Pressespiegel El País, 23.11.: Drohnenkrieg

DIE NEUEN HERREN DES HIMMELS

Andres Mourenza, Istanbul

Armen – der sich neben dem Stadion von Stepanakert in einem Haus Yoga machte – konnte nicht identifizieren, ob diese Geräte am Himmel Harop aus israelischer Produktion, sogenannte „Kamikaze“-Drohnen waren, oder Bayraktar TB2 oder Anka 5 aus türkischer Produktion. In den 6 Wochen des Konflikts in dieser gebirgigen Gegend hat Aserbaidschan diese Drohnen reichlich eingesetzt und das war einer der Gründe für dessen Sieg. Mehr als 100 armenische Panzer (ein Fünftel seines militärischen Arsenals), 200 Stück seiner Artillerie und 26 Flugabwehrsysteme wurden von diesen neuen Kriegsherren des Himmels zerstört.

„Bisher wurden Drohnen als Hilfsmittel bei bewaffneten Konflikten eingesetzt, für Aufklärungsflüge oder in präziser Beseitigung von Objekten (!) (gemeint sind Personen), wie es die USA in Jemen, Somalia und Afghanistan praktiziert haben. Aber in Karabach haben wir erstmals einen Krieg gesehen, in dem die Drohnen praktisch die Rolle der Luftwaffe übernommen haben“, meint der Analyst Jesús Triana.

Abgesehen von ihrer Durchschlagskraft auf dem Schlachtfeld haben sie sich als sehr wirksame Propagandawaffe erwiesen, denn sie sind fähig, die Objekte aufzunehmen, die sie zerstören.

„Die Armenier veröffentlichten Graphiken über die Verluste des Gegners, aber das Verteidigungsministerium Aserbaidschans zeigte die Videos der Drohnen, während sie armenische Objekte zerstörten – sehr beeindruckende Bilder, die den Eindruck einer erdrückenden Überlegenheit vermitteln. Und diese Videos werden in sozialen Netzen verbreitet, sie werden zu Memes und es entsteht ein Informationskrieg.“

Die letzten Wochen vor Kriegsbeginn bezog Aserbaidschan militärische Ausrüstung im Wert von 77 Millionen Dollar (ca. 65 Millionen Euro) aus der Türkei. Insgesamt betrugen die Militärimporte Aserbaidschans aus der Türkei 123 Millionen im Jahr 2020. Wahrscheinlich wurden damit vor allem die Drohnen bezahlt, mit denen der Angriff eingeleitet wurde.

Aber der Kaukasus ist nicht die einzige Region, wo sich diese Flugkörper aus türkischer Produktion als entscheidend erwiesen haben: Im Februar dieses Jahres, nach dem Tod von 34 türkischen Soldaten nach Bombardements des syrischen Regimes (waren das nicht vor allem russischen Flugzeuge?) in der syrischen Provinz Idlib, „verursachten die türkischen Drohnen große Schäden an den den motorisierten Einheiten und der Luftabwehr der syrischen Armee, was der Türkei einen strategischen Vorteil verschaffte“, erklärt der Analyst Arda Mevlutoglu. „Genauso haben die bewaffneten Drohnen das Spielbrett in Libyen verändert und große Gebiete des Landes aus der Kontrolle der LNA (das Aufständischenheer des Marschalls Haftar) für die Einheitsregierung in Tripolis zurückerobern geholfen.“

Die Türkei setzt ihre Drohnen auch im Nordirak und für Erkundungsflüge über dem östlichen Mittelmeer ein, eine präzise und günstige Methode der Beobachtung: Eine Drohne wie die TB2 kostet 5 Millionen Dollar während ein Abfangjäger wie der F-35 auf über 80 Millionen kommt.

„Das zeigt die Verletzlichkeit der traditionellen Infanterieeinheiten, ob motorisiert oder gepanzert, gegenüber der modernen Kriegsführung mit Drohnen“, schreibt Can Kasapoglu, der Direktor des Programms für Sicherheit und Verteidigung der türkischen Denkfabrik EDAM.

