Eurorettung und Griechenlandkrise

GELDFETISCH

Angesichts der Verhandlungen zwischen der Eurogruppe und Griechenland um die Fortführung der Kreditstützungsprogramme lassen sich die Kommentare, vom angesehensten Ökonomen bis hin zum kleinsten Wirtshaustisch-Eiferer, in zwei Kategorien einteilen:

1. Die Griechen sind faul (korrupt, hinterfotzig, untüchtig usw.)
2. Die Deutschen sind böse (haben Herrschaftsanspruch, betreiben Waterboarding, sind unmenschlich, undemokratisch usw.)

Fast alles, was in den letzten Wochen und Monaten dazu geschrieben worden ist, läßt sich auf diese beiden Grundauffassungen zurückführen. Selbst wenn der einfache Rassismus oder die primitive Schuldzuweisung weggelassen wird, so bleibt die Kernaussage doch die: wo sind die Gründe dafür, daß etwas schiefgelaufen ist – in Griechenland oder bei der EU-Führung?

Wer dabei fein heraußen ist, ist die Hauptperson, oder graue Eminenz der ganzen Angelegenheit, nämlich der Euro selbst.

1. Geld, Weltgeld
Dem Geld werden von der VWL alle möglichen hohen und schönen Funktionen zugeschrieben: Es enthebt die Menschen der Mühsal, ständig Säcke mit Kartoffeln herumzutragen, um sie gegen Kochtöpfe oder Schuhwerk einzutauschen. Das ist insofern verlogen, als die meisten Menschen nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft.

Das Geld dient also in erster Linie dazu, die Menschen zum Verkauf ebendieser zu nötigen, oder sich sonst irgendwie jobmäßig zu betätigen, ihre Arbeitskraft also in irgendeiner Form zu Geld zu machen, sei es als Lohnarbeiter, Staatsangestellter oder als „neuer Selbständiger“, vulgo Ich-AG.
Das Geld diene dazu, daß die Waren zu den Kunden kommen, heißt es. Auch das ist eine dicke Lüge. Das Gegenteil ist der Fall. Ka Geld, ka Musi! Wer das nötige Kleingeld nicht aufbringen kann, kommt an gar keine Ware heran, nicht einmal ein Dach über dem Kopf kann sich so jemand leisten. Die nicht zahlungsfähigen Bedürfnisse kommen in der VWL gar nicht vor, fallen nicht unter „Nachfrage“ und sind kein Faktor in den Kalkulationen der Unternehmen.

Das Geld dient also weiters dazu, die Menschen vom konkreten Reichtum dieser Gesellschaft zu trennen.

Diese beiden Eigenschaften des Geldes machen es zu einem Instrument der Klassenherrschaft.
Neben der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung verpflichtet die Staatsgewalt alle ihre Bürger auf ein einziges gültiges Zahlungsmittel und verschafft sich durch die Ausgabe dieses Geldes ein zusätzliches Zwangsmittel, mit der es die Nützlich-Machung der Besitzlosen für die besitzende Klasse sicherstellt.

Das Geld ist also ein Mittel der staatlichen Kontrolle über die damit verwaltete Gesellschaft. Es ist wichtig, sich diese Eigenschaft vor Augen zu halten angesichts der Tatsache, daß ein Haufen Staaten vor inzwischen mehr als 15 Jahren dieses Element seiner Souveränität mit Freude und Jubel einer übergeordneten Instanz überantwortet hat.

Das Geld ist weiters das Maß der Werte, dasjenige Medium, in dem der abstrakte Reichtum der Gesellschaft gemessen wird. Die Gewinne der Unternehmer, aber auch die Steuereinnahmen und die Ausgaben des Staates, die Handelsbilanz und das heilige Wirtschaftswachstum werden in Geld gemessen, und zwar in Weltgeld. Um zu wissen, ob ein Geschäft wirklich lohnend war, verlassen sich die Unternehmer der ganzen Welt nicht auf windige brasilianische Reals oder türkische Lira. Sie messen es in Dollar oder in Euro.

Für die Unternehmen ist es also ein unverzichtbarer Dienst, ihnen staatlicherseits ein Geld zur Verfügung zu stellen, mit dem sie auf der ganzen Welt ihren Geschäften nachgehen und ihre Gewinne bilanzieren können.

