besonderheiten erklärt und hinter verschlossenen Türen irgendwie geregelt, meistens mit Hilfe von Interventionen der EZB.
Die Coronakrise mit ihren Lockdowns und Umsatzrückgängen hat diesem Treiben ein jähes Ende gesetzt, und jetzt geht eine Art notwendige Neubestimmung der Rolle des Finanzsektors einher.

So sind eben jetzt wieder diverse Banken aus verschiedenen Gründen im Gerede.

ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND

1. Commerzialbank Mattersburg
In Österreich ist gerade einmal eine kleine Provinzbank gekracht. Es stellt sich heraus, daß diese Commerzialbank Mattersburg seit Jahrzehnten die Bilanzen gefälscht hatte, der Chef keinen Computer anrührte, die meisten Unterlagen nur auf Papier existierten und die Bankenaufsicht nie etwas gemerkt haben will.
Der Direktor und seine engste Vertraute betrieben eine Art Pyramidenspiel, mit dem die Wirtschaft im Einzugsbereich dieser Bank am Laufen gehalten wurde: Sparer und auch Gemeinden, die ihr Geld dort veranlagten, erhielten 4–4,5% Zinsen.

Schon daran, meinen viele Leute aus dem Banksektor, hätte man merken können, daß etwas nicht stimmt, weil diese Zinserlöse sind auf dem Finanzmarkt heute nicht mehr zu erwirtschaften.

Um das Pyramidenspiel aufrechtzuerhalten, spiegelte die CBM Kreditgeschäfte vor, deren Kreditnehmer aus dem Telefonbuch zusammengesucht wurden, vornehmlich Ärzte, weil die eine hohe Bonität besitzen, und besicherte diese Kredite mit fiktiven Immobilien, die nicht ins Grundbuch eingetragen wurden.
Außerdem unterhielt sie fiktive Konten bei anderen Banken, die mit Briefen mit gefälschten Briefköpfen bestätigt wurden. Die Stempel für diese Briefköpfe lagerten im Tresor, die Briefe wurden von Kurieren in verschiedenen Teilen Österreichs aufgegeben, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Um immer genügend Bargeld zur Verfügung zu haben, wurden große Summen in Schuhschachteln im Tresor gelagert.

„Rund 13.500 Privatkunden und 720 Betriebe sind betroffen. Der Technologiekonzern Frequentis wird 31 Millionen Euro verlieren, der Veranstalter Barracuda-Events 34, der Wohnbaukonzern Gesiba 17,5, Tausende ihr Erspartes – die Einlagensicherung reicht bis 100.000 Euro. Laut Chef der Einlagensicherung werden 450 Millionen Euro an Ex-CBM-Kunden ausbezahlt werden.“ (Kurier, 4.8. 2020)

Bisher ist nur von österreichischen Geschädigten die Rede. Der österreichische Banksektor ist auf jeden Fall stärker betroffen, als die bisherigen Berichte vermelden, da die CBM auch Kredite bei anderen Geldinstituten aufgenommen hat.

Vor allem der Finanzplatz Österreich kommt hier in ein schiefes Licht. Während der österreichische Staat im letzten Jahrzehnt mehrmals Anleihen mit 100 Jahren Laufzeit plaziert hat, was auf das gute Kredit-Rating Österreichs zurückzuführen ist, machen die Bankenaufsicht und die Nationalbank keine gute Figur.
Es entsteht der Eindruck, daß sie diesen Betrug gedeckt haben, um nicht durch das Auffliegen desselben einen Domino-Effekt auszulösen, weil andere Banken möglicherweise ähnlich beinander sind.
Dazu kommen die Strapazierung der Einlagensicherung und Klagen der Geschädigten, wie Großkunden und Gemeinden, deren Ansprüche vermutlich in der Zukunft aus der Staatskasse befriedigt werden müssen.

Verstärkt wird das Unbehagen über die CBM durch den fast zeitgleichen Crash von Wirecard, Zahlungsdienstleister mit österreichischen personellen Wurzeln.

2. Wirecard

Der Skandal um Wirecard hat weitaus größere Dimensionen.

