Coronavirus-Lage August 2020 ff.

RUNDBLICK UND STATISTIKEN
Die Todesraten-Statistik – Tote pro Kopf der Bevölkerung – sieht derzeit so aus:
0,000864198157252 Belgien
0,000625448272800 UK
0,000615090369941 Spanien
0,000588497597644 Italien
0,000563248595582 Schweden
0,000454435538041 Frankreich
0,000373173115996 Irland
0,000360945729863 Holland
0,000232801404014 Schweiz
0,000170660377358 Portugal
0,000113278389615 Rußland
0,000111643227060 Deutschland
0,000082349705608 Österreich
0,000896393856272 Peru
0,000625355532260 Chile
0,000555458519407 Brasilien
0,000545622755143 USA
0,000482520092470 Mexiko
0,000471449487555 Panama
0,000426509313669 Bolivien
0,000376804133175 Kolumbien
0,000374739402363 Ecuador
0,000241220437665 Kanada
0,000190247687897 Honduras
0,000177741191373 Argentinien
0,000151388501904 Dominikanische Republik
0,000258397683264 Iran
0,000226467628313 Südafrika
0,000074667791762 Türkei
0,00004382016284 Indien
Zuwachsraten:
Kolumbien + 0,000045691438278
Bolivien + 0,000044491978764
Peru + 0,000042993355558
Argentinien + 0,000034411625419
Brasilien + 0,000030991247864
Mexiko + 0,000027944128688
Panama + 0,000025622254759
Chile + 0,000023443719681
USA + 0,000019401008599
Südafrika + 0,000018097953707
Ecuador + 0,000015693768821
Honduras + 0,000015137051298
Iran + 0,000010672336542
Indien + 0,000004786942646
Rußland + 0,000003669735064
Schweiz + 0,000002139880148
UK + 0,000001038600569
Schweden – 0,000000580968124
Belgien – 0,000007873047287
Lateinamerika ist auf dem besten Weg, Europa an Opfern zu überholen.
Peru hat bereits den europäischen Spitzenreiter Belgien hinter sich gelassen, und beim Fortschreiten der Krankheit haben sich Kolumbien und Bolivien an die Spitze gesetzt.
Den bolivianischen Putschisten kommt die Coronavirus-Epidemie sehr recht. Erstens räumt sie Leute weg, die ihnen sowieso im Weg sind – indigene Land- und Stadtbewohner – und zweitens gibt sie ihnen die Möglichkeit, die Wahlen, die sie wegen Zerstrittenheit untereinander nicht gewinnen können, mit Berufung auf die Ansteckungsgefahr immer weiter zu verschieben.
An Zuwachsraten haben viele lateinamerikanische Staaten die USA überholt, wo die Zunahme der Corona-Toten etwas schwächer geworden ist.
Laut Der Zeitung „El País“ soll Spanien über 44 000 Corona-Tote aufweisen, was natürlich in diesen Statistiken nicht aufscheint. Offiziell hat Spanien knapp 29 000 Coronavirus-Opfer.
In Europa gehen zwar in verschiedenen Staaten die Infektionszahlen in die Höhe, aber aus verschiedenen Gründen die Todeszahlen kaum. Entweder die Maßnahmen haben einen Effekt, oder aber die derzeit von Infektionen betroffene Altersgruppe ist bezüglich ihres Immunsystems besser gerüstet, oder aber das Virus hat zu einer harmloseren Variante mutiert.
Einzig und allein die Schweiz hat eine etwas höhere Zuwachsrate.
Bei der derzeitigen Debatte in Irland über das Management der Corona-Pandemie stellt sich heraus, daß die vergleichsweise hohe Todesrate in Irland auf viele Ansteckungen und Todesfälle im völlig überlasteten Gesundheitsbereich zurückzuführen ist.
Weil alles so gut läuft, haben Schweden und Belgien Tote wieder auferstehen lassen und manche Corona-Toten wieder aus ihrer Statistik entfernt. Ob die vorigen oder die jetzigen Zahlen verläßlicher sind, bleibt der Fantasie überlassen.
Zur Ergänzung noch eine Statistik der absoluten Todeszahlen:
Die Zahlen beziehen sich auf:
Land – Ansteckungen – erfaßte Infizierte pro Kopf der Bevölkerung – ausgewiesene Corona-Tote – Tote pro Infizierte
1 USA – 5.821.819 – 1,759% – 179.708 – 3,09%
2 Brasilien – 3.717.156 – 1,749% – 117.665 – 3,17%
3 Mexiko – 573.888 – 0,445% – 62.076 – 10,82%
4 Indien – 3.310.234 – 0,240% – 60.472 – 1,83%
5 UK – 330.967 – 0,488% – 41.552 – 12,55%
6 Italien – 263.949 – 0,437% – 35.463 – 13,44%
7 Frankreich – 291.374 – 0,446% – 30.549 – 10,48%
8 Spanien – 419.849 – 0,898% – 28.971 – 6,90%
9 Peru – 607.382 – 1,842% – 28.001 – 4,61%
10 Iran – 365.606 – 0,435% – 21.020 – 5,75%
11 Kolumbien – 572.243 – 1,125% – 18.184 – 3,18%
12 Rußland – 968.297 – 0,664% – 16.638 – 1,72%
13 Südafrika – 615.701 – 1,038% – 13.502 – 2,19%
14 Chile – 402.365 – 2,105% – 10.990 – 2,73%
15 Belgien – 83.030 – 0,716% – 9.879 – 11,90%
(Quelle)
Diese hier verwendete Todesrate im Verhältnis zu den Ansteckungen kann bei hoher Letalität, wie z.B. in Mexiko, entweder auf eine weitaus höhere, aber nicht erfaßte Infektionsrate zurückzuführen sein als auch auf eine größere Aggressivität des Virus, einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand (Mexiko hat z.B. die höchste Rate von Übergewichtigen auf der Welt) oder ein schwach ausgebautes Gesundheitswesen, das den Ärmeren sowieso nicht zur Verfügung steht.
Oder auf alles zusammen.

Serie Daten und Statistiken, Teil 2

DIE STERBLICHKEIT
1. Vom Leben und Sterben im Kapitalismus

Jeder stirbt einmal. Aber ob früher oder später, macht schon einen Unterschied für die Betroffenen und ihre Umgebung aus. Es ist allgemein anerkannt, daß die Erhöhung der Lebenserwartung eine zivilisatorische Errungenschaft ist.
Aber das ist nicht so gut, wie es ausschaut. Erstens ist immer noch Luft nach oben, schon was das hohe Alter angeht, zweitens aber sagt das bloße Datum, die Quantität der Lebensjahre, nichts aus über die Qualität, mit der dieses Leben abgelaufen ist.
Eine britische Krankenschwester und Sterbebegleiterin hat einmal ein Buch geschrieben, in dem sie erzählt, daß viele der von ihr Betreuten auf dem Sterbebett gesagt haben: Kämen sie noch einmal auf die Welt, so würden sie versuchen, das zu tun, was sie wollen, und nicht das, was andere von ihnen erwarten.
Die Erwartungshaltung von Regierungen und Behörden ist beachtlich: Sie hätten es am liebsten, wenn ihre werten Mitbürger ihre Gesundheit nur beim Dienst an Staat und Kapital vernutzen und nicht mit Lastern aller Art wie Rauchen und Saufen; gesunde Sportarten treiben, anstatt mit Extremsportarten zu verunfallen, und sich stabil reproduzieren. Also 2 Kinder in die Welt setzen und die ordentlich und anständig ernähren und erziehen.
Zum Mißfallen vieler Beamter und Politiker tun die Leute das jedoch nicht und belasten deshalb das Gesundheitswesen, was stöhn! stöhn! Steuergeld kostet.
Über die Ausgaben, an denen auch andere Interessierte wie Pharmakonzerne hängen, wird genau Buch geführt und immer wieder gejammert, daß das alles viel zu viel kostet. Ein Präsident der Weltmacht Nr. 1 ist daran gescheitert, seinen Bürgern eine erschwingliche Krankenversorgung einzurichten, während unter seiner Regierungszeit immerhin einige Kriege und Bombardements stattfanden, was die US-Staatskasse sicher auch einiges gekostet hat.
Zur Pflege der Volksgesundheit gehört auch das Sammeln von Daten über die Häufigkeit verschiedener Gebrechen, und die Todesrate. Wenn sich eine tödliche Krankheit häuft, wie z.B. jetzt das Coronavirus, so werden dagegen Maßnahmen ergriffen. Ansonsten gibt es Empfehlungen zu Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen.
Im Großen und Ganzen ist es jedoch gerade angesichts der medizinischen Kenntnisse weltweit beachtlich, wie wenig davon zur Anwendung gelangt bzw. wie wenig gesellschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, um die Menschen gesünder zu machen.
Und diese relative Gleichgültigkeit gegenüber der Lebensqualität zeigt sich auch bei den Sterblichkeitsdaten.
2. Krankheiten überhaupt
Es gibt einen Haufen Krankheiten und Gebrechen, die die Bürger Europas befallen, gegen die aber relativ wenig gemacht wird, weil sie erstens nicht allzu häufig sind, und zweitens nicht unbedingt tödlich. Dazu gehören die Erkrankungen des Nervensystems, wie Multiple Sklerose, Epilepsie, Parkinson u.a. Weder ist das Erforschen dieser Krankheiten Chefsache, noch werden Maßnahmen ergriffen, um ihr Auftreten zu reduzieren.
Dann gehören weiters Autoimmunerkrankungen und solche des Stoffwechsels, die zwar schon lange existieren, aber auch heute noch bestenfalls mit irgendwelchen symptomschwächenden Medikamenten behandelt werden.
Dann die Atemwegserkrankungen, Magengeschwüre, usw.
Schließlich gehören dazu die Krankheiten der Psyche, die inzwischen soweit als Krankheit anerkannt sind, daß Therapien und Medikamente vom öffentlichen Gesundheitswesen getragen werden, bezüglich deren Ursachen und der möglichen Vermeidung Psychologie und Medizin jedoch völlig im Dunklen tappen.