Noch dazu haben in den weiter oben erwähnten jüngsten Auseinandersetzungen die russischen Flugabwehrsysteme, die zu den bestausgestatteten unter den derzeit erhältlichen zählen, keine gute Figur gemacht. In Libyen haben türkische Drohnen mehr als 20 Panzir S-1 (russische fahrbare Flugabwehr-Raketensysteme) zerstört.

In Syrien und Karabach haben mehr als 14 Osa-AKM („Wespe“, bewegliche Anti-Hubschrauber-Raketen) und auch die Raketensysteme S-300 und S-400 nichts ausgerichtet gegen den Drohneneinsatz, in Kombination mit elektronischen Radar-Ablenkungsmethoden. „Die gegenwärtigen Abwehrsysteme sind für größere Flugobjekte mit höherer Geschwindigkeit als die Drohnen konzipiert“, erklärt Dan Gettinger, Analyst beim Mitchell-Institut für Luftraumstudien. „Rußland hat mit Armenien eine Anti-Drohnen-Strategie namens Repellent entwickelt, aber die hat auch nicht funktioniert. (Noch dazu wurde eines dieser auf einen Lastwagen positionierten Abwehrysteme von einer Drohne zerstört.)

Auch die US-Patriot-Raketen konnten 2019 die Drohnen-Attacke auf 2 saudische Raffinerien nicht verhindern. Jede Patriot-Rakete kostet 3 Millionen Dollar, deswegen ist sie zudem auch noch unrentabel für den Anti-Drohnen-Einsatz.

Militärische Eskalation

Mevlutoglu fügt hinzu, daß „der Einsatz einer hohen Anzahl von Drohnen die Möglichkeit eröffnet, sich aktuelle Informationen über die Bewegungen des Gegners zu verschaffen. Im Anschluß daran können die intelligenten (also ferngesteuerten) Waffensysteme Führer, wichtige Personen und strategische Punkte der PKK vernichten, was ihre Handlungsfähigkeit und die Anzahl ihrer Aktivisten beträchtlich verringert hat.“

Gettinger betont, daß der Umstand, daß die Drohnen unbemannt sind und deswegen das Risiko eigener Veluste umgehen, dazu führen wird, sie „aggressiver einzusetzen“, was zu „schnellen militärischen Eskalationen“ führen könnte. Allerdings meint es auch, daß sie weniger Kollateralschäden hervorrufen als die bisher üblichen Bombardements mit anderen Fluggeräten.

Die Drohnen sind nicht die Zukunft, „sie sind die Gegenwart“, unterstreicht Jesús Triana. Die argentinische Gendarmerie verwendet sie für die Grenzüberwachung, das nigerianische Militär für den Kampf gegen Boko Haram …

Es sind nicht nur Länder mit Ebbe in der Staatskasse, die sich eine konventionelle Luftwaffe nicht leisten können: Ein internes Papier des Kommandanten der US-Marines, des Generals David Berger, empfiehlt, sich von Waffensystemen mit geringer Operationsfreiheit zu trennen und stattdessen auf unbemannte Flugkörper zu setzen. „Wir könnten uns der falschen Annahme hingeben, daß die neuen Technologien sehr komplizierte und teure Waffensysteme hervorbringen werden, aber ich glaube, die Entwicklung geht in Richtung Modelle, die die Verteidigungssysteme des Gegners z.B. mit einem Haufen (verhältnismäßig!) preisgünstiger Drohnen ausschalten könnten. China und die USA experimentieren bereits mit Drohnen, die als eine Art großer Bienenschwarm funktionieren. Es gibt kein Land der Welt mit einer militärischen Minimal-Ausstattung, das nicht den Einsatz von Drohnen bei seinen Streitkräften untersucht“, betont der Analyst.

Die meiste Besorgnis ruft allerseits hervor, daß es bisher kein effizientes Abwehrsystem gegen sie gibt.
_____________

Die Konflikte dienen der Türkei als Schaufenster, um ihre Technologie zu bewerben: Katar, die Ukraine, Pakistan und Serbien haben türkische Drohnen gekauft bzw. Interesse an ihnen bekundet.

