DAS EPIZENTRUM DER CORONAVIRUS-ERKRANKUNGEN VERLAGERT SICH VON MOSKAU IN DIE REGIONEN
„Das Risiko einer COVID-19-Infektion in Russland ist nach wie vor hoch
Sogar das Coronavirus erwies sich vor so einer machtvollen Erscheinung wie dem russischen Vertrauen ins eigene Glück als schwächlich. Nach dem Ende der Zeit der Selbstisolation ignorieren die Menschen geradezu genießerisch Sicherheitsmaßnahmen: Sie vergessen die medizinischen Masken, feiern den Sieg über das Coronavirus in zahlreicher Gesellschaft und ignorieren die Anforderungen der sozialen Distanzierung.
Ist es nicht zu früh, um die Zügel derartig schleifen zu lassen? Diese Frage haben wir Artyom Gil gestellt, Professor am Institut für Gesundheitsmanagement an der Setschenov-Universität.
Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, dann ähnelt die Situation dort einer Fläche mit einem sehr langsamen, kaum wahrnehmbaren Aufwärtstrend – sagt Artyom Jurjevitsch.
Es besteht jedoch das Gefühl, dass eine beträchtliche Anzahl infizierter Personen gar nicht in die Statistik eingeht (z. B. gehen sie nicht mit leichten Atemwegsbeschwerden zum Arzt). Darüber hinaus sind sogar die offiziellen Zahlen – etwa 6500 neu registrierte Fälle im Land pro Tag – sehr hoch. Es gibt in der Tat immer noch ein hohes Infektionsrisiko. Es gibt Regionen, in denen eine angespannte Situation bezüglich der Bettenkapazität besteht. Daher glaube ich, dass Menschen völlig grundlos aufhören, vorbeugende Maßnahmen zu beachten. Dies schafft das Potenzial für einen zukünftigen Ausbruch. Wenn in solchen Regionen, in denen die Bettenversorgung bereits jetzt nicht ausreichend ist, auch nur ein kleiner Ausbruch auftritt und die Anzahl der Patienten zunimmt, kann das Gesundheitssystem eine solche Belastung nicht bewältigen.
KP: Die Ansicht ist weit verbreitet, dass die Coronavirus-Epidemie in Moskau nachlässt, aber das Epizentrum sich in die Regionen verlagert. Ist das wirklich so?
Zum Teil ja, die Infektion hat sich im ganzen Land verbreitet. Nach meinen Vermutungen begann die Ausbreitung des Coronavirus außerhalb Moskaus nach den Maifeiertagen. Jedes Jahr gibt es Anfang Mai eine massive Abreise aus Moskau von denen, die in die Hauptstadt gezogen sind, um dort zu arbeiten. Das gleiche passierte dieses Jahr. Heute sehen wir wirklich mehrere lokale Epizentren, hauptsächlich im Norden Russlands – den Autonomen Kreis Chanty-Mansi, den Autonomen Kreis Yamalo-Nenzien, das Gebiet Murmansk …
Das bestätigt übrigens die Hypothese der Saisonalität von Covid-19. Im Norden ist es jetzt, anders als in Zentralrussland, feucht und kühl, und das Virus verbreitet sich dort schneller. Im Herbst trägt das Wetter nach unseren Maßstäben zur Situation vor der Krise bezüglich der Bettenkapazität und des Mangels an medizinischem Personal bei. In Moskau gibt es zwar eine überdurchschnittliche Sterblichkeit, aber wir beobachten keine Überlastung des Gesundheitssystems.
KP: Was ist, wenn die zweite Welle des Coronavirus kommt?
Selbst wenn es eine zweite Welle gibt, ist die Überlastung des Moskauer Gesundheitssystems kaum zu erwarten, da die Hauptstadt einen Mechanismus für den raschen Einsatz von Covid-Betten eingerichtet hat. Es ist klar, daß wir Todesfälle nicht vermeiden können, weil es noch keine wirksame Behandlung für diese Infektion gibt.
Andererseits gibt es Anzeichen für eine Mutation des Virus, es gibt Hinweise darauf, dass es weniger bösartig wird. Daher kann man erwarten, dass die zweite Welle weniger tödlich ist als die erste. In Moskau gibt es immer noch keine Anzeichen für die ernsthafte Situation, die am Anfang stand. Aber in der Provinz entstehen neue Epizentren. Deshalb kann man nicht Entwarnung geben, das Infektionsrisiko ist immer noch sehr hoch.“
_____________________________________________
In Rußland wurde lange das Augenmerk auf diejenigen Personen gelegt, die von China einreisten – ob zu Land oder in der Luft.
Das Coronavirus wurde jedoch von russischen Touristen aus Westeuropa eingeschleppt und verbreitete sich in Moskau, bevor die Quarantäneregeln in Kraft traten.
Und von dort eben offenbar weiter.
Die Zahlen aus Rußland lauten:
Bestätigte Fälle: 789.190
Genesen: 572.053
Todesfälle: 12.745
Durchgeführte Tests: 25 704.372
Neue nachgewiesene Infizierte seit dem Vortag: 5862
Quelle: Jandex, „Coronavirus in Rußland“
Auffällig ist die hohe Testrate und die geringe Todesrate.
Wenn man Rußland (146.877.088 Einwohner mitsamt Krim, nach der Volkszählung 2018)) mit den USA (geschätzte 330 Millionen) vergleicht, wird das besonders auffällig:
Bestätigte Fälle: 3 903.684
Genesen: 1,888,787
Todesfälle: 142,095
Durchgeführte Tests: 47 224 382
Neue nachgewiesene Infizierte seit dem Vortag: 4,473
Quelle: United States COVID-19 Statistics
Die USA testen auch sehr viel, aber sowohl die Zahl der noch aktiven Fälle als die der Todesfälle ist weitaus höher, sowohl im Vergleich mit der Einwohnerzahl als auch im Vergleich mit den bestätigten Fällen. Lediglich der Anstieg der Infiziertenzahlen ist geringer.
Kategorie: Gesundheit
Statistiken zur Sterblichkeit in Sachen Coronavirus
LATEINAMERIKA ALS NEUER HOTSPOT
Hier zunächst einmal die neuen Statistiken zum Coronavirus: In Europa scheint die Lage derzeit halbwegs im Griff der Regierungen zu sein. Wobei es innerhalb der EU dennoch große Unterschiede gibt:
0,000856150153358 Belgien
0,000676068761379 UK
0,000603094717081 Spanien
0,000580524925360 Italien
0,000540687666792 Schweden
0,000446778021584 Frankreich
0,000413429878049 USA
0,000366663061637 Irland
0,000354815262412 Holland
0,000228733481328 Schweiz
0,000157358490566 Portugal
0,000109106154264 Deutschland
0,000080033638962 Österreich
0,000047134835438 Norwegen
0,000399681279217 Chile
0,000385883773562 Peru
0,000349553657132 Brasilien
0,000293201297197 Ecuador
0,000284897117431 Mexiko
0,000233171839756 Kanada
0,000168401688385 Bolivien
0,000161503136377 Iran
0,000077765702980 Rußland
0,000064722508498 Türkei
0,000043092841715 Argentinien
0,000017193428425 Indien
Zuwachsraten:
Peru + 0,000041040567256
Chile + 0,000036417428630
Brasilien + 0,000035256287195
Mexiko + 0,000035095381855
USA + 0,000016219512195
Ecuador + 0,000014014361825
Schweden + 0,000009585974035
UK + 0,000008940996199
Rußland + 0,000007775208615
Portugal + 0,000003679245283
Türkei + 0,000001695628706
Belgien + 0,000001137217941
15.7.
_______________________________________________
In absoluten Todeszahlen führen die Liste die USA an, gefolgt von Brasilien, Großbritannien, Mexiko, Italien, Frankreich und Spanien.
Bei Zuwachsraten sind weiterhin Schweden und GB führend in Europa, wobei sich die Zahlen spürbar verringern.
Der absolute Spitzenreiter an Sterbefällen ist derzeit Peru. In Lateinamerika schreitet das Coronavirus rasant vor, und es scheint wenig an Bemühungen zu geben, seine Verbreitung einzudämmen. Viele Staaten können sich entsprechende Maßnahmen gar nicht leisten, ihre Gesundheitssysteme sind für Pandemien dieser Art nicht gerüstet, und bei manchen Staaten sieht es so aus, daß es die Regierenden auch nicht besonders interessiert, ihre Bevölkerung vor dieser Epidemie zu schützen.