Beliebt sind hier wie auch bei „gewöhnlichen“ Krankheiten die Behauptungen, etwas sei „erblich“ oder „genetisch“, um sich um genauere Nachforschungen herumzudrücken.
Es kennt doch jeder von uns: Man selber oder ein Verwandter erkrankt, man geht zu einer Reihe von Ärzten und meistens kriegt man eine Reihe von Pillen oder Salben, bestenfalls noch eine Überweisung zu einem Kuraufenthalt. Sowohl was Diagnose, als auch Ursachenforschung und Behandlung angeht, ist Eile und schnelle Abfertigung angesagt. Meistens noch mit der Aufforderung garniert, weniger zu rauchen, zu trinken und mehr Bewegung zu machen.
Die einen sind dergleichen Behandlung schon so gewohnt, daß sie sich freuen, das Medikament um die Rezeptgebühr zu kriegen.
Die anderen sind sie satt und laufen zu Alternativmedizinern, die von Behörden und guten Staatsbürgern als Kurpfuscher abqualifiziert werden.
Eine ähnliche gesellschaftliche Haltung wird zu Tod und Todesarten eingenommen. Das zeigt sich auch in der Datenerfassung und den Sterblichkeitsstatistiken.
3. Obduktionen und Todesursachen
In Deutschland werden angeblich 1-2% aller Toten obduziert. Vermutlich ist 1% schon zu hoch gegriffen. In Italien werden Autopsien überhaupt fast nur an vermuteten Mordopfern festgenommen, bei normalen Verstorbenen sind sie ganz ungewöhnlich.
Die Obduktion findet in Österreich statt, wenn die Ärzte selbst sie für geraten ansehen, oder wenn sie gerichtsmedizinisch verordnet wird. In diesen Fällen tragen das Spital oder irgendwelche Behörden die Kosten.
Wollen die Angehörigen eine Obduktion vornehmen lassen, so müssen sie selber die Kosten tragen, die z.B. in Österreich so um die 3000 Euro liegen. Diese Fälle sind also eher selten.
Aber allgemein kann man sagen, daß Autopsien in der EU eine Ausnahme darstellen, es muß etwas Besonderes eintreten, damit überhaupt eine vorgenommen wird.
Wenn manche Zweifler sich heute beschweren, daß anläßlich der angeblichen Coronavirus-Toten so wenige Autopsien vorgenommen werden, so kann man feststellen, daß gerade nie so viele Autopsien vorgenommen wurden wie derzeit.
Es wird angenommen, daß jeder 2. Mord in Deutschland unentdeckt bleibt, weil an dem Opfer keine Obduktion vorgenommen wird.
Das ist aber weniger an einem Vertuschungsinteresse gelegen, als an dem Prinzip, das Gesundheitswesen nicht mit „unnötigen“ Ausgaben zu belasten, und einer gewissen abgeklärten Gleichgültigkeit, auch Resignation gegenüber den Todesursachen allgemein.
Bei den Todesursachen gibt es die 2 Stars Krebs und Herz-Kreislauf-Versagen.
Während der Krebs immerhin diagnostiziert und behandelt wurde, die Todesursache also eine gewisse Übereinstimmung mit der Krankheit aufweist, die zu ihr geführt hat, so sind das Herz und das Gehirn meistens die letzten Stationen, an denen der Körper seinen Geist aufgibt. Alkoholismus, Depressionen, Lungenkrankheiten oder Leberzirrhose, alles im Zusammenhang mit stark wirkenden Medikamenten, münden meistens in einem tödlichen Herzinfarkt. In der Todesursage „Herzversagen“ oder „Gehirnblutung“ sind jedoch diese ganzen Verlaufsformen gelöscht. Die Krankengeschichte landet im Mist, um die Buchhaltung zu entlasten.
