Die mediale Aufbereitung einer Naturkatastrophe

EIN ORKAN, DER NEUE MEDIENSTAR
Seit einigen Tagen wird die Öffentlichkeit detailliert darüber informiert, wie die USA und besonders New York mit einem Wirbelsturm „fertigwerden“, der über die Ostküste der USA hinweggefegt ist. Jedem Europäer hat das ein Anliegen und Grund für Zittern und Bangen zu sein. Offenbar wollen alle auf Urlaub in diese wichtige Weltstadt fahren, haben dort Verwandte oder machen Business an der Wall Street, deren Börse, wie man erfährt, wegen des Sturms geschlossen werden mußte. Das scheint überhaupt die größte Katastrophe gewesen zu sein, die der Sturm angerichtet hat: einen oder 2 Tage lang kann der abstrakte Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft nicht hin- und hergeschoben, generiert oder vernichtet werden.
Daß dieser Sturm vorher durch die Karibik gesaust ist und in Haití, Kuba und Jamaika beträchtliche Schäden angerichtet und Menschenleben gefordert hat, fällt irgendwie unter den Tisch. Das ist keine Nachricht, die irgendjemanden etwas angeht. Es sind offenbar keine Spendenaktionen für die betroffenen Länder geplant, obwohl die die nötig brauchen könnten, da dort Naturkatastrophen auf Staaten treffen, die nicht einmal über die Mittel verfügen, den Normalbetrieb ihrer Ökonomie und eine sozialstaatliche Betreuung ihrer Gesellschaft hinzukriegen. Aber nein, die Menschen in der Karibik stehen derzeit nicht auf dem Spielplan der politisch organisierten Wohltätigkeit.
Dafür aber die gebeutelten New Yorker, die jetzt nicht einmal mit ihrer U-Bahn fahren können! Auch die Hauptstadt der USA hat es erwischt. Die Funktionalität der Weltmacht Nr. 1 ist ein bißl angeschlagen. Während „Katrina“ nur das Elend im Süden ein wenig augenscheinlich gemacht und gewaltig verstärkt hat, so hat „Sandy“ sich ins Herz dieses Staatswesens vorgearbeitet. Und alle Welt hat das jetzt gespannt zu betrachten: Wie bewährt sich der mitten im Wahlkampf stehende Präsident? Macht er eine bessere Figur als sein Vorgänger in Katastrophenbewältigung? Sagt er das Richtige? Ist er zur rechten Zeit am rechten Ort? Und vor allem: wie kann er diese Katastrophe für sich in der Konkurrenz um die Macht nützen?? Der Orkan-Bonus wird vermutlich seinen Widersacher alt ausschauen lassen, weil der eben nicht im Amt ist und sich daher nicht überall im Fernsehen wichtig machen kann, wie er die Sache im Griff hat.
Die Aufräumung der Katastrophenschäden obliegt sowieso den diversen Institutionen wie Feuerwehren, der Nationalgarde und anderen Einheiten, die dafür vorgesehen sind. Das Geschwätz von Präsidenten und Politikern tut daher weder etwas hinzu noch etwas weg.
Aber für die Speichellecker der Macht in den Medien geht es nur darum und um nichts anderes: wie sich die Machthaber zu solchen „Herausforderungen“ stellen, sich in jedem Augenblick als informiert präsentieren, und zeigen, daß weder die menschliche Gesellschaft noch die Natur irgendetwas hervorbringen kann, womit ein solcher Tausendsassa nicht fertig würde!
Für diese Verrücktheit, einen gewählten Politiker als Supermann zu präsentieren, der alle Feinde in die Flucht schlägt, eignen sich Naturkatastrophen besonders gut. Sie kommen aus heiterem Himmel, sind unabwendbar, schlicht „Schicksal“, und ihre Bewältigung hat etwas an sich, das die damit Befaßten gottgleich macht. So sind diese Ereignisse Sternstunden des demokratischen Personenkultes, in denen die modernen Hofberichterstatter wieder einmal zu voller Größe auflaufen können.
