NACHRUF AUF SANTIAGO CARILLO
Die spanischen Medien überbieten sich förmlich, um für einen ehemaligen Kommunisten eine posthume Huldigung zu liefern. Schon daran merkt man, daß an dem Mann etwas faul ist.
Carillo begann seine Karriere bei der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei Spaniens. Bald brachte er es zum Sekretär dieser Organisation und zum Chefredakteur ihrer Zeitung. Zunächst war er Anhänger des Gewerkschaftsführers und späteren Regierungschefs Largo Caballero. Nach einer Reise in die Sowjetunion überzeugte er sich von der „Überlegenheit“ des „sowjetischen Modells“ und gleich auch den größten Teil der Sozialistischen Jugend, die er in die Reihen der Kommunistischen Partei überführte und diese damit erst zu einer wirklich bedeutenden Partei in Spanien machte. Diese Jugendorganisation zählte um 1936/1937 an die 200.000 Mitglieder.
Während seiner Tätigkeit innerhalb der Kommunistischen Partei Spaniens war seine Spezialität immer, den Unschuldsengel zu spielen, der von irgend etwas entweder keine Ahnung gehabt hatte, oder dagegen gewesen war, oder gleich im Brustton der Überzeugung verkündete, irgendeine Sache hätte nichts mit der PCE (der spanischen KP) zu tun. Sowohl während des Bürgerkriegs als auch im Exil spielte er vor allem mit der Pasionaria perfekt die Rolle „guter Polizist – böser Polizist“. Carillo gab sich immer als der gute Onkel, der nur das Beste wollte und immer das Schlimmste verhinderte.
Aber seine wirkliche große Stunde schlug nach Francos Tod. Er leistete der Einführung von Demokratie und Marktwirtschaft unschätzbare Dienste, als er als Führer derjenigen demokratischen Partei, die als einzige eine wirkliche Opposition zum Franco-Regime dargestellt hatte, sein Einverständnis zum sogenannten „Moncloa-Pakt“ gab: damit wurde die Einführung der Demokratie mit der Garantie der völligen Freiheit von Strafverfolgung für alle Mitglieder und Handlanger des Franco-Regimes verbunden. Um die Legalisierung der PCE zu erreichen, zog er großzügig einen Schlußstrich unter alle Morde und Folterungen (wie sich inzwischen herausstellt, auch massenhaften Kinderraub) der Franco-Zeit, und stellte sich damit gleichzeitig als demokratiekompatibler, streichelweicher Oppositioneller dar, im Unterschied zu der großen Konkurrenz der PCE, den anarchistischen Verweigerern des demokratischen Wahlzirkus‘.
Der KP Spaniens hat das wenig gebracht, nach Spaltungen und Umbenennungen dümpeln sie seither stets an oder unterhalb der Prozenthürde für den Einzug ins Parlament herum, und verschaffen ihren Kadern mit Müh und Not ein Auskommen in Gemeinderäten und dergleichen.
Einen weiteren Dienst hat er aber der Unternehmerseite erwiesen. Zusammen mit der KP wurde auch ihre Gewerkschaftsorganisation legalisiert und als Verhandlungspartner bei den Tarifverhandlungen anerkannt. Und so ging keine Tarifverhandlung über die Bühne, auch die letzten, die Tarifhoheit der Gewerkschaften praktisch aushebelnden Gesetzesänderungen, ohne daß – neben den Vertretern der mitgliederstärksten SP-Gewerkschaft UGT – der Vertreter der Comisiones Obreras nicht auch seinen Sanctus dazugegeben und damit gezeigt hätte, wie pluralistisch die gewerkschaftlichen Entscheidungen in Spanien doch sind.
Schließlich wurde er von jungen Wilden, denen seine Rückgratlosigkeit auf den Geist ging, vor allem, weil sie keine Wählerstimmen brachte, 1985 aus der Partei ausgeschlossen. Damit war seine Karriere bei den bürgerlichen Medien perfekt, und er wurde die nächsten Jahrzehnte bei allen nur möglichen Veranstaltungen herumgereicht und schulterbeklopft, als lebender Beweis dafür, daß Kommunismus erstens unmenschlich und zweitens unmöglich ist.
Und wir daher in der besten aller möglichen Welten leben, an der nur moralische Kritik zulässig ist, politisch-ökonomische jedoch nicht, – geschweige denn die Idee der praktischen Bekämpfung von Eigentum, Geld, Staat, usw …
Kategorie: Ideologie
Warum verabschiedet die EU einen Fiskalpakt und verordnet Sparpakete?
WEM NÜTZT DAS „SPAREN“?
Die Frage ist ja angebracht, weil offensichtlich richtet diese „Fiskaldisziplin“ oder „Austerity“ jede Menge Schaden an, ohne daß für irgendeine Seite ein Nutzen absehbar wäre. Und so entstehen notgedrungen obskure Theorien über dunkle Kräfte, die noch finsterere Ziele mit viel Bakschisch in der Welt durchzusetzen versuchen. Die europaweit laufenden Anti-Korruptions-Kampagnen tun ein übriges, um Verschwörungstheorien aller Art aufblühen zu lassen.
Das verbohrte Beharren auf das Zurückfahren von Ausgaben um jeden Preis ist auch nur zu verstehen, wenn jemand die Logik der EU und der Eurozone begriffen hat – also die politischen und ökonomischen Ziele, die sich ihre Schöpfer anno dazumal gesetzt haben, und die Mittel, die sie sich zu ihrer Verwirklichung gesetzt haben. Die Spuren führen nach Maastricht 1992.
„Damit ein Land an der Währungsunion teilnehmen kann, muß es bestimmte wirtschaftliche Kriterien (die EU-Konvergenzkriterien, auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet) erfüllen, durch die die Stabilität der gemeinsamen Währung gesichert werden soll. Dabei handelt es sich um Kriterien, die Haushalts-, Preisniveau-, Zinssatz- und Wechselkursstabilität gewährleisten sollen. Das Kriterium der Haushaltsstabilität (Defizitquote unter 3 % und Schuldenstandsquote unter 60 % des BIP) wurde als dauerhaftes Kriterium ausgelegt (Stabilitäts- und Wachstumspakt), die anderen Kriterien müssen Mitgliedstaaten nur vor der Euro-Einführung erfüllen.“ (Wikipedia, Vertrag von Maastricht)
Diese Konvergenzkriterien haben es in sich. Es wird nämlich erstens behauptet, daß der Erfolg der Nation an so einem einfachen Verhältnis zu messen ist wie dem von BIP und Staatsverschuldung.
Jetzt ist schon das BIP eine etwas fragwürdige Größe, weil da werden ja alle gelungenen Geschäfte gemessen, die sich auf einem Territorium abspielen, also auch luftige Finanzspekulationen und -transaktionen der Art, wie sie in den letzten Jahren massenweise zusammengebrochen sind.
Ebenso ist die Staatsverschuldung nicht so ein Fels in der Brandung, an den man sich halten kann, wie z.B. Spanien gerade vorführt, das jahrelang ein Musterschüler in Sachen Defizit war, während sich seine autonomen Provinzen und seine Gemeinden bis über die Ohren verschuldeten, oder wie die in jüngerer Vergangenheit ans Licht gekommenen Daten über die griechischen Bilanzenkosmetik zeigen.
Es sind also schon die beiden Qualitäten, die hier in ein quantitatives Verhältnis gesetzt werden, eher Ausdruck politischen Willens als ökonomischer Objektivität.
Zweitens aber ist auch die Vorstellung, man könnte ökonomischen Erfolg als ein Verhältnis fassen, grundverkehrt. Wenn in einem Land die Wirtschaftsleistung zurückgeht, die Kaufkraft einbricht und eine Bankrottwelle das Land überzieht, so würde eine geringe Staatsverschuldung daran auch nichts ändern. Es ist die Ökonomie selbst, die kapitalistisch erfolgreich sein muß, und das liegt an ihren Unternehmern, deren Kapitalgröße, deren Erfolgen im In- und Ausland und hat mit den Ausgaben des Staates einmal gar nichts zu tun.
Diese Verhältnisbestimmung ist also Ausdruck der Illusion, der Staat könnte die Wirtschaft „lenken“ – etwas, das als „Kommandowirtschaft“ in Realen Sozialismus immer als der falsche Weg angeprangert wurde, aber offenbar der geheime Wunsch jeden Staatsmannes ist. Weil jeder Politiker gerne die Macht hätte, sein Land durch entsprechende Förderungen in der Konkurrenz der Nationen voranzubringen.
Dagegen ist festzuhalten, daß das Privateigentum genau das hervorbringt, was Marx und Engels „Anarchie der Produktion“ genannt haben: Lauter Eigentümer produzieren für den Markt und gegeneinander, haben Erfolg oder gehen unter und werden weder von einer „visible“ noch einer „invisible hand“ gelenkt. Das Prinzip der Konkurrenz, das sich die Anhänger der Marktwirtschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben, widerspricht dem der Lenkung.
So. Diese Widersprüche wurden damals nicht zur Kenntnis genommen, nicht einmal thematisiert, und ein Heer von medialen Posaunen lobte das Euro-Projekt und die angebliche Formel seines Erfolges – und kaum jemand brachte zur Sprache, was da eigentlich für ein widersprüchliches Projekt aus der Taufe gehoben worden war:
http://msz1974-80.net/GSP/EU1.html
http://msz1974-80.net/GSP/EU2.html
Es störte dann auch nicht, daß gerade das Flaggschiff Deutschland jahrelang diese Kriterien nicht erfüllte, weil seine Führungsmannschaft sich mit den „blühenden Landschaften“ seiner neuen Bundesländer etwas verkalkuliert hatte.
Die Konvergenzkriterien wurden deshalb aber nicht fallengelassen. Sie standen ja auch noch für etwas anderes als Wirtschaftswachstum und Prosperität, Weihnachten und Ostern zusammengenommen: Für den Willen der EU, über den wirtschaftlichen Erfolg und dessen Anerkennung durch die Märkte der Weltmacht USA und dem Dollar den Rang abzulaufen. Das internationale Kapital war dazu aufgerufen, das Projekt Europa zu beglaubigen, und die wirtschaftliche Potenz Europas über die militärische und wirtschaftliche Dominanz Amerikas triumphieren zu lassen.
Jetzt, wo das alles ziemlich in die Hose gegangen ist, ist es daher der EU-Führung nicht so ohne weiteres möglich, ihre eigenen Grundlagen zu „reformieren“, also alle bisherigen Grundsätze über Bord zu werfen und in der Art „Wir machen, was wir wollen!“ auf einmal jede Menge Euros in die Welt zu setzen und in die Wirtschaft zu pumpen, wie es die USA mit ihrem Geld machen und Europa seit geraumer Zeit anraten: Es könnte sein, daß dann die „Märkte“ sagen: Der ganze Euro war ein Schwindel, nein danke! und den Papierzetteln aus der EZB jede Anerkennung als Maß der Werte versagen.
Neues aus Griechenland
VON WEGEN SANIERUNG UND RETTUNG
Halten wir einmal die vorläufige Bilanz dessen fest, was 3 Jahre Sparmaßnahmen, Troika und Regierungswechsel bisher als Ergebnis gebracht haben:
1. für die griechischen Staatsfinanzen
Griechenland hat keinen Kredit mehr und kann sich auf den Finanzmärkten kein Geld mehr holen. Alles Geld, was der Staatsgewalt zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung steht, stammt aus Steuern, Abgaben und von der EU zur Verfügung gestelltem Geld – das aber wiederum für Bedienung von Altschulden gebraucht wird.
Projektierte Einnahmen aus Privatisierung sind nicht in die Staatskasse geflossen. Erstens sind die Summen sowieso illusorisch, weil sie von einem Marktwert ausgehen, den die zur Privatisierung anstehenden Betriebe gar nicht mehr haben. Zweitens aber wurde auch nichts privatisiert.
Die Banken Griechenlands selbst stehen auch kurz vor dem Aus, was nur deswegen nicht weiter auffällt, weil es auch anderen Sektoren der Ökonomie so geht:
„Im zweiten Rettungspaket für Griechenland ist vorgesehen, dass die griechischen Banken über den Hellenic Financial Stability Fund (HFSF) insgesamt mit 50 Milliarden Euro rekapitalisiert werden können. Bisher sind davon etwa 18 Milliarden Euro abgerufen worden. Geholfen hat das kaum …
Die vier großen Banken des Landes verbuchten im vergangenen Jahr Verluste von 28,3 Milliarden Euro. Davon entfielen 26,1 Milliarden auf den Schuldenschnitt. Einige kleinere Institute operieren mittlerweile mit negativen Eigenkapital und können nur durch Nothilfen der Europäischen Zentralbank (EZB) am Leben gehalten werden. “ (Die Zeit, 10.7.)
Die „Sparziele“ konnten bisher nicht erreicht werden. Kein Wunder: erstens ist es eine Sache, Streichungen von Jobs, Zahlungen, Subventionen, Pensionen usw. zu beschließen, eine andere ist es, sie durchzuziehen. Da können gegebenenfalls ganze Sektoren des Staatsapparates oder der Infrastruktur ausfallen. Außerdem setzen diese Einsparungsvorschriften ein Verhältnis zum BIP fest. Wenn dieses sinkt, so ist auch die „eingesparte Summe“ zu gering.
Das griechische BIP sinkt seit 4 Jahren in Folge. Es hält derzeit ungefähr bei der Höhe von 2002-2003, kurz nach der Einführung des Euro – als die Verschuldung eben durch den Euro so richtig losgehen konnte.
2. für die griechische Bevölkerung
22-23% Arbeitslosigkeit. Das heißt: Fast ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung hat keinen Job. Und bald auch nichts mehr zum Leben: „Arbeitslose erhalten in Griechenland nur ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Danach ist keine Unterstützung mehr vorgesehen.“ (SN, 14.7.)
Der Mindestlohn wurde im März um 22% gesenkt, für in den Arbeitsmarkt neu Eintretende unter 25 Jahren sogar um 32%. Da der Mindestlohn ein Richtwert ist, auf dem alle Tarifverträge aufbauen, so wurde im Grunde das ganze landesweite Lohnniveau gesenkt. Diejenigen Leute, die noch Jobs haben, verdienen also um ein Fünftel weniger als zuvor.
In diesem Jahr sollten 15.000, innerhalb der nächsten 4 Jahre 150.000 Beamte entlassen werden. Auch ihre Gehälter sollen gekürzt werden. Es ist den Medien nicht zu entnehmen, wann, wieviel und was auf diesem Gebiet bereits geschehen ist.
Wer in Griechenland ins Krankenhaus geht, muß seine Medikamente selbst kaufen, da die griechische Regierung Medikamentenlieferungen an die Krankenhäuser nicht bezahlt hat und diese daher auch nicht mehr beliefert werden.
Aufgrund der rückläufigen Verkaufszahlen ziehen sich immer mehr internationale Supermarkt-Ketten aus Griechenland zurück. Die Lebensmittelversorgung Griechenlands steht auf dem Spiel, da diese Ketten im vergangenen Jahrzehnt durch ihre Preispolitik einen guten Teil der einheimischen Produzenten ruiniert haben.
Die Obdachlosigkeit steigt – seit 2009 um ein Viertel, Suppenküchen und Asyle können die wachsende Zahl Bedürftiger fast nicht mehr betreuen. Die Selbstmordrate steigt.
Das Militär bereitet sich auf einen etwaigen Ausnahmezustand vor.
3. für den Euro
Die gute Nachricht für die Euro-Fans: es gibt ihn noch. Vor den Wahlen im Juni bereiteten sich immer mehr Staaten auf den Zerfall der Eurozone vor.
Die im März beschlossene Streichung eines Teiles der Staatsschuld Griechenlands ist bisher nicht fertig ausverhandelt. Es ist also noch immer nicht heraußen, welche Finanzinstitute welche Summen bei sich streichen müssen.
Erwischt hat es aber immerhin die Banken Zyperns, die vor allem griechische Staatsanleihen unter ihren Aktiva hatten und auf bis zu 80% ihrer Bankvermögen streichen müssen. Zypern steht deshalb auch um Rettungsmaßnahmen bei der EU an, und versucht gleichzeitig einen Stützungskredit von Rußland zu bekommen.
Während Griechenlands Regierung von Brüssel einen Aufschub für 2 Jahre für die Sparvorgaben erreichen will, versucht Spanien den gleichen Vorgaben zu entkommen, Slowenien erwägt ein Ansuchen um Hilfe in Brüssel, und der Euro fällt.
Alles, vor allem das unter 2 Abgehandelte ist Europas Zukunftsmusik – außer, die Betroffenen kündigen ihre Gefolgschaft auf – den Regierungen, den Märkten, dem Geld, der Demokratie und dem Eigentum.