Als dritthäufigste Todesursache macht der Diabetes Fortschritte. In Deutschland soll angeblich jeder 5. daran sterben, weltweit angeblich jeder 10. Auch hier sind die Statistiken und Angaben mit Vorsicht zu genießen und allein deswegen umstritten, weil oft Ärzte der betroffenen Fachgebiete die „offiziellen“ Statistiken hinterfragen, weil sie die Wichtigkeit ihres Faches herausstreichen wollen.
Der Diabetes als Stoffwechselkrankheit ist eindeutig eine Folge anderer Faktoren (Ernährung, Lebensumstände, Bewegung, Depressionen), die aber in dieser Diagnose auch gelöscht, und die Betroffenen auf Diät und Insulin gesetzt werden.
Schließlich ist es auch denkbar, daß in Kliniken, die sich auf bestimmte Krankheiten spezialisieren wollen, dergleichen Fälle häufiger diagnostiziert werden, um an die benötigten Mittel aus den Versicherungstöpfen zu kommen.
Auf einem anderen Blatt stehen die Selbstmorde. Da ist es wieder so, daß die lokalen Behörden es nicht gerade als Ruhmesblatt ihrer Gemeinden ansehen, wenn sich die Leute massenhaft umbringen und Selbstmorde, wenn möglich, lieber als Unfall, Herzversagen oder „Todesursache unbekannt“ qualifizieren.
Auch so sind die Selbstmorde z.B. in Italien die häufigste nicht mit einer Krankheit verbundene Todesart, noch vor Unfällen und Morden.
Angesichts der überall in Europa (und vermutlich auch anderswo) ansteigenden Selbstmordraten ist es auffallend, wie wenig Beachtung diesem Umstand gewidmet wird. In den Medien herrscht inzwischen völliges Schweigen dazu.
Während im in den 80-er Jahren in Österreich, das damals weltweit ziemlich weit oben auf der Skala der Selbstmorde pro Kopf der Bevölkerung stand, hin und wieder Artikel zu dem Thema erschienen und Studien erstellt wurden, liest man heutzutage kaum mehr etwas davon.
Seit der Wende ist dies eine gesellschaftliche Erscheinung, mit der sich die wissenschaftliche Welt, das Bildungswesen und die gewöhnlichen Mainstream-)Medien einfach nicht mehr beschäftigen wollen.
Man hat manchmal sogar den Eindruck, daß Behörden, Psychologen und Mediziner den Selbstmord als eine Art Entlastung des Sozialsystems betrachten, der Überflüssige, Sozialhilfebezieher, Dauerpatienten und Pflegefälle aus dem System entfernt.
4. Datenerfassung und Statistiken
Man kann anläßlich all dieser Umstände sagen, daß das Einzige, was an den Todesstatistiken verläßlich ist, die Anzahl der jährlich gemeldeten Toten ist. Das schaffen die Datenerhebungs-Zuständigen gerade noch.
Die Aufteilung der Toten auf die verschiedenen Todesursachen ist jedoch mehr als fragwürdig und kann höchstens als Annäherungs- bzw. Schätzwert betrachtet werden.
Deshalb werden von vielen als einzig verläßliche Daten zum Coronavirus diejenigen zur Übersterblichkeit angesehen.
Die wiederum sagen über den Verlauf der Coronavirus-Erkrankung der Todesopfer wenig bis gar nichts aus.
Sind sie an einem durch die virale Infektion verursachten Immunschock gestorben? An einer Überreaktion des Immunsystems? (Das war eine der wichtigsten Todesursachen bei jüngeren Leuten bei der Spanischen Grippe.) An einem multiplen Organversagen aufgrund der mangelnden Sauerstoffversorgung? An einem Herzversagen aufgrund der Überforderung des Immunsystems? An einem Herz-Kreislauf-Versagen aufgrund der Aufregung rundherum? An einer Lungenentzündung, die im Gefolge der Infektion durch das Coronavirus mit dem geschwächten Organismus leichtes Spiel hatte? (Das war eine der Haupt-Todesursachen der Spanischen Grippe, zumindest in den USA)
Fragen über Fragen, die aber inmitten der ganzen Aufregung um Lockdowns und sinkendes BIP kaum jemanden zu interessieren scheinen.
nächstes Mal: Das BIP

Pressespiegel El País, 12.7.: Post-Brexit-UK – ein Papiertiger?

HONGKONG ZEIGT DIE GRENZEN EINES AUF SICH SELBST GESTELLTEN VEREINIGTEN KÖNIGREICHS AUF
Die Krise in der ehemaligen Kolonie zeigt die außenpolitischen Schwierigkeiten einer mittelmäßigen Macht im 21. Jahrhundert
Rafa de Miguel, London

Der britische Löwe, der mit Gebrüll das »Gefängnis« der Europäischen Union verließ, läuft Gefahr, vom Rest der Welt als »Papiertiger« wahrgenommen zu werden. Es ist der chinesische Ausdruck, eine scheinbare Bedrohung zu definieren, die sich im Weiteren als harmlos herausstellt. Die Kampagne der Regierung Boris Johnson gegen Peking zur Einschränkung der Freiheiten in Hongkong mittels des neuen Sicherheitsgesetzes hat die Grenzen des Bestrebens Großbritanniens aufgezeigt, in der Zeit nach dem Brexit mit dem Gütesiegel »Global Großbritannien« eine machtvolle Stimme auf internationaler Ebene zu sein.
Die chinesische Regierung hat ihre Verärgerung über das Angebot Großbritanniens zum Ausdruck gebracht, drei Millionen Bürgern der ehemaligen Kolonie die Türen zu öffnen, und betrachtet es als »grobe Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten«, ist aber weder überrascht noch beunruhigt. Es gibt keine Angst mehr, wie in den 90er Jahren, vor dem möglichen Abzug der Bewohner eines unglaublichen Wirtschafts- und Finanzmotors. Peking verfügt nach Ansicht von Experten über genügend qualifiziertes Personal, um Personen, die von dem Angebot Gebrauch machen, zu ersetzen.
„Es ist wichtig, die Reaktion des Vereinigten Königreichs im Kontext des Brexit zu betrachten, wo die Regierung zusätzlich durch das Management der Coronavirus-Krise geschwächt ist und immer noch versucht, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren“, erklärt Tim Summers, Berater des Asien-Pazifik-Programms der britischen Ideenschmiede »Chatham House«.
„Einige sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Idee von Global Britain in ihrem Ansatz ziemlich imperialistisch ist. Hongkong war eine Kolonie, und irgendwie scheint London seine früheren Untertanen schützen zu wollen. Deshalb war die Maßnahme so emotional und nicht strategisch, noch war sie sorgfältig kalkuliert. Vielleicht ist es ein Zeichen für die Fragilität dieser neuen Politik“, schließt Summers.
Eine hübsche Wendung, die Sehnsucht nach vergangener imperialer Größe als „emotional“ zu bezeichnen.
Bei strategischer oder sorgfältig kalkulierter Überlegung käme auch nichts anderes heraus, als daß das UK heute eben keine Mittel hat, China irgendetwas vorzuschreiben.

Johnson schwankt hin und her – im besten Fall auf der Suche nach einem komplizierten Gleichgewicht oder im schlimmsten Fall ohne klares Ziel zwischen zwei widersprüchlichen Faktoren. Es muss in einer Zeit, in der es gezwungen ist, starke Handelspartner zu suchen, um die EU zu ersetzen, gute Beziehungen zu China aufrechterhalten. Er muss gleichzeitig der Forderung Washingtons und eines mächtigen Sektors der Konservativen Partei nachkommen, eine festere und aggressivere Haltung gegenüber dem asiatischen Riesen zu zeigen. Es besteht die Gefahr, dass niemand zufrieden gestellt wird.
„Die Idee für Global Britain basierte größtenteils auf einer Ausweitung des Handels mit China. Was in Hongkong passiert ist, sowie die Haltung der Regierung von Xi Jinping hat es sehr viel schwieriger gemacht, eine positive Beziehung herzustellen “, erklärt Gideon Rachman, der Chefkolumnist für Außenpolitik der »Financial Times«. „Was die Reaktion Londons betrifft, so erwartet niemand, dass sie für sich allein eine Änderung der chinesischen Politik bewirken wird. Das Vereinigte Königreich wird nur dann etwas erreichen, wenn es Allianzen mit anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Australien aufbaut“, sagt er.
Da sind wir bei den Vorstellungen von Medienmagnaten wie Murdoch oder Black, daß sich die englischsprachigen Mächte vereinigen sollten, um die Welt zu beherrschen – ein feuchter Traum, der aufgrund der vorhandenen Bündnisse und Rivalitäten nie so richtig vorangekommen ist.

Johnson – oft mehr der ehemalige Journalist als der derzeitige Politiker – bietet den Vorteil, daß er seine Widersprüche sichtbar macht. „Großbritannien versucht nicht, Chinas Aufstieg zu verhindern. Im Gegenteil, wir werden Seite an Seite an all den Themen arbeiten, in denen unsere Interessen zusammenfallen, vom Handel bis zum Kampf gegen den Klimawandel. Wir wollen eine moderne und reife Beziehung, die auf gegenseitigem Respekt und der Anerkennung der Rolle Chinas in der Welt beruht“, schrieb der Premierminister auf den Seiten der Zeitung »The Times«, als die Krise in Hongkong losging. Schwarz auf weiß definierte er die Bedingungen, auf denen die neue Außenpolitik zu beruhen scheint, deren Ziele noch vage sind: Die Welt ist ein wohlmeinender Ort voller guter Absichten, und das Vereinigte Königreich genießt strategische Autonomie, um zu entscheiden, welche Interessen es in dieser Welt geltend machen will.
Mit diesen kontrafaktischen „Bedingungen“ wird die britische Außenpolitik wahrscheinlich nicht so recht vorankommen.
Wenn die alte Kolonie die Bewährungsprobe des realen Gewichts von Downing Street darstellt, war der Huawei-Fall ein Wechselbad, mit dem Johnson zu verstehen begann, wie die Rolling Stones sagten, dass „you can’t always get what you want“. Seine Vorgängerin in dieser Position, Theresa May, schien ihm das Problem abgenommen zu haben, indem sie die Entscheidung traf, dass der asiatische Riese an der Entwicklung neuer 5G-Kommunikations-Infrastrukturen im Vereinigten Königreich teilnehmen würde. Ohne vergleichbare eigene Technologie war das chinesische Unternehmen von grundlegender Bedeutung für die großen Pläne zum Wiederaufbau des Landes, die im Wahlkampf der Konservativen Partei versprochen wurden.
Johnson glaubte, dass ein paar Änderungen ausreichen würden, um den amerikanischen Verbündeten in einem erklärten Krieg gegen Huawei und den harten Flügel seiner eigenen politischen Formation zu beruhigen. Falken wie Iain Duncan Smith oder Tom Tugendhat (der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments) hatten die China Research Group gegründet, einen Druckapparat, um die Haltung Großbritanniens zur asiatischen Macht zu verschärfen, nach Jahren der Annäherung und der Zusammenarbeit seit David Camerons Amtszeit.
China ist auf dem Weg, der neue Brexit der Tories zu werden, immer bereit für Probleme, an denen man sich intern abarbeiten und zerfleischen kann.
Es ist für die große alte Partei der britischen Eliten eben schwer, die Zurückstutzung auf eine mittelmäßige Macht zu ertragen und in ihrer Politik nachzuvollziehen.
Downing Street beschränkte die Beteiligung von Huawei an dem Projekt (des Netzausbaus) auf 35% und legte ein Veto gegen den Zugang zu strategischen und Sicherheitseinrichtungen ein. Damit waren weder Donald Trump noch konservative Kritiker zufrieden. Vierzig von ihnen rebellierten in einer Parlamentsabstimmung, die Johnson auf die Spaltung hinwies, die seine scheinbar bequeme Mehrheit untergraben könnte. Die spätere Entscheidung Washingtons, dem Technologieunternehmen neue Sanktionen aufzuerlegen, hat laut einem Bericht des britischen National Cybersecurity Centre „sehr ernsthafte Zweifel“ geweckt, dass Huawei dennoch die erforderlichen Kapazitäten aufbringen würde, um bei der Entwicklung des 5G-Netzwerks mitzuarbeiten. Man kann davon ausgehen, dass die Regierung in den nächsten Tagen schließlich ein Veto gegen die Teilnahme Huaweis einlegen wird. „Sie können kein goldenes Zeitalter einläuten, wenn Sie China als Feind behandeln“, warnte der chinesische Botschafter Liu Xiaoming den Premier.

Wohlmeinender Ort, gute Absichten, große Pläne, Wiederaufbau, goldenes Zeitalter – je trostloser die Perspektiven, um so blumiger die Sprache.

Alle Probleme gehen von demselben Mangel an klaren Vorgaben und Unsicherheit aus. London möchte die Vorteile, die sich aus der Zugehörigkeit zur EU in fast einem halben Jahrhundert ergeben haben, beibehalten, ohne einer seiner Regeln zu unterliegen. Es versucht, seine kommerziellen und strategischen Beziehungen zu Washington zu stärken, ohne irgendeine Unterwürfigkeit zu zeigen, „gegenüber einer US-Regierung, die nach wie vor eine der historisch unbeliebtesten in Großbritannien ist“, wie Summers erinnert. Oder es beabsichtigt, seine Soft Power (die „Sanfte Gewalt“ oder die historische Einflussfähigkeit des Vereinigten Königreichs) gegenüber Peking einzusetzen, um China in Sachen Demokratie und Menschenrechte Mores zu lehren, und gleichzeitig die notwendigen wirtschaftlichen Investitionen Chinas in GB aufrecht zu erhalten.
Die „Sanfte Gewalt“ ist eine Sprachschöpfung, die die kolonialen Abhängigkeiten beschönigt und als unabhängig von der imperialen Gewalt, die sie geschaffen hat, darstellt.
Die Wochenzeitung »The Spectator«, ein Muss für jeden sich selbst respektierenden britischen Konservativen, feierte das Verlassen der EU mit einem berühmten Cover, das einen Schmetterling in den Farben des Union Jack (der Flagge des Vereinigten Königreichs) zeigt, der aus dem EU-Käfig flieht. „Raus und rein in die Welt“ (frei, um in die Welt einzutauchen), proklamierte die Zeitschrift.
Johnson findet jetzt heraus, dass er nicht in die Luft, sondern ins Wasser geraten ist, und daß das Wasser kalt ist, viel kälter, wenn er alleine und ziellos schwimmt und mehr Haie als Delfine um sich hat.

Ein seltsames Bild, um ein anderes seltsames zu widerlegen.

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Zusatzinfo: DAS ABSCHIFFEN DER ENTWICKLUNGSHILFE
Johnsons angekündigte Entscheidung, das Ministerium für Entwicklungshilfe mit dem Außenministerium zusammenzulegen, hat in seinem Protest ehemalige Premierminister wie den konservativen David Cameron oder Tony Blair und Gordon Brown von Labour, sowie zahlreiche Abgeordnete und humanitäre Hilfsorganisationen zusammengebracht.
Die Schaffung dieser Abteilung mit einem Jahresbudget von mehr als 16 Milliarden Euro und der Möglichkeit, autonom über ihre Projekte und Ziele zu entscheiden, hatte bisher dazu beigetragen, die Soft Power Großbritanniens erheblich zu stärken.
Sie wurde 1997 von einer Labour-Regierung gegründet und macht 0,7% des Staatshaushalts aus. Sie war ein grundlegender Akteur im Kampf gegen Armut, Gewalt gegen den Tod oder den Schutz der Menschenrechte. „Es wurde lange Zeit als frei verfügbarer riesiger Geldautomat am Himmel angesehen“, argumentierte Johnson, um die Logik der Zusammenlegung zu verteidigen. Bei seiner Neugestaltung der Regierungsstrukturen möchte der Premierminister, dass die Auslandshilfe ein weiteres Element ist, das in sein globales Großbritannien in der neuen internationalen Politik einbezogen wird. Und dass es jederzeit auf die verfolgten Ziele abgestimmt wird. Die Entscheidung, warnte sein Vorgänger Cameron, werde „weniger Spezialisierung, weniger Stimmen zur Verteidigung der Entwicklung bei Regierungsentscheidungen, und letztendlich weniger Respekt für das Vereinigte Königreich im Ausland“ hervorrufen.
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