VERLIERER-REGIONEN IM GEWINNERSTAAT: DAS RUHRGEBIET
Während die Medien sich auf diejenigen Staaten einschießen, die ihre Schulden nicht oder fast nicht mehr bedienen können, steht Deutschland als leuchtendes Vorbild der fiskalischen Disziplin da und kann sich beinahe zum Nulltarif neu verschulden, da alles mögliche erschreckte Kapital in deutsche Wertpapiere, also auch Staatsanleihen als vermeintlich sicherem Hafen flüchtet.
Die Sache mit der guten Haushaltspolitik ist allerdings eine dicke Lüge, die Politiker und Medien in die Welt posaunen. Verschuldung steht immer in einem Verhältnis zum BIP, zur Wirtschaftsleistung eines Landes, und an der spießt sich das ganze – ob ein Staat weiterhin Kredit hat oder kreditunwürdig ist, bemißt sich an den Erfolgen und dem Umfang des Kapitals, das sich unter seiner Hoheit betätigt. Wo viel Geschäfte und Gewinne gemacht werden, dort kann der Staat / die Gemeinde auch mit Einnahmen rechnen – umgekehrt kommt nix von nix: Wo Betriebe zusperren oder abwandern und die Arbeitslosigkeit wächst, dort verringern sich die Einnahmen, während sich die Ausgaben erhöhen.
Solches geschieht in vielen Städten des Ruhrgebiets, die aus der seinerzeitigen Lebensader der deutschen Industrie zu einem einzigen großen Gewerbemuseum geworden sind. Versuche, als Kulturhauptstadt, Museumsstandort oder Event-Stätte zu Geld zu kommen, spülen nicht genug in die örtlichen Gemeindkassen, verursachen zusätzliche Kosten oder führen wie in Duisburg zu einem Desaster.
Neulich haben sie auf sich aufmerksam gemacht, weil sie den Solidarpakt aufkündigen wollen:
„»Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat«, ließ sich Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) von einer überregionalen Tageszeitung zitieren, und seine Amtskollegen aus Essen, Oberhausen und Gelsenkirchen sekundierten eifrig.“ (HB, 2. 4. 2012)
Mit „Solidarpakt“ werden Transferleistungen in die neuen Bundesländer bezeichnet, auf die sich Bund, Länder und Gemeinden nach dem Fall der Mauer geeinigt hatten. Ursprünglich sollte damit der „Aufbau Marke Ost“ finanziert werden. Als sich herausstellte, daß dieser wegen mangelndem Interesse des privaten Kapitals abgesagt werden mußte, und eher ein Abbau war (mit den Mitteln aus den Transferzahlungen wurden unter anderem leerstehende Plattenbauten in Abwanderungsgebieten und stillgelegte VEB aus dem Landschaftsbild entfernt), so wurde der Solidarpakt verlängert. Der jetzige – II – läuft bis 2019. Wenn dann in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern immer noch keine nennenswerte Kapitalakkumulation stattfindet, so kann man wieder neu entscheiden, ob man ihn verlängert oder sich mit verödeten Ostgebieten, einer Art deutschem Mezzogiorno einfach abfindet.
Jetzt wollen diverse Ruhrgebiet-Gemeinden aus diesem Pakt aussteigen, weil sie ihre eigenen Schulden nicht mehr zahlen können und daher kein Geld für dergleichen Netto-Transferzahlungen da ist.
Das Handelsblatt rügt zwar die angebliche Verschwendungssucht dieser Gemeinden, kennt aber auch die wahren Gründe der wachsenden Verschuldung:
„Tatsächlich sind die Kommunen strukturell unterfinanziert. Sie geben mehr für Leistungen wie Kindergartenplätze oder Transferleistungen aus als sie einnehmen. … zu vielen Leistungen sind die Kommunen durch Bundesgesetze verpflichtet – und müssen wohl oder übel zahlen.“ (ebd.)
Im letzten Jahrzehnt kam es nämlich in Deutschland zu verschiedenen Gesetzesnovellierungen, in deren Rahmen den Gemeinden die Übernahme zusätzlicher Aufgaben, die bisher vom Bund finanziert worden waren, übertragen wurde. Damit sollte die Marktwirtschaft und der Kreditmarkt belebt und der Bundeshaushalt entlastet werden. Denn diese neuen Ausgaben können gerade die Gemeinden im Ruhrgebiet nicht durch zusätzliche Einnahmen finanzieren, sondern sie mußten sich dazu verschulden.
