Kapitalvernichtung steht an, es fragt sich nur: wo?

PLEITEBANKEN ZUSPERREN!
Kritische Geister fordern es ja seit langen, daß man in Schieflage geratene Banken zusperren sollte, anstatt sie ewig „mit Steuergeldern“ zu retten. Abgesehen davon, daß es nicht gerade „Steuergelder“ sind, die zu den diversen Bankenrettungen herangezogen wurden, sondern staatlich geschöpfter Kredit in Form von Garantien und Schuldtitel, offenbart diese Klage auch einiges Unverständnis bezüglich der Rolle der Banken in der kapitalistischen Wirtschaft.
Das sind nämlich nicht Unternehmen, die es auch gibt, neben Autoproduzenten, Lebensmittelketten und Landwirten, sondern es sind diejenigen Mächte, die über ihre Kreditvergabe entscheiden, welche anderen Unternehmen überhaupt „lebenswert“, also erfolgreich sind. Sie schaffen dadurch eigentlich erst den Wert des Geldes, das ja ständig seine Behauptung, Wert zu repräsentieren, beweisen muß.
Die Idee, Banken durch Garantien usw. vor dem Bankrott zu bewahren, ist nicht aus dem sattsam bekannten „Filz“ zu erklären, der die Bankenwelt und die Politik vereint. Es war dem Bewußtsein geschuldet, daß ein Bankenkrach die gesamte Ökonomie der USA und Europas und auch den Euro selbst in Frage würde. Das war damals, 2008-2010, als es als „Lehre“ aus der letzten Weltwirtschaftskrise verkauft wurde, den Staatskredit zum Zwecke der Bankenrettung zu strapazieren. Damals war aber noch nicht klar, welche Folgen das haben würde. Im unverbrüchlichen Optimismus der Politik, mit Gewalt und des In-die-Waagschale-werfen der staatlichen Autorität alle Probleme früher oder später lösen zu können, wurden Garantien und Versprechungen zur Bankenrettung abgegeben.
Es sind aber inzwischen offenbar die EU-Politiker selber zu dem Schluß gekommen, daß nun auch die Abwicklung von Banken, also die Vernichtung von Bankkapital ansteht, wie man in Österreich bereits an dem Gerangel um die Hypo Alpe Adria gemerkt hat:
„Die Finanzkrise hat gezeigt: Es muss möglich sein, dass Banken pleitegehen können. Denn Europa wird sich von einer Politik verabschieden müssen, die Gewinne privatisiert, aber Verluste vergemeinschaftet hat. Über deren Abwicklung sollte die EU entscheiden.“ (Tagesspiegel, 11.7.)
So wie die Anglo-Irish Bank – immerhin bis dahin eine der größten Banken Irlands – still und die Popular Bank of Cyprus mit etwas mehr Getöse zugesperrt wurden, und wie es der HAA auch drohen soll, wird von den EU-Politikern offenbar ein größeres Bankensterben angedacht. Das ist zwar ein Schwenk in der bisherigen EU-Ausrichtung in Bezug auf das Finanzkapital, trägt aber erstens einen ähnlichen Widerspruch mit sich herum:
Vorher sollten Banken „gerettet“ werden, um den Euro-Kredit zu retten.
In Zukunft sollen Banken „geopfert“ werden, um den Euro-Kredit zu retten.
Es ist fraglich, ob sich der zweite Weg als geeigneter erweist als der erste.
Zweitens stellt sich aber auch die Frage: wo sollen Banken zugesperrt werden?
Der Banksektor eines Landes ist der Garant seiner – zumindest begrenzten – Verschuldungsfähigkeit. Die heimischen Banken sind die ersten Adressaten bei der Emission von Staatspapieren. Wird ein Staat „entbankt“, so bleiben ihm nur internationale Institutionen und ausländische Investoren für das Plazieren seiner Anleihen. Zusperren von Banken ist also ein unmittelbarer Angriff auf seine Souveränität.
Wenn jetzt die EU-Kommission entscheidet, welche Banken bleiben dürfen und welche gehen müssen, so wird damit die Konkurrenz der EU-Staaten auf eine neue Stufe gehoben: damit wird entschieden, wieviel Kredit dieser betroffene Staat und seine Unternehmen in Zukunft noch erhalten sollen. Die gesamte Ökonomie und der Staatsapparat wird damit in Frage gestellt.
Aus Deutschland meldet sich Kritik. Kein Wunder: auch seine Banken stehen nicht ganz so gut da, wie es die Führungsnation Europas gerne hätte …

Nachruf auf Gyula Horn

DER NUSSKNACKER DES REALSOZIALISMUS

Es ist selten, daß sich bei einem Nachruf auf ein ehemaliges Mitglied einer osteuropäischen Staatspartei (die Bezeichnung „Kommunist“ wäre bei Horn äußerst unpassend, auch seinem Selbstverständnis zufolge) die Medien so in Lobreden überbieten. Unter dem Grundsatz „De mortuis nil nisi bonum“ – über die Toten nichts als Gutes – werden im Allgemeinen nur westeuropäische Politiker und Wirtschaftstreibende verabschiedet. Also Leute, die sich um die Verwaltung und den Ausbau des kapitalistischen Systems verdient gemacht haben. Der Verdacht liegt nahe, daß Horn ähnliche Verdienste auf seine Fahnen schreiben konnte.

Über Gyula Horn beginnt ein Sprachrohr des konservativen Deutschlands seinen Nachruf:

„Die Liste von Ungarns überragenden Staatsmännern des 20. Jahrhunderts ist kurz. Sie besteht aus Gyula Horn.“

und weiß am Ende seines Artikels – durchaus anerkennend – zu vermelden:

„Er war ein Machtmensch, irgendwo auch ein Zyniker, und ein Patriot.“ (Die Welt, 20.6.)

Horn war einer der osteuropäischen Politiker, bei denen sich im Lauf der 70-er und 80-er Jahre steigende Unzufriedenheit über die Leistungen des sozialistischen Wirtschaftssystems breitmachten. Das ewige Wurschteln um die Erfüllung von Plänen, die ständige Feilschen und die Mühsal des Austausches von Gütern mit den Bruderländern innerhalb des RGW, die noch mühsamere Jagd nach Devisen und die Not, sich fortschrittliche Technologie unter Umgehung der Handelsbeschränkungen mittels Schmuggel zu besorgen – das zehrte an der Substanz der Staatsparteien, die diese ganze Art von Ökonomie noch dazu sich selbst und der Bevölkerung als einen eigenen Weg des Fortschritts und eine Überwindung der Mängel des Kapitalismus verkaufen mußten. Die ganzen Widersprüche und Absurditäten, die das sowjetische System der Ökonomie und das daselbst eingerichtete Verhältnis zwischen Staat und Volk seit seiner Gründung mit sich schleppte und die nach 1945 den Volksdemokratien verpaßt worden waren, führten zu starken Selbstzweifeln bei den jeweiligen Staatsparteien.

Die Widersprüchlichkeit des sowjetischen Systems bringt ein weiteres Sprachrohr des deutschen Kapitalismus in eigentümlicher Begriffslosigkeit auf den Punkt:

„Mit ganzer Vehemenz hatte sich der Sohn aus proletarischem Milieu … der Sache des Kommunismus verschrieben. Er studierte – nach einer Mechanikerlehre bei den ungarischen Siemenswerken – in der Sowjetunion Finanzwissenschaften.“ (FAZ, 19.6.)

Warum der „Sache des Kommunismus“ ausgerechnet durch ein Studium des Umgangs mit dem abstrakten Reichtum, der im Kapitalismus alle Produktion bestimmt, gedient sein soll, hält die FAZ natürlich nicht für erklärungsbedürftig. Auch warum die Sowjetunion eine solche Studienrichtung einrichtete und meinte, auch ihre Satellitenstaaten mit diesbezüglichem „Wissen“ ausstatten zu müssen, fragt niemand nach.

Es jedenfalls Leuten wie Horn zuzuschreiben, daß Ungarn bereits vor der Wende eine Art Maulwurf zur Untergrabung der sozialistischen Arbeitsteilung war, dafür um jeden Preis mit westlichen Finanzinstitutionen ins Geschäft kommen wollte, wie der IWF-Beitritt 1982 und die Bankenliberalisierung 1987 zeigen. Die ungarische Staatspartei war auch der eifrigste Verfechter der Auflösung des RGW, und der Umstellung von Tauschhandel auf Verrechnung in Devisen, der nach 1990 den Handel zwischen den ehemaligen Bruderländern praktisch zum Erliegen gebracht hat.

Daß Horn mit seinem historischen Stacheldrahtschnitt 1989 den Fall der Berliner Mauer und damit die deutsche Wiedervereinigung sozusagen eingeleitet hat, wird ihm in den deutschen Medien hoch angerechnet. Über dieser historischen Leistung treten Horns Verdienste um den Systemwechsel in Ungarn selbst in den Hintergrund: Es war der nach der Wende gewählten Regierung Horn zuzuschreiben, die Verabschiedung aller sozialistischen Illusionen an ihr logisch-historisches Ende zu führen. Als sich herausstellte, daß es auch in Ungarn keine „blühenden Landschaften“ geben wird, daß das heiß ersehnte westliche Kapital in Ungarn zwar einen Markt sucht, aber sich alle Konkurrenz in Sachen Produktion vom Leibe schaffen will; und auch daß Ungarn seine Vorreiterrolle in Sachen Auflösung des Ostblocks von keiner Instanz gelohnt wird, so war es Horn, der daraus die nötige Konsequenz zog. Er sagte mehr oder weniger: Leute, das wars. Ein guter Teil von euch ist in Zukunft überflüssig oder nur mehr für Hungerlöhne gut.

Es bedurfte der ehemaligen Staatspartei und ihrer immer noch vorhandenen Seilschaften in Betrieben und Medien, um dieses Programm durchzuziehen: In die Regierungszeit Horns (1994-98) fällt der Abbau des ungarischen Sozialstaates, die zwangsweise Privatisierung des Pensionssystems, und der Anschluß an die westliche Waffenbruderschaft, die NATO.

Es ist also zweifelsohne eine Leistung Horns, daß Ungarn im Westen angekommen ist, und ebenso, wie: Im einstigen „Land der 3 Millionen Bettler“ leben inzwischen ca. 4 Millionen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.

Tja, Pech, würde Horn sagen, wenn er es noch könnte. Aber mehr war eben nicht drin! Und Dabeisein ist schließlich alles.

Emerging Powers?

DIE TÜRKEI – EIN KRISENGEWINNER?
„Erstmals seit 19 Jahren steht die Türkei beim IMF nicht in der Kreide. Die Begleichung aller Schulden wird von Ankara als historischer Wendepunkt und als Spiegel weltwirtschaftlicher Gewichtsverlagerungen betrachtet. … Die gegenüber dem IMF aufgetürmten Schulden, die im Nachzug zur Finanzkrise des Jahres 2001 rund 23,5 Mrd. $ betrugen, konnten in den vergangenen Jahren stetig abgebaut und am Dienstag vollumfänglich getilgt werden. … Noch vor wenigen Jahren sah es nicht danach aus, als ob die langjährige Kreditbeziehung zu einem raschen Ende kommen würde.“ … 2009 wurde monatelang „verhandelt, ehe man in Ankara vor dem Hintergrund anhaltend hoher Kapitalzuflüsse zum Schluss kam, auf den IMF nicht länger angewiesen zu sein.“ …
Die Türkei ist inzwischen „vom Schuldner zum Gläubiger mutiert. So hat die Türkei dem IMF im Juni vergangenen Jahres eine Unterstützung von 5 Mrd. $ zugesichert, und zwar zur Eindämmung der Euro-Krise. Dass Ankara damit indirekt Brüssel zu Hilfe kommt, wird in der türkischen Regierung … mit einem nicht zu knappen Mass an Genugtuung registriert.“ NZZ, 14.5. 2013
Ein Staat, der zwischen Griechenland und Zypern liegt, und der EU nicht angehört, hat keine Schwierigkeiten, sich zu finanzieren, sondern ist sogar in der Lage, den in Turbulenzen geratetenen Euro zu stützen, wenngleich diese Hilfe angesichts der Summe, um die es geht, eher symbolischen Charakter hat.
Aber gerade diese Symbolik hats in sich: Das Land, dem seit Jahren bei seinen Beitrittsverhandlungen mit der EU immer wieder auf die Zehen gestiegen wird, gibt satt und selbstzufrieden kund, daß es eigentlich die ganze EU nicht braucht und außerhalb von ihr besser fährt. Gleichzeitig wird der EU großmütig Hilfe gewährt und damit zum Ausdruck gebracht, daß man sie als Handelspartner durchaus schätzt und weiter erhalten möchte.
Dem einstigen Erzrivalen Griechenland, der in einer politisch wie ökonomisch völlig auswegslosen Situation steckt, zeigt man damit so nebenbei, daß er mit „Europa“ aufs falsche Pferd gesetzt hat. Und den Griechisch-Zyprioten, die seinerzeit in einem Referendum die Wiedervereinigung der Insel abgelehnt haben, daß man darüber jetzt beinahe dankbar ist, und sie jetzt allein in der Patsche sitzen, die die EU ihnen verursacht hat.
Zur Rückerinnerung: Die EU nahm 2004 mit Zypern ein Land auf, dessen territorialer Status nicht geklärt war. Der Umstand, daß dies kein Hindernis war, weist darauf hin, daß es offenbar ein starkes Interesse gab, Zypern dabei zu haben. Gegenüber den postsozialistischen Staaten, deren wirtschaftliche Entwicklung eher schleppend verlief, stellte Zypern in den Augen der EU eine echte Verstärkung dar, mit einem Zahlungsbilanzüberschuß und einer quasi Hartwährung. All das dank seines heute angeblich „überdimensionierten“ Banksektors.
Warum steht die Türkei so gut da? Ist der Traum Turgut Özals aufgegangen, der meinte, das 21. Jahrhundert müßte das Jahrhundert der Türkei werden? Er zielte dabei auf den Ausbau der Handelsbeziehungen mit den turksprachigen und ölreichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der – nicht nur – ökonomischen Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. Das Erstarken der Türkei ist also ausgelöst worden durch die Auflösung der SU.
Die Türkei hat sich offenbar im Osten durchaus zahlungskräftige Märkte erschlossen und darüber z.B. ihre Bekleidungsindustrie, die durch die EU-Konkurrenz seinerzeit schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, wieder in die Höhe gebracht. Ebenso hat sie auch ihren Finanzsektor saniert und ausgebaut, indem sie mit Know-How über modernes Bankwesen den türkischen Brüdern und Schwestern im Osten unter die Arme gegriffen hat. Als Urlaubsparadies gewinnt sie seit zwei Jahrzehnten ständig an Bedeutung, nicht nur für Gäste aus der EU, sondern auch Rußlands und anderer GUS-Staaten. Schließlich ist sie ein Gewinner der Krisen im Nahen Osten, wo sie inzwischen als sicherer Hafen für Vermögen angesehen wird, das von seinen Besitzern aus dem jeweiligen Land geschaffen wird.
Der Aufstieg der Türkei ist auch ein Ergebnis des Abstiegs Europas: Die Türkei kann es sich leisten, der EU nicht beizutreten. Sie macht auch kein Hehl daraus. Im Gegenteil. Die Ambitionen der Türkei gehen auf Schaffung eines Gegengewichtes, eines losen Bündnisses islamischer Staaten, denen sie sich als gelungene Mischung von religiöser Tradition und wirtschaftlichem Aufschwung präsentiert und als Führungsmacht anträgt. Das ist zwar derzeit noch Zukunftsmusik, und hängt davon ab, wie sich die Lage in Syrien, dem Iran und anderen Staaten der Region entwickelt. Und auch davon, wie die USA mit dergleichen Ambitionen umgehen werden.
Aber die Weichen sind gestellt …