Über die Dissidenz in Kuba

GELENKTE UNZUFRIEDENHEIT

Schiefgegangene Dissidenten-Organisation

Eine Zeitlang bemühten sich europäische Medien und Politiker, vor allem von europäischen Volksparteien, so etwas wie eine Dissidentenbewegung in Kuba hervorzubringen. Die Bloggerin Yoani Sánchez wurde unterstützt, die „Damen in Weiß“ und andere Personen, die sich gerne auf einer europäischen Payroll als Widerstandskämpfer gegen das kubanische „Regime“ betätigten.

Das Hauptproblem für beide Seiten – die europäischen Betreiber des Projektes und die kubanischen Unzufriedenen – war, daß alle diese Leute in Havanna konzentriert waren und in den restlichen Teilen Kubas so gar nichts zustandekommen wollte. Sie hatten irgendwie das Image von Sonderlingen und Außenseitern, es fehlte die Masse und die Breite.

Diese ganze Zusammenarbeit erlitt einen ordentlichen Dämpfer, als 2012 zwei junge Männer aus Europa, Ángel Carromero von der Jugendorganisation der spanischen PP und Aron Modig, Vorsitzender der schwedischen Volksparteijugend, nach Kuba kamen, um diesem Problem der mangelnden Verbreitung von Dissidenz abzuhelfen.

Sie mieteten einen Leihwagen, nahmen den profiliertesten Dissidenten Oswaldo Payá und einen zweiten Regimegegner aus Havanna mit und starteten in den Osten der Insel, nach Oriente, der Wiege der kubanischen Revolution, um dort mit einheimischen Know-How und europäischer Finanzkraft eine Dissidenten-Gemeinde aufzubauen. Zumindest war das der Plan der 4 „Regimegegner“.

Sie hatten es eilig, weil die beiden europäischen Jungpolitiker nicht viel Zeit für dieses Unternehmen hatten. Sie unterschätzten erstens die Distanz und überschätzten zweitens den Zustand von Kubas Straßen. Sie hätten ihre eigene Propaganda, daß in Kuba alles im Argen liegt, etwas ernster nehmen müssen.

Nach vielen Stunden des ununterbrochenen Fahrens kamen sie nachts bei einer Baustelle von der Straße ab und die zwei Kubaner starben, während die beiden Europäer leicht verletzt überlebten.

Nach seiner auf diplomatischem Weg erreichten Ausreise aus Kuba wurde von Carromero behauptet, sie seien verfolgt worden und alles sei ein Werk des kubanischen Geheimdienstes.

Aber die Begeisterung, sich als Dissident vor den Propaganda-Karren europäischer Regierungen spannen zu lassen, ließ spürbar nach. Alle in Kuba begriffen, daß das gefährlich war.

Und so blieb die Unterstützung der Dissidenz wieder vor allem den Exilkubanern in Miami und den US-Diensten überlassen.

Die Freiheit der Kunst

wird im demokratischen Westen sehr hochgehalten. Freiheit heißt zwar auch hier nicht, daß man alles machen darf, was einem gerade lustig ist. Aber es hat auf jeden Fall das andere Moment der Freiheit an sich, daß die innerhalb oder außerhalb des Kunstbetriebes ankommenden Einkünfte den Aktionsradius der Künstler und Musiker bestimmen – ka Geld, ka Musi. In der Coronapandemie wurden hierzulande viele Künstler unterstützt, um nicht zu verhungern, weil ihre gesamten Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten wegfielen.

Man muß sich allerdings hierzulande als freischaffender Künstler oder Musiker genauso einen Steuerberater halten und seine Einkünfte, soferne sie eine gewisse Grenze überschreiten, versteuern.

In Kuba gibt es sehr umfassende Kulturprogramme, die auch auf der ganzen spanischsprachigen Welt bekannt und anerkannt sind, von einer staatlichen Filmindustrie über Musikunterricht und Musik- und Filmfestivals bis zur bildenden Kunst und dem Theater. Aber alle diese Leute sind staatliche Angestellte und beziehen darüber ihr Einkommen, das sich natürlich nicht mit dem Lebensstandard eines im Westen erfolgreichen Künstlers vergleichen kann. Sie sind auch keine Stars, sondern haben einen ähnlichen Status wie Ärzte, Politiker, Wissenschaftler oder andere Leute mit höherem Bildungsstand: Man erwartet von ihnen, daß sie das gesellschaftliche System Kubas bejahen und unterstützen.

Das stört natürlich diejenigen, die sich zwar künstlerisch betätigen wollen, aber andere Vorstellungen von Einkommen und Freiheit haben.

In Kuba wird privates Unternehmertum in Form von Selbständigen oder Familienbetrieben seit Jahren genehmigt, aber in sehr eingeschränkter Form. Das betrifft alle Berufe, von Restaurants oder Handwerkern über ambulante Verkäufer bis zur Unterhaltungssphäre.

Diese Tätigkeit wird derzeit vor allem durch den Erlaß 349 aus 2018 mit dem Titel „Über die rechtliche Beratung“ geregelt. Demzufolge muß jeder, der sich privat beruflich betätigen will, einen Juristen kontaktieren und mit ihm das Tätigkeitsprofil koordinieren und genehmigen lassen.

Gegen diese in ihren Augen unerträgliche staatliche Gängelung haben verschiedene Künstler, vor allem Musiker der Richtung Reggaeton (die karibische Version des Rap) vor zweieinhalb Jahren die „Bewegung San Isidro“ gegründet. In verschiedenen Formen des Protestes haben sie seither nicht genehmigte Veranstaltungen und Ausstellungen in und mit Hilfe der sozialen Netzwerke organisiert.

Um zu verstehen, warum die kubanischen Behörden dergleichen Events kontrollieren und genehmigen wollen, sollte man sich vielleicht an die feuerpolizeilichen Bestimmungen erinnern, die bei uns solche Veranstaltungen begleiten, und an die Unglücke von Duisburg 2010, Madrid Arena 2012, Bukarest (Colectiv) 2015, usw., wo es wegen ungenügender Sicherheitsmaßnahmen, unzureichender Notausgänge und keiner angemessenen Organisation einen Haufen Tote gab.

Protest und Zustimmung

Dieses Hin und Her zwischen verbotenen Veranstaltungen, absichtlichen Provokationen und Verhaftungen ging eine Weile und gehörte zur kubanischen Folklore – bis die Coronakrise kam.

Erstens waren jetzt Menschenansammlungen kategorisch verboten. Zweitens aber kam es zum Einbrechen des Tourismus, der Haupt-Einnahmequelle Kubas und damit zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage.

In diesem Kontext kam es zu Demonstrationen am 11. und 12. Juli in Havanna und einigen anderen Orten, wo „Wir wollen Freiheit!“ und „Nieder mit der Diktatur!“ gefordert wurde.

Sicher sind diese Proteste über das Internet aus den USA gefördert und angestachelt worden. Es geht aber um etwas anderes: Die Freiheit gehört zur westlichen Eigentumsordnung und zur Konkurrenzgesellschaft.

Die Frage ist also, was die Menschen in Kuba wollen: Das westliche Paket, dessen Praxis sie in Florida, Jamaika und Haiti sehen können: Reichtum für die einen, Elend für die anderen, Prostitution, Drogenhandel und alltägliche Gewalt in den Straßen – oder staatlich gelenkte Wirtschaft, kostenloses Bildungswesen und Krankenversorgung, und je nach den Konjunkturen der Feindschaft der USA größere oder geringere Versorgungsmängel.

Ein Zwischensystem gibt es nicht. Tertium non datur.

Wie die großen Aufmärsche zur Unterstützung der Regierung einige Tage nach den „spontanen“ Protestdemos gezeigt haben, steht die überwältigende Mehrheit der Kubaner auf dem Standpunkt, lieber mit dem bisherigen System weitermachen zu wollen.

Demo am 17.7. in Havanna

Was das Internet betrifft, über das diese Flashmobs organisiert wurden, das dann von den kubanischen Behörden abgeschaltet und über US-Satelliten wiederhergestellt wurde, so sei daran erinnert, daß es in Kuba überhaupt nur Internet gibt, weil 2011 aus Venezuela ein Glasfaserkabel durch das Meer nach Kuba verlegt worden ist.

Den USA verdanken die Kubaner das Internet nicht.

Die EU und ihre Querelen. Wieder einmal: Ungarn

FEINDLICHE BRÜDER

Es ist Zeit, einmal eine eigene EU-Beitrags-Seite zu starten, weil nach vollzogenem und dennoch nicht vollständig abgeschlossenen Brexit tun sich andere Fronten innerhalb der EU auf.
Da es keine Handhabe gibt, um die ungarische Regierung zu einer EU-konformen Haltung in Sachen Homosexuellen-Rechte zu nötigen, besinnt sich die EU auf einen anderen Hebel und wirft ihr Korruption vor.
Das war auch eine Zeitlang auf dem Tisch, als in Rumänien eine den EU-Wächtern nicht genehme Regierung drohte, und ist ein Dauerbrenner, mit dem man jederzeit Regierungen ehemals sozialistischer Staaten drangsalisieren kann, weil dort aufgrund der ökonomischen Entwicklung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs notwendigerweise „Seilschaften“ am Werk sind. Die alten Eliten mußten sich ja irgendwie in das neue System integrieren:

„Missbrauch der Gelder vermutet:
EU blockiert Corona-Hilfen für Ungarn
Wegen eines Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität zweifelt die EU an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns. Nun gehen beide Parteien erneut auf Konfrontationskurs. Brüssel bemängelt den Plan für die Corona-Hilfen – und blockiert die Milliardenzahlung.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen legt sich einmal mehr mit der Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban an. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verweigert die Brüsseler Behörde derzeit dem ungarischen Plan für die Verwendung von EU-Corona-Hilfen eine positive Bewertung. Grund sind nach Angaben aus EU-Kreisen bislang nicht ausreichende Garantien und Vorkehrungen gegen eine missbräuchliche Verwendung der Gelder.
Eine positive Bewertung des Plans für die Mittelverwendung ist Voraussetzung dafür, dass Ungarn Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RFF) der EU bekommen kann. Für das Land sind nach derzeitigen Berechnungen eigentlich rund 7,2 Milliarden Euro vorgesehen. Die Kommission hatte sich jüngst bereits wegen eines Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität mit der Regierung des rechtsnationalen Politikers Orban angelegt. EU-Kommissionschefin von der Leyen nannte das Gesetz eine Schande und will es notfalls sogar vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Sie hält das Gesetz für diskriminierend und damit für unvereinbar mit den Werten der EU. (…)“ (NTV, 6.7.)

Jedes Land muß einen Plan vorlegen, und ausgerechnet bei Ungarn zweifelt die EU an der richtigen Verwendung dieser Gelder. So ein Zufall.

(Nicht, daß das Abzweigen von Geldern in private Taschen in Ungarn unüblich oder undenkbar wäre. Aber eben nicht nur in Ungarn. Die EU-genehme Regierung Bulgariens unter der Führung von Bojko Borissow wirtschaftet mit großem Schwung in die eigene Tasche. Aber diese Regierung ist der Garant für antirussische Politik Bulgariens und will natürlich dafür eine Gegenleistung.
Im Baltikum wird schon gar nicht genau nachgeschaut, wo irgendwelche EU-Gelder landen. Ebenso ist es bei Zypern, Malta und auch Griechenland, seit die Syriza-Regierung abgewählt wurde, oder Italien, seit Draghi am Ruder ist.
Man merkt also, wie sehr der Korruptions-Zeigefinger nach Belieben ausgefahren oder eingezogen werden kann.)

Ähnlich verfährt die EU mit Polen.
Das Hilfspaket für Ungarn wird bis Oktober ausgesetzt, und der polnische Plan wartet ebenfalls seit 3 Monaten auf eine Genehmigung. (El País, 28.7.)

Das Tauziehen um die Corona-Hilfsgelder hatte ein Vorspiel, das der Tagesspiegel gleich in eine deutsche Machtdemonstration verwandelt:

„Ungarn und Polen blockieren Corona-Fonds.
Merkel muss Orban die Grenzen aufzeigen

Vor allem Ungarns Regierungschef Orban hat sich im Brüsseler Machtkampf ins Abseits gestellt. Das muss ihm Kanzlerin Merkel deutlich machen.
Viktor Orban und Mateusz Morawiecki haben die EU mit ihrem Veto in eine schwere Krise gestürzt. Das milliardenschwere Corona-Hilfsprogramm für die EU-Staaten droht zu platzen, weil die Regierungschefs aus Ungarn und Polen sich von Brüssel keine Vorschriften zur Rechtsstaatlichkeit machen lassen wollen. (…)“ (Tagesspiegel, 16.11.)

Die EU-Spitze, vor allem Deutschland und seine Satelliten Holland und Luxemburg, wollten nämlich die Corona-Hilfsgelder ausnutzen, um sich im Kleingedruckten ziemliche, über die bisherigen EU-Vereinbarungen hinausgehende Rechte zum Hineinregieren in mißliebige Mitgliedsländer genehmigen zu lassen. Die sollten gegen Geld Souveränitätsverzicht unterzeichnen.
Da das nicht klappte und das ganze Corona-Paket zu scheitern drohte, wird jetzt eben die Korruptions-Schiene eingesetzt.
Der Ausgang ist noch unklar. Aber dergleichen Verweigerung von Zahlungen hat notgedrungen Auswirkungen auf die Handhabbarkeit von Abhängigkeiten und die Unternehmens-Praktiken in den betroffenen Staaten.

Neben Polen hat sich inzwischen auch Slowenien in den Klub derer eingereiht, die nicht vorhaben, Brüssel Zugeständnisse zu machen.

Serie Daten und Statistiken, Teil 4

DIE INFLATION

Über das, was die Inflation ist – oder auch nicht ist –, wurde schon einiges geschrieben.

Hier soll es darum gehen, wie sie berechnet wird.

Immerhin werden wir regelmäßig mit Meldungen über steigende – oder zu niedrige – Inflationsraten gefüttert, und die bereiten Ökonomen und Politikern Kopfzerbrechen.

„Was bedeutet Inflation? Laut Definition handelt es sich dabei um eine anhaltende, allgemeine Erhöhung von Preisen für Güter, die dafür verantwortlich ist, dass die Kaufkraft von Geld schwindet. Eine Teuerung von Waren und Dienstleistung (= inflationärer Anstieg) führt dazu, dass für denselben Preis weniger Dinge erworben werden können. Im Zuge der Frage, was Inflation ist, wird meist auch die Inflationsrate erwähnt. … Die Definition der Inflationsrate ist schnell gegeben: Es handelt sich um eine Angabe darüber, wie sehr sich ein Preis für ein und dasselbe Gut in einem bestimmten Zeitraum verändert hat.“ (Ofina, Ratgeber)

Wenn wir uns an diese Definition halten – die, wohlgemerkt, keine Erklärung ist – so fragt sich, wie diese ganzen sich verändernden Preise festgestellt werden?

Der Warenkorb

Zu diesem Zweck werden verschiedene Ausgabeposten, die man dem durchschnittlichen Bürger zurechnet, auf ihre Preissteigerungen untersucht.

Der Warenkorb für Österreich setzt sich 2021 zusammen wie folgt:

„Zusammensetzung des durchschnittlichen Warenkorbs privater Haushalte in Österreich im Jahr 2021“

„Der Warenkorb dient der Berechnung der Verbraucherpreisindizes und der daraus abgeleiteten Inflationsrate in Österreich. Er enthält eine wirklichkeitsnahe Auswahl der von den privaten Haushalten konsumierten Waren und Dienstleistungen und ist in zwölf Ausgabenbereiche (Hauptgruppen) unterteilt. Jede Hauptgruppe ist entsprechend ihrem Anteil an den Haushaltsausgaben gewichtet.“ (Statista)

Bei der Auswahl der 12 Ausgaben-Gruppen (die in der ganzen EU üblich sind, das Verfahren wurde vereinheitlicht) fällt als erstes auf, daß manche von minderbemittelten Mitbürgern kaum in Anspruch genommen werden, wie Hotels. Auch unter „verschiedene Waren und Dienstleistungen“ wird viel Unterschiedliches einen Topf geworfen.

Es ist also schon einmal eine Entscheidung der Statistiker, was sie alles in den Warenkorb aufnehmen. Irgendwie soll der gesamte Konsum der Gesellschaft abgedeckt sein, auch wenn die Mitglieder in verschiedener Art daran teilnehmen.

Zweitens wird auch von den Warenkorb-Erstellern entschieden, welcher Stellenwert einem bestimmten Ausgabeposten zukommt.

Der Grund für die zwei unterschiedlichen Farben lassen sich der Website nicht entnehmen, also nicht, ob sich die eine auf den Vormonat oder das Vorjahr bezieht. Das ist aber zum Begreifen dessen, was mit dieser Gewichtung geschieht, unwesentlich.

Wohnung, Wasser & Energie sowie Haushalt überhaupt machen in der Graphik insgesamt ein Viertel der Ausgaben eines Haushaltes aus, obwohl inzwischen diejenigen, die über ein geringes Einkommen verfügen, zwischen einem Drittel und der Hälfte für die Wohnung aufwenden. D.h., Steigerungen auf diesem Gebiet gehen nicht in dem Maße in den gesamtgesellschaftlichen Kaufkraftverlust ein, wie es den Geldbörsen der Mehrheit entspräche.

Ebenso wie bei „Verkehr“ der Kauf des SUV genauso erfaßt ist wie die Monatskarte für den öffentlichen Verkehr, fällt unter „Nachrichtenübermittlung“ alles mögliche an Elektronik vom neuesten Smartphone bis zum überalterten Computer, der mit updates noch am Laufen gehalten wird, und der Briefmarke auf einer Urlaubspostkarte.

Nicht, daß sich hier zuwenig Mühe gemacht würde. Die Warengruppen werden alle 5 Jahre neu gewichtet und modifiziert. Die Waren selber werden monatlich neu erfaßt, um am Puls der Zeit zu bleiben. In Deutschland werden monatlich die Preise von rund 300.000 Waren durchforstet. In Österreich gibt es zusätzlich einen Mikrowarenkorb, der die täglichen Einkäufe abbilden soll, Tausende von Artikeln erfaßt und ebenfalls monatlich upgedated wird.

Dennoch gibt, wegen des Durchschnitts durch alle privaten Haushalte, der Warenkorb und die Inflationsrate nicht viel her, was das Ausmaß der Teuerung für die Einzelnen betrifft – sowohl bei den Armen als auch bei den Reichen.

Die viele Mühe und die Berechnung überhaupt werden deshalb gemacht, weil die Inflationszahlen sowohl für politische und ökonomische Entscheidungen wichtig sind, als auch der geistigen Betreuung des p.t. Publikums dienen.

Die Besprechung der ermittelten Inflationsrate

Das genaue Nachschauen auf Tausenden von Preiszetteln und deren Aufrechnen in die Inflationsrate wird als eine Art Dienst am Kunden dargestellt. Regelmäßig wird die Menschheit mit den betreffenden Zahlen beglückt – was teurer geworden ist, was viiiiel teurer geworden ist und was sich – oh Glück, oh Wunder – verbilligt hat.

Die Preise und ihre Bewegung werden dem Hörer bzw. Leser der Medien als eine Art Natur vorgestellt, so wie Jahreszeiten oder das Wettergeschehen. Die Berichte über die Inflation haben also etwas vom Wetterbericht an sich.

Das ist die erste ideologische Leistung dieser Art von Datenerhebung und -vermittlung: Waren und Preise sind etwas Natürliches und Selbstverständliches.

Dann kommen als nächstes die braven Leute ins Spiel, die diese Preise erheben, die Statistiken errechnen und die dann mitteilen und sogar analysieren.

Das ist die nächste ideologische Leistung: Die Behörden werden als Freund und Helfer vorgestellt, die dieses Ungetüm „Inflation“ beobachten, zügeln und handhabbar machen und der Menschheit mitteilen,wie es darum steht, sodaß diese sich drauf einstellen kann.

Es kann sich zwar niemand drauf einstellen, aber das macht nichts.

Die praktische Bedeutung der Inflationsrate

Die Inflationsrate ist nämlich über diese beiden Momente hinaus ein fester Bestandteil des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit.

Die Inflationsrate ist nämlich ein Moment für Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden.

Ist die Inflationsrate hoch, so wird daraus geschlossen, daß höhere Lohnforderungen anstehen.

Sofort werden warnende Stimmen laut, daß man die Löhne nicht zu sehr erhöhen dürfe, weil sonst eine „Inflationsspirale“ losgetreten würde. Man darf also keineswegs der arbeitenden Menschheit ihren durch die Inflationsrate errechneten Kaufkraftverlust durch höhere Löhne ausgleichen, weil das würde wieder höhere Preise bedingen, und damit höhere Löhne, usw.

Ist die Inflationsrate niedrig, so sind Gehaltsforderungen sowieso vom Tisch. Warum auch, es geht doch ohnehin allen so gut wie nie zuvor.

Man erkennt hier auch ein Interesse der Inflationsraten-Berechner, selbige niedrig zu halten, und sei es durch gelegentliche Warenkorb-Kosmetik: Manche Artikel werden höher, andere niedriger gewichtet. Also das Verhältnis, in dem diese Ausgaben zueinander gestellt werden, kann große Preissteigerungen einzelner Güter für die Inflationsratenberechnung verringern.

Die Umsatzsteuer

Während so getan wird, als spiegle die Inflationsrate mehr oder weniger die Marktverhältnisse und die Preise, die auf dem Markt erzielt werden, gibt es dennoch einen äußeren Faktor, der dieselbe beeinflußt. Und der ist die Umsatzsteuer. Ob Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer, Genußmittelsteuer usw. – diese Steuern erhöhen die Preise, ohne daß Angebot, Nachfrage, Produktionskosten, Rohstoffkosten oder irgendetwas anderes teurer geworden wäre. Diese Art von Preiserhöhung setzt sich sozusagen von außen auf den ganzen Markt oder die Ökonomie drauf und entspringt nicht den Handlungen der Produzenten oder Konsumenten.

Von Seiten des Gesetzgebers bzw. des Finanzministers sind die Umsatzsteuern die nächstliegende Art der Einnahmensteigerung. Gegenüber Schuldenmachen haben sie den Vorteil, daß sie mit keinen Verbindlichkeiten einhergehen. Gegenüber anderen, direkten Steuern haben sie den Vorteil, daß sie keine gesellschaftlichen Schichten gegen sich aufbringen, die ihre Einkünfte gefährdet sehen. Die Umsatzsteuern betreffen doch „alle“, nicht wahr?

In Zeiten der zunehmenden Verarmung der Gesellschaft können allerdings auch solche durch Umsatzsteuern verursachten Preissteigerungen zu Aufruhr führen, wie in jüngerer Vergangenheit der Aufstand der „Gelbwesten“ gezeigt hat. Ein weiter zurückliegendes Beispiel dafür war das „Caracazo“, wo die politische Karriere von Hugo Chavez ihren Anfang nahm.

Für größtmögliche Freiheit der Finanzminister und -ämter ist es jedoch wichtig, daß die Inflationsrate niedrig ist. Fortlaufende Entwertung der nationalen Währung würden nämlich die erhöhten Einnahmen aus der Umsatzsteuer zunichte machen.

Bei der Einführung der Maastricht-Kriterien 1991 wurden deshalb 3% Inflation jährlich als anzustrebende Höchstmarke angegeben.

Diese Kriterien gelten erstens praktisch nicht mehr.

Aber die ganze Inflationsrate ist inzwischen mehr denn je geschönt, weil eine zu hohe Inflationsrate gar nicht ins Bild der krisengeschüttelten EU mit ihren Null- und Negativzinsen passen würde.