An einer ideologischen Nebenfront hingegen können die Theoretiker des Jenseits auf die menschliche Hybris verweisen, die meint, sich die Natur untertan machen zu können, und deren Repräsentanten vom Schöpfer jetzt als ohnmächtige Würmer vorgeführt werden …

Ein heikler Schritt

SPANIEN UND DER „RETTUNGSSCHIRM“
Seit einiger Zeit steht im Raum, daß auch Spanien um Stützung seines Staatskredits ansuchen wird, genauso wie Griechenland, Portugal und Irland. Dennoch wird dieser Schritt ständig hinausgeschoben, sowohl von der spanischen Seite, als auch von den EU-Gremien und -Spitzenpolitikern.
Warum wohl?
Erstens war der „Rettungsschirm“ eine Zeitlang gar nicht bereit, seine hohe Aufgabe zu übernehmen. Der bisherige Mechanismus EFSF ist im Auslaufen begriffen, und zu gering dotiert für einen solchen großen Brocken wie Spanien. Die neue Finanzierungs- und Kontrollinstitution ESM ist gerade erst in Kraft getreten und ein Ansuchen Spaniens wäre der erste Härtetest für diese mit 700 Milliarden Euro ausgestattete Institution. Eine Besonderheit des ESM ist, daß die pleitegefährdeten Staaten, deren Kredit durch die anderen gestützt werden muß, genauso als Anteilseigner und Garanten des ESM figurieren, wie Deutschland oder Holland, also solche Staaten, deren Kredit (noch) als unangefochten gilt. Im ESM ist also einerseits das Ideal „Alle für den Euro!“ verwirklicht, andererseits aber sind damit auch alle Zweifel eingebaut, die es gegenüber dieser Währung bereits gibt. Griechenland bürgt z.B. mit einer ähnlich hohen Summe wie Österreich. Die Inanspruchnahme des ESM durch Spanien in noch immer nicht festgelegter, nicht einmal geschätzter Höhe wäre eine neue Prüfung für den Euro auf den internationalen Märkten.
Zweitens ist es für die spanische Regierung selbst eine bittere Pille, sich für praktisch insolvent zu erklären, nachdem sie den Wahlkampf damit geführt hatte, mit der „Mißwirtschaft“ ihrer Vorgänger aufzuräumen. Die Frage des Umgangs mit der Krise hat innerhalb der spanischen PP zu heftigen Flügelkämpfen geführt, der unter anderem kein Geringerer als der frühere Chef des IWF, Rodrigo Rato, zum Opfer gefallen ist. Die Souveränität Spaniens würde durch eine Kontrolle einer Troika, wie sie Griechenland seit mehr als einem Jahr erdulden muß, sehr eingeschränkt, und die bereits jetzt beschlossenen Sparmaßnahmen gefährden ernsthaft den Zusammenhalt des Staates. Während Katalonien etwas unernst mit dem Gedanken eines Austritts spielt, werden in der spanischen Regierungspartei immer mehr Stimmen laut, die eine völlige Liquidation der Provinzautonomie fordern. In beiden Fällen wäre die Frage zu klären, was eigentlich dann mit den sogenannten „autonomen“ Schulden geschehen würde, die die Provinzen durch Ausgabe von Anleihen aufgenommen haben.
Drittens würde natürlich diese Garantieübernahme für Spanien auch diejenigen Staaten stark belasten, deren Verschuldung und Kredit selbst Gegenstand für Besorgnis ist. Italiens Regierungschef Monti fürchtet ein Ansteigen der gerade mühsam auf hohem Niveau stabilisierten Risikoprämie für italienische Anleihen und damit eine weitere Verteuerung von Italiens Neuverschuldung. Aber auch Österreich, dessen verschuldete Banken gerade wieder im Gerede sind, könnte durch die im Rahmen des ESM zu leistenden Garantien für Spanien wieder ins Visier der Spekulanten und Ratingagenturen geraten, und auch die Risiken für das mit einer Rezession kämpfende Frankreich sind schwer abzuschätzen.
Solange es aber keine Garanien für Spanien gibt, und der EZB die Rolle des Feuerlöschers zugewiesen wird, der durch Aufkauf von Staatsanleihen und Kredit an spanische Banken ad hoc die an allen Ecken auftretenden Brandherde zu bekämpfen versucht, solange steht die Frage im Raum, ob die EU überhaupt willens und fähig ist, die viertgrößte Nationalökonomie der Eurozone vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.