Erstens war Wirecard an der deutschen Börse notiert.

Zweitens erfreute sich diese Firma offensichtlich des Wohlwollens der deutschen Regierung und Finanzwelt, und hatte unter anderem vor, die Deutsche Bank zu übernehmen. Das wäre vielen Akteuren aus dem Finanzsektor recht gewesen, weil dieses größte deutsche Geldinstitut seit über einem Jahrzehnt ein Milliardengrab ist, in das die EZB und die deutsche Staatskasse regelmäßig enorme Summen zuschießen müssen, um einen Crash zu verhindern.

Drittens hat Wirecard Ähnliches getrieben wie die CBM, aber in weitaus größeren internationalen Dimensionen, also fingierte Kredite vergeben und fingierte Konten angelegt, und außerdem Kredite bei anderen Banken aufgenommen, in der EU und weltweit.

Das Kerngeschäft von Wirecard war der internationale Zahlungsverkehr.

Der ist traditionell in der Hand von Kreditkartenfirmen und Banken. Er ist mit erheblichen Kosten belastet, weil wenn jemand per Mausklick etwas kauft oder mit der Kreditkarte eine Hotelrechnung bezahlt, sitzen in verschiedenen Büros und auch zu Hause Computerexperten, die diese Transaktion verschlüsseln und dadurch sicher machen.
Diese Leute muß man auch gut zahlen, damit sie bei der Stange bleiben und nicht womöglich mitsamt ihrem Know-How ins Lager der Hacker überwechseln.

Diese Verschlüsselung braucht auch immer stärkere und potentere Server, weil überall auf der Welt sitzen Hacker, die versuchen, in diese Transaktionen einzudringen. Die Konkurrenz um die Sicherheit der Übertragungsdaten wird also über das dabei investierte Kapital ausgetragen: Die Zahlungs-Dienstleister verfügen über mehr Experten und größere Server-Parks als die Hacker, und liefern sich mit ihnen tagtäglich eine Schlacht um die Datenverschlüsselung.

Wenn es dennoch einmal einem Hacker gelingt, Daten zu entschlüsseln und von den Konten der User Geld abzuziehen, so müssen die Kreditkartenfirmen bzw. Paypal, Amazon oder die Hausbank die Kosten tragen, also den Usern das Geld zurückerstatten – sonst würde niemand mehr ihre Services in Anspruch nehmen bzw. die Bank klagen und zu einer anderen Bank wechseln.
Das heißt, daß jede Sicherheitslücke die Zahlungsverkehrs-Dienstleister Geld kostet. Sie können also bei der Sicherheit nichts einsparen, weil das würde sofort ungeheure Kosten verursachen.
Für diese Dienstleistung halten sich die Banken bei ihren Kunden mit Kontogebühren schadlos. Bei Amazon, Zalando und anderen trägt die Firma selbst die Kosten und schlägt sie auf den Verkaufspreis der Waren drauf (bzw. zieht sie davon ab).
Bei Geschäften, d.h. Verkaufslokalen, Reisebüros, Restaurants, Hotels, Apartments etc. trägt ebenfalls der Anbieter die Kosten, die in Form von Gebühren an die Kreditkartenfirmen oder booking.com, AirBnB usw. als Vermittler abgeführt werden müssen. Diese oftmals eher klein strukturierten Betriebe, Familienbetriebe usw. stöhnen unter diesen Kosten, die sie aus Gründen der Konkurrenz nicht einfach 1:1 an die Kunden weitergeben können.
Hier setzte Wirecard an. Es versprach allen Kunden geringere Gebühren und versuchte damit die angestammten Zahlungsverkehrs-Anbieter zu verdrängen.