„Die Türkei hat die USA, China oder Israel noch nicht als Drohnenproduzent überholt“, schränkt Gettinger ein, „aber sie verwandelt sich in einen expandierenden Markt.“ (Soll wohl heißen: in einen aufsteigenden Produzenten und Verkäufer.)

Die größte Schwäche der türkischen Industrie ist ihre Abhängigkeit von ausländischer Technologie. Aufgrund ihres Drohneneinsatzes in Karabach und Libyen hat Kanada ein Verbot für den Verkauf gewisser unentbehrlicher Bauteile für die TB2 an die Türkei verhängt. „Diese Lieferungen zu ersetzen wird die Türkei zweifelsohne Zeit und Geld kosten“, räumt Mevlutoglu ein. Er weist aber darauf hin, daß mit der Ukraine Abkommen getroffen wurden, um diese Lieferungen zu ersetzen und eine gemeinsame Drohnenproduktion anzuleiern.

Außerdem wird versucht, vor Ort eine Ersatzproduktion aufzuziehen. Hier kämpft die Türkei mit einem Brain Drain, der durch politische Säuberungen und die schlechte Wirtschaftslage hervorgerufen wurde und wird.
Dennoch hat die ganze Drohnenentwicklung durch Sanktionen ihren Anstoß erhalten.

Alles begann in den steilen Schluchten im Südosten der Türkei, an der Grenze zum Irak, in denen sich die Kämpfer der PKK mit Leichtigkeit bewegten und dem türkischen Militär empfindliche Schläge versetzten. In den 90-er Jahren wurden hier erstmals Aufklärungsdrohnen GNAT eingesetzt. Als Ankara jedoch von den USA andere ausgefeiltere Modelle wie den Predator oder den Reaper kaufen wollte – deren Export durch den Kongreß genehmigt werden muß – weigerten sich die USA.

Die Türkei hatte auch Probleme mit den Drohnen der Marke Heron aus israelischer Produktion, deren Lieferung sich über Jahre hinzog.

So wurde beschlossen, in eine eigene Drohnenproduktion zu investieren. Um 2005 herum machte ein junger Ingenieur, der in den USA ausgebildet worden war, die Militärführung darauf aufmerksam, daß die unbemannten Flugkörper die Technologie der Zukunft seien. Heute ist seine Firma der Hauptlieferant von Drohnen für die türkischen Streitkräfte. Die Drohnen Bayraktar haben sich zum Stolz des Landes entwickelt, und er selbst, Selçuk Bayraktar, heiratete 2016 die Tochter des Präsidenten Erdogan.

Eine Bayraktar TB2-Drohne auf dem türkischen Flughafen Geçitkale (Nordzypern!) im Dezember 2019. Bayraktar heißt übrigens „Fahnenträger“.
__________________________________________

Die Drohnen entwerten also alle möglichen konventionellen Waffen- und Abwehrsysteme in Ost und West.
Außerdem klärt dieser Artikel des Türkei-Korrespondenten nebenbei auch über den Verlauf der inzwischen aus den Medien verschwundenen Konflikte in Syrien und Libyen auf: Die Türkei hat sich den Traum erfüllt, eine Art unbesiegbare Wunderwaffe zu besitzen, mit dieser Macht ist derzeit nicht gut Kirschen essen. Deswegen gibt es dann sehr schnell Vereinbarungen, Waffenstillstände usw.

Außerdem hat sich die Türkei damit einen Exportschlager verschafft, was dazu beitragen wird, die derzeit laufenden Kriegseinsätze dieser neuen Regionalmacht zu finanzieren.

