RUSSLAND IST AUF JEDEN FALL AGRESSIV, IMPERIALISTISCH USW.
Hier an den Diskussionen sieht man, wie sehr die Feindbildpflege auch bei Leuten vorankommt, die sich als „kritisch“ betrachten.
Eine der fundamentalen Dinge, die zur Feinbildpflege gehören, ist:
Was der eigenen Herrschaft zugestanden wird, wird der fremden abgesprochen.
Was die militärischen Ziele von EU und NATO angeht, hat Nietzsche schon alles Nötige geschrieben:
„Keine Regierung gibt jetzt zu, daß sie das Heer unterhalte, um gelegentliche Eroberungsgelüste zu befriedigen; sondern der Verteidigung soll es dienen. Jene Moral, welche die Notwehr billigt, wird als ihre Fürsprecherin angerufen. Das heißt aber: sich die Moralität und dem Nachbar die Immoralität vorbehalten, weil er angriffs- und eroberungslustig gedacht werden muß, wenn unser Staat notwendig an die Mittel der Notwehr denken soll; überdies erklärt man ihn, der genau ebenso wie unser Staat die Angriffslust leugnet und auch seinerseits das Heer vorgeblich nur aus Notwehrgründen unterhält, durch unsere Erklärung, weshalb wir ein Heer brauchen, für einen Heuchler und listigen Verbrecher, welcher gar zu gern ein harmloses und ungeschicktes Opfer ohne allen Kampf überfallen möchte. So stehen nun alle Staaten jetzt gegeneinander: sie setzen die schlechte Gesinnung des Nachbars und die gute Gesinnung bei sich voraus.“ (Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches/Der Wanderer und sein Schatten)
Leute, die auf diesen Umstand hinweisen, werden zu Parteigängern des Feindes erklärt und ihnen jede Glaubwürdigkeit abgesprochen. Davon lebt auch der Vorwurf der „Trolle“.
Es ist also ein Schulterschluß verlangt, wobei „westliche Werte“ und Demokratie aufgefahren werden, womit der zweite Hauptsatz der Feindbildpflege ausgesprochen ist:
An unserem Wesen soll die Welt genesen.
Das muß man dann auch mit Feuer und Schwert verbreiten. Wer sich dagegen sträubt, ist ein ganz Böser, und ein Agent des Feindes.
Ein drittes wichtiges Moment ist, den Feind in Form der fremden Führer dingfest zu machen. Zunächst einmal werden das gute und arglose Volk und ihre machiavellischen Führer auseinander dividiert und es sozusagen als Dienst am Kunden dargestellt, wenn man die Bevölkerung von diesen Monstren befreit.
„Wenn heut ein Staat eine fremde Kronkammer einverleibt haben möcht, sagt er entrüstet, daß er hin muß, weil dort unrediche Besitzer sind oder Minister, die sich mit Stuten verheiraten, was das Menschengeschlecht herabsetzt. Kurz, keiner von den Staaten billigt seine eigenen Motive für den Krieg, sondern er verabscheut sie und schaut sich nach andern, besseren um.“ (Brecht, Flüchtlingsgespräche)
Wenn die angebliche fromme Schafsherde aber nicht mitspielt und zu ihren Führern steht, so ist klar, daß das ganze Volk auch schlecht ist und deshalb mit Krieg überzogen gehört, wo auch Zivilisten, Frauen und Kinder vernichtet werden müssen, weil sie den falschen Herren untertan sind.
Die Debatten, die inzwischen in der Ex-Linken bezüglich Rußlands geführt werden, erinnern mich an Erich Mühsams Entsetzen angesichts des Beginns des I. Weltkriegs: die ganze Schwabinger Boheme, auf die er als revolutionäres Subjekt gesetzt hatte, lief und meldete sich freiwillig, um an vorderster Front dabei sein zu können.
Kategorie: Ideologie
Entenproduktion, Marke West
DIE KONSTRUKTION EINER „RUSSISCHEN SPUR“
An den „Beweisen“, wie hinter der Vergiftung eines ehemaligen – inzwischen für Rußland wertlosen – Doppelagenten Skripal das alte und neue Reich des Bösen, also Moskau stecken soll, kann man den Verfall der Medien studieren, und auch, für wie blöd die Produzenten dieser Fake News ihr Publikum inzwischen halten.
Nachdem der Typ und seine Tochter unter sehr mysteriösen Umständen bewußtlos auf einer Parkbank aufgefunden worden waren, wurde sofort gesagt: da steckt sicher Rußland dahinter!
Dabei könnte man an den Umständen ihrer Vergiftung und Lokalisierung als erstes ablesen, daß es offenbar in Großbritannien seltsam zugeht, wenn dort so einfach in der Öffentlichkeit mit tödlichen Giften hantiert werden kann, ohne daß es jemandem auffällt.
Bevor irgendwie auch nur klar ist, wie die Betroffenen mit dem Gift in Berührung kamen und dann auf einer Parkbank landeten, haben die „Experten“ schon herausgefunden, daß es sich um ein russisches Nervengift handelt, womit der Beweis für die Hand Moskaus geliefert ist!
Um was für eine Art von „Experten“ handelt es sich hier? Um Chemiker offenbar nicht, sondern um Propaganda-Fachleute, denen kein Trick zu plump ist.
Diese Expertenmeinung wurde von der britischen Premierministerin im Parlament verkündet, um ihre Experten offentlich zu stützen und dem ganzen Schmarrn eine Art Objektivität verleihen – wenn sogar die Regierungschefin den Unsinn glaubt, so muß er doch die reine Wahrheit sein!
Für dieses angebliche Nervengift „Novitschok“ existiert (seit wann?) ein englischer Wikipedia-Eintrag und ein russischer Pseudo-Wikipedia-Eintrag, weil die redaktionelle Gestaltung der russischen Wikipedia doch einiger Qualitäts-Kontrolle zu unterliegen scheint. Es war nur peinlich, und ist vielen Lesern auch aufgefallen, daß sich auf Russisch unter dem Ausdruck „Novitschok“ nur Tomaten und einen Zeichentrickfilm fanden. In Rußland wußte man also bis dato gar nichts von diesem angeblich so wirksamen Gift, was natürlich wieder ein Beweis ist, wie top secret das ganze war!
Auf Grundlage des englischen Wikipedia-Eintrags erschienen innerhalb von 2 Tagen in allen möglichen Zeitungen Artikel, die die Leser mit dieser heißen Information versorgten. Niemand schien es zu stören, daß sie erstens von Wikipedia ohne weitere Überprüfung abschrieben und auch die „russische Spur“ praktisch als bewiesen ansahen, obwohl nach wie vor völlig unklar ist, wie diese beiden Personen überhaupt zu dieser Vergiftung kamen.
Wenn man dem ganzen am Internet ein wenig nachgeht, so scheint es sich bei diesem „Novitschok“ um eine Abart von Senfgas zu handeln, was ja leider weltweit überhaupt nichts Besonderes in der chemischen Kriegsführung ist. Ob es diese besondere Art in der SU jemals gegeben hat oder das eine Erfindung von Agenten und Geheimdienstlern war, die sich seinerzeit damit wichtig machen wollten, daß sie schrieben: „Ich weiß was!“, bleibt dahingestellt. Zumindest für den westlichen Leser.
Die Frage stellt sich aber, ob es überhaupt bei einer nachträglichen Untersuchung von „gewöhnlichem“ Senfgas zu unterscheiden ist, das in diversen Arsenalen westlicher Streitkräfte lagert. Um so mehr, als dieses „Novitschok“ ja derart top secret war, daß über seine chemische Zusammensetzung gar nichts bekannt sein kann.
Senfgas wurde z.B. vom Irak im Krieg gegen den Iran und 1988 gegen die irakisch-kurdische Stadt Halabdscha eingesetzt. Auch Großbritannien, die USA und diverse andere NATO-Staaten besitzen und erzeugen Senfgas. Gerade deshalb ist es vermutlich so wichtig, eine besondere russische Art davon zu erfinden und „nachzuweisen“, um von anderen Beständen, die ja noch dazu sehr in der Nähe sind, abzulenken.
Die „Komsomolskaja Pravda“ ist der Sache nachgegangen und kommt zu folgenden Ergebnissen: Über dieses Novitschok gab es bereits seit den 70-er Jahren Gerüchte, es sollte sich um ein super-wirksames Nervengift handeln. Ob das überhaupt existierte, oder ein Flop war und nach dem Zusammenbruch der SU zerstört oder die Forschung danach aufgegeben wurde, ist auch unbekannt. Ein georgischer Unternehmer soll damit vergiftet worden sein, aber vielleicht wollte sich mit dieser Information nur jemand wichtig machen. Auch bei diesem Vergiftungsfall wurde nie etwas Genaues nachgewiesen.
Schließlich weist die „KP“ wie auch schon beim Fall Litvinenko darauf hin, daß es zum Umbringen mißliebiger Leute im Ausland heute wahrlich unkompliziertere und weniger auffällige Methoden gäbe.
Ein von der „KP“ befragter Chemiker und Experte für Chemiewaffen, Anton Utkin, macht auf folgenden Umstand aufmerksam:
Das Gift kann nur dann eindeutig nachgewiesen werden, wenn seine chemische Zusammensetzung bekannt ist.
Wenn sie jedoch den Chemikern, die diese Substanz diagnostiziert haben, bekannt ist, so können sie selber sie auch herstellen.
Es läßt sich also dann nicht mehr feststellen, daß diese Substanz aus Rußland kommt, sondern sie könnte von jedem hergestellt werden, dem ihre Zusammensetzung bekannt ist.
Schließlich erinnert Utkin auch noch im Vorbeigehen an Litvinenkos Fall und weist darauf hin, daß es kein gutes Licht auf die britischen Geheimdienste wirft, wenn Leute mit tödlichen chemischen oder radioaktiven Substanzen einfach so frei im Lande herumlaufen können.
Vielleicht ist es auch nicht zufällig, daß Skriapl in Salisbury lebte und daß unweit dieser Stadt, in Porton Down, das Giftwaffen-Forschungszentrum des UK befindet.
Katalonien, Fortsetzung 3
EINIGENDES UND TRENNENDES
Ende Oktober 2017 wurde der Notstandsparagraph 155 in Katalonien verhängt, die katalanische Regionalregierung abgesetzt und eine Art Sachwalter-Regierung unter Leitung der PP-Politikerin Soraya Saenz de Santamaria eingesetzt. Manche katalanischen Politiker flüchteten ins Ausland, andere wurden verhaftet, wieder andere gingen nach einer Art Treueeid auf die spanische Verfassung frei.
Die Unabhängigkeitsbestrebungen werden als eine Art Hoch- und Landesverrat betrachtet und die Justiz ist am Zug, um diese Art von Delikt zu untersuchen und zu bestrafen.
Die Wahlen am 21. Dezember erbrachten eine knappe parlamentarische Mehrheit für die Separatistenparteien. Seither streiten sich diese, wie sie wieder eine neue Regierung stellen könnten. Solange es hier zu keiner Einigung kommt, bleibt die Zwangsverwaltung durch Madrid.
1. Der spanische Staat: Justiz und Parteien
Erstens stellt schon diese Notstandsregierung ein Novum in der EU dar. In keinem EU-Staat wurde seit 1991 der Staatsnotstand ausgerufen, auch nicht für eine einzelne Region. Es ist also ein Präzedenzfall, der hier abläuft, und sicher von vielen Politikern genau beobachtet wird.
Es handelt sich um eine Art demokratiepolitisches Experiment: Die Verfahrensformen der Demokratie haben sich gegen ihren Grundlage – Verwaltung des Profitemachens und der Klassengesellschaft – gekehrt, und gar nicht dem Inhalt nach: Kommunismus wollten die Separatisten ja nicht einführen. Es wird um die Aufsicht, die Verwaltung des Geschäftemachens gestritten, und um die dabei entstehende Beute, wie bei zwei Mafia-Clans, die einander das Territorium streitig machen.
Es ist weiters ein Unding oder eine Art Quadratur des Kreises, mit Hilfe der Justiz die staatliche Einheit wiederherstellen zu wollen, weil diese einer funktionierenden Justiz vorangehen muß. Das Recht beruht schließlich auf einem durchgesetzten Gewaltmonopol.
Die Justiz betritt hier auch völliges Neuland. Bezeichnenderweise konzentriert sie sich bei ihren Ermittlungen aufs liebe Geld. Die widmungswidrige Verwendung öffentlicher Gelder rückt in ins Zentrum ihres Interesses. Hier erscheint es für die ermittelnden Staatsanwälte und Richter am einfachsten, strafbare Handlungen nachzuweisen. Aber auch so werden erstmals juristisch-demokratiepolitisch ganz neue Fragen aufgeworfen: Ist es zulässig oder strafbar, wenn mehrheitlich gewählte Bürgermeister aus ihrem Gemeindebudget Geld für den Prozess der Unabhängigkeit zur Verfügung stellen? Schließlich können sie behaupten, sie hätten von ihren Gemeindebürgern dafür das Mandat erhalten. Dann wären die betreffenden Geldsummen aber nicht „veruntreut“, sondern widmungsgemäß verwendet worden.
Schließlich ist auch eine andere Art von Einheit gefährdet. Die spanische Regierung droht zu stürzen. Schon bei den Wahlen 2015/2016 gelang das Erreichen einer Mehrheit nicht. Inzwischen ist die PP am Zerbröseln. In Katalonien erreichte sie 4% der Stimmen. Der Koalitionspartner wittert aufgrund der katalanischen Wahlen Morgenluft und meldet Regierungsanspruch an. Neuwahlen stehen vor der Tür.
Bis heute konnte kein Budget für 2018 erstellt werden.
Jetzt rührt sich auch die Sozialistische Partei, um sich für diese Wahlen zu positionieren, da die katalanischen Wahlen auch für die Bundes-SP nichts Gutes verheißen. Sie bemüht sich, sich zu profilieren und gegen die Staatsbürger-Partei in Stellung zu bringen – mit äußerst dümmlichen Manövern, deren Mißerfolg absehbar ist.
Es ist also keine starke Hand in Sicht, die das Vertrauen in die Regierung wiederherstellen könnte – es sei denn, die Staatsbürger-Partei schafft es, Neuwahlen zu erzwingen, aus denen als Sieger hervorzugehen und dann das Ruder auch zu führen, das sie in die Hand bekommen könnte.
2. Die Separatisten
An den 3 Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, läßt sich sehen, wie einerseits das Streben nach einer eigenen Nation alle Gegensätze ein Stück weit zudeckt, andererseits aber doch nicht. Die Partei der katalanischen Unternehmerschaft (PDeCat/JxCat) und die Volksfront-Kandidaten (CUP), die u.a. die Banken verstaatlichen wollen, eint wirklich nur der Wille zu einem eigenen Staat. Dazu kommt die Esquerra, die laut ihrem Parteiprogramm sehr ehrgeizige Pläne hat: Endlich die Monarchie abzuschütteln und Groß-Katalonien zu errichten.
In der jetzigen Situation, wo eine Einigung vonnöten wäre, um wieder eine agierende katalanische Regierung auf die Beine zu stellen, treten eher die Differenzen zutage. Man kann sich angesichts dessen gut vorstellen, was los wäre, würde Katalonien wirklich unabhängig.
Die PDeCat wollte zunächst ihren im Exil befindlichen Präsidenten einsetzen, um erstens seine Rechtmäßigkeit zu bekräftigen, und zweitens selbst die Regierung zu stellen. Die Esquerra wiederum hielt ihren eingesperrten Chef für eine bessere Visitenkarte und wollte es auch ausnützen, daß sie inzwischen den katalanischen Parlamentspräsidenten stellt. Sie schlug eine Kandidatin von sich vor, die dann der Parteichef Junqueras aus dem Gefängnis fernsteuern könnte. Das wollte wieder die PDeCat nicht, weil sie immerhin mit ein paar anderen Miniparteien zusammen 2 Mandate mehr als die Esquerra hat und die Macht selber in der Hand haben möchte. Dazu kommt noch die Komplikation, daß die exilierten Abgeordneten nicht mitstimmen dürfen.
Die Volksfront-Karikatur CUP hingegen hat sehr an Popularität verloren und will sich darüber in Position bringen, sich als Zünglein an der Waage besonders radikal zu geben …
Zusammenfassung:
Es kommen keine Mehrheiten zustande, der Notstandsparagraph wird verlängert, das Budget kommt nicht voran und die Parteienkonkurrenz behindert die Regierungsbildung und das Regieren überhaupt.
Auch in dieser letzteren Hinsicht ist Spanien eine Art Vorreiter in der EU.
Aber gleichzeitig hört man, Spanien käme in Sachen Wachstum voran, die Wirtschaft hätte sich erholt.
Geht Kapitalismus vielleicht ohne Regierung?
Wir werden sehen …