LEITZINSEN – EINE ENTZAUBERTE WUNDERWAFFE
Die Leitzinsen sind derzeit wieder einmal in aller Munde. Bei der EZB hat die neue Chefin schon angekündigt, weiterzumachen wie bisher, und in den USA weiß niemand, ob rauf, runter oder gleichbleibender Zins jetzt die richtige Antwort auf eine stagnierende Wirtschaft sei.
Die Niedrig-, Null- und Negativzinsen bei den meisten wichtigen Nationalbanken bzw. der EZB werden in Wirtschaftsteilen der Medien als „ultralockere Geldpolitik“ bezeichnet, was etwas irreführend ist. Es wird da der Eindruck verbreitet, als wäre ein niedriger Zins so etwas wie ein Lockerlassen der Zügel, hohe Zinsen hingegen würden die Geldpolitik „straffen“ und stellten eine strenge Steuerung der Wirtschaft dar.
Das Bild von der Marktwirtschaft als einem Pferd und den Notenbankchefs als Reiter ist, gelinde gesagt, etwas dümmlich. Es fußt auf der Sehnsucht, den Erfolg des nationalen Kapitals durch „richtige“ Steuerung hervorrufen zu können.
Leitzinsen
„Leitzins ist der von einer Zentralbank im Rahmen ihrer Geldpolitik einseitig festgelegte Zinssatz, zu dem sie mit den ihr angeschlossenen Kreditinstituten Geschäfte abschließt. … Der Leitzins ist das zentrale Instrument zur Steuerung der Geldpolitik, weil er als Preis die Geldaufnahme und die Geldanlage der Geschäftsbanken bei der Zentralbank unmittelbar beeinflusst.“ (Wikipedia, Leitzins)
Man muß bei obigem Zitat zwischen tatsächlicher Tätigkeit der Notenbank und deren ideologischer Überhöhung unterscheiden. Wenn die Nationalbank Zinsen anhebt oder senkt, so hat das zweifelsohne Folgen. Der Leitzins bestimmt das Zinsniveau eines Landes. Verhängt die Notenbank einen hohen Leitzins, dann verlangen die Geschäftsbanken einen noch höheren, weil sie wollen ja das Geld, das sie sich von der Notenbank – oder von anderen Banken, aber das wird von einem anderen Zinssatz beeinflußt – ausborgen, mit Gewinn weiterverborgen.
Um sich diesbezüglich abzusichern, vergeben die Banken z.B. Hypothekar-, aber auch andere Kredite mit variablem Zinssatz, d.h., sie behalten sich die Freiheit vor, auf Leitzinserhöhungen oder -senkungen durch parallele Bewegungen bei den Privatkunden zu reagieren, sie abzufedern – oder sogar ihre Gewinnspanne zu erhöhen.
Auf diese Weise sind z.B. die Subprime-Kredite in den USA und die spanischen Immobilienkredite zustandegekommen und später gekracht. Es handelt sich aber um eine allgemein übliche Praxis, durch variabel gehaltene Zinsen eigene Risiken den Kunden aufzuhalsen und sich dabei auch noch die Möglichkeit eines Zusatzgewinnes zu verschaffen.
In Ungarn, einem Weichwährungsland, dessen Währung nur durch die Bindung an den Euro kompatibel ist, war der Leitzins erstens recht hoch und zweitens sehr beweglich in beide Richtungen, weil die ungarische Nationalbank damit immer der Abwertungsgefahr entgegenzusteuern versuchte.
Deshalb wurden, um ein florierendes Kreditwesen zustande kommen zu lassen, 2004 die Fremdwährungskredite zugelassen. Euro, Yen und vor allem der Franken galten als stabile Niedrigzins-Währungen. Das hierbei mitgeschleppte Wechselkursrisiko erklärten alle Analysten für vernachlässigenswert.
Auch diese Angelegenheit ging nicht gut aus, wie wir uns erinnern. Und zwar genau deshalb, weil der hohe und bewegliche Leitzins die Abwertung des Forint doch nicht verhindern konnte.
Man merkt an diesen Beispielen, daß die Leitzinsfestlegung zwar einiges bewirkt, aber eben nicht das, was die Nationalbankchefs gerne hätten. Vor allem die Vorstellung, sie hätten es in der Hand, die Wirtschaft zu steuern, hat sich in der jüngeren Vergangenheit dermaßen blamiert, daß die Notenbankchefs inzwischen ziemlich die Hose voll haben und lieber gar nichts machen würden, um nicht schon wieder einen Fehltritt zu begehen.
Die EZB und die Nullzinsen
Die Europäische Zentralbank betreibt ihre Niedrigzinspolitik nicht aus Jux und Tollerei, und auch nicht aus den Gründen, die ihre Sprachrohre angeben. Es ist weder wegen der Inflation noch zur Förderung des Geschäftskredites. Diese Dinge hätten Draghi & Co. natürlich gerne gehabt, aber nicht deshalb wurde der Zinssatz bis auf Null gesenkt.
Die Nullzinsen sind die Folge des Anleihen-Aufkaufprogramms der EZB, mit dem diejenigen Staaten der Eurozone gestützt werden, die ansonsten zahlungsunfähig wären. Also kauft die EZB den Banken die Anleihen ab, die diese ihren Staaten abkaufen. Damit verschafft die EZB den Geschäftsbanken auch Gewinne in trüben Zeiten, weil die kaufen die Anleihen und verkaufen sie mit Aufschlag an die EZB. Und damit ist es gelungen, die Anleihenzinsen sehr niedrig zu halten. Damit werden natürlich gewaltige Geldsummen in die Welt gesetzt, Billionen von Euros zirkulieren hier zwischen Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, der EZB und wahrscheinlich auch noch anderen Staaten der Eurozone.
Man kann vereinfacht sagen, die EU hat genau so viel Kredit, als die EZB ihr verschafft.
Gäbe Draghis Nachfolgerin das Programm auf, so wären sofort wieder Pleiten, Rettungspakete, Stützungen nötig und der Kredit der Eurozone wäre beim Teufel. Damit ist übrigens schon vorgegeben, daß die Zinsen weiter auf Null bleiben werden und man sich eigentlich fragen muß, wofür braucht die EZB bei dieser automatisierten Vorgangsweise überhaupt eine Leitung?
Das könnte wirklich auch Lenins Köchin zusammenbringen.
Widersprüche des Kreditsystems
Eine der Absurditäten der derzeitigen Lage ist, daß einerseits das Trio EZB–Finanzkapital–Eurostaaten Unsummen Geldes generiert und andererseits überall Sparpolitik betrieben wird. Die EU, die ihr Geld aufbläht wie nur was, rert auf der anderen Seite, daß kein Geld da sei! – für Pensionen, Kindergärten, Sozialfälle usw. (Bei ganz wichtigen Sachen, wie Militär oder Politikergehältern findet sich dann schon noch etwas.)
Auch die ohnehin verkehrte Kritik des Neoliberalismus ist ziemlich verstummt. Deren Vertreter meinten stets, die Neoliberalen folgten einer falschen und inhumanen Logik, indem sie darauf verzichten, das nötige Geld zu schaffen, um alle Leute glücklich zu machen. Während die wackeren Keynesianer doch wissen, daß man es nur drucken und unter die Leute bringen muß!
Kategorie: Linke
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 13: Uruguay
DIE SCHWEIZ SÜDAMERIKAS
Anfänge: Niemandsland
Während der Kolonialzeit entbehrte das Territorium des heutigen Uruguay jeglicher Bedeutung. Es finden sich nämlich dort keine Bodenschätze oder sonst etwas, das man unter den damaligen Bedingungen zu Geld machen konnte. Es war eine Art Grenzmark des spanischen Kolonialreichs gegen das portugiesische, mit unklaren Grenzen nach Norden und Osten hin.
Hin und wieder fielen portugiesische Menschenjäger ein, aber auch diese Besuche hatten Seltenheit: Das „Ostufer“, wie die Provinz im Osten des Rio Uruguay genannt wurde, war weit entfernt von den Metropolen des damaligen Brasilien, und die Gegend war dünn besiedelt.
Die Unabhängigkeitskriege einten zunächst die beiden Ufer des Río de la Plata gegen das spanische Mutterland. Später aber entwickelten sich zentralistische und föderalistische Vorstellungen zu einem Zankapfel zwischen Buenos Aires und dem Ostufer. Diesen Streit nutzten portugiesisch-brasilianische Truppen, um ihrerseits dieses Gebiet zu beanspruchen. Im Streit um die Gegend zwischen dem Rio de la Plata und der Stadt Porto Alegre verblutete und verschuldete sich vor allem das junge Argentinien, das sich diesen Krieg nicht leisten konnte.