11 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 23.11.: Drohnenkrieg

  1. Die USA sollen weswegen n Afghanistan bleiben? Ach ja. Damit die deutschen Soldaten dort (sic…) geschützt werden…
    Und warum will sich die Bundeswehr Drohnen zulegen?
    Ach ja. Damit ….
    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/seit2019-an-seit2019-mit-den-usa
    Und übrigens kann man Kriege (bzw. Kriegshandlungen) offensichtlich nicht per Gerichtsbeschluss verbieten lassen:
    “In Leipzig unterlagen drei Jemeniten, die 2012 bei einem US-Drohneneinsatz Angehörige verloren hatten. Sie bezogen sich darauf, dass die Steuerung der Flugkörper über eine Relaisstation auf der US-Basis im rheinland-pfälzischen Ramstein erfolgt. Die Bundesregierung sollte sich konsequent dafür einsetzen, dass die Nutzung von Einrichtungen auf deutschem Boden für solche Quasi-Hinrichtungen ohne Verfahren und Urteile unterbleibt.
    Das Gericht aber betonte, Berlin habe „eine Zusicherung der USA eingeholt, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit geltendem Recht erfolgen“, und das reiche aus.” (s.o.)
    … Denn wann hätte je eine Regierung, nicht nur die der USA, je über sich das Gegenteil *zugesichert*? Im Weiteren erkäutert das Gericht noch obendrein eines seiner Grundsätze, nennt sich vermutlich “Angemessenheit”…
    “In der Mitteilung des Leipziger Gerichts findet sich auch noch ein Satz, der weit über das Drohnen-Thema hinausweist. Da geht es um die Frage, ob die Bundesregierung nicht die Vereinbarungen über die Nutzung von Ramstein durch die USA kündigen könnte, um Missbrauch ganz auszuschließen. Eine solche Maßnahme, so die Richterinnen und Richter, „musste die Bundesregierung wegen der massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht ziehen“.”

  2. Die Drohnen, wo Israel offenbar der Pionier der Entwicklung war, ändern die imperialistischen Spielregeln, weil sie eine Art von Kriegsführung ermöglichen, die ohne Aufmarsch, Kriegserklärung und sonstige, bisher gebräuchliche feindselige, aber offizielle Akte auskommt.
    Man kann hinterrücks und ohne offizielles Bekenntnis in anderer Staaten ihrem Luftraum herumfuhrwerken, und dort lebendige und unbelebte Objekte beseitigen.

  3. Bei der Rüstungsindustrie gibt es anscheinend das Wachstum, was woanders nicht stattfindet.
    Gerade die türkische Lira könnte so ihren Abwärtstrend umkehren – das wäre zu beobachten.

  4. Exportorientierung (egal mit was auch immer) ist ja nun wirklich kein neues Konzept, um eine ansonsten nicht sonderlich wachsende Wirtschaft anzukurbeln. Hat in den meisten Staaten nicht wirklich funktioniert, weil sie zumeist von wenigen Branchen ja manchmal soagar nur wenigen Produkten abhängig waren. Ob die Türkei jetzt soviel besser dasteht mit ihren tollen Drohnen usw. wage ich also erst mal zu bezweifeln.

  5. KRIEG IN DER UKRAINE
    Lancet-Drohne – West-Technik macht Putins wirksamsten Panzerkiller so gefährlich

    Die Lancet-Drohne macht den ukrainischen Soldaten zu schaffen. Sie zerstört hochpräzise gepanzerte Fahrzeuge, Unterstände und Artillerie. Nun stellt sich raus, im Inneren werkeln Chips und ein kleiner Computer aus den USA.

    Die Lancet-Drone ist der effektivste Panzer- und Artillerie-Killer der russischen Streitkräfte. Die Kamikaze-Drohne kann sich hochpräzise auf ihr Ziel stürzen – sie gehört zur "Loitering Munition" zu den "Herumhängenden Waffen". Dabei ist sie klein genug, um der Luftabwehr zu entgehen. Die Zeit der großen Kampfdrohnen wie der türkischen TB-2 ging im Ukraine-Krieg schnell vorüber. Aus den Jägern wurden Gejagte, die relativ langsamen Groß-Drohnen werden heute über dem Schlachtfeld effektiv bekämpft.

    Die kleinen Drohnen hingegen können fast überall gestartet werden und sind schon wegen ihrer Größe und den Baumaterialien von der herkömmlichen Luftabwehr schwer zu erfassen.