In Ecuador, Brasilien und Bolivien wurden die Verträge, die zwischen diesen Staaten und Kuba unter den Vorgängerregierungen geschlossen wurden, aufgekündigt und die kubanischen Ärzte kehrten nach Kuba zurück, was das Gesundheitswesen dieser Staaten ausdünnte.
Man gewinnt den Eindruck, daß die heutigen Regierungen dieser Staaten das Wüten des Virus gar nicht so sehr stört: Es befällt nämlich in erster Linie Angehörige indigener Minderheiten und Arme, deren Abwehrkräfte geringer sind, und die gar keine Möglichkeiten haben, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da diese Menschen erstens unter Subsistenzbedingungen leben, also wenig bis nichts in die Staatskasse einzahlen, und zweitens oftmals in Bewegungen organisiert sind, die sich gegen die herrschenden Eliten auflehnen, ist der Tod von dergleichen Menschen den dortigen Regierungen angenehm: Störende Elemente werden weniger.
Man könnte sagen: Sie begrüßen das Coronavirus, als eine Art naturgegebene Entlastung des von ihnen verwalteten Systems.
Ähnlich ist die Situation in Chile, wo seit Monaten Proteste gegen die Regierung stattgefunden haben – sollen sie doch verrecken, diese Unzufriedenen! Die Regierung von Piñera sieht sich durch die Corona-Pandemie gestärkt, das Virus kam sozusagen als ein Geschenk des Himmels.
Man merkt, wie sehr demokratische Wahlen in diesen Staaten inzwischen sowieso nur die Mitglieder von Eliten an die Macht bringen, die sich nicht als Vertreter der ärmeren Volksschichten verstehen. Mit einem von Bolsonaro auch explizit ausgesprochenen Zynismus sehen sie die Corona-Pandemie als eine Art Euthanasie-Programm, das ihnen ihre Positionen sichert.
Die evangelikalen und USA-hörigen Politiker beglücken ihre Bevölkerung mit dem Ratschlag, doch fest zu beten, um das Virus zu bekämpfen.
In Mexiko vereint sich der Vormarsch der Ansteckungen und Todesfälle mit dem Coronavirus mit der allgegenwärtigen Kriminalität und ständig steigenden Mordrate, es fragt sich, wie lange sich dort überhaupt noch so etwas wie ein normales Leben und ein ökonomischer Kreislauf aufrechterhalten läßt.
Bei allen lateinamerikanischen Staaten ist zu bedenken, daß die Datenerfassung – die ja einen bedeutenden Aufwand darstellt – dort nicht sehr verläßlich ist, die Zahlen vermutlich höher sind als offiziell gemeldet.
Europa hat die erste Welle größtenteils hinter sich, verschiedene Staaten lockern ihre Bestimmungen, aber gleichzeitg zeigen Neuinfektionen daselbst, daß die erste Welle nicht vorbei, aber die zweite Welle schon im Anmarsch ist.
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise III
HANDELSKRIEGE, GRENZSCHLIESSUNGEN, FLUGZEUGE AM BODEN – IN WELCHE RICHTUNG GEHT DIE WIRTSCHAFT?
oder: Über die Entwicklung des Spätkapitalismus in Coronavirus-Zeiten
Bisher liegt noch alles in einem gewissen Schlafmodus, alle Entscheidungen werden vertagt. Das kann aber nicht mehr lange so weitergehen.
Wie wird die Politik reagieren, wenn die geschrumpfte Zahlungsfähigkeit Pleitewellen zum Ergebnis hat?
Werden die Konkursregelungen geändert?
Was geschieht, wenn Leute ihre Mieten nicht mehr zahlen können?
Werden Tausende und Abertausende obdachlos, wie in den USA 2008 ff.?
Oder gehen die Mieten und Kreditraten hinunter?
Wenn ja, wer bedient die dadurch gekrachten oder umgeschuldeten Hypotheken?
Wenn nein, wie werden die weiterhin bezahlt, oder wie werden die Ausfälle durch Delogierungen kompensiert?
Wie geht es weiterhin mit der Mobilität der Arbeitskraft?
Wird der Schengenraum, was er einmal war?
Was wird mit den Banken, der Geldschöpfung und dem Kreditgeschäft überhaupt?