Um jedoch ihre Einnahmen auch irgendwie zu steigern, wurden sie zu Investoren und beteiligten sich an Unternehmen, vor allem der Energieversorgung. Die Idee war, dabei mehr an Dividenden einzunehmen, als man an Kreditzinsen zu zahlen hatte, und diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Energieversorgungsunternehmen betreuen nämlich mit veralteten Kraftwerken eine über ständig schrumpfende Zahlungsfähigkeit verfügende Klientel und haben das ihnen durch die Beteiligung der Gemeinden zugeflossene Kapital dafür verwendet, im Ausland zu investieren, um sich günstiger Energie zu besorgen oder die schrumpfenden Einnahmen in Deutschland durch Gewinne in Übersee zu kompensieren – auch dies mit mäßigem Erfolg.
Essen, Dortmund, Gelsenkirchen usw. präsentieren also folgende Verschuldungs-Situation: Sie müssen ständig mehr Geld aufnehmen, um ihre Ausgaben und ihren Schuldendienst wahrnehmen zu können. Die Banken der Umgebung machen vermutlich einen Großteil ihrer Umsätze durch die Gemeindefinanzierung, sind also daran interessiert, daß alles so weitergeht wie bisher. Um so mehr, als deutsche Gemeinden im Schatten der Bonität der deutschen Staatsschuld als erstklassige Schuldner gelten. An dieser Gemeinde-Schuld hängen wiederum verschiedene Energie- und Infrastruktur-Unternehmen, deren Kunden die Gemeinden gleichzeitig sind. Würden sich letztere als Investoren zurückziehen, so würde das für diese Unternehmen womöglich das Aus bedeuten und die Wirtschaftstätigkeit des Ruhrgebiets weiter verringern. Die von ihnen gelieferte Energie oder Bautätigkeit müßte von woanders mit erhöhtem finanziellem Aufwand bezogen werden. Vermutlich werden Bund oder Länder bald mit Kreditgarantien einspringen müssen, um die Verschuldungsfähigkeit der Gemeinden weiter zu garantieren.
Und das alles für einen Standort, aus dem sich das Kapital großflächig verabschiedet hat …
Kategorie: Geld & Kredit
Neues von der Eurorettung
DAS FÜLLHORN DES EURO-KREDITS
soll irgendwie alle Probleme der einzelnen Euro-Staaten dahingehend lösen, daß der Euro weiterhin Vertrauen genießt. Der Euro-Kredit wird strapaziert, um den Euro-Kredit zu stützen. Beim Versuch, sich selbst in den Schwanz zu beißen, stößt die Katze auf einige Hindernisse.
Da wurde einmal seit November 2011 von der EZB eine Billion – also tausend Milliarden, oder 1 000 000 000 000 – Euro in Krediten zu 1% an die Banken Europas ausgeschüttet. Diese Maßnahme Herrn Draghis wurde in den Medien sehr gelobt. Man fragt sich wirklich, warum das erst jetzt geschieht, wenn diese Kreditschöpfung tatsächlich das Allheilmittel ist, als das es von verschiedenen Finanzfachleuten präsentiert wird. Offenbar gab es bisher Bedenken gegen diese Art, Euros zu vermehren. Haben diese Bedenken sich in Luft aufgelöst, oder wurde zu dieser Maßnahme als letzter Notlösung gegriffen?
Diese Geldausschüttung erfolgte erstens, damit diese Banken sich selber sanieren, also irgendwie liquide bleiben, obwohl sie einen Haufen uneinbringliche Schulden und entwertete Wertpapiere bei sich aufgehäuft haben. Zweitens, um damit Staatsschuld derjenigen Länder zu kaufen, die unter den Druck „der Märkte“ geraten sind, erhöhte Zinsen für ihre Neuverschuldung bezahlen müssen und deshalb Schwierigkeiten haben, ihre im Umlauf befindlichen Schulden zu bedienen. Drittens, so wurde verlautbart, sollte damit „der Wirtschaft“ Kredit verschafft werden, damit die Firmen wieder investieren können und damit das Wachstum befördern.
Zu erstens kam bald die Meldung, daß viele Banken das so billig erhaltene Geld sehr schnell wieder bei der EZB als Einlage parken, weil ihnen das der sicherste Ort für dieses Geld erscheint – sicherer jedenfalls, als es in Staatsanleihen oder Firmenkredite zu investieren, und immer noch besser, als es bei sich in der Bank unverzinst herumliegen zu lassen.