Nach dem oben Erläuterten hatte Wirecard die in der kapitalistischen Konkurrenz übliche Vorgangsweise – Drücken der Kosten und darüber Erhöhung des Gewinnes – nicht zur Verfügung. Jegliches Sparen bei der Sicherheit hätte erstens Kosten für Sicherheitslücken verursacht und zweitens ihren Versuch, auf diesem Markt Fuß zu fassen, vereitelt.
Wirecard mußte also von Anfang an große Investitionen in Internet-Präsenz und Sicherheit tätigen, um in diesem Markt Fuß zu fassen, praktisch ohne Einnahmen zu haben. Dieses Geld holten sie sich von Investoren, die stets auf der Lauer liegen nach vielversprechenden Start-Ups, mit denen man auf einem ziemlich stagnierenden Markt doch noch Gewinne lukrieren könnte.

Der Weg zum Börsengang war holprig, durch Insolvenzen, Namensänderungen, Fusionen und andere Bruchstellen gezeichnet. Genaugenommen war Wirecard unter diesem Namen erst seit 2018 im DAX notiert. Vorher dümpelte sie unter anderem Namen in einer Art Vorfeld-Segment der Deutschen Börse herum. Die Aufnahme von Wirecard als DAX-Unternehmen war auch dem Interesse der Deutschen Börse geschuldet, als Zeichen einer Erholung des Finanzmarktes mehr Unternehmen zu listen. Da wurde nicht so genau nachgeschaut, Hauptsache, es geht voran.
Die Berechnung der Wirecard-Gründer sah offenbar so aus: Erst einmal fest investieren und sich nachher durch niedrige Gebühren einen Platz im Zahlungsverkehrs-Markt zu verschaffen. Zunächst nahm es also Verluste in Kauf, mit der Hoffnung, schließlich über die Masse der Umsätze bei dennoch niedrigeren Gebühren einen Profit zu verschaffen. Und schließlich, wenn man zum Platzhirschen geworden wäre, die Gebühren wieder zu erhöhen.
Im Grund war diese Berechnung ein Unsinn. Weil die Banken geben ihren Sicherheitsapparat nicht auf, dieser Markt war von Anfang an geschlossen. Amazon und Ebay mit Paypal gaben ebenfalls aus Gründen ihres Geschäftsmodells ihren Zahlungsverkehr nicht aus der Hand, ebensowenig Alibaba. Vermutlich gelang es auch nicht, andere, kleinere Internet-Handelsunternehmen für Wirecard zu gewinnen.

Wirecard arbeitete als „Unterstützer“ für die großen Kreditkartenfirmen, Paypal usw., übernahm also Zahlungen über diese Kreditkarten und Zahlungssysteme zu geringeren Gebühren. Auch hier muß es mit Verlust gearbeitet haben, anders ist es nicht möglich, diese Firmen zu unterbieten.
Es blieben weiters die kleinen Betreiber auf dem Boden, also vor Ort: Der Einzelhandel, die Reisebranche, Tourismusbetriebe, die Dienstleister aller Art.
In diesem Segment versuchte Wirecard zu expandieren, mit mäßigem Erfolg.

Die Schulden und die von Jahr zu Jahr wachsenden Verluste versuchte es mit Krediten und, ähnlich wie die CBM, fingierten Kreditgeschäften und Konten zuzuspachteln. Dafür suchte es sich, aufgrund der Ferne zur europäischen Banken- und Börsenaufsicht, Singapur und Hongkong aus. Dort sind aus Gründen der internationalen Finanzkrise seit 2008 ff. die Bestimmungen auch eher lax: Hauptsache, es tut sich was! Wodurch sich diese beiden Destinationen geradezu anbieten für betrügerische Transaktionen europäischer Banken.

Es war ein Bericht der Financial Times im Februar 2019, der den Untergang von Wirecard einleitete. Man darf das Organ der City of London getrost als ein Vehikel der Konkurrenz betrachten, das die gegnerischen Leichen im Keller zur Kenntnis der Behörden bringt. Es war möglicherweise ein Vorstoß, im Zusammenhang mit dem Brexit die kontinentale Deutsche Börse und überhaupt den Finanzplatz Deutschland ein bißl anzupatzen – da wurde auch vorsichtig ein Unternehmen ausgesucht, das am britischen Finanzmarkt nicht so sehr präsent war.
Das Interessante an Wirecard ist, wie sich dieses – zu keinem Augenblick wirklich seriöse – Unternehmen über diverse Manipulationen und Verfahren, wo sie andere Personen wegen übler Nachrede und Kursmanipulation klagte und immer recht bekam, so lange an der Börse halten konnte.

Die politische Rückendeckung ist hier, ebenso wie bei der österreichischen Bank, offensichtlich. Die Idee, ein wichtiges Unternehmen aus dem Bereich des Welthandels und der IT-Branche bei sich zu beheimaten, war hier bestimmend, es sollte mit allen Mitteln gehalten und gefördert werden.

Auch hier, bei Wirecard, läßt dieser Fall Rückschlüsse auf den Zustand anderer Unternehmen aus der Finanzbranche und die Bedeutung fernöstlicher Handelsplätze für europäische Unternehmen zu. Die unterliegen nämlich nicht oder nur bedingt der EU-Finanzaufsicht und dort kann man viel verstecken bzw. vorspiegeln.

Fortsetzung: Cum-Ex-Geschäfte

Pressespiegel El País, 2.7.: Abstrakter Reichtum versus konkreten

„DIE WIRTSCHAFT BRICHT EIN UND DER WALL STREET IST ES WURSCHT
Amanda Mars, Washington

Durch Stimuli berauscht und immer weiter von der Straße entfernt, schließt die US-Börse ihr bestes Quartal seit 1998. Gleichzeitig geht das Land durch die schwerste Krise seit der Großen Depression (…)

Der S & P-Index, der das Auf und Ab der 500 größten börsennotierten Unternehmen erfaßt, schloss das zweite Quartal mit dem höchsten Gewinn seit 1998, mit bis zu 20% ab. Für den Dow Jones, beschränkt auf die 30 ganz Großen, der um 18% gestiegen ist, war es der beste Zeitraum seit 1987. Und die Technologieunternehmen von Nasdaq sind um 31% gestiegen, der höchste Wert seit fast zwei Jahrzehnten.
Parallel dazu sind die USA in eine Rezession eingetreten und haben sich von ihrer größten Wachstumsphase in der Geschichte verabschiedet. Der Abbau von Arbeitsplätzen ist auf einem Niveau, das seit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr erreicht wurde. Trotz der Anzeichen einer Erholung in der frühen Phase der Aufsperrens sind seit Februar fast 20 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, und die Insolvenzen werden mit dem schnellsten Tempo seit sieben Jahren gemeldet, wobei die Opfer so vielfältig sind wie die Autovermietung Hertz, das Kaufhaus JC Penney oder Chesapeake, der Pionier des Fracking.

Als Draufgabe ist die Coronavirus-Epidemie wieder außer Kontrolle geraten, Infektionen haben sich in weiten Teilen des Landes wieder erhöht und mindestens 16 Staaten bremsen beim Wieder-Hochfahren der Wirtschaft. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass das BIP der USA in diesem Jahr um 8% schrumpfen wird.

Woher diese Aufbruchsstimmung an der Wall Street?

Es gibt eine schnelle Antwort für dieses befremdliche Verhalten der Märkte: Die beispiellose Ausschüttung der Federal Reserve von 2 Billionen $ hat die Taschen von Anlegern gefüllt, die angesichts der Unsicherheit nicht genau wussten, wo sie das Geld anlegen sollten – außer in Aktien. Die Zinssätze für die 10-jährige US-Anleihe, eine dieser klassischen Häfen in Krisenzeiten, liegen bei 0,6%, verglichen mit 2% vor einem Jahr und 3% Ende 2018. Diese Impulse, zusammen mit dem vom Kongress genehmigten wirtschaftlichen Rettungsplan haben den wirtschaftlichen Aderlaß eingedämmt. Und laut Sam Stovall, Chief Investment Officer bei CFRA, »lässt die neue Zunahme von Covid-19-Fällen keine Befürchtungen aufkommen, dass die Erholung entgleist. Die Anleger erwarten keine neue Schließung auf nationaler Ebene, sondern gelegentliche Rückschläge.«

Die längerfristige Entwicklungen beachtende Antwort hingegen deutet auf einen seit Jahren sichtbaren Trend hin: Die Trennung der Börse von der sogenannten Realwirtschaft – die der Unternehmen, die investieren, Verträge abschließen und produzieren, und der Menschen, die konsumieren – nimmt kontinuierlich zu. Die fünf größten Werte des Parketts sind Apple, Alphabet(Google), Microsoft, Amazon und Facebook – Kolosse, die rund 20% des Wertes des gesamten S & P ausmachen, den höchsten Anteil seit 30 Jahren, und die auch in der Welt des Lockdowns bevorzugt wurden. Der hat einen Großteil des täglichen Trubels in die virtuelle Sphäre verlagert, sei es professionell, für Verbraucher oder in der Freizeit. Im April, dem ersten vollen Monat der Quarantäneregelungen, stiegen die Aktien dieser 5 nach Angaben von Goldman Sachs um 10%, während die anderen 495 um 13% fielen.

Wenn eine Wirtschaft als real bezeichnet wird, könnte man daraus schließen, dass die andere etwas Fiktives hat, als ob Apple oder Amazon nicht existierten, keine Mords-Hauptquartiere, keine trendsettenden Produkte und klingelnden Kassen aufweisen würden. Sie haben sie, aber der Beitrag der Technologiegiganten zum Wohlstand auf der Straße ist geringer als der, den die Börsenführer der Vergangenheit generiert haben, als im Wesentlichen Bankwesen, Energie und Dienstleistungen den Kuchen unter sich aufteilten.“

Hier wird die Sache etwas seltsam, weil war da nicht irgendetwas mit Industrie? Die Autorin kennt sich offenbar selber nicht ganz aus mit real und fiktiv.

„Eine Studie der Brookings Institution, einer der renommiertesten Denkfabriken Washingtons, vergleicht die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Kapitalmarkt des 20. und 21. Jahrhunderts und liefert aufschlussreiche Daten: 1962 waren die beiden größten börsennotierten Unternehmen in den Vereinigten Staaten die Telefongesellschaft AT & T und die Autofirma General Motors mit 564.000 bzw. 605.000 Mitarbeitern. Das sind fast 1,2 Millionen zusammen. Im Jahr 2002 hatte Microsoft den ersten Platz belegt (51.000 Mitarbeiter), gefolgt von General Electric (315.000). Weniger als die Hälfte als 1962. Im vergangenen Jahr beschäftigten die beiden Top-Unternehmen im S & P-Index, Microsoft und Apple, insgesamt rund 297.000 Mitarbeiter.“

Daß immer weniger Leute immer mehr Profit schaffen, ist aber vermutlich nicht eine reine Besonderheit der Börsenführer, sondern für die gesamte Unternehmenslandschaft 2020 charakteristisch.

„Der Wechsel in der Arena der Wall Street in diesem Jahr war radikal, der drastischste seit acht Jahrzehnten. Der erste Schock der Sperre, als die Gesundheitskrise bereits global und kapital war, ereignete sich Mitte März und führte im ersten Quartal des Jahres zu einem Rückgang des S & P um 20%. Die Aufholjagd des 2. Quartals hat es ermöglicht, fast den gesamten verlorenen Boden wiederzugewinnen. Die Aussichten bis zum Jahresende sind jedoch mehr als ungewiss. Die Anleger wurden nicht nur durch die Impulse stimuliert, sondern spielten bis zu einem gewissen Grad auch blind an der Börse. Laut Factset, einer Finanzinformationsplattform, haben 200 der 500 Unternehmen des Leitindexes ihre Prognosen für das Jahr wieder zurückgezogen, rechnen jedoch damit, dass die Profite der großen konsolidierten und daher widerstandsfähigeren Unternehmen (die Blue Chips im Börsenjargon) im vorgenannten zweiten Quartal um 44% geschrumpft sind.“

Seltsam ausgedrückt. Es soll heißen: Die Profite aus laufendem Geschäft sind geschrumpft, während die Börsengewinne anwuchsen.
Dazu noch soziale Unruhen und Wahlen in den USA, und wer weiß, was für Stützungsprogramme es noch geben wird