Währenddessen wird der Geldbedarf Griechenlands ständig nach oben korrigert, die fristgerechte Auszahlung der zugesagten Hilfsgelder in Frage gestellt, und der im Februar dieses Jahres beschlossene Schuldenschnitt ist noch nicht fertig durchgeführt, während bereits seine Erweiterung erwogen wird.

Ein überzeugter Demokrat, der dennoch manchmal recht hat

EINE KRITISCHE WÜRDIGUNG VON JEAN ZIEGLER
Jean Ziegler hat dem Profil ein Interview gegeben, das wieder einmal deutlich zeigt, welche Positionen er vertritt und warum er vielen Personen unangenehm ist, die nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Apologeten, also intellektuelle Handlanger von Macht und Geld, Nutznießer unseres Gesellschaftssystems sind.
Er hält nichts von der Behauptung, es wäre einfach zu wenig da:
„Der objektive Mangel ist überwunden. Wir könnten heute problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren, wir sind aber nur sieben Milliarden. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“
Er hält ebenso nichts von den „hausgemachten“, „strukturellen“ Problemen, mit denen der Hunger und auch andere Heimsuchungen der armen Lnder gerne von „Experten“ „erklärt“ werden:
Profil: Es gibt noch andere Gründe für das Elend in der Dritten Welt: korrupte Politiker, Stammesfehden, Religionskriege, seltsame Bräuche. Sie hätten noch mehr Fans, wenn Sie das auch berücksichtigen würden. Warum verschweigen Sie das?
Ziegler: Das sind Sekundärphänomene. Im Ostkongo bezahlen die Konzerne eigene Milizen, beuten die Bodenschätze aus und exportieren sie. Joseph Kabila, der Staatspräsident, ist korrupt bis auf die Knochen, ein Idealklient der Zürcher Bahnhofstraße. Er ist ein fürchterlicher Kerl und begeht Verrat am Volk. Aber der Mann wird von westlichen Geheimdiensten im Präsidentschaftspalast gehalten, weil die Minenkonzerne ihn für ihre Geschäfte brauchen.“
Abgesehen von dem moralischen Unterton eine sehr kurze und prägnante Beschreibung dessen, warum eigentlich „korrupte Politiker, Stammesfehden, Religionskriege, seltsame Bräuche“ dort so gehäuft vorkommen.
Auch auf die blöde Frage der Interviewerin, die ihn unbedingt als naiven Träumer abstempeln möchte, weiß er noch einen korrekten Einwand:
profil: Glauben Sie wirklich, dass in Afrika ohne den Einfluss westlicher Konzerne Harmonie und Wohlstand herrschen würden?
Ziegler: Nein. Ich sage nur, die Haupttäter, die Plünderer, die Piraten sind die Konzerne. Zuerst müssen wir diese Situation radikal ändern. … Was nachher passiert, ist erst die nächste Frage.“
Ziegler hat auch eine Antwort auf die Behauptung, daß Lebensmittelproduktion beschränkt ist:
Profil: Dass wir zwölf Milliarden Menschen ernähren könnten, liegt ja an der Industrialisierung der Landwirtschaft. Gäbe es nur Kleinbauern,“ so gäbe es weiterhin einen „objektiven Mangel“, also einfach zuwenig für alle.
Ziegler: Es stimmt, dass die Produktivität in vielen Entwicklungsländern sehr niedrig ist. Aber das liegt nicht daran, dass der Bauer in Mali weniger arbeitsam oder kompetent ist. Er hat nur keine selektierten Samen, keinen Dünger, keine Zugtiere und keine Bewässerung.“
Ziegler weist hier darauf hin, daß man aus den meisten Böden einiges herausholen könnte, wenn die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stünden, und daß die Idee von Knappheit in der Landwirtschaft völlig absurd ist. Das Problem der von Hungernden bevölkerten Landstriche in Brasilien oder Afrika ist einfach, daß es diese Mittel nicht gibt, weil das Kapital diese Gegenden entweder in Eigenregie bewirtschaftet und die Produkte exportiert, für gutes Geld – und in der Landwirtschaft lassen sich beachtliche Profite erzielen! – oder gar nicht erst hingeht. Das alles weiß Ziegler, und spricht es auch aus:
So „gingen letztes Jahr 41 Millionen Hektar Land in Afrika in den Besitz von Hedgefonds und multinationalen Konzernen über. Die Bauern, die dort lebten, wurden in die Slums der Städte vertrieben. Wissen Sie, dass in Norwegen Kartoffeln aus Saudi-Arabien verkauft werden? In Saudi-Arabien wachsen keine Kartoffeln – also wie ist das möglich? Ich sage Ihnen, wie das geht: Der saudische Scheich Alamudi hat in Südäthiopien 550.000 Hektar Nutzland gekauft. Da baut er jetzt Kartoffeln und Rosen an und exportiert sie dorthin, wo es Kaufkraft gibt.“
Die bisherigen Bewohner dieser Landstriche können sich schleichen oder als Lohnarbeiter auf den Plantagen der kapitalkräftigen Investoren arbeiten. Nur dort, wo der Zauberstab des Kapitals eine Gegend berührt, wächst auch etwas. Ziegler weiß das.
Wie kann jemand, der die Einsichten und Kenntnisse Jean Zieglers hat, dennoch eine solche positive Einstellung zu demjenigen Gesellschaftssystem pflegen, das alle diese Dinge ermöglicht? Oder, genauer, nicht nur ermöglicht, sondern zur ultima ratio des „Wirtschaftens“, der „Ökonomie“ erklärt: Ohne Gewinn wächst nichts vom Kap der Guten Hoffnung bis Grönland und weiter. Nur wenn jemand ein Geschäft dabei machen kann, wenn er/sie es verkaufen kann, so wird die entsprechende Sache überhaupt angepflanzt, produziert und auf den Weltmarkt getragen. Was nicht verkauft werden kann, wird nicht produziert, und wer nicht das Geld hat, sich Lebensmittel zu kaufen, verhungert.
Jean Ziegler spricht es auch aus, daß die Macht derjenigen, die dieses Gesellschaftssystem aktiv betreiben, auf der Duldung derjenigen beruht, die nichts dagegen tun:
Ziegler: Die Haupttäter sind die Konzerne, und wir sind die Komplizen.“
profil: Wer ist „wir“?
Ziegler: Wir Bürger, die nicht aufstehen“
Und dann nimmt dieser Kämpfer gegen den Hunger und die Macht der Kapitale alle seine Urteile über das Zusammenspiel von Staat und Kapital zurück und holt seinen Demokratieidealismus aus dem Sack:
„die nicht aufstehen und unsere Regierungen zwingen, die Konzerne zu kontrollieren.“
Dr Mann, der alle Informationen und alles Wissen hat, um zu wissen, daß die Mächtigen und die Reichen zusammenarbeiten, der alle Machintionen der Konzerne bis in die UNO kennt, der genau weiß, daß Regierungen für den Erfolg ihres nationalen Kapitals alles tun – der ruft nicht auf zum Aufstand gegen diese Regierungen und gegen das ganze System der Ermächtigung und des anschließenden Regiert-Werdens aus, das die Demokratie auszeichnet, sondern ruft seine Anhänger auf, die Regierungen zu etwas zu „zwingen“!
Wie denn?
Generalstreik, Aufstände, Guerrillakrieg?
Er bleibt hier wie stets die Antwort schuldig, welche Maßnahmen seine Anhänger, die über den Hunger in der Welt empört sind, eigentlich ergreifen sollten, um die Herrschaft des Kapitals über die Staaten, in denen Hunger herrscht, zu beenden, und damit den Hunger selbst.
Solange radikale Kritiker wie Ziegler das System von Macht und und freiwilliger Unterordnung, Ermächtigung der Herrschaft durch die Ohnmächtigen, das die Demokratie vor allen Staatsformen auszeichnet, nicht angreift, ja nicht einmal anzweifelt, solange verhallen seine Anklagen im Nichts und der Hunger geht weiter und greift um sich – bald auch in unseren Breiten, übrigens.