Hat der eigene Staat kein solches Geld, so muß er es sich auf dem Geld- und Kreditmarkt besorgen, durch Verschuldung, oft über Standby-Kredite des IWF. Die Verschuldung ist also für die meisten Staaten dieser Welt unumgänglich, wenn ein solcher Staat als Standort für Unternehmen taugen und eine Kapitalakkumulation auf seinem Territorium ermöglichen will. Damit ist natürlich nicht garantiert, daß sie auch gelingt, weil die Konkurrenz schläft nicht, alle machen es genauso und im allgemeinen heftet sich hier der Erfolg an die Fersen vorangegangener Erfolge.

Ein stabiles und überall einsetzbares Geld ist also eine Grundforderung der unternehmerischen Kalkulation und eine notwendige Vorleistung eines Staates für sein nationales Kapital.

2. Der Euro
Mit dem Euro glaubten seine Schöpfer den großen Wurf gemacht zu haben: Hier gibt es ein Geld, das auf einen Schlag alles erfüllt, was Staat und Kapital von so einem Geld erwarten: stabil, weil mit geringer Inflation ausgestattet; international als Zahlungsmittel anerkannt; innerhalb der EU ohne Wechselkurse und die sich daraus ergebenden Probleme; gegen Spekulanten wie Soros gesichert; Kredit floß in Strömen – und der sorgsam vorbereitete fulminante Start ließ schönste Hoffnungen aufkeimen, daß dieses gemeinsam geschöpfte Wundergeld den Dollar als Leitwährung einmal ablösen könnte.

Man kann sagen, daß auch diese Euro-Macher seinerzeit einem Geldfetisch aufgesessen sind: sie dachten, mit dem „richtigen“ Geld würde sich der ökonomische Erfolg automatisch einstellen. Daß das Geld irgendetwas damit zu tun hat, was die damit beglückten Untertanen oder gar die Politiker selber treiben, wurde von allen Schöpfern des Euro zwar irgendwie begriffen, aber eben nur als Einbahnstraße: wenn das richtige Geld da ist, so garantiert es den Geschäftserfolg der Unternehmer, denen es zur Verfügung gestellt wird. Es kann also nichts mehr schiefgehen, so die Überzeugung.

3. Kritik
Diejenigen wenigen Kritiker, die die Einführung des Euro seinerzeit bemängelten, kamen aus Deutschland und hatten einen Gesichtspunkt im Auge: daß die nationale Bilanzierung des kapitalistischen Geschäftserfolges und das gemeinsame Geld einen Widerspruch darstellten. Sie fürchteten, die schwächeren Ökonomien würden den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands schmälern und es letztlich um die Früchte seiner wertschöpfenden Arbeit bringen.

Diese Kritik war moralisch-nationalistisch und bewegte sich auf der gleichen Ebene wie die Euro-Erzeuger: das gemeinsame gute Geld könnte durch Schmarotzer mißbraucht werden. Das „gute Geld“ wurde hier als eine Art Belohnung der Tüchtigen aufgefaßt, die durch südlichen Schlendrian und östliche Korruption gefährdet wäre.

Heute, wo das Projekt Euro im Sinne einer Konkurrenz zum Dollar gescheitert ist, und er nur mehr mit außergewöhnlichen Anstrengungen am Leben gehalten wird, sehen sich diese Leute in ihrer Kritik bestätigt. Manchen erscheint eine Rückkehr zur DM wünschenswert, andere wiederum haben begriffen, daß das für die vom Euro ermöglichten Erfolge Deutschlands unangenehme Auswirkungen haben könnte.

Diese Kritik, die sich vor allem um die Nation und ihren Erfolg sorgt, gilt zu Recht als rechts. Daher positionieren sich alle Leute, die sich als links verstehen, genau umgekehrt und verteidigen den Euro. Die bösen Deutschen wollen den Griechen den Euro „wegnehmen“, und sie wieder mit ihrer windigen Drachme vor sich hin wurschteln lassen. Der Euro wird also als eine Art Wohltat aufgefaßt, und Armut und Elend, die er verursacht, als Ergebnis einer verfehlten Sparpolitik. Der Euro wird damit sozusagen in 2 Teile geteilt: Ein gutes Geld, das Prosperität schaffen könnte, wenn es nicht eine Politiker-Kaste von Betonköpfen gäbe, die alle segensreichen Wirkungen dieses guten Geldes zunichte macht. Euro – gut, Politik – schlecht! – so tönt es aus diversen linken Blogs und Webseiten.