    Ukrainisches Militär wertet Drohnen-Wrack aus

    Eine abgestürzte Lancet konnte vom ukrainischen Militär geborgen werden. Dabei zeigte sich, dass Elektronikkomponenten von Firmen aus den USA und Südkorea die Drohne so tödlich machen. Im Inneren fand sich ein Einplatinencomputer von NVIDIA (Jetson TX2) und ein Zynq-Chip von Xilinx. Xilinx galt als größter Entwickler und Hersteller von programmierbaren Logik-ICs. Heute gehört das Unternehmen zu AMD, der Stammsitz von Xilinx ist San José in Kalifornien. Dazu steckte ein Chip der südkoreanischen Firma SK Hynix in der Drohne. Die Bauteile stehen auf den Sanktionslisten des Westens und sind durch einen Grauimport nach Russland gekommen. Der Weg der gefundenen Bauteile müsste sich zumindest teilweise rekonstruieren lassen, dennoch wird man einen Schmuggel der verbreiteten Allerweltchips kaum verhindern können. Den Jetson TX2 oder vergleichbare Einplatinencomputer kann man in verschiedensten Leistungsstufen einfach im Internet bestellen.

    Effektive Präzionswaffe

    Die Lancet-3 ist heute im Einsatz, sie kann einen Gefechtskopf von drei Kilogramm Gewicht transportieren. Mit ihm kann sie die Oberseite eines jeden gepanzerten Fahrzeugs durchschlagen. Beton wird bis zu 500 Millimeter aufgebrochen, das reicht für die Feldbefestigungen in der Ukraine. Die ganze Drohne wiegt nur 12 Kilogramm. Es handelt sich nicht um einen Quadcopter, die Lancet fliegt mit zwei Paar Stummelflügeln. Vorn und hinten am Rumpf sind zwei X-förmige Tragflächenpaare angebracht. Die Drohne besitzt einen Elektromotor, der den zweiblättrigen Propeller am Heck antreibt. Auf diese Weise kann sie 40 Minuten in der Luft bleiben. Die Reichweite liegt bei 40 Kilometern. Die Lancet erreicht Geschwindigkeiten zwischen 80 km/h und 100 km/h, wenn sie sich auf das Ziel stürzt, erhöht sie ihre Geschwindigkeit auf 300 km/h. Nachteilig ist, dass sie mit einem Katapult gestartet werden muss und nicht wirklich sicher landen kann, wenn sie kein Ziel findet. Daher wird die Lancet meist im Tandem mit einer wiederverwendbaren Beobachtungsdrohne eingesetzt. Erst wenn diese ein Ziel ausgemacht hat, wird die Kamikaze-Waffe gestartet. Videos von den Einsätzen der Lancet stammen daher auch meistens von dem Beobachter.

    Hergestellt wird die Drohne von der ZALA Aero Group, die wiederum zum Kalaschnikow-Konzern gehört. Die Lancet wurde 2019 erstmals vorgestellt und wurde von den Russen bereits in Syrien eingesetzt. Die meisten Kampfdrohnen Russlands konnten sich im Kriegseinsatz nicht beweisen und lieferten nur enttäuschende Ergebnisse. Anders die Lancet: Sie ist äußerst effektiv. Vermutlich auch dank der westlichen Steuerungselektronik.

    Stärkere Version vorgestellt 

    Kürzlich wurde eine neue, stärkere Version angekündigt. Die Lancet-5 soll die Nutzlast auf 5 Kilogramm erhöhen. Auch sollen die Flügel modifiziert worden sein. Das neue Modell soll ein neues optisch-elektronisches Leitsystem und ein Steuersystem mit neuer Software erhalten haben. Die Drohne kann verschiedene Sprengsätze transportieren. Berechnet auf 5 Kilogramm dürfte die Wirkung des thermobarischen Gefechtskopfs enorm sein.

    Mit herkömmlicher Munition sind die kleinen Drohnen nur schwer zu treffen. Airburst-Geschosse, die einen Splitternebel erzeugen, können nur von wenigen speziellen Flugabwehr-Maschinenkanonen eingesetzt werden. Die neue Version der Lancet soll eine Schutzbeschichtung gegen Laserwaffen besitzen.

    Es ist unklar, ob die Lancet weiterhin auf geschmuggelte Westtechnik angewiesen ist. Anfang März hob Peking die bisherigen Restriktionen für Ausfuhr von kommerziellen Drohnen nach Russland auf. Die Drohnen werden dort militarisiert, sie könnten aber auch die Elektronik für russische Kampfdrohnen liefern.

    (Stern, 29.3.)

    Was so ein Krieg alles leistet! Vor einigen Jahren im Karabach-Krieg, und von der türkischen Armee gegen die Kurden eingesetzt, waren die Bajraktar-Drohnen der letzte Schrei, und 2 Jahre später sind sie schon altes Eisen für die effiziente Kriegsführung …

  6. Von der Welt vergessen

    Seit einem Monat wird die Enklave Bergkarabach von Aserbaidschan regelrecht ausgehungert. Es fehlt an allem – an Essen, Benzin, Medikamenten. Über eine nahende Katastrophe

    Wie nennt man das, wenn ein Landstrich von der Welt abgeschnitten ist, wenn keine Medikamente mehr durchkommen und Kranke zu Fuß die Kliniken erreichen, weil keine Rettungswagen mehr fahren und kaum noch Autos, ohne das nötige Benzin? Wenn die Regale in den Supermärkten leer sind, wenn sich Menschen frühmorgens stundenlang für Brot anstellen und doch keines kriegen? Wenn die Fehlgeburtenrate in die Höhe schießt, weil Schwangere nicht mehr versorgt werden? Wenn Hunde und Katzen durch die Straßen streunen, weil ihre Besitzer selbst kaum zu essen haben und die Tiere aussetzen? Nina, 23 Jahre alt, Grundschullehrerin aus Bergkarabach, nennt es so: "Wir erleben einen langsamen Genozid."

    Das sei es, was die Armenier durchmachten, die in der Enklave Bergkarabach leben, um die seit Jahrzehnten zwischen Aserbaidschan und Armenien gestritten wird. Wer dem armenischen Premier Nikol Paschinjan und seinem Erzgegner, dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, bei einem ihrer seltenen gemeinsamen Auftritte zuhörte, fand aus dem Wust aus historischer Rechthaberei, die Jahrhunderte umspannt, schwerlich wieder heraus. 1991 erklärte sich die Enklave, mittlerweile nahezu vollständig von Armeniern bewohnt, als Republik Arzach für unabhängig – sie wird aber international nicht anerkannt; völkerrechtlich gehört das Territorium zu Aserbaidschan. Gleichzeitig scheinen sich die Ängste der dort lebenden Armenier zu bestätigen: Alle Welt könne nun sehen, was für eine Katastrophe es wäre, wenn sie Aserbaidschan zugeschlagen würden.

    Mit wem man dieser Tage in Bergkarabach auch spricht, ob mit der Grundschullehrerin Nina, mit der Dozentin Zaruhi Grigorjan, der Kinderärztin Kristine Aghajanjan oder Gegham Stepanjan, dem Ombudsmann für Menschenrechte in Bergkarabach, stets hört man die Schreckensworte des 20. Jahrhunderts: Genozid, ethnische Säuberung, Völkermord. So beschreiben die Betroffenen nicht nur ihren Hunger, ihre katastrophale Versorgungslage. Sie ordnen ihr Leid ein in die historische Erfahrung von 1915, als das Osmanische Reich mithilfe der Deutschen bis zu anderthalb Millionen Armenier getötet hat.

    (…)

    (Zeit, 10.8.)

    Es sieht so aus, als ob Rußland an dieser Nebenfront nicht mehr allzuviel vorhat und Berg-Karabach zum Abschuß freigegeben wird.
    Vermutlich kann man bald von Evakuierungen oder Deportationen der dortigen Bewohner lesen.

    Das Ganze ist relativ heikel, weil Armenien der treueste Verbündete Rußlands im Kaukasus ist. Aber das Problem mit der Enklave, das mit dem Zerfall der SU virulent geworden ist, läßt sich offenbar auf anderem Wege nicht bewältigen.
    International wurde dieses Territorium immer als Teil Aserbajdschans betrachtet, die Armenier können also auch keinen Rechtstitel ins Feld führen.

  7. „Lawrow wies armenische Aussagen zu Berg-Karabach zurück

    Die Aussage Armeniens, dass Russland Berg-Karabach angeblich Aserbaidschan „zugesprochen“ habe, entspreche nicht der Realität.
    Dies erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz im Anschluss an den G20-Gipfel in Neu-Delhi. »Irgendeine Persönlichkeit, meiner Meinung nach der Parlamentsvorsitzende“ (in Armenien), „hat sich in dem Sinne geäußert, dass Russland Berg-Karabach Aserbaidschan überlassen hätte. Eine falschere und unehrlichere Aussage kann man sich kaum vorstellen«, sagte Lawrow und betonte, Eriwans Aussagen seien absolut unwahr.

    Der russische Außenminister erinnerte daran, dass in dem im November 2020 zwischen der Russischen Föderation, Armenien und Aserbaidschan unterzeichneten dreiseitigen Abkommen der Status Karabachs nicht erwähnt wurde, da diese Frage bei den Verhandlungen erörtert werden sollte.

    Später unterzeichneten Ilmach Alijev und Nikol Pashinjan jedoch in Prag ein Papier zur Anerkennung der Erklärung von Alma-Ata (1991), wonach »die seinerzeitige Region Berg-Karabach Teil Aserbaidschans ist«.“

    Diese Erklärung von Alma-Ata, das damals noch mit diesem Namen die Hauptstadt Kasachstans war – sie wurde 1993 in Almaty umbenannt, 1998 wurde Astana zur neuen Hauptstat – ist als eine Art Staatsgründungsdokument vieler Nachfolgestaaten der SU zu betrachten. Deswegen wird an ihr nicht gerne gerüttelt. Das gilt sicher für Armenien und Aserbaidschan.
    Mit dieser Erklärung begab sich Kasachstan auch in den exklusiven Zirkel der Zerschlager der SU – neben Jelzin, Kravtschuk und Schuschkjewitsch wurde damit auch Nasarbajew zu einem Akteur der Auflösung der SU und drängte damit auch Staaten wie Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenien in die Unabhängigkeit, die von sich aus damit gar nichts am Hut hatten.

    Was die Unterschrift in Prag im Oktober betrifft, so kann man hier alles Nähere dazu nachlesen. Armenien, damals bereits enttäuscht von Rußland, warf sich der EU in die Arme und verzichtete dabei de jure auf Berg-Karabach. Paschinjan hoffte offenbar, es dafür de facto als autonome Provinz oder etwas Ähnliches bestätigt zu erhalten.
    In einer gewissen politischen Blauäugigkeit meinte der armenische Präsident offenbar, für eine gewisse Distanz zu Rußland würde er vom Westen belohnt.

    „Lawrow sagte, daß man Rußland die »Kapitulation« Karabachs im November 2020 nicht verantwortlich machen dürfe. »Vor dem eigenen Volk muß man selbständig Rechenschaft ablegen«, schloss der russische Außenminister.“

    Dieser Satz ist mehrdeutig. Er betrifft nämlich alle Parteien des Konfliktes.
    Die Armenier, so deutet er hiermit an, müßten sich selbst darüber klar werden, daß sie aus eigener Kraft Berg-Karabach nicht halten können – und nicht erwarten dürften, daß Rußland für sie die Kastanien aus dem Feuer holt.
    Zweitens aber meint er auch sich selbst bzw. die russische Führung, die klar sagen muß, daß sie nicht ihr Land in diesen Konflikt auf Seite Armeniens hineinziehen will.

    „Zuvor hatte KP.RU geschrieben, dass das russische Außenministerium den armenischen Botschafter Wagharschak Harutjunjan wegen der unfreundlichen Schritte Eriwans gegenüber Moskau einberufen habe.
    Rußland hat Armenien bereits um eine Erklärung wegen der Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gebeten.“

    Armenien ist also dem internationalen Strafgerichtshof beigetreten, der einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt hat. Damit verpflichtet es sich zur Auslieferung des russischen Präsidenten, sollte dieser armenisches Territorium betreten.

    (KP, 10.9.)

    Armenien positioniert sich also gegen Rußland. Das dürfte für den Status Berg-Karabachs keinerlei Auswirkungen haben, aber ziemliche ökonomische Folgen für das ohnehin verarmte und verelende Armenien.
    Es fragt sich, wie diese Schritte in Armenien selbst von der Bevölkerung aufgenommen werden?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert