Das Geschäft mit der Krankheit

DER PHARMAKONZERN ROCHE UND SEINE SÄUMIGEN KUNDEN

Der Schweizer Pharmakonzern Roche hat beschlossen, Griechenlands Krankenhäuser nicht mehr zu beliefern:

„Wegen der griechischen Schuldenkrise gerät offenbar auch die medizinische Versorgung des Landes in Gefahr. Der Schweizer Pharmakonzern Roche hat Lieferungen von Medikamenten an einige zahlungsunwillige Krankenhäuser in Griechenland gestoppt. Dabei geht es unter anderem um wichtige Mittel gegen Krebs.
Die staatlich finanzierten Einrichtungen hätten ihre Rechnungen zum Teil seit drei oder vier Jahren nicht mehr beglichen, sagte Konzernchef Severin Schwan dem „Wall Street Journal“. »Irgendwann kommt der Punkt, an dem das Geschäft nicht mehr tragbar ist.«
Andere Krisenländer könnten bald ähnliche Probleme bekommen. Ein Lieferstopp komme auch für Spanien in Frage, sagte Schwan. Auch seien einzelne staatliche Krankenhäuser in Portugal und Italien mit Zahlungen im Rückstand.“ (Spiegel, 17.9.)

Dieser Meldung entnimmt man erstens: Roche ist groß im Geschäft mit diversen Ländern der Eurozone, weil er das öffentliche Gesundheitswesen fest in der Hand hat und dort offenbar diverse seiner Rivalen mit günstigen Konditionen aus dem Geschäft gedrängt hat.
Daß Roche dafür Zahlungsrückstände offenbar toleriert, dürfte einer der Gründe sein, warum Roche, und nicht Novartis, Bayer oder ähnliche Konzerne sich dieses Geschäft unter den Nagel gerissen haben. Irgendwann einmal kommt jedoch der Punkt, in dem die Kreditierung der öffentlichen Gesundheitsinstitutionen die Einnahmen des Konzerns gefährdet.
Es gab mit Griechenland bereits einmal eine Art Vergleich, im Vorjahr nämlich:

„Griechen zahlen Roche mit Schrottpapieren … Mit den Staatsanleihen beglichen in erster Linie öffentliche Spitäler aus Griechenland ihre Schulden beim Pharmaunternehmen Roche. Die Aktion begann im Mai 2010 und dauerte bis ins erste Halbjahr 2011, berichtet die «NZZ am Sonntag».
Roche sagt über die Höhe der getilgten Schulden nichts. Doch im Geschäftsbericht 2010 wird ein Abbau überfälliger Forderungen in der Höhe von 329 Millionen Franken ausgewiesen. Ein wesentlicher Teil davon gehe auf die Überweisung der Staatspapiere aus Athen zurück, bestätigt ein Informant gegenüber der Zeitung.
Die Anleihen wurden inzwischen meist verkauft, wie eine Roche-Sprecherin sagt. Dabei dürfte der Konzern fast die Hälfte der Forderungen eingebüsst haben, also mehr als 100 Millionen Franken.“ (Tagesanzeiger, 26.6.)

Diese Nachrichten verheißen nichts Gutes für alle Beteiligten: Erstens für kranke Griechen, die sich in Zukunft ihre Medikamente selbst zahlen müssen, oder durch ihr durch Medikamentenmangel bedingtes Ableben das griechische Gesundheitssystem entlasten werden. Die Opfer, die das sogenannte Sparpaket verlangt, werden hiermit sehr konkret.
Zweitens für das griechische Gesundheitswesen überhaupt. Die Medikamenteversorgung in Griechenland wird rasant zurückgehen, viele Behandlungen gestoppt werden und ein Haufen Leute aus dem Gesundheitssektor entlassen werden. Vermutlich kommen jetzt Barfußärzte, Handaufleger und Kräutersammeln wieder in Mode.
Drittens für die Gesundheitsversorgung anderer europäischer Staaten, die in ähnlicher Lage sind, oder dorthin kommen werden. Denn Griechenland ist nur der Pionier der Schuldenkrise bzw. der staatlichen Zahlungsunfähigkeit. Mit Spanien steht ein viel größeres Land schon in der Schlange, um Ähnliches zu erleiden. Diese beiden Länder verfügen, wie viele andere europäische Staaten inzwischen auch, praktisch über keine Pharmaindustrie – ein Ergebnis der Standortkonkurrenz innerhalb Europas, die nur einige Riesen übriggelssen hat. Sie sind deshalb auf Importe angewiesen.
Viertens, für Roche im Besonderen und die Pharmaindustrie im Allgemeinen. Das Kerngeschäft Roches war offenbar diese Versorgung öffentlicher Institutionen, wenn die wegbricht, geht der größte Teil des Umsatzes dieser Firma flöten. Sich mit Staatsanleihen „bezahlen“ zu lassen, geht offenbar auch nicht mehr, weil die griechischen Staatsanleihen inzwischen endgültig unter „Makulatur“ fallen, und andere folgen werden.

Die Konkurrenten Roches können jedoch in diese Marktlücke vermutlich nicht vorstoßen, sie gewinnen durch die Schwächung ihres Konkurrenten nichts und werden sicher selbst auch die geschwundene Zahlungsfähigkeit der Bürger und Staaten der EU zu spüren bekommen.

Fünftens, für die Schweiz. Ihre produktive Basis hat schon durch den hohen Franken-Kurs einiges an Märkten eingebüßt, weil sich die Exporte verteuert haben. Der wichtigste Industriezweig der Schweiz ist inzwischen die Pharmaindustrie – wenn die schrumpft oder gar ins Strudeln gerät, so ist die Schweiz in gröberen Schwierigkeiten, was die Glaubwürdigkeit ihrer Zahlungsversprechen angeht.

Die Weltfinanzbehörde als etwas hilflose Krisenfeuerwehr

DER IWF, TEIL 8: DIE EUROZONE ALS SANIERUNGSFALL

Als die EU 1992 in Maastricht die Richtlinien für ihre Mitglieder und für die Einführung des Euro festlegte, um damit „Stabilität“ zu sichern, gab es schon ein Bewußtsein davon, daß das sich gar nicht auf diese Art und Weise regeln lassen würde und es vor allem ein großer Propagandaluftballon für die geliebten „Märkte“ sein sollte – es wurde damals nämlich festgehalten, daß sich die EU-Politiker vorbehalten würden, wann sie diese Kriterien im Falle von Übertretungen in Anschlag bringen würden, und es wurden auch keine ernsthaften Sanktionen für den Fall des Nicht-Einhaltens beschlossen.
Alle waren jedoch offenbar davon überzeugt, daß die Sache schon gutgehen würde.
Es ist völlig absurd, den Erfolg einer Nation an Verhältnis von Schulden zu BIP feststellen zu wollen, und noch absurder, ihn dadurch hervorrufen zu wollen.

Es ist schon fast erheiternd, was manche Regierungen aufgeführt haben, um ihre Finanzen zu beschönigen, auch und gerade das sich als Hort der Rechtschaffenheit aufführende Deutschland, das es auch vermied, 2002 und 2003 die als „blauer Brief“ bezeichnete Warnung zu kriegen, die inzwischen gar nicht mehr erwähnt wird, weil man sie praktisch an alle EU-Mitglieder verschicken müßte.

Daß diese Warnung als „blauer Brief“ bezeichnet wird, ist Ausdruck davon, wie kindisch die EU-Politiker ihrer eigenen Schöpfung gegenüberstehen: Blaue Briefe bekommen Schüler, die vom Durchfallen bedroht sind. Die Politiker der EU-Staaten, die ihre Nationalökonomien verwalten, werden als bessere oder schlechtere „Schüler“ betrachtet, von denen einige „ihre Hausübungen machen“, andere nicht, und dafür dann Schelte von der Direktion einstecken müssen. Die Entscheidung über die Ausgabe von Staatsanleihen in Milliardenhöhe, die Gesundheit- und Bildungspolitik und überhaupt das Funktionieren der einzelnen Staaten wird damit auf eine Art Rechtschreibübung oder Lösung von Gleichungssystemen heruntergebracht, – etwas Watscheneinfaches, man braucht dazu nur diejenigen Eigenschaften, die Lehrer an ihren Schülern am meisten schätzen: Fleiß und Gewissenhaftigkeit.

Mit dieser völlig unangemessenen Auffassung, die leider anscheinend zur selbstverständlichen Sichtweise von Volkswirten und Politikern geworden ist, wurde entsprechend auf die Schuldenkrise Griechenlands reagiert: „Die Griechen“ – auf einmal alle – hätten „geschummelt“, und müßten jetzt bestraft werden. Es stellte sich heraus, daß Durchfallenlassen nicht möglich war.
Und die EU-Politiker liefen wieder zum Stadtschulrat, in diesem Falle dem IWF und baten um Intervention. Und der IWF ließ sich nicht lange bitten, erfreut über den Aufwind, den diese vor der Krise bereits etwas ramponierte Institution inzwischen wieder erhalten hatte.

Natürlich eilte der IWF wieder mit seinem bewährten Rezept herbei: Ausgaben einschränken, Pensionen und Gehälter einfrieren; alles verkaufen, was noch zu verkaufen geht, und auf bessere Zeiten hoffen. Mit diesem Rezept haben die IWF-Spezialisten (für was eigentlich?) die Schuldenkrise in Griechenland verschärft, und werden sie anderswo auch noch vertiefen. Diese Art von Ausgaben-Einschränkung, völlig irreführend „Sparen“ genannt, verringert nämlich die Einnahmen gewaltig und sorgt dafür, daß sich das ungünstige Verhältnis zwischen BIP und Schulden weiter verschlechtert.

Das Jahr 4 der Finanzkrise hat der Öffentlichkeit deutlich gemacht, daß weder die Ökonomen des IWF noch die Politiker der EU wissen,
– was Geld ist
– was Schulden sind,
– was sie eigentlich in die Welt setzen, wenn sie Anleihen ausgeben,
– wie eine Bank funktioniert,
– wie die von ihnen einst ach so geschätzten und gelobten Märkte funktionieren
usw.

Angesichts des Geldes und des Kreditüberbaus, die sie beide selbst indie Welt gesetzt haben, sind sie völlig ratlos und stottern im Chor mit dem IWF irgendwelchen Schmarrn von „alle müssen zahlen“, „Haushalt sanieren“, „die Banken müssen zahlen“, „Eurobonds“, „Aufsichtsbehörde“ vor sich hin, um jeden Beschluß, den sie heute fassen, übermorgen wieder für hinfällig zu erklären.
Der IWF, der als Retter in der selbstgeschaffenen Not betrachtet wurde, kann natürlich auch nichts anderes, als gebetsmühlenartig sein „Sanierung“ genanntes Programm zur Vernichtung von Zahlungsfähigkeit verkünden – derjenigen Zahlungsfähigkeit, die durch Kredit geschaffen worden war.
Es ist also nicht Führungsstärke, an der es den Verantwortlichen mangelt, sondern die Abwesenheit des Steins der Weisen, also einer Zauber-Methode, wie aus in großen Mengen in die Welt gesetzten Zahlungsversprechen jemals wieder reale Werte werden sollen – um so mehr, als das Maß dieser Werte, der Euro, ja auch nichts anderes als ein Zahlungsversprechen ist.

Das Ende einiger Träume von Wohlstand und Prosperität

DER IWF, TEIL 7: KREDITSTÜTZUNGSPAKETE FÜR UNGARN, RUMÄNIEN, LETTLAND

Am 1. Mai – provokanterweise am „Tag der Arbeit“, dem großen sozialistischen Feiertag – 2004 waren 10 neue Staaten in die EU aufgenommen worden: 8 davon waren postsozialistische Staaten. Anfang 2007 folgten auch noch Rumänien und Bulgarien.
Für zwei Staaten aus der 2004-er Runde und einen aus der 2007-er gab es 2008 eine herbe Enttäuschung – ihr Go-West-Programm lief auf Grund, und die internationale Zahlungsunfähigkeit drohte.

Über Ungarn las man im Oktober 2008:

„Die Schulden sind riesig, das Haushaltsloch ebenso – und der ungarischen Währung ging es auch schon einmal besser. Nun wollen IWF, EU und Weltbank die Sorgen des Landes lindern – mit knapp 20 Milliarden Euro.“ (Focus, 29.10.)

Seltsam. Was ist denn da los? Viereinhalb Jahre in der EU und dann das.

Dann las man über Lettland Hiobsbotschaften:

„Nach Jahren mit zum Teil zweistelligen Wachstumsraten und bis zu 30-prozentigen Lohnerhöhungen brach die Wirtschaft infolge der globalen Finanzkrise völlig zusammen.“ (HB, 12.12. 2008)

Am Wachstum kann es nicht gelegen haben, weil das ist ja heilig. Es müssen also die Lohnerhöhungen sein, die das Land in den Ruin getrieben haben. Weil „solides“ Wachstum geht anscheinend nur, wenn die, die es hervorbringen, zu Hungerlöhnen arbeiten.

Rumänien hingegen hatte eigentlich gar nichts falsch gemacht:

„Die internationale Finanzkrise hat die Nachfrage auf Rumäniens wichtigsten Auslandsmärkten Deutschland, Frankreich und Italien wegbrechen lassen und die in Rumänien starke Automobil- und Zulieferindustrie in Bedrängnis gebracht. Allein in den vergangenen fünf Monaten haben 120 000 Rumänen ihren Arbeitsplatz verloren, die Arbeitslosenrate könnte in diesem Jahr von 5,3 auf sieben Prozent steigen.“ (Tagesspiegel, 11.3. 2009)

In Rumänien sind offenbar die Löhne so niedrig, daß ein nennenswerter innerer Markt gar nicht entstehen konnte und das Land völlig vom Export abhängig ist.
(Wer genauer über die Gründe für Mißerfolge in den neuen EU-Ländern Bescheid wissen will, findet das hier.)

Obwohl die Gründe für die Zahlungsschwierigkeiten der drei Länder von den Medien unterschiedlich angegeben wurden – bei Ungarn eine hohe Staatsschuld (woher eigentlich? erfährt man nie), bei Lettland zu großzügige Lohnerhöhungen, bei Rumänien wegbrechende Exportmärkte, war das Rezept recht einheitlich:

„Das erste Rettungspaket wurde im Oktober 2008 Ungarn zugesagt. Es folgten im Dezember 2008 Lettland, im März 2009 Rumänien. … Die Auflagen, die die EU macht, seien »ähnlich wie die des IWF, aber nicht gleich«, sagt der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn. Für alle drei Länder lauten sie recht ähnlich: Der Staatshaushalt muss konsolidiert, Finanzverwaltung und Finanzaufsicht müssen verbessert, andere Strukturreformen vorangetrieben werden. Die vierteljährliche Überwachung dieser Auflagen erfolgt mit dem IWF. In Brüssel ist zu hören, dass die EU-Behörde in der Überprüfung der Reformfortschritte wegen ihrer relativ geringen Erfahrung mit den Programmen fast komplett vom Fonds abhängt.“ (FAZ, 30.3. 2010)

Man halte sich hier vor Augen: Die EU als eine Staatengemeinschaft, die durch Zusammenschluß ihr Gewicht in der Welt stärken und anderen imperialistischen Nationen damit den Rang ablaufen wollte, nimmt Staaten auf, die einige Jahre später zahlungsunfähig sind. Das legt die Vermutung nahe, daß die EU-Mitgliedschaft den Staatshaushalten dieser Länder nicht gut getan hat. Und sei es nur dadurch, daß sich unmittelbar vor und nach dem Beitritt jede Menge Kapital dorthin auf den Weg gemacht hat, das mit dem Ausbruch der Finanzkrise erschrocken wieder davongelaufen ist.

Die EU war offenbar für so einen Fall gar nicht vorbereitet. Sie hatte keinen Plan B in der Schublade für den Fall, daß eines ihrer Mitglieder ins Schleudern geraten könnte, und besaß deshalb auch kein Instrumentarium, um damit umzugehen. Daß sie sich für die Stützung ihrer ins Straucheln geratenen neuen Mitglieder um Hilfe an den IWF wenden mußte, war ein weiteres Kapitel in der an Niederlagen reichen neueren Geschichte der EU.

Erstens gestand sie damit ein, daß sie sich mit ihrer Erweiterung übernommen hatte, also die Vorstellung – je mehr, desto besser! – vom Standpunkt der ökonomischen Durchschlagskraft falsch war.

Zweitens stand der ganze Gedanke der „Integration“ einmal mehr in Frage: Es deutete sich bereits an, daß der Zusammenschluß von Staaten mit unterschiedlicher Wirtschaftsleistung das „Gefälle“ zwischen ihnen erhöhte statt ausglich und die Konkurrenz innerhalb der EU verschärfte.

Drittens mußte die EU damit auch zulassen, daß gegen ihre eigenen Mitglieder genau diejenigen Methoden in Anschlag gebracht wurden, die ein paar Jahre zuvor Argentinien ruiniert hatten. Daß sie diese 3 Staaten, nachdem sie sie ins Boot geholt hatte, wieder den Klauen des IWF überließ, warf kein gutes Licht auf die Zukunft des Staatenbundes.