Was soll man schließlich von der in diesem Chor fehlenden Kommunistischen Partei Griechenlands halten, die sich als Vertreterin der griechischen Arbeiterklasse versteht und ausgerechnet mit einem eigenen nationalen Geld den arbeitenden Massen dienen will?

Wir sind also in der öffentlichen Meinung mit dem konfrontiert, was Marx im „Kapital“ zu Recht als „Fetisch“ bezeichnet.

Erst macht man etwas, – das Geld ist ja eindeutig eine Schöpfung der menschlichen Gesellschaft, heute: ihrer politischen Eliten –,

dann sagt man, es kommt vom lieben Gott persönlich – den Herrgott ersetzt heute die „ohne-nicht“-Bestimmung: ohne Geld geht es nicht, da bricht alles zusammen;

und dann fällt man auf die Knie und betet es an.

Kontinent oder Weltfriedensmacht?

DIE EU UND EUROPA
Rund um das griechische Schuldendrama und die Verhandlungen wurde warnende Stimmen von Kommentatoren laut. Das Geschimpfe auf die unverantwortlichen Syriza-Politiker wurde zusehends abgelöst von Kritikern der Verhandlungsführung Deutschlands. Und zwar nicht, weil in Griechenland Steuern erhöht und Pensionen gestrichen werden sollen, die Bevölkerung also weiter verarmt wird, sondern weil „Europa“ in Gefahr ist.

Europas Karriere zur Wertegemeinschaft
Europa ist zunächst einmal ein geographischer Begriff. Es bezeichnet einen Kontinent, dessen Trennlinie zu Asien irgendwie zwischen dem Ural und dem Bosporus verläuft. Da gab es nach dem Fall des eisernen Vorhanges Änderungen. So ist nach verschiedenen Lexika heute der höchste Berg Europas nicht mehr der Montblanc, sondern der Elbrus, weil der Kaukasus als neue Grenze genommen wird und nicht mehr das Asowsche Meer.

Der Hunger nach Expansion bereitet sich sozusagen auf diese Art sein Terrain vor, um dann auch mit Georgien – fast schon in Europa – Anschlußverhandlungen führen zu können.
Von der Unschuld der „bloßen“ Geographie hat sich dieser bedeutungsschwangere Ausdruck allerdings schon sehr weit entfernt. „Europa“ ist seit geraumer Zeit, aber vor allem seit der Mauserung der EG zur EU 1991/92 ein imperialistischer Anspruch, der sich sehen lassen kann: Hier meldete sich ein rund um das wiedervereinigte Deutschland gegründetes Staatenbündnis auf der Weltbühne und verkündete bei verschiedensten Gelegenheiten, in der ganz obersten Liga der Weltmächte mitspielen zu wollen.

Nach der Logik, daß soviel Hunger nach Macht und der erklärte Wille, alles dafür zu tun, sehr ehrenwert ist, hat das Nobelpreiskomitee 2012 der EU den Friedenspreis verliehen. Es sollte damit gewürdigt werden, daß die Staaten Europas in absehbarer Zeit nicht aufeinander losgehen wollen. Diese Gefahr war zwar in den letzten Jahrzehnten gering, aber der Vorsatz, gemeinsam die Welt für den europäischen Einfluß durch Handel und Wandel erobern zu wollen und sich dort mit allen Mitteln Respekt zu verschaffen, erschien den Komitee-Mitgliedern ausgesprochen lobenswert.

Auf diesen Anspruch, die Welt erobern zu wollen – der zu keiner Zeit geheimgehalten wurde und sich in letzter Zeit u.a. durch recht aggressives Drängen auf Assoziationsverträge manifestiert hat – gesellt sich natürlich ein Sammelsurium höherer Werte, mit denen sich diese Staatengemeinschaft schmückt. Die EU ist der Hort der Menschenrechte, des Guten, Wahren und Schönen, ist unheimlich tolerant gegenüber Homosexuellen und läßt sich bei Frauenrechten nicht lumpen. Ein geförderter und gepushter Kulturzirkus, zu dem Österreich so Lichtblicke wie Elfriede Jelinek und Conchita Wurst beitragen durfte, dient der steten Beschwörung und Bebilderung dieser humanistischen Nebelgranaten.

Eine seltsame Spaltung in Rechts und Links hat sich angesichts dieses tollen Angebots gebildet. Ein rechtes, nationalistisch ausgerichtetes Lager, dem dieser Liberalismus entschieden zu weit geht und auch gar nicht genug zur Größe der eigenen Nation beiträgt. Und ein linkes, kosmopolitisches, das in echt wasserdicht-idealistischer Manier jede unerfreuliche Handlung der EU als „Versäumnis“, „gegen den Geist der EU“, „Versagen“, ja gar anklagend „Schande!“ interpretiert und gerade aus dieser sich kritisch gebärdenden Haltung von sich und allen anderen ein unbedingtes Bekenntnis zur EU abverlangt: ein „trotz alledem!“, ohne auch nur einen Grund dafür angeben zu können.

Hannibal ante portas!
Anläßlich der Griechenland-Verhandlungen hat sich die Absurdität dieser Rechts-Links-Polarisierung wieder einmal deutlich gezeigt. Während die rechten, die EU ablehnenden Parteien einen Grexit und ein Abdrehen der Kreditstützungen für Griechenland forderten, – was dem Ende der EU gleichkäme –, so hebt in den Reihen der EU-Fans ein Gejammer an, wie böse die Deutschen und die Eurogruppe überhaupt über die griechischen Anliegen drübergefahren seien und wie sehr sie dadurch die EU in Gefahr bringen. Griechenland gehört doch zu Europa! – als ob Merkel und Schäuble mit einer großen Stichsäge angerückt wären, um Griechenland vom Kontinent abzusägen.

Niemandem fällt bei dieser Europa-Duselei ein, daß es ja auf dem zweifellos zu Europa gehörenden Balkan einige Länder gibt, die nicht zur EU gehören und auf die – und deren Bewohner! – die EU auch gar nicht neugierig ist, wie zum Beispiel Kosovo.

Bei diesen händeringenden Gutmenschen fällt auch gar nicht ins Gewicht, daß die Bedingungen für das neue Kreditstützungsprogramm härter sind als die für das vorige, daß es Griechenland keine Perspektive einer Besserung bietet und alle Bedingungen für einen endgültigen Crash sowohl der griechischen Wirtschaft als auch derjenigen der Eurozone enthält. Die Folgen vor Ort treten völlig in den Hintergrund angesichts des Image-Schadens, den dieses imperialistische Bündnis erlitten hat, das seinerzeit angetreten ist, um dem Dollar Konkurrenz zu machen.

Es ist eine bemerkenswerte Demonstration der Untertänigkeit, die diverse Meinungsmacher und Intellektuelle einem da in Wort und Schrift ins Haus liefern. Die eigene gute Herrschaft ist in Gefahr, oh Schreck oh Graus!

Das einzige, was inzwischen die Kommentatoren interessiert, sind Fragen der folgenden Art: schafft es Syriza, diese Bedingungen durchs Parlament zu bringen? Raufen sich die Euro-Gruppen-Mitglieder wieder zusammen, und das Allerwichtigste: hoffentlich können die Rechten aus diesen Zerwürfnissen kein Kapital schlagen und unsere schöne EU zerlegen!

