WÄHRUNGSTURBULENZEN
In denjenigen aufstrebenden Wirtschaftsmächten, die ihre Währungen in den internationalen Geldmarkt eingebracht haben – also alle außer China – kommt es in den letzten Wochen zu einem drastischen Verfall der Wechselkurse, weil das ausländische Finanzkapital sein Geld abzieht. Grund dafür ist die Ankündigung des Chefs der US-Notenbank, den Leitzins für $-Kredite hinaufzusetzen. Ankündigung, wohlbemerkt. Geschehen ist diesbezüglich nämlich noch gar nichts, und dennoch setzt eine Fluchtwelle aus den Währungen der Schwellenländer ein.
Diese Bewegung verrät mehreres.
1. Die Erfolge dieser aufstrebenden Staaten auf dem Weltmarkt waren ein gutes Stück weit von fremden Gnaden gestiftet. Das anlagehungrige Finanzkapital begab sich auf der Suche nach besseren Renditen aus den Heimatländern des Kapitals auf diese „Hoffnungsmärkte“ und schuf damit die Zahlungsfähigkeit, die dann in Form von Wachstumsziffern bewundert wurde. So verschafften sich die dortigen Regierungen und das dorthin strebende oder dort bereits ansässige Kapital aller Sparten die Mittel, um zu expandieren, bzw. sie fanden einen Markt vor, auf dem sie ihre Waren oder Dienstleistungen absetzen konnten.
Und damit ist es, wie es aussieht, jetzt vorbei.
2. Ganz getraut hat das dorthin investierende Finanzkapital diesen Ländern und ihren Währungen trotz aller Lobeshymnen nie so recht. Es gab etwas wie ein Bewußtsein dessen, daß die Wachstumserfolge, die das Kapital anlockten, auf dessen eigener Tätigkeit beruhten und nicht auf der Akkumulation in diesen Ländern selbst. Es waren die eigenen Investitionen, die als Wirtschaftsleistung der betreffenden Länder gehypt wurden.
3. Dieses Urteil einmal ernst genommen, so heißt das natürlich auch, daß diese Währungen gestützte sind – der Zustrom von ausländischem Kapital gab diesen nationalen Geldern sozusagen Volumen, aber so echte, richtige Weltgelder, die sich als Maß der Werte und Wertaufbewahrungs-Medium eigneten, waren sie nicht. Und das verunsicherte Kapital, dieses scheue Reh, entzieht ihnen das bisher geliehene Vertrauen und flüchtet in die „richtigen“ Weltwährungen, zu denen im Augenblick auch wieder der Euro gehört.
Lediglich China ist von dem allen zunächst unberührt, da es seine Währung bisher nicht freigegeben und damit auch nicht zum Objekt der Spekulation gemacht hat. Aber die Folgen dieses Wechselkursverfalls wird China auch bald zu spüren bekommen, denn es sind ja seine Märkte und Handelspartner in der Region, aus denen Liquidität abgezogen wird, sodaß deren Zahlungsfähigkeit nachläßt.
Die bisher betroffenen Länder – Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika, die Türkei – können die Verbilligung ihrer Währungen auf dem Weltmarkt schwerlich für sich nützen. Es stellt sich nämlich heraus, daß sie ein Leistungsbilanzdefizit hatten, also ihre Importe nicht durch Export und Tourismus finanzieren konnten, sondern dafür auch auf den Zustrom des internationalen Kapitals angewiesen waren. Die Preissteigerungen für Importe treffen sie also schwer, wogegen sie ihre Exporte kaum steigern können werden. In diesen Staaten wird also ziemlich bald und ziemlich heftig Schluß sein mit dem Wachstum und Rezession eintreten – es sei denn, in den USA oder EU kommt es in nächster Zeit zu negativen Entwicklungen, die auch das Vertrauen in diese Weltwährungen erschüttern.
Was das alles noch für Folgen für die eigene Wirtschaft, für die anderer Länder und für die eigene Bevölkerung haben wird, ist noch gar nicht abzusehen. Es ist anzunehmen, daß weitere Menschenmassen überflüssig gemacht werden und weder als Produzenten von abstraktem Reichtum, noch als Konsumenten für die weltweit hergestellten Waren in Anspruch genommen werden können. Was sie daraus für Schlüsse ziehen, bleibt abzuwarten.
Auch die Regierungen dieser gestern noch als aufstrebenden Mächte gefeierten Staaten werden sich genötigt sehen, ihre Staatsraison umzustellen und den sich andere Umgangsformen mit ihrer Bevölkerung zu überlegen, die gar nicht mehr die erhoffte Reichtumsquelle darstellt, sondern sich zusehends zu einem Ordnungsproblem entwickeln könnte.
Kategorie: Imperialismus
Der Herbst des arabischen Frühlings
DIE PRAKTISCH-FAKTISCHE WIDERLEGUNG DES GESAMTEN DEMOKRATIE-NONSENS VON 2011
Erinnert sich noch wer? Wie sich bei uns die Medien überschlugen über die Demokratie-Bewegung in Tunesien? Wie der Sturz von Ben Ali – der bisher so sehr niemanden gestört hatte, daß jahrelang nicht einmal sein Name in den Medien auftauchte – gefeiert wurde? „Jasmin-Revolution“ taufte sogar jemand diesen Event.
Dann wurde mit Ghaddafi ein fürchterlicher Diktator gestürzt und gelyncht, und alle klatschten Beifall zum Einzug der Demokratie in Libyen. Schließlich wurde Ägypten auch noch demokratisiert, und der Jubel nahm praktisch kein Ende. Der Sieg Morsis, der kein Wunschkandidat des Westens war, verursachte zwar lange Gesichter in Zeitungsredaktionen, die schon Jubelmeldungen zu anderen Siegern vorbereitet hatten, sollte aber nicht zum Anlaß genommen werden, diesen Prozeß des Sturzes der bösen Diktatoren irgendwie anzuzweifeln. Und man sollte Daumen drücken, daß es Assad auch bald erwischt.
Revolten in Staaten mit befreundeten Regierungen (Jordanien, Bahrain, usw.) wurden schnell niedergeschlagen und das störte die maßgeblichen Meinungsmacher gar nicht.
Dabei hätte bloß so ein Umstand wie der massenhafte Exodus der ägyptischen Gastarbeiter aus Libyen oder die Bootflüchtlinge aus Tunesien darauf aufmerksam machen können, daß die Region noch ganz andere Probleme hat als sie unterdrückende Diktatoren, und daß ein Machtwechsel daran nicht viel ändern kann. Es ist nämlich nichts lächerlicher, als diese Umstürze als „Revolution“ zu bezeichnen: bei einer Revolution wird das Unterste zuoberst gekehrt und vor allem die ökonomischen Verhältnisse umgewälzt. In Ägypten und Tunesien sollte hingegen möglichst alles so bleiben, wie es ist.
Als da wären:
1. ein für das internationale Kapital zu großen Teilen überflüssige Bevölkerung.
2. Regierungen, die dafür zuständig sind, diese Leute niederzuhalten und diejenigen Sektoren, wo noch etwas zu holen ist (Öl, Tourismus) diesem Kapital zur Verfügung zu stellen.
3. Nationalökonomien, die nicht einmal die Lebensmittelversorgung ihrer Bevölkerung hinkriegen, weswegen Importe und Subventionen für Brotgetreide Bilanzen und Budget belasten.
4. und schließlich eine ständig wachsende religiöse Opposition, die mit moralischer Erneuerung die Leute bei der Stange halten will und deswegen auch in einigen Staaten – wie Ägypten – von den laizistischen Regierungen geduldet wurden, weil sie immerhin das Volk mit dem gewohnten Opium einlullen, und auch gewisse sozialstaatliche Funktionen ausüben.
Jetzt, mehr als zwei Jahre später sind die Ergebnisse beeindruckend: In Tunesien politische Morde und eine radikalislamische Guerilla, die die an der Macht befindliche, ebenfalls religiös verfaßte Regierungspartei bekämpft, was durchaus in einen Bürgerkrieg münden könnte. Um so mehr, als die Haupt-Einnahmequelle des Landes, der Tourismus, unter den ganzen Ereignissen sehr gelitten hat.
In Libyen einander bekämpfende Warlords und eine Zentralregierung, die diesen Namen nicht verdient. Wieviele Menschen in Libyen täglich in diesen Machtkämpfen sterben, ist ganz unbekannt, weil sich seit geraumer Zeit niemand mehr dafür interessiert und deshalb auch nicht darüber berichtet wird. (Zu Libyen siehe meine Einschätzung von vor fast 2 Jahren.)
In Ägypten bürgerkriegsähnliche Zustände mit einem Militär, das versucht, durch noch mehr Gewalt die restlichen Aspiranten um die Staatsmacht am Boden zu halten. Begleitet von der vor Verständnis triefenden Berichterstattung der Medien, die vor 2 Jahren noch das Lied der Demokratie und der freien Wahlen gesungen hatten, die zur Grundausstattung jedes normalen Staates zu gehören haben.
Der ohnehin seit mehr als 30 Jahren von verfeindeten Parteien notdürftig zusammengehaltene Libanon droht endgültig auseinanderzufallen, seit die Ordnungsmacht Syrien nur mehr mit sich selbst beschäftigt ist und diverse Rebellengruppen das Land als Nachschubbasis nützen.
Und schließlich in Syrien ein Bürgerkrieg mit Zehntausenden Toten und Millionen Flüchtlingen, eifrig angestachelt von europäischen und US-Politikern und den ihnen nach dem Munde redenden Medien, dessen Ausgang ungewiß ist. Es läßt sich nur feststellen, daß angesichts des Wütens mancher Rebellengruppen viele ihrer Sympathisanten im In- und Ausland von ihnen abgerückt sind und kein Staat dort militärisch intervenieren will.
Man muß sich die Folgen dieser Ereignisse klar machen:
1. Die dortige Bevölkerung verliert zusehends alle Perspektive auf ökonomisches und physisches Überleben und sucht ihr Heil in der Flucht Richtung Europa.
2. Die Zukunft der Ölförderung in Libyen ist unsicher geworden. Katar hat sich die Kontrolle über selbige unter den Nagel gerissen, es ist nur fraglich, wie lange diese Kontrolle gelingt.
3. Der Suezkanal, über den inzwischen ein guter Teil des Warenhandels zwischen Europa und Südostasien läuft, könnte aufgrund von Kämpfen kurz- oder längerfristig gesperrt werden.
4. Es handelt sich hier samt und sonders um Konflikte, die mit einer ausländischen Intervention nicht zu beseitigen sind, wie die Beispiele Iraks und Afghanistans deutlich vor Augen führen. Eine dauerhafte Besatzung dieser Staaten im Nahen Osten, die die streitenden Parteien niederhalten könnte, ist daher ausgeschlossen.
Was wirklich erschreckt, ist die Mutwilligkeit der Medien weltweit, die zwar auf allen Kanälen Entsetzen über all dieses „Blutvergießen“ verbreiten, aber mit ihren ebenso untertänigen wie eintönigen Berichterstattung diese Zustände herbeigeredet haben.
Zeit ist Geld – Geschwindigkeit als Geschäftsmittel
DIE MOBILITÄT UND IHR PREIS
Das Zugunglück in Santiago der Compostela hat den Blick ein wenig darauf gelenkt, was für ein Geschäft die Bedienung der knappen Zeit der heutigen Bürger geworden ist. Auf schnellstem Wege von A nach B zu gelangen, ist ein unhinterfragtes Postulat der heutigen globalisierten Gesellschaft geworden. Daß man zu geschäftlichen Treffen mit dem Flugzeug anreist, sich für Kundenbetreuung in Hochgeschwindigkeitszüge setzt, notfalls durch den Chunnel flitzt, ist zu einer Selbstverständlichkeit des heutigen Geschäftslebens geworden. Aber die Freizeitgestaltung steht dem in nichts nach: Städte- und Shopping-Tourismus übers Wochenende nach Mailand, Paris oder New York, Urlaubsreisen auf irgendwelche Strände, selbstverständlich mit dem Flieger, oder Partying rund um den Globus – heute Paris, nächsten Monat Montevideo, und dann schnell zu einer Hochzeit nach Miami – alles das gehört schon zum guten Ton derer, die es in der Konkurrenz geschafft haben und ihre Position festigen wollen; oder zur Angeberei derer, die partout Mittelklasse sein wollen, und wenns auch nur kreditfinanziert ist.
Und diese ganzen Bedürfnisse wollen bedient werden.
Die spanischen Regierungen – und zwar sowohl die sozialdemokratischen als auch die konservativen – haben sich dieses Bedürfnisses angenommen, um ihre Ökonomie und ihr Wirtschaftswachstum zu befördern. Spanien hat Unsummen in Infrastruktur investiert, um sich dadurch als moderne Nation „Marke Spanien“ zu präsentieren. Es hat heute neben einigen unbenützten Flughäfen, einer unbenützten Straßenbahn und einem Haufen Mautautobahnen, die außerhalb der Sommersaison ebenfalls fast leer sind, das größte Netz an Hochgeschwindigkeitszügen in Europa und das zweitgrößte der Welt (nach China).
Nach einem Artikel aus El País, aus dem alle folgenden Zahlen stammen, hat das spanische Hochgeschwindigkeits-Netz 3.100 km in Betrieb. Seit den Anfängen des Programms zur Errichtung von Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken – AVE („Vogel“ bzw. Hochgeschwindigkeit Spaniens) – im Jahr 1992, als die erste Linie Madrid-Sevilla anläßlich der Weltausstellung in Betrieb genommen wurde, hat der spanische Staat mehr als 45 Milliarden Euro in das Programm investiert. Das betrifft sowohl den Umbau von Strecken als auch die Unterstützungen der 4 Betriebe, die diese Züge – sowohl Lokomotiven als auch Waggons – herstellen. Darüberhinaus werden auch noch die dennoch sündteuren Tickets für diese Züge subventioniert. Mit einer einzigen Ausnahme – Madrid-Barcelona – sind nämlich sämtliche Strecken bis heute chronisch unterausgelastet und deshalb defizitär. Das heißt, daß nicht einmal der laufende Betrieb die Kosten deckt, geschweige denn können die Investitionen und Kredite zurückgezahlt werden. Das AVE-Netz belastet also den spanischen Staatskredit bis heute.
Die 4 großen Hersteller-Firmen – die spanischen Talgo und CAF, Siemens-Spanien und die schwedische Alstom, dazu einige kleinere Zulieferer – verbuchten 2012 einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro, wovon 2,8 aus Exporterlösen stammen. Außer rollendem Material werden auch Schienen und Signalanlagen produziert. Diese Hochgeschwindigkeits-Industrie hat bisher auch der Krise getrotzt und ist die Branche mit dem zweitgrößten Exportvolumen von Spanien.
All dieser Erfolg beruht, wie die Zahlen zeigen, auf der kräftigen Subventionierung des inneren Marktes und der Strapazierung des spanischen Staatskredits.
In all den Jahren seit dem Beginn des Projektes war Kritik und Widerstand kaum vorhanden. Die beiden spanischen Staatsparteien sahen darin eine unglaubliche Chance für die spanische Nation, die es mit allen Mitteln zu befördern galt.
Die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene Oppositionspartei Izquierda Unida wollte sich dem „Fortschritt“ und der „Modernität“ nicht in den Weg stellen. Sogar die ETA hatte nichts dagegen, da verschiedene Produktionsstandorte für diese Industrie im Baskenland angesiedelt sind und daher die Heimat aufwerten. Es gab lediglich vereinzelte Proteste von Anarchisten und Umweltschützern gegen diesen Rausch der Geschwindigkeit.
Die Aufträge für die spanischen Hersteller wurden als Triumph der Exportindustrie gefeiert. Die Strecke von Mekka nach Medina wird mit spanischem Material gebaut. (Auch die Pilger haben es heutzutage eilig.) In Aussicht stehen Projekte für Brasilien – die Strecke Rio de Janeiro – Sao Paulo, in Kasachstan, von Astana nach Alma-Ata, in Rußland, für die Strecke Moskau – St. Petersburg, und in den USA, von Sacramento nach San Diego.
All das ist jetzt in Gefahr, da eine der Bedingungen für solche Verträge 5 Jahre Unfallfreiheit ist.
Der verunglückte Zug war kein AVE, hatte aber auch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 200 km/h. Daß ein solcher Zug auf einer Strecke verkehrt, die nur teilweise für Hochgeschwindigkeit ausgelegt ist, und in der betreffenden Kurve auch nicht über die nötigen Sicherheitssysteme verfügte, ist sowohl den Gewinnkalkulationen der staatlichen Eisenbahn-Firma RENFE geschuldet wie den Sparmaßnahmen des spanischen Staates. (Im Rettungspaket für Spanien drängte die EU auf Reduzierung der Subventionen für das Eisenbahnnetz.)
Jetzt soll für das ganze Unglück mit 80 Toten der Lokführer verantwortlich gemacht werden. Wie es dazu kommen konnte, daß ein solcher Unfall durch das Versagen einer einzigen Person möglich war, wird mit allen propagandistischen Mitteln ausgeblendet. Gegen den Lokführer wird bereits eine mediale Front errichtet: ein Prahler, ein leichtsinniger Typ, ein Wichtigtuer – ungeachtet seiner bisher makellosen Performance.
Schließlich steht viel auf dem Spiel: Eine Branche, ihr Prestige, ihre Aufträge, und – last but not least – der spanische Staat und sein bereits schwer angeschlagener Kredit.