Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 14.6.: Ein Gespräch mit dem Politologen und Militärexperten Alexej Podberjoskin

WIE LANGE WIRD DIE WESTLICHE AUSRÜSTUNG FÜR DIE STREITKRÄFTE DER UKRAINE AUSREICHEN UND WAS WIRD ALS NÄCHSTES IN DER ZONE DER SPEZIALOPERATION PASSIEREN?

„KP: Was war für Sie das Interessanteste, was Ihnen bei dem Treffen zwischen Putin und Militärkorrespondenten aufgefallen ist?

AP: Das war die Frage der Mobilisierung, und Putin gab eine eindeutige Antwort. Er hat sich zu der derzeitigen Lage sehr konkret geäußert.
Ich sagte, dass wir drei Möglichkeiten haben, die Streitkräfte zu vergrößern: Vertragssoldaten, Freiwillige und private Sicherheitsdienst-Mitglieder. Putin nannte konkrete Angaben, es hätten sich ungefähr 160.000 Freiwillige und Vertragssoldaten gemeldet. Daher ist im Augenblick kein Bedarf für eine weitere Mobilisierung.

KP: Will Kiew unsere Reserven ausdünnen?

AP: Ja, entlang der Grenze zu Belgorod, Brjansk und Kursk soll militärisch möglichst Druck gemacht werden. Damit Moskau Reserven dorthin wirft.

Eine Pufferzone von 500 km

KP: Was sagt Putin über die Sicherheits-Pufferzone – mit welchen Kräften soll sie ausgestattet werden?

AP: Ich habe vor etwa zwei Monaten darüber gesprochen, dass wir eine »No-Go-Area« gegen feindliche Kräfte einrichten müssen.
Wir haben kein Recht, Bedrohungen zuzulassen, die sich in einer Entfernung von 500 Kilometern von unseren Grenzen befinden. Anscheinend hatte Putin genau das im Sinn. Ansonsten erwischen uns nicht nur vom Boden abgeschossene Raketen – die HIMARS können auch mit ballistischen taktischen Raketen mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern ausgerüstet werden –, sondern auch Drohnen, für die 500 Kilometer keine Distanz sind.

KP: 500 Kilometer sollten unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stehen?

AP: Sicherheitszonen rufen auch andere Staaten aus. Israel zum Beispiel, zumindest teilweise.

KP: Nun, wir werden sie ein paar hundert Kilometer zurückdrängen – und dann stellt sich heraus, dass sie jetzt unser Charkow beschießen …

AP: Verwechseln Sie nicht Politik, militärische Sicherheit und Recht. Ich sage aus Sicht der militärischen Sicherheit, dass wir einen Abstand von mindestens 500 Kilometern zur Kontaktlinie“ (= Front/Grenze/Feindberührung?) „gewährleisten müssen, um uns in Sicherheit zu fühlen.

KP: Wo wird diese Linie dieses politischen Kontakts verlaufen?

AP: Sie sollte entlang der Grenze der UdSSR verlaufen, die vor 1991 lag. Einschließlich Transnistriens und Moldawiens.

KP: Warum genau dort?

AP: In Rumänien wird derzeit die 101. Luftlandedivision der USA gruppiert, militärische Ausrüstung angesammelt und Flugplätze vorbereitet.
Das Manöver, das jetzt in Europa begonnen hat, wird sich weitgehend auf die Möglichkeit einer Konzentration der Luftfahrt stützen. Dies ist die Hauptangriffsmacht der NATO in diesen Regionen. Wir müssen allen sagen, dass wir ihre Sicherheit garantieren, aber auch, dass sie uns eine Zone „außerhalb ihres Zugriffs“ 500 Kilometer von dieser Grenze entfernt garantieren.“

Ambitioniert.
Rußland fordert also eine demilitarisierte Zone bis zu 500 km und nennt das mehr oder weniger als Kriegsziel. Also eine Demilitarisierung nicht nur der Ukraine, sondern auch Moldawiens.

„Dem Westen geht der Nachschub aus?

KP: Nicht nur Russlands militärisch-technische Fähigkeiten, sondern auch die des Westens werden auf die Probe gestellt?

AP: Ja. Putin hat auch darüber gesprochen. Wir produzieren fünf- bis siebenmal mehr Munition als der gesamte Westen zusammen. Und die westlichen Kapazitäten an Munition und Waffen sind praktisch erschöpft.
Bereits jetzt werden die Bestände Israels und Südkoreas für die Versorgung der Ukrainischen Armee genutzt.“

Interessant, daß diese Staaten Waffen herausrücken – die sie ja auch selber benötigen könnten. Beide Staaten sind ja auch dauer-wehrhaft, wegen eines Feindes vor der Haustüre.

„Doch solange der Westen über militärisch-technische Fähigkeiten verfügt, wird er Widerstand leisten.

KP: Wie steht es um die Ukrainische Armee?

AP: Sie hat nur noch geringen Spielraum im operativen Bereich, für ca. 3 Wochen. Ich habe vor zwei bis drei Monaten gesagt, dass der Konflikt in derzeitiger Intensität alle verbleibenden Ressourcen verschlingen wird.
Als der Konflikt begann, schätzten wir die ukrainische Luftwaffe auf 150–200 aktive Flugzeuge. Nun wurden bereits 450 vernichtet – und zwar mit Nachschub aus osteuropäischen Beständen. Nun, sie werden sogar diese berüchtigten F-16 liefern …

KP: Stimmt es, dass sie nicht besser sind als MiG-29?

AP: Im Allgemeinen nicht stärker. Es geht um die Raketen, mit denen die F-16 für die Streitkräfte der Ukraine ausgerüstet werden sollen. Und unsere T-90-Panzer sind nicht schlechter als die Leopard-2, selbst die neuesten Modifikationen.

KP: Die Truppen loben den T-90 „Durchbruch“.

AP: Sein offensichtliches Plus ist das Gewicht, das 20 Tonnen geringer ist als das der »Leopard«. Er ist dadurch viel geländegängiger.
Dazu kommt die Frage der Reparatur. Wohin werden sie ihre kaputten Panzer tragen? Nach Polen, nach Deutschland? Wenn die Abrams geliefert werden, wird es die gleiche Geschichte sein.
Und dann die Frage der Munition. Sie haben dort bereits 25 Artilleriesysteme. Sie sind alle unterschiedlich groß. Noch schwieriger ist es, sie mit Munition zu versorgen. Nehmen wir eine Hochwassermarke von 3 Millionen Stück Munition pro Jahr, als Annahme – das ist eine Sache. Aber wenn man sie auf 25 Systeme aufteilt, sieht das ganz anders aus.

Eine andere Weltordnung

KP: Wir machen ihre Ausrüstung platt, sie können nicht mehr in Kolonnen weiterfahren und mit der Reparatur haut es auch nicht so hin – was kommt dann?

AP: Was als nächstes passiert, hängt von den Kräfteverhältnissen ab. Auf die Lage, auf das Gleichgewicht der politischen Kräfte, die sich rasch verändern. Bisher haben wir über die militärisch-technische Seite gesprochen, aber versuchen Sie, einen Schritt weiter zu gehen und diese Veränderungen in den internationalen Beziehungen in der allgemeinen Weltordnung zu betrachten.

KP: Bis vor kurzem waren die Änderungen nicht zu unseren Gunsten.

AP: Betrachten wir nur die sowjetische Besatzungszone in Deutschland – unter welchen Bedingungen wurde sie Teil der NATO-Koalition? Dort nahm das Problem seinen Anfang, das wir nun lösen müssen. Sie werden uns nicht in Ruhe lassen. Sie werden uns immer weiter zurückdrängen. Solange, bis wir uns am Ende eben selbst eine Sicherheitszone und eine Flugverbotszone schaffen.

KP: In welchem Umfang?

AP: Zumindest bis Warschau. Ein amerikanischer Experte, der Berater von Reagan war und dann mit dem Establishment in Konflikt geriet, machte kürzlich die gleiche Vorhersage – die meinige wurde im Wesentlichen bestätigt.
Wir müssen diese natürlichen Grenzen besetzen, wie Kljutschewski sagte, die im Russischen Reich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Das alles gehörte natürlich uns. Alles, was in den späten 1980er- und 1990er-Jahren getan wurde, widersprach den nationalen Interessen Russlands. Und wir sind jetzt damit beschäftigt, das zurückzubekommen, was uns rechtmäßig zusteht.

KP: Und die baltischen Staaten müssen wieder Teil Rußlands werden?

AP: Selbstverständlich. Ich spreche zwar nicht von Finnland und auch nicht von Polen, aber darüber kann man streiten.

KP: Die Polen haben eine starke Armee …

AP: Aber was, es gibt dort keine starke Armee. Es ist eine Sache, 2.500 bis 3.000 Dummköpfe und Kriminelle in die Ukraine zu schicken, die Geld verdienen wollen. Im Moment bilden sie dort“ (= in Polen) „ein Korps. Im Juli und August wollen sie es ohne Koordination irgendwohin schicken. Drei polnische Brigaden, die nach ein paar Tagen aufgerieben sein werden.

KP: Wenn die Rückkehr an die Grenzen der Sowjetunion angestrebt wird, so werden das ehemalige Preußen, das Großfürstentum Litauen und das Rzeczpospolita (das polnisch-litauische Königreich) auch wieder aktuell werden.

AP: Die militärisch-politische Lage wird nicht von den Wünschen einzelner Länder und auch nicht von historischen Hinterlassenschaften und Erfindungen bestimmt, sondern von den Realitäten, die sich in der Welt abzeichnen. Wir bewegen uns nirgendwo hin – wir müssen diese Probleme vor Ort lösen.“

Schöne Aussichten.

Pressespiegel El País, 12.6.: Russische Freischärler in ukrainischen Diensten

„»DAS BÜNDNIS ZWISCHEN DEN UKRAINERN UND DEN SIE UNTERSTÜTZENDEN RUSSEN IST AUF BLUT GEGRÜNDET«

Pilar Bonet

Denis Sokolov rekrutiert über die Plattform des Bürgerrats Freiwillige aus dem Land der Invasoren, die bereit sind, auf der Seite Kiews zu kämpfen

Die obenstehende Überschrift ist die Aussage von Denis Sokolov, der für die Rekrutierung kampfbereiter Russen zuständig ist – unter der Aufsicht der »Generaldirektion für Aufklärung« (die Abkürzung auf Ukrainisch ist GUR) des Verteidigungsministeriums der Ukraine.
Russische Kämpfer behaupten, an den jüngsten Angriffen auf Belgorod, einer russischen Provinz an der Grenze zur Ukraine, teilgenommen zu haben.“

„Teilgenommen“ weist darauf hin, daß sie nicht die einzigen waren, die in diese Aktion einbezogen waren, und sie haben sie auch nicht geleitet. Das waren ukrainische Militärs, und auch die Ausrüstung stammte von den Streitkräften der Ukraine.
Außerdem sollen sich auch Soldaten/Freiwillige aus Polen und englischsprachigen Ländern daran beteiligt haben, was weiters darauf hinweist, daß diese russischen Kämpfer nicht sehr zahlreich und auch nicht sehr professionell sind. Allein kann man sie nicht losschicken.

„Sokolov stammt aus Sankt Petersburg und arbeitete als Anthropologe im Kaukasus, bevor er ins Exil ging. Heute operiert es von einer Plattform namens Bürgerrat (Citizen Council, CC) aus, wo es die Aufnahme und Verbringung in die Ukraine derjenigen Russen organisiert, die sich der sogenannten Internationalen Legion der Ukraine anschließen wollen.
Sokolov unterhielt sich mit der Verfasserin dieses Artikels aus Warschau über ein soziales Netzwerk, das das CC offen für die Rekrutierung nutzt. Die Aussagen dieses Aktivisten für den bewaffneten Kampf geben einen Einblick in die internen Beziehungen der Freiwilligengruppen und ihre Verbindungen zur GUR. Die Daten über die Zahl der Angehörigen der bewaffneten russischen Kontingente und die Befehlsübertragungskette, in die sie eingefügt werden, sind schwer zu überprüfen. Auch die Bezeichnungen »Bataillon«, »Regiment« oder »Korps« erlauben es nicht, auf die Anzahl der Personen zu schließen, die diesem Ruf von CC und GUR gefolgt sind.“

Hier wird elegant ausgedrückt, daß sich diese Organisation über ihre tatsächlichen Erfolge bei der Rekrutierung sehr bedeckt gibt.
Es ist nämlich eine Sache, sich gegen den Krieg Rußlands in der Ukraine zu empören und eine andere, dafür auch seinen Kopf hinzuhalten.
Das Zentrum für die Anwerbung von Freiwilligen für die Ukrainische Fremdenlegion befindet sich also in Polen. Das ist zwar nicht überraschend, sollte aber dennoch festgehalten werden. So erklärt sich auch die vergleichsweise große Anzahl an polnischen Freiwilligen bzw. Vertragssoldaten in dieser Fremdenlegion.

„Die der GUR unterstellte Internationale Legion der Ukraine besteht aus Einheiten unterschiedlicher Herkunft, darunter aus den Ländern der ehemaligen UdSSR wie Georgien oder Weißrussland. Diejenigen aus Russland haben sich größtenteils dem Russischen Freiwilligenkorps (russische Abkürzung: RDK) angeschlossen.
Aber »das RDK hat den Bürgerrat im gegenseitigen Einvernehmen verlassen, weil sie sich nicht an die Grundsätze des Manifests gehalten hat, das wir (d.h., das CC) unterzeichnet hatten (das betrifft die Respektierung der Europäischen Menschenrechtskonvention)«, sagt Sokolov, der sich nicht näher mit den diesem Beschluß zugrundeliegenden Unstimmigkeiten befassen möchte. Er räumt jedoch ein, dass diese »mit der Haltung dieser Gruppierung gegenüber Muslimen, gegenüber anderen Nationalitäten und gegenüber sexuellen Minderheiten«“ zu tun hätten.
Der Gründer der RDK ist Denis Kapustin (auch Denis Nikitin genannt), ein rechtsextremer Aktivist, der in den Schengen-Raum nicht einreisen darf.“

Mit einem Wort, dieses Russische Freiwilligenkorps hält nichts von Menschenrechten, Schwulen und Lesben, und nationalen Minderheiten.
Diese Personen haben also nichts anderes vor, als im Rahmen dieses Krieges möglichst viele russische Zivilpersonen und Militärs umzubringen, ohne sich dabei von irgendwelchen humanitären Überlegungen bremsen zu lassen.
D.h., die „Kriegsverbrechen“, deren die russische Seite in einem fort bezichtigt wird, sind bei diesem Korps selbstverständiche Momente der Kriegsführung.

„Aufgrund seiner Ideologie lehnte das RDK Vladislav Amosov ab, einen ehemaligen Offizier der russischen Streitkräfte, der jakutischer Herkunft (= der vorwiegend in der Sibirischen Republik Sacha-Jakutien lebenden Volksgruppe/Minderheit) ist, erklärt Sokolov. Daher wurde das »Sibirische Bataillon« unter der Führung von Amosov gebildet, zu dem auch Ildar Dadin gehörte, der erste Aktivist, der 2015 in Russland wegen Verstoßes gegen die Regeln für Kundgebungen und Streikposten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.“

Aus dem ganzen Artikel wird nicht klar, in welchem Verhältnis diese Mörderbande RK und das Sibirische Korps zu der Ukrainischen Fremdenlegion stehen.
Gehören sie dazu, stellen sie eine Untereinheit derselben dar oder sind sie direkt dem Ukrainischen Verteidigungsministerium unterstellt? Welche Institution verpflegt und behaust sie, versorgt sie mit Waffen, wer koordiniert ihre Aktionen?

„»Die rechtsextreme Haltung der RDK ist abschreckend, selbst für rechte Freiwillige, ganz zu schweigen von Liberalen«, meint Sokolov. »Der russische Faschismus hat den russischen Nationalismus an den Rand gedrängt und verhindert die Bildung einer nationalen und regionalen Identität, die für die Mehrheit der russischen Gesellschaft akzeptabel ist.«“

Es ist nicht klar, welche Art von russischem Nationalismus hier angesprochen ist?
Russische Nationalisten, Vaterlandsverteidiger, stehen doch offenbar auf der Seite der russischen Regierung und unterstützen deren Politik, wie in verschiedenen anderen Medien und sogar im El País wiederholtermaßen beklagt wird.
Es ist also nicht klar, was diese russischen Rechtsradikalen eigentlich bewegt. Oder auch, welche Art von Freiwilligen das CC anwirbt und anwerben will – was ist deren Perspektive?
Was will das „Sibirische Bataillon“? Die Unabhängigkeit Sibiriens? Ist das ein populärer Gedanke in Sibirien selbst oder soll er erst durch die Heldentaten dieses Korps populär gemacht werden?
Was streben die Nazis vom RK für Rußland selbst an? Die Unterdrückung aller Minderheiten, die Russifizierung des Vielvölkerstaats – ähnlich dem Programm, das die ukrainischen Regierungen seit dem Majdan verfolgen?

„Michailo Podoljak, ein Berater von Präsident Wolodimir Selenskij, hat sich von den bewaffneten Einfällen in Russland distanziert. Ihm zufolge hätten die teilnehmenden Russen ihre Verträge mit den Streitkräften der Ukraine bereits beendet. Der Berater räumte jedoch ein, dass die Russen für ihre Aktivitäten das Gelände der Ukraine nutzen.“

Man fragt sich, warum Podoljak diese Distanzierung für nötig hält?

Man erinnere sich zurück: Der Einfall dieser, hmmm, angeblich russischen Freischärler in die russische Region Belgorod wurde in den westlichen – zumindest in den englisch- und deutschsprachigen – Medien zunächst als Erfolg und genialer Schachzug der ukrainischen Führung beglückwünscht. Die Ukraine hätte den Krieg nach Rußland getragen und gezeigt, daß sie zu Offensiv-Schlägen fähig ist. Die russischen militärischen Kapazitäten würden dadurch von der Ukraine-Front abgezogen und dadurch würde die ukrainische Offensive auf geschwächte Verteidigungslinien treffen und hätte bessere Chancen.
Einige ukrainische Grenzsoldaten und Bewohner wurden dabei getötet, einige Dörfer durch Bombardements getroffen, dann war der Spuk wieder vorbei. Die Bewohner wurden inzwischen größtenteils evakuiert, die betroffene Region verstärkte den Zivilschutz.

Einige Zeit später ist Katzenjammer angesagt.
Westliche Unterstützer drückten ihre Bedenken aus, daß ihre an die Ukraine gelieferten Waffen für diese Aktion eingesetzt wurden.
Es stellt sich heraus, daß der Überfall militärisch gesehen nullwertig war.
Unter westlichen Militärbeobachtern hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, daß der Überfall ein Ablenkungsmanöver gegenüber den westlichen Verbündeten war, um die Schwäche des ukrainischen Militärs zu verbergen.

In der ukrainischen Führung hat offenbar eine Diskussion über die Unterstützung von dergleichen Freischärlern eingesetzt, die inzwischen eher als sowohl militärische als auch ideologische Belastung erkannt wurden.

„Sokolow zeigt sich zurückhaltend gegenüber den sogenannten russischen »demokratischen Kräften«, die sich aus dem Exil gegen den Krieg aussprechen. Er weist darauf hin, dass die Anführer dieser Gruppen mit den im Exil lebenden russischen Oligarchen verbunden sind, die »ihre Beziehungen zu Mitgliedern des Sicherheitsdienstes, zu Beamten des Justiz- und Verwaltungsapparats pflegen und glauben, dass die Zukunft Russlands von der Spaltung der Machteliten abhängen wird.«“

Kurz gesagt, der russische Freischärler-Anwerber sieht die Vorstellung, den russischen Machtapparat zu spalten, als ziemlich perspektivlos an.
Er erkennt damit an, daß die russische Führung einig ist.

„Die Einfälle in Belgorod, die die Evakuierung mehrerer russischer Städte an der Grenze erzwangen, zeigten laut Sokolov, dass »der russische Befehlsmechanismus sehr langsam ist«, dass »es ihm an Humanressourcen mangelt« und dass »ihm die Bombardierung seiner eigenen Städte und Gemeinden gleichgültig ist«.“

Der letzte Satz lautet eigentlich im spanischen Original: „daß es der russischen Führung gleichgültig ist, seine eigenen Städte und Dörfer zu bombardieren“ – als ob es die russische Führung gewesen wäre, die sich diesen Überfall bestellt, oder ihn sogar selber ausgeführt hätte.
Das ist eigentlich eine hilflose Art, auszudrücken, daß dergleichen grenzüberschreitende Überfälle eine Schnapsidee sind, die militärisch nichts ausrichten.

„Das Sibirische Bataillon Das sibirische Bataillon ist bereits »eine vollwertige Kampfeinheit«, die auf »politischen, regionalen und nationalen Grundsätzen aufgebaut ist«, kommentiert er, und »sie wird durch das Eintreffen von Freiwilligen aus den verschiedenen Regionen Sibiriens vervollständigt«. Er werde von »kleinen und mittleren Geschäftsleuten und im Exil lebenden Fachkräften unterstützt, die für Ausbildung und Unterhalt aufkommen«, sagt er. Ihr Modell sei das einer »aus der Bevölkerung rekrutierten Truppe von Freiwilligen, ähnlich den Territorialverteidigungs-Bataillonen, die 2014 in der Ukraine entstanden.
Ursprünglich war die einzige Rekrutierungsmöglichkeit das RDK, aber mittlerweile geht die überwiegende Mehrheit der Rekrutierungsanfragen an das Sibirische Bataillon, das auch Leute aus anderen russischen Regionen aufnimmt. Aus der Sicht eines umfassenden politisch-militärischen Projekts ist das Sibirische Bataillon dasjenige mit den besten Aussichten.«“

Mit anderen Worten, die russischen Freiwilligen wollen inzwischen mit dem RDK nichts zu tun haben und ziehen das Sibirische Batallion vor.

„»Ich kann nicht sagen, wie viele Mitglieder das sibirischen Bataillon hat«, sagt Sokolov. Auf Nachfrage fügt er hinzu, dass das Ziel von 300 noch nicht erreicht sei. Für die »vielen weiteren, die kommen wollen«, erklärt er, »sei das Hauptproblem, wie sie von Russland über Drittländer in die Ukraine kommen. Wenn das gelöst wird, wäre die Zahl der Freiwilligen viel höher.«
Doch es geht nicht nur um komplizierte Transportrouten, sondern auch um das Misstrauen der Ukrainer, die in ihnen ein verdächtiges Kontingent sehen.“

Begreiflich.
Es ist anzunehmen, daß der russische Geheimdienst dort seine Leute einschleusen wird, ähnlich wie mit denen, die sich dem IS in Syrien anschlossen. Auch diese Leute waren völlig vom Geheimdienst unterwandert.
D.h., der ukrainische Geheimdienst hat mit diesen Leuten einen Haufen Arbeit: Sie müssen genau durchleuchtet werden, um sicherzugehen, daß sie nicht die ukrainische Verteidigung hintertreiben.
Im Vergleich dazu ist ihr wirklicher Kampfwert gering, weil ausbilden muß man diese Leute ja auch:

„»Sobald die Freiwilligen als solche akzeptiert werden, erhalten sie Waffen, Ausrüstung und Gehalt, entsprechend ihrem Vertrag«, fügt Sokolov hinzu. »Ihr Vorbereitungsniveau ist unterschiedlich, es gibt diejenigen mit militärischer Erfahrung und andere ohne diese«. Für die im Exil lebenden Liberaldemokraten »ist der Weg von der Couch in den Graben etwas länger, obwohl ihn viele gehen.«“

Really really?
Das erscheint etwas unwahrscheinlich. Wenn wirklich solche Leute sich in das Freiwilligenkorps integrieren, so ist ihr Kampfwert vermutlich sehr gering …

„»Es besteht ein sehr erheblicher Unterschied zwischen denen«, die kämpfen, und den Politikern und Ex-Oligarchen, die »die demokratischen Sektoren im Exil manipulieren und den bewaffneten Widerstand als eine Angelegenheit von Söldnern, Terroristen und Verrätern betrachten«.“

D.h., die Oligarchen geben gerne Geld her für Widerstand, liefern aber – natürlich! – keine Kämpfer.
Diese Spenden für den Widerstand sind offenbar eine Art Ablaßhandel, um ihre eingefrorenen Aktiva freizukriegen und sich als Agenten des freien Westens darzustellen.

„»Die Position der Letzteren (= Oligarchen) besteht darin, »die Ukraine gewinnen zu lassen und dann durch Wahlen eine Demokratie aufzubauen«.“

Diese bewußten Oligarchen versuchen sich also der NATO bzw. USA und EU anzudienen für die „Zeit danach“, wenn die Ukraine bzw. die NATO bzw. der Westen den Krieg gewinnen und sich nach Statthaltern für Rußland unter westlicher Aufsicht in Position bringen wollen.

„»Unsere Freiwilligen sind sehr unterschiedliche, sehr junge Menschen, die ihre Überzeugungen und ihre Freiheit über das Leben und den Komfort stellen«, versichert Sokolov.“

Es ist sehr fragwürdig, daß sich für dieses Programm viele Leute finden.

Die Auflösung der ETA

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS

Die ETA (Abkürzung für „Euskadi Ta Askatasuna“, „Baskenland für Freiheit“) hat vor einigen Wochen offiziell ihre Selbstauflösung verkündet. De facto war sie seit dem „Waffenstillstand“ von 2011 nicht mehr aktiv gewesen, jetzt wurde der Schlußakt formal vollzogen.
Das hat hierzulande kein besonderes Echo gefunden, genausowenig, wie die jahrzehntelange Tätigkeit dieser Organisation niemanden außerhalb Spaniens besonders gestört hat.

Die ETA war nämlich nicht in die Konfrontation des Kalten Krieges eingebunden. Sie suchte den Kontakt mit der Sowjetunion nicht und erhielt von dort keine Unterstützung. Die SU soll Ende der 70-er Jahre sogar angeboten haben, die ETA zu beseitigen, wenn Spanien der NATO nicht beitrete. Die damalige spanische Regierung (Suarez) reagierte, wenn überhaupt, ablehnend.

Daraus sieht man, daß die spanischen Eliten mit dem ETA-Terror gut leben konnten. Im Gegenteil, der ständige Kampf gegen einen inneren Feind kam als Rechtfertigung vieler höchst unangenehmer Maßnahmen gerade recht.

Die Vorwegnahme des Staates als Gewaltapparat

In ihre Gründungszeit herrschten noch verschiedene Vorstellungen über die Ziele dieser Organisation, die in Spaltungen und Vereinigungen mündeten. Als Ziel setzte sich schließlich die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch und verschiedene terroristische, also gewaltsame Akte zur Durchsetzung dieses Ziels.
Dieser vornehme Auftrag, der gebeutelten Nation endlich zur ihr zustehenden Entfaltung zu verhelfen, gab den Mitgliedern von ETA das gute Gewissen, von ihrer Gründung 1968 bis 2011 nach offiziellen Zählungen 853 Menschen umzubringen.

„Wir haben eine alte Sprache, daher sind wir ein Volk und deshalb werden wir einen Staat haben“ – mit diesen Worten charakterisierte eine französische Juristin seinerzeit das Selbstverständnis der ETA.
Der Wille zu einem eigenen Staat einte die ETA mit verschiedenen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Es gibt aber wenige Organisationen, die diese Sehnsucht so sehr in Reinkultur verkörpert haben wie die ETA.

Diese Vorstellung, sich als ideelle Staatsmacht mit der realen gleichzusetzen, zeigt sich auch an den angebotetenen „Waffenstillständen“. Da ist es unwichtig, ob sie gehalten haben oder gebrochen wurden. Die ETA definierte dieses Angebot auf Gewaltverzicht als einen Hoheitsakt, bei dem eine kriegsführende Seite sich mit der anderen auf etwas verständigt.

Der Kampf des spanischen Staats gegen die ETA

Der Umstand, daß die ETA nach Francos Tod nicht die Waffen streckte und weiter aktiv blieb – und sich auch einer gewissen Unterstützung im restlichen Spanien erfreute, aufgrund der Tatsache, daß sie die einzige Organisation war, die dem Regime die Stirn geboten hatte – kam den spanischen Eliten gerade recht. Mit Berufung auf „Bekämpfung des Terrorismus“ konnte die Übergangsregierung unter Suarez und die Nachfolgeregierungen auch gegen linke Studenten- und Arbeiterorganisationen vorgehen und den Gewaltapparat aus der Franco-Zeit 1:1 übernehmen. Er diente jetzt der „Verteidigung der Demokratie“.

Eine besondere Rolle kam dabei der Guardia Civil zu. Diese spezielle Einheit, die als „Gendarmerie“ übersetzt wird, wurde 1844 als eine Art Militär für das Inland gegründet, zur Überwachung der ländlichen Bevölkerung. Ihre Mitglieder leben in Kasernen, kommen aus anderen Landesteilen und dürfen sich nicht mit der Bevölkerung vor Ort verbrüdern, verheiraten usw. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit werden sie versetzt und in die nationale Polizei übernommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Guardia Civil eine Art interne Terrororganisation gegen das aufständische Landproletariat Spaniens. Im Baskenland wurde sie zu einer Besatzungsarmee. Sie verfügte über spezielle Vollmachten, die alle demokratischen Gepflogenheiten außer Kraft setzten. Während die baskische Polizei, die Ertzaintza, mehr oder weniger auf verkehrspolizeiliche Maßnahmen und ähnliches beschränkt war, konnte die Guardia Civil problemlos in Wohnungen eindringen, Hausdurchsuchungen vornehmen, Leute verhaften und tage-, sogar wochelang Leute in Gewahrsam nehmen, verprügeln, demütigen, usw., ohne ihre Angehörigen auch nur in Kenntnis zu setzen.

Es ist nicht herauszukriegen, wieviele Personen der Repression der Sicherheitskräfte seit 1975 zum Opfer gefallen sind. Darüber wird offenbar keine Statistik geführt, während die Opfer der ETA genau verzeichnet wurden. Zu den Ermordeten, ob ETA-Mitglieder oder nur der ETA-Mitgliedschaft Verdächtigen, muß man auch diejenigen hinzuzählen, die durch die Polizeihaft bleibende Schäden erlitten haben.

Das war aber offenbar dem Staat noch nicht genug.

Von 1983 bis 1987 übten die paramilitärischen Einheiten der GAL (Antiterroristische Befreiungsgruppen), die vom Innenministerium zur Zeit der sozialistischen Gonzalez-Regierung organisiert wurden, ihre Tätigkeit aus, die später als „schmutziger Krieg“ bezeichnet wurde. Ihnen werden 27 Morde zugeschrieben. Sie entführten Personen und ermordeten sie, auch in Frankreich.

Die Organisationsstruktur der ETA

Die ETA verfügte mit der 1978 von aus dem Exil heimgekehrten Politikern gegründeten Partei Herri Batasuna („Volkseinheit“), die sich 1986 formal als Partei gründete, über ein legales Standbein im baskischen Regionalparlament, bis HB und auch Nachfolgeorganisationen 2003 verboten wurden.

Die „Volkseinheit“ definierte sich als „patriotische Linke“, womit sie erstens die Liebe zur Heimat als linke Tugend definierte, und zweitens sich als ehrbare Opposition darstellte, die letztlich immer für das Gute und gegen das Böse war.
Zur Erreichnung dieser hohen Ziele sind natürlich alle Mittel erlaubt.

Die paramilitärischen Einheiten, die „Kommandos“, agierten unabhängig voneinander, sodaß die Verhaftung eines oder mehrer Mitglieder eines solchen Kommandos keine Auswirkungen für die anderen hatte. Auch unter Folter konnten die Verhafteten keine Informationen weitergeben, weil sie keine hatten.
Die Unabhängigkeit der Kommandos bezog sich auf die Wahl der Opfer, der Tatorte, die Form der Ausführung, und auch auf Geldbeschaffung und Einbrüche in militärische Depots zur Beschaffung von Sprengstoff.

Ein Moment der Dauerhaftigkeit und Unterstützung der ETA war das absolute Verbot des Konsums von Alkohol und Drogen.

In der Zeit der Transición, des Übergangs zur Demokratie, wo sich eine ganze Generation mit Heroin zu- und wegtörnte – durchaus von den Behörden geduldet –, war das ein Anziehungspunkt. Den meisten Eltern war es lieber, wenn ihre Kinder sich in ETA-Kreisen herumtrieben, als sie im Drogenmilieu versumpfen zu sehen.
Ihre Mittel beschaffte sich die ETA über Schutzgelderpressung – mit sehr glaubwürdigen Drohungen unterlegt –, über Entführungen von Unternehmern und das dafür gezahlte Lösegeld, und über Einbrüche in Munitionsdepots.

Die Unterstützer der ETA

Das Staatsprojekt der ETA fand auf der Welt wenig Unterstützer. Spekulationen auf Unterstützung von Seiten der Sowjetunion oder anderer Staaten des Warschauer Paktes werden nicht einmal von den größten Antikommunisten in die Welt gesetzt.
Auch der CIA hatte nichts mit der ETA zu tun, weder vor noch nach Francos Tod. Die USA waren mit Spanien hochzufrieden, sie hätten gar keinen Grund dafür gehabt.

Die ETA wurde lange von Algerien unterstützt. Die Regierungen von Boumedienne und Bendjedid sahen offenbar im nationalen Befreiungskampf der ETA eine Parallele zur eigenen Befreiung von der Kolonialmacht. Algerien diente sowohl als Versteck und Zufluchtsort für ETA-Mitglieder, die in Spanien gesucht wurden, als auch als Ausbildungslager für die Mitglieder der Kommandos.
Aus verschiedenen lateinamerikanischen Staaten erhielt die ETA ebenfalls Unterstützung, vor allem aus Mexiko, Venezuela, Argentinien und Uruguay. Von staatlicher Seite wurde diese Unterstützung nur geduldet, nicht aktiv betrieben. Die Freunde der ETA waren in diesen Staaten republikanische Flüchtlinge und deren Angehörige sowie Nachfahren baskischer Auswanderer.

Nicht ganz klar erschließt sich die Rolle Frankreichs. Die ETA hätte sich nie so lange halten können, wenn die französischen Behörden mit den spanischen zusammengearbeitet hätten. Aber daran bestand offenbar kein Interesse von Seiten Frankreichs.
So diente das französische Baskenland als Rückzugsgebiet und logistisches Hinterland. Der Sprengstoff kam aus französischen Militäreinrichtungen, die weniger streng bewacht waren als die spanischen. Aktionen der spanischen Polizei und Guardia Civil in Frankreich, bei denen öfters auch französische Staatsbürger zu Schaden kamen, wurden zwar geduldet, führten aber regelmäßig zu Verstimmungen und Protesten von französischer Seite.
Diese Duldung ist um so verwunderlicher, als der Wunsch nach einem eigenen Staat durchaus auch das französische Baskenland bedrohte und damit die Einheit Frankreichs. Zunächst konzentrierte sich die ETA auf den spanischen Teil – Hegoalde, die „südlichen Länder“ –, aber der Norden – Iparralde – lag als Fernziel durchaus im Staatskonzept der baskischen Patrioten.

Schließlich ist auch eine Unterstützung der ETA bei der baskischen Unternehmerschaft nicht zu unterschätzen. Nicht alle wurden genötigt, Schutzgeld zu zahlen. Es gab auch in der Unternehmerschaft welche, denen die Vorstellung eines unabhängigen Baskenlandes angenehm war und die dafür gerne etwas ablegten.
Sie erhofften sich dadurch geringere Abgaben und damit höhere Profite.

Die Attentate

Der bewaffnete Arm der ETA betrachtete sich als Nachfolger der baskischen Armee im Bürgerkrieg, der Finger saß recht locker am Abzug. Sie betrachtete sich als Armee im Krieg und wollte den Feind treffen, wo es nur ging. Die Auswahl ihrer Opfer fand so statt, daß diese Personen von den Mitgliedern der Kommandos für lebensunwert betrachtet und zur Liquidierung verurteilt wurden.
Die Attentate erfolgten in Form von Hinrichtungen mit Schußwaffen, oftmals aus nächster Nähe – der Attentäter ging zu seinem Opfer und teilte ihm vorher mit, daß es jetzt erschossen würde.

Andere Attentate erfolgten mit Bombenanschlägen. Die Frequenz von Anschlägen mit Bomben hing davon ab, welche Mengen der ETA gerade zur Verfügung standen. Die Anschläge erfolgten teilweise auf Wohneinheiten der Guardia Civil.
Oftmals wurden aber einfach auf Lokale, Flughäfen, Bahnhöfe und Supermärkte Anschläge verübt, weil die ETA die als legale Ziele gegen die Besatzungsmacht ansah.

Mit der Zeit bürgerte sich ein, daß bei den Bombenattentaten in öffentlichen Gebäuden vorher eine Warnung erfolgte, damit die betreffende Örtlichkeit rechtzeitig geräumt werden konnte.
Beim Attentat auf den Hipercor in Barcelona 1987, das 21 Todesopfer forderte, war die Warnung von der Polizei ignoriert worden, weil sie es für günstig hielt, mit einem blutigen Attentat die Stimmung in der Bevölkerung gegen die ETA aufzuhetzen. Die Toten von damals kann man also als Gemeinschaftswerk von Polizei und ETA betrachten.
Beim Bombenattentat auf den Flughafen Barajas 2006 war der Flughafen zwar geräumt worden, zwei Ecuatorianer, die in ihren Autos schliefen und deshalb die Evakuierung verschliefen, fielen der Explosion jedoch zum Opfer.

Die Opfer der ETA

Die ETA hatte ein relativ breit gestreutes Spektrum an Opfern.

Der größte Teil ihrer Opfer waren Mitglieder der Exekutive – der Guardia Civil und der Polizei, des Militärs, sowie deren Angehörige. Es gab keinerlei Bedenken oder Reue, wenn bei einem Attentat gegen eine als Feind definierte Zielperson auch deren Partner und Kinder umkamen, oder die Erschießung ihres Vaters mit ansehen mußten. Die ETA betrieb also bei ihren Attentaten auch eine Art Sippenhaftung.

Weiters wurden Lokalpolitiker – Bürgermeister oder Gemeinderäte von nicht-baskischen Parteien – ins Visier genommen, mit ähnlich tolerierten Kollateralschäden. Sie waren immerhin Verräter, die sich trotz ihrer baskischen Abstammung dem spanischen Kolonialherren andienten.
Ein – sogar baskischstämmiger – Schulwart wurde vor einem Haufen Schüler am hellichten Tag an seinem Arbeitsplatz erschossen – in der irrigen Annahme, er hätte früher einmal bei der Polizei gedient.

Gerne und reichlich wurden Taxifahrer, Kellner oder Barbetreiber erschossen, weil die ETA von ihnen annahm, daß sie Spitzel waren. Sie hatten nämlich hin und wieder Polizisten in ihren Taxis geführt oder in ihren Etablissements bewirtet, waren also eindeutig Kollaborateure der Besatzungmacht.
Bei diesen Menschen war auch noch zusätzlich verdächtig, daß sie oftmals aus anderen Teilen Spaniens stammten, also schon ihrer Herkunft nach als Feinde zu gelten hatten. In dieser Logik wurden auch diverse Andalusier oder aus Kastilien, Murcia oder Extremadura stammende Leute einfach so erschossen, um klarzustellen, daß die ETA keinen Wert auf Zuzug legte.

Auch Leute, die die ETA verlassen hatten, weil sie genug von diesem Wahnsinn hatten, wurden hingerichtet, sobald sie sich wieder ins Baskenland wagten, in der irrigen Annahme, daß über die Sache Gras gewachsen sei.

Einmal ETA – immer ETA!

Die Nachfolgeorganisation Bildu

Die Organisation Bildu (= „versammelt“) ist das Ergebnis verschiedener Koalitionen, die sich aus baskischen Kleinparteien seit dem sogenannten „Abkommen von Gernika“ im Jahre 2010 gebildet hat. Damals wurde der Waffenstillstand, also das Ende des bewaffneten Kampfes vereinbart, und alle anderen politischen Organisationen auf die Zusammenarbeit mit der ETA verpflichtet.

Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß die ETA jahrzehntelang keine Organisationen der spanischen oder sogar internationalen Linken auf dem Territorium des Baskenlandes duldete. Sobald irgendwelche anarchistischen, trotzkistischen, maoistischen, marxistischen und ähnlichen Gruppen eine Filiale im Baskenland eröffnen wollten, erhielten sie einen Besuch, der ihnen davon abriet, weil dergleichen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sei. Diese Drohungen betrafen auch den französischen Teil des Baskenlandes.
So ergab es sich zwangsläufig, daß alle Organisationen, die sich dort bildeten, ob sozialistisch oder ökologisch orientiert, als erstes die nationale Frage in ihre Statuten oder sonstigen Absichtserklärungen aufzunehmen hatten. Sie hatten sich als baskische Patrioten zu definieren, mußten sich einen baskischen Namen geben und hatten ihre Veröffentlichungen auf Baskisch zu machen.

Man kann sagen, daß die ETA sich auf diese Art und Weise den Boden für den Übergang in die Legalität vorbereitet hat. Erstens hat sie eine Infrastruktur für die Teilnehme am demokratischen Machtkampf zugelassen, derer sie sich jetzt bedienen kann. Zweitens hat sie damit gesorgt, daß alle Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen sich nur innerhalb der „patriotischen Linken“ artikulieren kann. Dadurch hat sie drittens ein breites Reservoir von jungen Anhängern und Wählern, denen es selbstverständlich ist, ihre gesamten Anliegen zu Bildu und deren Koalitionspartnern zu tragen.
Der Übergang in die Legalität ist also geglückt. 44 abgeurteilte und nach langen Haftstrafen wieder entlassene Etarras, also ehemalige ETA-Kämpfer, kandidieren jetzt für die laufenden Gemeinderatswahlen und werden es vermutlich auch schaffen, auf einen Gemeinderatssitz zu kommen. Dort sitzen sie bald neben den Anhörigen ihrer ehemaligen Opfer, die sich bei anderen Parteien betätigen und oft erst als Ergebnis der Ermordung ihrer Väter zu einem politischen Engagement entschlossen haben.
Alle Einsprüche gegen diese Umwandlung von ETA in Bildu – oft mit Zwischenschritten über andere, kurzlebige Organisationen wurden abgeschmettert.
Es ist anzunehmen, daß die PNV mit Bildu Pakte geschlossen hat, um möglichst viele Gemeinderatssitze für die nationale Sache zu sichern und andere Parteien nach Möglichkeit aus dem Baskenland zu entfernen.

Die Vereinigung mit dem Norden ist weiterhin nicht ausgeschlossen, wenngleich derzeit auf die Gemeindeebene reduziert: Bildu bzw. mit der Partei verbündete Parteien kandidieren auch in Frankreich.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels findet sich hier:

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS