Zum Libanon

NOCH EIN FAILED STATE?

Eine kurze Chronologie der Geschichte des Libanon:

1920-26 Teil des Französischen Mandatsgebietes

1926 Um der Aufstandsbewegung der Drusen entgegenzutreten, wird das Gebiet des heutigen Libanon mit einer gewissen Autonomie und einer Verfassung ausgestattet, die Staatsämter unter verschiedene Konfessionen aufteilt.

1941 von einem General der französischen Exilregierung in die Unabhängigkeit geschickt, um damit einen Legitimitätstitel gegenüber Vichy-Frankreich zu haben. Die Abtrennung des Libanon von Syrien und die Konstituierung als Staat ging also von der Kolonialmacht aus und war ihrem Interesse geschuldet, sich Anerkennung zu verschaffen.

1943 Der Libanon erklärte sich nach Wahlen und der Bildung einer Regierung selbständig zu einem Staat. Als Dank für die Unabhängigkeit entsandte diese Regierung 20.000 Freiwillige an Seite Frankreichs in den II. Weltkrieg.

1945 Der in US-Schulen im Libanon erzogene Charles Malik wird einer der Verfasser der UN-Charta. Die USA werden zu einer Art neuer Schutzmacht des Libanon.

1948 Kriegserklärung an Israel. Bis heute befindet sich der Libanon im Kriegszustand mit Israel.

1958 „Libanonkrise“ – Im Machtkampf rund um fragwürdige Wahlen ruft der eine Kandidat die US-Flotte zu Hilfe, die von seinem siegreichen Rivalen wieder weggeschickt wird.

1970 „Schwarzer September“ in Jordanien, die palästinensischen Vertriebenen flüchten in den Libanon, wo die PLO ihren neuen Sitz errichtet. Dadurch verändert sich das Verhältnis Christen-Muslime und das fragile bisherige Proporz-System des Libanon kippt.

1975 Beginn des libanesischen Bürgerkriegs

1976 Massaker von Karantina und Damur. Beirut wird von konfessionell ausgerichteten Milizen in Einflußbereiche aufgeteilt.

1982 Israelischer Einmarsch in den Libanon. Massaker von Sabra und Schatila: Christlich-falangistische Milizen, mit Unterstützung des israelischen Militärs, wüten in palästinensischen Flüchtlingslagern. Zwischen 480 und 3000 Todesopfer. Gründung der Hisbollah als Selbstverteidigungsgruppe der schiitischen Bevölkerung und Quasi-Schutzmacht der Palästinenser.

1989 Das Abkommen von Taïf beendet den Bürgerkrieg und richtet einen neuen Proporz zwischen den Vertretern der verschiedenen Konfessionen ein. Bilanz des Bürgerkriegs und der israelischen Invasion: Um die 90.000 Tote, 800.000 Libanesen verließen das Land. Das Eisenbahnnetz wurde zerstört. Während des Bürgerkrieges wurde der Libanon zu einer Einflußzone zwischen Iran, Syrien und Israel, das ist er bis heute geblieben.
1991 „Kooperationsvertrag“ mit Syrien, der Libanon wird eine Art syrisches Protektorat. Die syrische Absicht, sich den Libanon als eine Art „verlorenes Territorium“ schrittweise anzugliedern, wird von anderen Playern in der Region hintertrieben.

1992 Einzug der Hisbollah ins libanesische Parlament.

1994-95 wiederholte Bombardements Israels im Südlibanon.

2000 Abzug der israelischen Armee.

2005 Ermordung des Sunniten Rafik Hariri, der den Wiederaufbau des Libanon durch gewaltige Auslandsverschuldung finanziert hatte. Die darauf folgenden Unruhen führten zum Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon. Der Abzug der Schutzmacht hatte den

2006 2. Libanonkrieg bzw. Julikrieg zur Folge. Die israelischen Bombardements zerstörten das Straßennetz des Libanon. Auch die Landwirtschaft wurde schwer getroffen und hat sich bis heute nicht erholt, wie man an den gewaltigen Getreideimporten sehen kann. Dem Einmarsch und den Bombardements der israelischen Armee fielen ca. 1500 Menschen zum Opfer. Die Reparatur der Schäden, die bis heute nicht annähernd bewältigt ist, wurde ebenfalls wieder durch Auslandsverschuldung bewerkstelligt.

2011 Beginn des syrischen Bürgerkriegs. Der Libanon wird zum Hinterland. Flüchtlinge und Aufständische überschreiten die Grenzen. Bis heute beherbergt der Libanon über eine Million syrischer Flüchtlinge.

2013 Die Hisbollah verkündet ihre militärische Unterstützung für Assad und greift in den syrischen Krieg ein. Das Schiff „Rhosus“ läuft mit einer Ladung von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat in den Hafen von Beirut ein.

2017 Ministerpräsident Saad Hariri (Sohn von Rafik Hariri) verkündet seinen Rücktritt aus Saudi-Arabien. Der Rücktritt wurde später zurückgezogen.

2019 Abwahl Hariris. Sein Nachfolger Diab und dessen Regierung kann den praktischen ökonomischen Zusammenbruch des Libanon nicht wegzaubern. Ständige Proteste bis zum August 2020 und darüber hinaus.

4.8. 2020: Das Ammoniumnitrat und andere explosive Stoffe explodieren im Hafen von Beirut.
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Diese kurze Chronik läßt einen erstaunen, daß dieser Staat überhaupt noch existiert und bis heute irgendwie auch noch funktioniert hat.

Nach den Aussagen des Kapitäns der Rhosus (– des Schiffs, das das Ammoniumnitrat nach Beirut brachte,) über die trüben Manöver des Besitzers von Schiff und Fracht, des inzwischen in Zypern ansässigen Russen Gretschuschkin, läßt sich schließen, daß letzterer von einem unbekannten Auftraggeber einen Haufen Geld bekommen hat, um diese für Bombenbau verwendete Substanz in den Hafen von Beirut zu bringen.

Da dergleichen Material in den Libanon nicht eingeführt werden darf, bediente sich der Besitzer des Vorwandes des Aufladens von zusätzlicher Fracht, um mit einer Art Transitvisum dennoch den Hafen von Beirut anlaufen zu dürfen. Die dort zu ladende Fracht war viel zu groß, um auf das Schiff zu passen. Dann weigerte er sich, die Hafengebühren zu zahlen und ließ das Schiff, die Fracht und die Besatzung im Hafen von Beirut stranden.

Der Hafen von Beirut steht unter der Verwaltung und Kontrolle der Hisbollah. Diese hegte den wohlbegründeten Verdacht, daß diese Fracht für den IS oder andere bewaffnete Aufständische in Syrien bestimmt war und ihnen und ihren syrischen Verbündeten um die Ohren fliegen würde, und verbot den Verkauf. (Niemand braucht in der dortigen Region eine solche Menge an Düngemitteln, und Israel bezieht seine Fracht von woanders.)

Es gibt zusätzliche Hinweise, daß die ursprüngliche Explosion in einem Waffenarsenal der Hisbollah ausbrach, das möglicherweise von Israel beschossen wurde. US-Präsident Trump sprach sofort von einem Anschlag, er wußte vielleicht etwas. Diese Explosion löste erst die des Ammoniumnitrats aus, das nicht selbstentzündlich ist und sich deswegen so gut für Bombenanschläger mit Zeitzünder eignet.

Die Demonstranten im Libanon fordern ein neues „System“. Das hätten viele Menschen auf der Welt gerne. Angesichts des weiter oben ausgeführten Zustandes des Libanon ist jedoch diesbezüglich guter Rat teuer.
Die internationalen Medien echoen diese Forderung, was seinen Grund in der Gegnerschaft zur Hisbollah hat.

Die Hisbollah war in den letzten 20 Jahren das Rückgrat des Libanon und der Hauptgrund, warum dieser Staat noch irgendwie funktioniert hat, auch aufgrund der – durchaus materiellen, nicht nur militärischen – Unterstützung aus Syrien und dem Iran. Außerdem hat die Hisbollah inzwischen ein weltweites Netzwerk des Handels, vor allem mit Drogen aus Lateinamerika, aufgezogen.

Ausgehend von Israel und den Golfstaaten sowie den USA haben inzwischen auch viele Staaten Europas die Hisbollah als Terrororganisation eingestuft, was ihre Tätigkeit auf dem Territorium dieser Staaten verunmöglicht.
Das Geschrei nach „Veränderung“ und „Systemwechsel“ im Libanon richtet sich also gegen die Hisbollah, der vor allem ihr Eingriff in den syrischen Krieg sehr verübelt wird.

Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 22.7.: Coronavirus in Rußland

DAS EPIZENTRUM DER CORONAVIRUS-ERKRANKUNGEN VERLAGERT SICH VON MOSKAU IN DIE REGIONEN
„Das Risiko einer COVID-19-Infektion in Russland ist nach wie vor hoch
Sogar das Coronavirus erwies sich vor so einer machtvollen Erscheinung wie dem russischen Vertrauen ins eigene Glück als schwächlich. Nach dem Ende der Zeit der Selbstisolation ignorieren die Menschen geradezu genießerisch Sicherheitsmaßnahmen: Sie vergessen die medizinischen Masken, feiern den Sieg über das Coronavirus in zahlreicher Gesellschaft und ignorieren die Anforderungen der sozialen Distanzierung.
Ist es nicht zu früh, um die Zügel derartig schleifen zu lassen? Diese Frage haben wir Artyom Gil gestellt, Professor am Institut für Gesundheitsmanagement an der Setschenov-Universität.
Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, dann ähnelt die Situation dort einer Fläche mit einem sehr langsamen, kaum wahrnehmbaren Aufwärtstrend – sagt Artyom Jurjevitsch.
Es besteht jedoch das Gefühl, dass eine beträchtliche Anzahl infizierter Personen gar nicht in die Statistik eingeht (z. B. gehen sie nicht mit leichten Atemwegsbeschwerden zum Arzt). Darüber hinaus sind sogar die offiziellen Zahlen – etwa 6500 neu registrierte Fälle im Land pro Tag – sehr hoch. Es gibt in der Tat immer noch ein hohes Infektionsrisiko. Es gibt Regionen, in denen eine angespannte Situation bezüglich der Bettenkapazität besteht. Daher glaube ich, dass Menschen völlig grundlos aufhören, vorbeugende Maßnahmen zu beachten. Dies schafft das Potenzial für einen zukünftigen Ausbruch. Wenn in solchen Regionen, in denen die Bettenversorgung bereits jetzt nicht ausreichend ist, auch nur ein kleiner Ausbruch auftritt und die Anzahl der Patienten zunimmt, kann das Gesundheitssystem eine solche Belastung nicht bewältigen.
KP: Die Ansicht ist weit verbreitet, dass die Coronavirus-Epidemie in Moskau nachlässt, aber das Epizentrum sich in die Regionen verlagert. Ist das wirklich so?
Zum Teil ja, die Infektion hat sich im ganzen Land verbreitet. Nach meinen Vermutungen begann die Ausbreitung des Coronavirus außerhalb Moskaus nach den Maifeiertagen. Jedes Jahr gibt es Anfang Mai eine massive Abreise aus Moskau von denen, die in die Hauptstadt gezogen sind, um dort zu arbeiten. Das gleiche passierte dieses Jahr. Heute sehen wir wirklich mehrere lokale Epizentren, hauptsächlich im Norden Russlands – den Autonomen Kreis Chanty-Mansi, den Autonomen Kreis Yamalo-Nenzien, das Gebiet Murmansk …
Das bestätigt übrigens die Hypothese der Saisonalität von Covid-19. Im Norden ist es jetzt, anders als in Zentralrussland, feucht und kühl, und das Virus verbreitet sich dort schneller. Im Herbst trägt das Wetter nach unseren Maßstäben zur Situation vor der Krise bezüglich der Bettenkapazität und des Mangels an medizinischem Personal bei. In Moskau gibt es zwar eine überdurchschnittliche Sterblichkeit, aber wir beobachten keine Überlastung des Gesundheitssystems.
KP: Was ist, wenn die zweite Welle des Coronavirus kommt?
Selbst wenn es eine zweite Welle gibt, ist die Überlastung des Moskauer Gesundheitssystems kaum zu erwarten, da die Hauptstadt einen Mechanismus für den raschen Einsatz von Covid-Betten eingerichtet hat. Es ist klar, daß wir Todesfälle nicht vermeiden können, weil es noch keine wirksame Behandlung für diese Infektion gibt.
Andererseits gibt es Anzeichen für eine Mutation des Virus, es gibt Hinweise darauf, dass es weniger bösartig wird. Daher kann man erwarten, dass die zweite Welle weniger tödlich ist als die erste. In Moskau gibt es immer noch keine Anzeichen für die ernsthafte Situation, die am Anfang stand. Aber in der Provinz entstehen neue Epizentren. Deshalb kann man nicht Entwarnung geben, das Infektionsrisiko ist immer noch sehr hoch.“
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In Rußland wurde lange das Augenmerk auf diejenigen Personen gelegt, die von China einreisten – ob zu Land oder in der Luft.
Das Coronavirus wurde jedoch von russischen Touristen aus Westeuropa eingeschleppt und verbreitete sich in Moskau, bevor die Quarantäneregeln in Kraft traten.
Und von dort eben offenbar weiter.
Die Zahlen aus Rußland lauten:
Bestätigte Fälle: 789.190
Genesen: 572.053
Todesfälle: 12.745
Durchgeführte Tests: 25 704.372
Neue nachgewiesene Infizierte seit dem Vortag: 5862
Quelle: Jandex, „Coronavirus in Rußland“
Auffällig ist die hohe Testrate und die geringe Todesrate.
Wenn man Rußland (146.877.088 Einwohner mitsamt Krim, nach der Volkszählung 2018)) mit den USA (geschätzte 330 Millionen) vergleicht, wird das besonders auffällig:
Bestätigte Fälle: 3 903.684
Genesen: 1,888,787
Todesfälle: 142,095
Durchgeführte Tests: 47 224 382
Neue nachgewiesene Infizierte seit dem Vortag: 4,473
Quelle: United States COVID-19 Statistics
Die USA testen auch sehr viel, aber sowohl die Zahl der noch aktiven Fälle als die der Todesfälle ist weitaus höher, sowohl im Vergleich mit der Einwohnerzahl als auch im Vergleich mit den bestätigten Fällen. Lediglich der Anstieg der Infiziertenzahlen ist geringer.

Pressespiegel El País, 12.7.: Post-Brexit-UK – ein Papiertiger?

HONGKONG ZEIGT DIE GRENZEN EINES AUF SICH SELBST GESTELLTEN VEREINIGTEN KÖNIGREICHS AUF
Die Krise in der ehemaligen Kolonie zeigt die außenpolitischen Schwierigkeiten einer mittelmäßigen Macht im 21. Jahrhundert
Rafa de Miguel, London

Der britische Löwe, der mit Gebrüll das »Gefängnis« der Europäischen Union verließ, läuft Gefahr, vom Rest der Welt als »Papiertiger« wahrgenommen zu werden. Es ist der chinesische Ausdruck, eine scheinbare Bedrohung zu definieren, die sich im Weiteren als harmlos herausstellt. Die Kampagne der Regierung Boris Johnson gegen Peking zur Einschränkung der Freiheiten in Hongkong mittels des neuen Sicherheitsgesetzes hat die Grenzen des Bestrebens Großbritanniens aufgezeigt, in der Zeit nach dem Brexit mit dem Gütesiegel »Global Großbritannien« eine machtvolle Stimme auf internationaler Ebene zu sein.
Die chinesische Regierung hat ihre Verärgerung über das Angebot Großbritanniens zum Ausdruck gebracht, drei Millionen Bürgern der ehemaligen Kolonie die Türen zu öffnen, und betrachtet es als »grobe Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten«, ist aber weder überrascht noch beunruhigt. Es gibt keine Angst mehr, wie in den 90er Jahren, vor dem möglichen Abzug der Bewohner eines unglaublichen Wirtschafts- und Finanzmotors. Peking verfügt nach Ansicht von Experten über genügend qualifiziertes Personal, um Personen, die von dem Angebot Gebrauch machen, zu ersetzen.
„Es ist wichtig, die Reaktion des Vereinigten Königreichs im Kontext des Brexit zu betrachten, wo die Regierung zusätzlich durch das Management der Coronavirus-Krise geschwächt ist und immer noch versucht, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren“, erklärt Tim Summers, Berater des Asien-Pazifik-Programms der britischen Ideenschmiede »Chatham House«.
„Einige sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Idee von Global Britain in ihrem Ansatz ziemlich imperialistisch ist. Hongkong war eine Kolonie, und irgendwie scheint London seine früheren Untertanen schützen zu wollen. Deshalb war die Maßnahme so emotional und nicht strategisch, noch war sie sorgfältig kalkuliert. Vielleicht ist es ein Zeichen für die Fragilität dieser neuen Politik“, schließt Summers.
Eine hübsche Wendung, die Sehnsucht nach vergangener imperialer Größe als „emotional“ zu bezeichnen.
Bei strategischer oder sorgfältig kalkulierter Überlegung käme auch nichts anderes heraus, als daß das UK heute eben keine Mittel hat, China irgendetwas vorzuschreiben.

Johnson schwankt hin und her – im besten Fall auf der Suche nach einem komplizierten Gleichgewicht oder im schlimmsten Fall ohne klares Ziel zwischen zwei widersprüchlichen Faktoren. Es muss in einer Zeit, in der es gezwungen ist, starke Handelspartner zu suchen, um die EU zu ersetzen, gute Beziehungen zu China aufrechterhalten. Er muss gleichzeitig der Forderung Washingtons und eines mächtigen Sektors der Konservativen Partei nachkommen, eine festere und aggressivere Haltung gegenüber dem asiatischen Riesen zu zeigen. Es besteht die Gefahr, dass niemand zufrieden gestellt wird.
„Die Idee für Global Britain basierte größtenteils auf einer Ausweitung des Handels mit China. Was in Hongkong passiert ist, sowie die Haltung der Regierung von Xi Jinping hat es sehr viel schwieriger gemacht, eine positive Beziehung herzustellen “, erklärt Gideon Rachman, der Chefkolumnist für Außenpolitik der »Financial Times«. „Was die Reaktion Londons betrifft, so erwartet niemand, dass sie für sich allein eine Änderung der chinesischen Politik bewirken wird. Das Vereinigte Königreich wird nur dann etwas erreichen, wenn es Allianzen mit anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Australien aufbaut“, sagt er.
Da sind wir bei den Vorstellungen von Medienmagnaten wie Murdoch oder Black, daß sich die englischsprachigen Mächte vereinigen sollten, um die Welt zu beherrschen – ein feuchter Traum, der aufgrund der vorhandenen Bündnisse und Rivalitäten nie so richtig vorangekommen ist.

Johnson – oft mehr der ehemalige Journalist als der derzeitige Politiker – bietet den Vorteil, daß er seine Widersprüche sichtbar macht. „Großbritannien versucht nicht, Chinas Aufstieg zu verhindern. Im Gegenteil, wir werden Seite an Seite an all den Themen arbeiten, in denen unsere Interessen zusammenfallen, vom Handel bis zum Kampf gegen den Klimawandel. Wir wollen eine moderne und reife Beziehung, die auf gegenseitigem Respekt und der Anerkennung der Rolle Chinas in der Welt beruht“, schrieb der Premierminister auf den Seiten der Zeitung »The Times«, als die Krise in Hongkong losging. Schwarz auf weiß definierte er die Bedingungen, auf denen die neue Außenpolitik zu beruhen scheint, deren Ziele noch vage sind: Die Welt ist ein wohlmeinender Ort voller guter Absichten, und das Vereinigte Königreich genießt strategische Autonomie, um zu entscheiden, welche Interessen es in dieser Welt geltend machen will.
Mit diesen kontrafaktischen „Bedingungen“ wird die britische Außenpolitik wahrscheinlich nicht so recht vorankommen.
Wenn die alte Kolonie die Bewährungsprobe des realen Gewichts von Downing Street darstellt, war der Huawei-Fall ein Wechselbad, mit dem Johnson zu verstehen begann, wie die Rolling Stones sagten, dass „you can’t always get what you want“. Seine Vorgängerin in dieser Position, Theresa May, schien ihm das Problem abgenommen zu haben, indem sie die Entscheidung traf, dass der asiatische Riese an der Entwicklung neuer 5G-Kommunikations-Infrastrukturen im Vereinigten Königreich teilnehmen würde. Ohne vergleichbare eigene Technologie war das chinesische Unternehmen von grundlegender Bedeutung für die großen Pläne zum Wiederaufbau des Landes, die im Wahlkampf der Konservativen Partei versprochen wurden.
Johnson glaubte, dass ein paar Änderungen ausreichen würden, um den amerikanischen Verbündeten in einem erklärten Krieg gegen Huawei und den harten Flügel seiner eigenen politischen Formation zu beruhigen. Falken wie Iain Duncan Smith oder Tom Tugendhat (der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments) hatten die China Research Group gegründet, einen Druckapparat, um die Haltung Großbritanniens zur asiatischen Macht zu verschärfen, nach Jahren der Annäherung und der Zusammenarbeit seit David Camerons Amtszeit.
China ist auf dem Weg, der neue Brexit der Tories zu werden, immer bereit für Probleme, an denen man sich intern abarbeiten und zerfleischen kann.
Es ist für die große alte Partei der britischen Eliten eben schwer, die Zurückstutzung auf eine mittelmäßige Macht zu ertragen und in ihrer Politik nachzuvollziehen.
Downing Street beschränkte die Beteiligung von Huawei an dem Projekt (des Netzausbaus) auf 35% und legte ein Veto gegen den Zugang zu strategischen und Sicherheitseinrichtungen ein. Damit waren weder Donald Trump noch konservative Kritiker zufrieden. Vierzig von ihnen rebellierten in einer Parlamentsabstimmung, die Johnson auf die Spaltung hinwies, die seine scheinbar bequeme Mehrheit untergraben könnte. Die spätere Entscheidung Washingtons, dem Technologieunternehmen neue Sanktionen aufzuerlegen, hat laut einem Bericht des britischen National Cybersecurity Centre „sehr ernsthafte Zweifel“ geweckt, dass Huawei dennoch die erforderlichen Kapazitäten aufbringen würde, um bei der Entwicklung des 5G-Netzwerks mitzuarbeiten. Man kann davon ausgehen, dass die Regierung in den nächsten Tagen schließlich ein Veto gegen die Teilnahme Huaweis einlegen wird. „Sie können kein goldenes Zeitalter einläuten, wenn Sie China als Feind behandeln“, warnte der chinesische Botschafter Liu Xiaoming den Premier.

Wohlmeinender Ort, gute Absichten, große Pläne, Wiederaufbau, goldenes Zeitalter – je trostloser die Perspektiven, um so blumiger die Sprache.

Alle Probleme gehen von demselben Mangel an klaren Vorgaben und Unsicherheit aus. London möchte die Vorteile, die sich aus der Zugehörigkeit zur EU in fast einem halben Jahrhundert ergeben haben, beibehalten, ohne einer seiner Regeln zu unterliegen. Es versucht, seine kommerziellen und strategischen Beziehungen zu Washington zu stärken, ohne irgendeine Unterwürfigkeit zu zeigen, „gegenüber einer US-Regierung, die nach wie vor eine der historisch unbeliebtesten in Großbritannien ist“, wie Summers erinnert. Oder es beabsichtigt, seine Soft Power (die „Sanfte Gewalt“ oder die historische Einflussfähigkeit des Vereinigten Königreichs) gegenüber Peking einzusetzen, um China in Sachen Demokratie und Menschenrechte Mores zu lehren, und gleichzeitig die notwendigen wirtschaftlichen Investitionen Chinas in GB aufrecht zu erhalten.
Die „Sanfte Gewalt“ ist eine Sprachschöpfung, die die kolonialen Abhängigkeiten beschönigt und als unabhängig von der imperialen Gewalt, die sie geschaffen hat, darstellt.
Die Wochenzeitung »The Spectator«, ein Muss für jeden sich selbst respektierenden britischen Konservativen, feierte das Verlassen der EU mit einem berühmten Cover, das einen Schmetterling in den Farben des Union Jack (der Flagge des Vereinigten Königreichs) zeigt, der aus dem EU-Käfig flieht. „Raus und rein in die Welt“ (frei, um in die Welt einzutauchen), proklamierte die Zeitschrift.
Johnson findet jetzt heraus, dass er nicht in die Luft, sondern ins Wasser geraten ist, und daß das Wasser kalt ist, viel kälter, wenn er alleine und ziellos schwimmt und mehr Haie als Delfine um sich hat.

Ein seltsames Bild, um ein anderes seltsames zu widerlegen.

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Zusatzinfo: DAS ABSCHIFFEN DER ENTWICKLUNGSHILFE
Johnsons angekündigte Entscheidung, das Ministerium für Entwicklungshilfe mit dem Außenministerium zusammenzulegen, hat in seinem Protest ehemalige Premierminister wie den konservativen David Cameron oder Tony Blair und Gordon Brown von Labour, sowie zahlreiche Abgeordnete und humanitäre Hilfsorganisationen zusammengebracht.
Die Schaffung dieser Abteilung mit einem Jahresbudget von mehr als 16 Milliarden Euro und der Möglichkeit, autonom über ihre Projekte und Ziele zu entscheiden, hatte bisher dazu beigetragen, die Soft Power Großbritanniens erheblich zu stärken.
Sie wurde 1997 von einer Labour-Regierung gegründet und macht 0,7% des Staatshaushalts aus. Sie war ein grundlegender Akteur im Kampf gegen Armut, Gewalt gegen den Tod oder den Schutz der Menschenrechte. „Es wurde lange Zeit als frei verfügbarer riesiger Geldautomat am Himmel angesehen“, argumentierte Johnson, um die Logik der Zusammenlegung zu verteidigen. Bei seiner Neugestaltung der Regierungsstrukturen möchte der Premierminister, dass die Auslandshilfe ein weiteres Element ist, das in sein globales Großbritannien in der neuen internationalen Politik einbezogen wird. Und dass es jederzeit auf die verfolgten Ziele abgestimmt wird. Die Entscheidung, warnte sein Vorgänger Cameron, werde „weniger Spezialisierung, weniger Stimmen zur Verteidigung der Entwicklung bei Regierungsentscheidungen, und letztendlich weniger Respekt für das Vereinigte Königreich im Ausland“ hervorrufen.
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