Zu zweitens wurde als Erfolg gefeiert, daß Spanien und Italien erleichtert aufatmen, weil ihre Staatsanleihen von den Banken gekauft werden.
Was Spanien betrifft, so getraut sich die spanische Staatsverwaltung jedoch nicht, Anleihen mit längerer Laufzeit als 18 Monate aufzulegen – aus Furcht vor einem Flop, der dann auch den Verkauf der kurzfristigen Anleihen zum Stocken bringen und die spanische Staatsschuld endgültig auf Ramsch-Status befördern würde. Die Haupt-Aufkäufer dieser Anleihen sind die spanischen Banken, deren Status als Global Players – zumindest Santander und BBVA sind solche – mit der spanischen Staatsschuld steht und auch fallen würde.
Das heißt natürlich, daß Spaniens Liquiditätsprobleme nur kurzfristig gelöst sind und bald wieder Finanzierungsbedarf ansteht.
Außerdem heißt es, daß Spaniens Banken, die mehrheitlich ohnehin mit staatlichen Garantien und direkten EZB-Krediten gestützt werden, eine Menge Anleihen bei sich versammeln, die sich ähnlich den griechischen schlagartig entwerten können.
Zu drittens wurde vermeldet, daß diese enorme Geldsumme in der Privatwirtschaft nicht angekommen ist – die Banken verleihen an Firmen weiterhin kein Geld in Form von Krediten, sogar Aktien-Neuemissionen sind selten. Dieser Umstand wurde jedoch nach dem Motto „think positive“ dahingehend als gute Nachricht eingestuft, daß dadurch die Inflationsgefahr gebannt sei.
Kaum haben die gewöhnichen Sterblichen aus den Medien erfahren, daß diese Summe mit den vielen Nullen ziemlich geräuschlos in den Eingeweiden der Finanzwelt verschwunden ist, werden sie mit einer neuen Frohbotschaft beglückt: Die EU hat in Kopenhagen beschlossen, den Rettungsschirm für Staaten, die mit Zahlungsschwierigkeiten kämpfen, auf 800 Milliarden – 800 000 000 000 – Euro zu erhöhen. Das solle Spekulanten abschrecken – wovor eigentlich? – und den Euro weiter stabilisieren.
Es ist fraglich, inwiefern die Finanzminister der Eurozone selbst an den Erfolg dieser Maßnahmen glauben, oder ob sie nur Zeit gewinnen wollen, um ein etwaiges Ende der Gemeinschaftswährung je nach ihren nationalen Möglichkeiten geordnet abzuwickeln. Also ihren Staatskredit retten und den anderer verfallen lassen wollen.
Einiges zur Verrücktheit der Marktwirtschaft
SPANIENS ENTSALZUNGSANLAGEN
Die Schönredner des kapitalistischen Systems faseln gerne von einer „invisible hand“, die von selbst alles zum Guten wendet, von „Gleichgewichten“, die durch schlaue Politik oder Investitionen herzustellen seien, und davon, daß ohne den Markt ja die Dinge nie zu denen kämen, die sie brauchen.
Dabei genügt es, die Zeitung aufzuschlagen und unvoreingenommen zu lesen, um zu merken, wie die ganzen „Marktmechanismen“ und die Forderungen nach Gewinn und Wachstum dazu führen,
– daß jede Menge an Ressourcen vergeudet wird,
– ein guter Teil der Teilnehmer eben keinen Gewinn macht, sondern als Verlierer der Konkurrenz das Feld räumen muß,
– ein Teil der erzeugten Waren nirgendwohin kommt, sondern vernichtet wird
– und vieles auch nicht produziert wird, weils keiner kaufen kann, ders braucht.
Spanien hat seit dem EU-Beitritt eine forcierte Gemüseproduktion in Andalusien aufgezogen, für die der Name Glashauskultur schönfärberisch wäre. Im „Plastikmeer“ rund um Almeria und Málaga dunsten Unmengen von geschmacklosen Tomaten, Gurken, Salathäupteln usw. unter Folien vor sich hin, bis sie von billigen und halblegalen ausländischen Taglöhnern gepflückt und quer durch Europa verschickt werden. Dort landet dann ein guter Teil, wie man in letzter Zeit öfter liest, noch in der Originalverpackung auf dem Müll, da die Handelsketten das Zeug so billig einkaufen und so teuer verkaufen, daß sie locker einen Haufen davon wegschmeißen können, wenn sie ihn nicht rechtzeitig anbringen.
Diese Art von Folien-Anbau benötigt außer einer Menge Agro-Chemie auch viel Wasser. Da es das billigste ist, sich das Wasser aus Brunnen zu holen, sinkt seit Jahren der Grundwasserspiegel und früher oder später versiegen diese Brunnen daher.
Um diese Erfolgsstory kapitalistischer Landwirtschaft weiterhin zu ermöglichen, wurde auf Abhilfe gesonnen. Die Sozialistische Partei Spaniens (PSOE) setzte auf Entsalzungsanlagen, und stampfte mit EU-Geldern ein großes Programm aus dem Boden, um die Küste von Valencia bis Almeria mit diesen Meerwasser-Aufbereitungs-Anlagen zu versorgen. Von den 51 geplanten Anlagen wurden 17 tatsächlich gebaut. Jetzt stellt sich heraus, daß diese 17 insgesamt im Durchschnitt zu 16.5 % (!!) ausgelastet sind.
Der Grund: das Wasser in diesen Anlagen zu entsalzen, ist energieaufwendig und dadurch recht teuer. Außerdem wollen ja die Baukosten auch über die Wasserpreise hereingebracht werden. Diese Entsalzungsanlagen wurden zwar zunächst mit EU- und spanischem Staatsgeld finanziert, sollen sich aber natürlich selbst amortisieren, also Gewinne machen und das vorgeschossene Geld zurückzahlen. Wenn die Abnehmer jedoch dieses aufbereitete Wasser zu dem erhöhten Wasserpreis für ihre Folientomaten nehmen, so sind ihre Produkte nicht mehr konkurrenzfähig, weil sie ja diese gestiegenen Kosten auf den Tomaten-Verkaufspreis draufschlagen müssen, um selber auch Gewinn zu machen. Auf einmal kämen dann vermutlich die holländischen Landwirte oder die von anderen Staaten ohne Wasserprobleme und könnten sie bei den Handelsketten unterbieten.
Diese Entsalzungsanlagen waren auch dafür gedacht, den Wasserbedarf für den Tourismus zu decken, und für diverse Stadtteile und Feriensiedlungen an der Küste, die entweder nie gebaut wurden oder heute als Rohbauruinen herumstehen. Den Urlaubern aus dem In- und Ausland hätte man diesen hohen Wasserpreis vielleicht verrechnen können – nur sind sie blöderweise nicht eingetroffen, um ihn zu zahlen. Die Gemeinden können sich jedoch ohne diese gestiegenen Tourismuseinnahmen das teure Wasser nicht leisten, da sie meistens ohnehin schon über die Ohren verschuldet sind.
Die EU-Zuständigen in Brüssel sind jetzt sauer und sagen: benützt doch eure Entsalzungsanlagen, weil Bedarf gibt es ja!
Jaaa, aber wie immer im Kapitalismus geht es um die zahlungsfähige Nachfrage, und die ist eben nicht gegeben.
Für die ganze iberische Halbinsel sind wegen kaum vorhandener Niederschläge im Winter die Prognosen düster: Ein Jahr der Dürre ist angesagt. Wenn weiterhin nur die Brunnen und das etwaige Regenwasser verwendet werden, wird eine große Anzahl der Brunnen versiegen. Und dann verschrumpelt ein Teil der Ernte, und viele dieser Folienunternehmen können zusperren – oder teures Wasser aus den Entsalzungsanlagen zukaufen! In ganz Europa hingegen gehen in Folge wahrscheinlich die Gemüsepreise in die Höhe, weil entweder die Lebensmittelketten die gesteigerten Kosten weitergeben oder das Zeug aus Lateinamerika oder Afrika einführen. Und wir kriegen als „Erklärung“ sicherlich mitgeteilt, das läge an Erderwärmung und Klimawandel.
Als Tüpferl aufs i kommt hier noch die spanische Parteienkonkurrenz hinzu: Die unlängst an die Macht gekommene Volkspartei war nämlich immer ein Gegner dieser Entsalzerei. Ein Politiker der PP – die übrigens Anhängerin der Atomenergie ist – zieht alle Register des Umweltbewußtseins und bezeichnet diese Entsalzungsanlagen als umweltschädliche Dreckschleudern, ähnlich den AKWs. Der Grund liegt in den vielen Unterstützern der PP aus der Bauindustrie, die ihre vielen im Zuge der Krise gescheiterten Bauprojekte mit der gigantomanischen Umleitung des Ebro nach Andalusien kompensieren wollen. Was laut Propaganda der PP ja viel billiger wäre als die Entsalzungsanlagen hochzufahren …