So wurde schließlich unter Vermittlung Großbritanniens, die einen schwachen und willigen Staat an strategisch wichtiger Stelle wollten, das heutige Uruguay 1830 als unabhängiger Staat gegründet.
Bis heute gibt es Grenzstreitigkeiten zu Brasilien, und bis ins 20. Jahrhundert galt Großbritannien als eine Art Schutz-, aber auch Kontrollmacht Uruguays. Von dieser Schutzmacht wurde Uruguay in den Krieg des Dreibunds (1864-70) gegen Paraguay getrieben, der dieses Land völlig zerstörte.
Land ohne Leute
Die Gründer Uruguays, eines Staates von fremden Gnaden, waren allesamt Militärs, die in den verschiedenen Kriegen, Revolten und gegen die brasilianische Besatzung gekämpft hatten. Als neue Herren des Landes gingen sie ans Werk und teilten das Land unter sich auf. Eingeborene wurden verfolgt, versklavt und ausgerottet.
Bis heute ist Uruguay ein Land der Latifundien. Der größte Teil der Flächen von Uruguay – die alle recht flach und fruchtbar sind – wird von Rindern und Schafen bewohnt. Der daneben auch betriebene Ackerbau wird mit modernen Geräten unter möglichst geringem Einsatz von Menschen betrieben.
Die menschliche Bevölkerung Uruguays versammelt sich in den Städten: Von den dreieinhalb Millionen Einwohnern leben fast 2 im Großraum von Montevideo. Der Rest verteilt sich auf kleinere Städte, von denen nur zwei die 100.000-Einwohner-Grenze überschreiten.
Bunte gegen Weiße
An der Stellung zur Schutzmacht und zum Grundbesitz arbeiteten sich die beiden Parteien ab, die das Land mit jahrzehntelangen Bürgerkriegen überzogen, weil sich immer eine oder die andere Seite bei der Aufteilung des Kuchens übergangen fühlte.
Diese beiden Interessensgruppen bemühten sich gar nicht um besondere Programme, und benannten sich konsequenterweise nach Farben, die sie in der Schlacht aufgezogen hatten. Ihre Führer betrachteten Uruguay als ein Schachbrett, auf dem man sich durchsetzen mußte, und gerieten sich auch untereinander in die Haare. Nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen unter Einbeziehung der Nachbarstaaten, die auch Flüchtlingswellen auslösten, einigten sich schließlich Großgrundbesitzer und Vertreter des inzwischen erstarkten Handelskapitals und Bürgertums von Montevideo auf eine Art Verteilungsschlüssel und Zusammenarbeit. Mit dem Präsidenten Battle beginnt auch der Umbau der Bunten Partei zu einer Art Wohlfahrtsstaat-Partei, mit Sozialgesetzgebung und Arbeitsrecht.
Hier zeigt sich eine Besonderheit Uruguays: Der Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und städtischer Bourgeoisie nahm nie die Ausmaße an wie in anderen Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreiches. Uruguay zeichnet sich bis heute durch rege Zusammenarbeit zwischen den Eliten aus, wo das landwirtschaftliche Kapital in Industrie und Handel investiert wird, und umgekehrt das Handelskapital an der Modernisierung der Landwirtschaft beteiligt war.
Agrarwohlstand
Und siehe da, es stellte sich heraus, daß sich mit dem Export der Agrikulturprodukte – hauptsächlich Fleisch und Wolle – ein gutes Geschäft machen ließ, wenn nicht alle paar Jahre das Vieh durch marodierende Truppen dezimiert wurde. Uruguay verzeichnete in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts einen bescheidenen Wohlstand, der auch durch Einführung von Arbeitsschutzgesetzen und politischen Reformen sozialen Frieden bescherte. Im Schatten zweier Weltkriege funktionierte das Modell, und mit den Erlösen aus dem Wolle-, Leder- und Lebensmittelexport ließen sich auch die nötigen Importe finanzieren.
Uruguay stellt bis heute eine gewisse Besonderheit oder Anomalie des Weltmarkts dar. Auf Grundlage des Großgrundbesitzes und einer auf dem so organisierten Agrarsektor beruhenden Wirtschaft hat sich dieses Land ohne besondere Schuldenkrisen bis heute weitergebracht.
Die Grundherren betreiben auf Grundlage großer Flächen eine extensive Landwirtschaft, mit moderner Technologie, kommen aber mehrheitlich ohne Monsanto und ähnliche Manipulationen des Ertrages aus. Sie können ihre Produkte daher als „Bio“ verkaufen. Die hauptsächlichen Abnehmer uruguayischer Agrarprodukte sind Argentinien, Kanada und die EU.
An Uruguay kann man sehen, wie sich auf großen Flächen rationell produzieren läßt, ohne Agrarchemie aller Art ein- und den Endverbraucher diesem Zeug auszusetzen.
Obwohl einige seine Agrarproduzenten in den letzten Jahren auch auf den Chemie-Zug aufgesprungen sind, scheint dort inzwischen die Einsicht um sich zu greifen, daß man sich mit dem Ersatz von Qualität durch Masse eine wichtige Marktposition verspielt.
Handelsmetropole
Bereits in der Kolonialzeit war Montevideo ein wichtiger Hafen, unter anderem für den Sklavenhandel. Die afrikanischen Gefangenen wurden über Montevideo, den Paraná und den Rio Paraguay zu den Bergwerksdistrikten im spanischen Kolonialreich, im heutigen Peru und Bolivien transportiert. Vor allem nach der Unabhängigkeit baute Uruguay seinen Handel zwischen Großbritannien und den nunmehr unabhängigen Staaten Südamerikas aus. Es wurde zu einer Art Drehscheibe zwischen Brasilien, Argentinien, Großbritannien und dem Inneren des Kontinents. Außerdem wurde es eine wichtige Anlaufstelle für Migranten aus Europa. Gegenüber dem gegenüber am Rio de la Plata gelegenen Buenos Aires hatte Montevideo den Vorteil, weniger in die Machtkämpfe der Nach-Unabhängigkeitskriege hineingezogen zu werden.
Schließlich trug zur Entwicklung als Handelsmetropole auch die armenische Immigration bei. Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich viele Armenier in Montevideo niedergelassen, und die armenische Immigration stieg nach dem armenischen Völkermord von 1915 sprunghaft an. Die Armenier brachten internationale Handelsverbindungen und ein eigenes Kreditwesen mit, und trugen dazu bei, daß Montevideo weit mehr fremden Reichtum an sich ziehen konnte, als es seinem eigenen Hinterland entsprach.
Uruguay war auch das erste Land der Welt, das das armenische Genozid anerkannte.
Aufgrund seiner liberaleren Gesetzgebung zog Uruguay auch viel Tourismus aus Argentinien an. Montevideo, Colonia de Sacramento und Punta del Este wurden zu Wochenend-Destinationen der argentinischen Oberschicht, die einiges an Geld in deren Vergnügungsvierteln ließen.
Mit britischem und einheimischem Kapital wurde ein Eisenbahnnetz ausgebaut. Die flache bis hügelige Landschaft und das gemäßigte Klima (in Uruguay gibt es auch im Winter keinen Frost) setzte dem Ausbau eines Eisenbahn- und Straßennetzes wenig Hindernisse entgegen, sodaß die nötige Infrastruktur zustande kam, um die Agrarprodukte zu den Häfen, und Importwaren in alle Richtungen des Landes zu bringen.
Industrie und Gewerkschaften
Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine Industrialisierung ein. Seither wurde eine bedeutende Lebensmittelindustrie und sonstige Konsumgüterindustrie aufgebaut, die über den Inlandsbedarf hinaus auch über Exporte Devisen ins Land spült.
Eine weitere Besonderheit Uruguays ist, daß diese Industrie nicht über Kredite und Auslandsverschuldung aufgebaut wurde, sondern daß sich im Land selbst genug Kapital fand, um diese Industrialisierung zu stemmen.
Die Arbeiterklasse Uruguays ist also ein Produkt der jüngeren Geschichte. Daher haben die Gewerkschaften erst ab den 50-er Jahren nennenswerten Einfluß in Uruguay.
Die erste Gewerkschaft Uruguays, die anarchistische FORU (Regionaler Arbeiterbund Uruguays) wurde 1905 gegründet. Nach der russischen Oktoberrevolution spalteten sich kommunistisch orientierte Teile ab. Alle diese Gewerkschaften waren zwar legal, aber schwach und hatten wenig Einfluß. Erstens hatten sie wenige Mitglieder, die zweitens in verschiedensten Sektoren organisiert waren, von Landarbeitern über Handels- bis Hausangestellte oder Lehrer. Erst in den 60-er Jahren wurde die landesweite Gewerkschaft CNT (Nationaler Zusammenschluß der Arbeit) aus verschiedenen Einzelgewerkschaften gegründet, und setzte sich eine Agrarreform – also das Infragestellen des bisherigen Latifundien-Systems – und Verstaatlichung von Infrastruktur und Kühlhäusern zum Ziel.
Diese Gewerkschaft hatte also das Ziel, die bisherigen Besitzverhältnisse in Uruguay zu verändern.
Die Tupamaros und die Militärdiktatur 1973-1985
Aus dem Schoß der Gewerkschaftsbewegung formierte sich eine revolutionäre Studentenbewegung, die sich „Tupamaros“ nannte. Sie knüpften damit an eine uruguayische Guerillaarmee gegen die spanische Kolonialmacht aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts an, die sich nach dem indianischen Aufständischen Tupac Amaru (auf der Anden-Hochebene) gegen die spanische Kolonialmacht benannte. Sie waren das Vorbild der Bewegung 2. Juni, der RAF und der Roten Brigaden in Europa.
Die Tupamaros waren zunächst eine aktive Studenten- und Gewerkschaftsbewegung, bis sie sich 1968 aufgrund staatlicher Repression in einen Stadtguerilla umwandelten und zum bewaffneten Kampf übergingen. In einem Land, in dem außerhalb der Städte nur Vierbeiner leben, ist das eine logische Entwicklung. (Der Theoretiker der Stadtguerilla in Lateinamerika war der Brasilianer Carlos Marighella.) Der Höhepunkt ihrer Aktivitäten war der Überfall auf die der Kleinstadt Pando im Jahr 1969, wo einiges an Geld erbeutet wurde. Auch ein CIA-Agent wurde von ihnen entführt, verhört und die Ergebnisse dieses Verhörs der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Tupamaros beschlossen eine duale Strategie, mit einem außerparlamentarischem und einem legalen Flügel.
Es ist hier festzuhalten, daß die lateinamerikanischen Studenten-Revolutionäre, in erster Linie die Tupamaros, das Vorbild der europäischen waren.
Die Gefahr eines Wahlsieges bzw. einer Machtübernahme der linken Revolutionäre war schließlich der Grund für den Militärputsch von 1973. Die Militärregierung, die bis 1985 an der Macht war, arbeitete mit dem CIA im Rahmen der „Operation Condor“ zur Bekämpfung linker Bewegungen in Lateinamerika zusammen. Der sich zum Diktator erklärende, ursprünglich gewählte Präsident Bondaberry war erklärter Anhänger diktatorischen Regierens. Dennoch setzte ihn das Militär 1979 ab, weil er ihnen nicht die nötigen Freiheiten im Rahmen einer Verfassungsänderung zugestehen wollte.
Die uruguayische Diktatur zeichnet sich wiederum durch einige Besonderheiten aus.
Erstens gelang es den Militärs nie, die zivile Regierung völlig auszuschalten.
Während der Diktatur wurden Wahlen abgehalten, die aber von der Bevölkerung boykottiert wurden, da keine relevante Partei zugelassen war. Außerdem wurde ein Versuch gemacht, eine neue Verfassung zu erlassen, die die Militärregierung abgesegnet und als Regierungsform etabliert hätte. Diese Verfassung wurde einer Volksabstimmung ausgesetzt und von den Wahlberechtigten zurückgewiesen.
Die Militärregierung versuchte sich also durch Volksentscheid zu legitimieren und scheiterte dabei.
Zweitens führte die Übernahme durch das Militär zu einem Niedergang der uruguayischen Wirtschaft, deren größte Trumpfkarte stets Offenheit und freier Handel gewesen waren. Die Beschränkungen des Militärregimes, Kontrollen über Personen- und Warenverkehr und Unsicherheit über die weitere Entwicklung schreckten viele Handelspartner ab. Während der Militärdiktatur verzeichnete die uruguayische Wirtschaft einen Abschwung, das ausländische Kapital mied das Land.
Das war schließlich auch der Grund, die Militärherrschaft zu beenden und zum System der gewählten Regierungen zurückzukehren. Die Politiker und Militärs entschieden das frei, ohne Druck von außen, nachdem die linken Kritiker ausgeschaltet worden waren.
Während der Militärherrschaft wurden einige Hunderte Oppositionelle verhaftet, ermordet oder verschwanden spurlos. Die uruguayische Militärdiktatur erscheint dennoch, nach Zahlen und Methoden, relativ zurückhaltend im Vergleich zu anderen Staaten des Südzipfels Südamerikas.
Ihre Machthaber nutzten allerdings den Freiraum, der ihnen für den Kampf gegen die Subversion zugestanden worden war, auch für interne Machtkämpfe. Einige bürgerliche Politiker wurden von Todesschwadronen weggeräumt, auch im benachbarten Argentinien.
Die neue zivile Regierung einigte sich 1986 auf ein Gesetz der Nicht-Verfolgung der Militärs, die am Aufräumen gegen die Opposition teilgenommen hatten.
Die Unterlegenen entschieden sich für den parlamentarischen Weg und gründeten die „Breite Front“, ein Konglomerat aus linken, Umweltschutz- und sogar christlichen Gruppen, die seit 2005 in Uruguay regiert, und die beiden traditionellen Parteien Uruguays in die Opposition gedrängt hat.
Uruguay heute
Uruguay ist nach internationalen Studien der Staat Lateinamerikas mit der höchsten Alphabetisierungsrate und der geringsten Korruption Lateinamerikas. Auch in Sachen Medizin, Sozialwesen usw. kriegt Uruguay ausgezeichnete Noten.
An Uruguay bewahrheitet sich das Urteil seines bekanntesten Autors, Eduardo Galeano, über die „Armut des Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde“: Uruguays Glück war es, daß seine Erde keine besonderen Reichtümer verbarg, deshalb gibt es dort auch nicht die extreme Armut, die in vielen andere Staaten Lateinamerikas üblich ist.
Uruguay hat übrigens eine der liberalsten Drogengesetzgebungen der Welt – der Besitz und Konsum von Marihuana ist straffrei, und sogar Anbau und Handel sind erlaubt.
Außenpolitisch positioniert sich die heutige Regierung Uruguays vorsichtig gegen die US-Hinterhof-Politik und deren Vertreter in Lateinamerika, sehr zum Ärger des ehemaligen Parteikollegen Luis Almagro, der heute als Vorsitzender der OAS die USA hofiert und deren Einmischung in Venezuela begrüßt.
Es steht zu erwarten, daß Uruguay bald in die Turbulenzen zwischen seinen Nachbarstaaten, dem aussichtslos überschuldeten Argentinien und dem von Faschisten und Größenwahnsinnigen regierten Brasilien gerät.
Lesenswertes
LINKE PUBLIKATIONEN
Mein Internet-Gedankenaustausch rund um den Blogeintrag zum Sozialstaatsbuch von Dillmann/Schiffer-Nasserie
hat mir gezeigt, daß die Gegnerschaft zu diesem Buch lokal begrenzt ist.
Diese Erkenntnis freut mich sehr.
Das nehme ich zum Anlass, einmal alle Publikationen von Leuten aus dem Dunstkreis des GSP hier aufzulisten, damit alle Interessierten wissen, was es da so gibt.
1. Renate Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie
Der soziale Staat
https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/der-soziale-staat/
Das China-Buch von Renate Dillmann soll wieder neu herausgegeben werden. Falls etwas daraus wird, so werden wir das allen Interessierten mitteilen.
2. Hermann Luer
Warum verhungern täglich 100.000 Menschen?
ISBN: 9781 7979 5720 3
Der Grund der Finanzkrise
ISBN-13: 978-3865827982
Kapitalismuskritik und die Frage nach der Alternative
ISBN-10: 398171380X
ISBN-13: 978-3981713800
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3. Suitbert Cechura
Unsere Gesellschaft macht krank
ISBN 978-3-8288-4149-9
Inklusion: Ideal oder realistisches Ziel?
ISBN 978-3-7841-2755-2
Kognitive Hirnforschung (vergriffen)
(vergriffen) ISBN 978-3-89965-305-2
dazu seine Website, wo man auch vergriffene Bücher als PDF herunterladen kann.
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sowie:
5. Ulrich Schulte
Herrschaftszeiten. Geschichten vom Herrn Keiner
ISBN13: 9783981522600
dazu meine Publikationen:
6. Amelie Lanier
Über Geld und Kredit: Texte zur Finanzkrise und Eurorettung
ISBN-13: 978-3200059061
und
Neue Gesichter unter alten Hüten?: Texte einer Konferenz in Budapest
ISBN-13: 9783732245376
https://www.bod.de/buchshop/neue-gesichter-unter-alten-hueteno-9783732245376