Direkte Demokratie

DAS GRIECHISCHE NEIN
Angesichts des Aufruhrs um die griechische Abstimmung und der Kommentare zu ihr einmal eine Untersuchung der Gründe, Verlaufsform und Folgen derselben.
1. Volksabstimmungen überhaupt
Bei allem Gefasel um das liebe Volk und wie sehr die Demokratie auf seine Bedürfnisse angeblich Rücksicht nimmt, ist die Volksbefragung jenseits der Wahl nicht sehr beliebt. Im Gegenteil, es wird als Zeichen schlechten Regierens, als Schwäche der Herrschenden ausgelegt, wenn sie sich zu sehr um die Meinung der Untertanen kümmern. „Populismus“ heißt das, und gilt als ein mieser Trick, sich mittels Anschleimen ans Stimmvieh unfaire Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten zu verschaffen, und die Machtausübung zu erschweren. (–> Was ist eigentlich Populismus?)
Die Schweiz wird gern belächelt, weil sie es mit dieser Mitbestimmung des Volkes gar so genau nimmt. Die häufigen Volksbefragungen dort werden als Ausnahme, als Besonderheit eines spleenigen Alpenvolkes verbucht. Vorbild für andere Länder ist die Schweiz in dieser Frage nicht.
Wenn sonstwo in Europa eine Volksabstimmung einberufen wird, so ausschließlich deshalb, um eine Regierungsmaßnahme absegnen zu lassen. Bei Volksabstimmungen will die Obrigkeit ein schallendes JA! zu irgendeiner Maßnahme, die sie gerade auf die Tagesordnung gesetzt hat. Eine solche wird deshalb im allgemeinen nur dann anberaumt, wenn eine Regierung erstens die Bürger auf ihre Politik einschwören will und zweitens sicher ist, daß sie die Zustimmung kriegen.
In Österreich ist so etwas einmal in die Hose gegangen. Die damalige Regierung Kreisky war sich sicher, für ihre Atompolitik die Unternehmerschaft und ihre Parteimitglieder auf ihrer Seite zu wissen. Das war ein Irrtum, aber es wurde zusätzlich außer Acht gelassen, daß es andere Stimmberechtigte auch gab.
So kommt das zweite Moment auch ins Spiel, an dem sich solche Volksbefragungen entscheiden: das der Beteiligung. Solche Befragungen haben im allgemeinen eine Mindesbeteiligung von 40 % zur Grundlage. Es geht also darum, zumindest einen Teil der Bevölkerung zu mobilisieren, um dieses Plebiszit gültig zu machen und sich nicht darüber zu blamieren, daß man doch ausnahmsweise einmal das Volk gefragt hat und dieses sich gar nicht dafür interessiert hat.
2. Der Grund für die griechische Abstimmung
war das Programm, mit dem Syriza angetreten ist – die Austeritätspolitik in der EU zu beenden und die EU-Spitze dazu zu bewegen, auf keynesianisch inspirierte Konjunkturprogramme umzusteigen, um die Rezession in der Eurozone zu beenden.
Einerseits ganz schön frech von den Burschen von Syriza. Sie haben ja damit nicht weniger gesagt als daß die deutschen Politiker und ihre Parteigänger in Fragen Sparpolitik sich bisher getäuscht hätten und nichts von Ökonomie verstehen, wohingegen die flotten Griechen das Rezept für die Belebung der Wirtschaft in der Tasche hätten.
Es war weiterhin etwas naiv von Syriza. Immerhin hatten sich die EU-Politiker ja in Maastricht Verschuldungs-Obergrenzen in ihre Gründungsurkunde geschrieben. Die Sparpolitik hat also ihren Ursprung bereits in den Grundlagen der EU.
Es war drittens sehr optimistisch von Syriza. Sie waren überzeugt, daß die langen Jahre der Krise und die offensichtliche Erfolgslosigkeit des Krisenmanagements ein Umdenken bei der EU-Spitze verursachen könnten.
Es war viertens sehr berechnend. Syriza wußte gewichtige Stimmen außerhalb der EU auf ihrer Seite. In den USA hält man nicht so viel von der Sparerei, der Dollar ist immer noch die Weltwährung Nr. 1, und dort druckt man einfach jede Menge Dollars auf Grundlage der ausgegebenen Staatsanleihen. Deshalb gab es ja auch einige Male vor der Weltöffentlichkeit ein Theater um die Verschuldung und ob die Weltmacht Nr. 1 Bankrott anmelden muß. Führende Ökonomen und Nobelpreisträger halten diesen Weg jedenfalls für richtig.
Mit ihren Versuchen, die EU-Spitze zum Umdenken zu bewegen, haben die griechischen Politiker auf Granit gebissen. Sie wollten sich also für die weiteren Verhandlungen ein Mandat holen. Die mit dieser Abstimmung verbundenen Berechnungen waren auch einfach und durchschaubar: Im Falle eines Ja! hätte ihnen das Ergebnis der Abstimmung freie Hand gegeben, ihre Wahlversprechen zu brechen und die Ultimaten der EU zu unterschreiben.
Es mag sein, daß sie sich dachten – na ja, das letzte Wort ist damit auch nicht gesprochen und vielleicht können wir weiter verhandeln, mit etwas mehr Luft bezogen auf die Zahlungstermine an IWF und EU.
Im Falle eines Nein!, so dachten sie, haben wir wieder eine Karte in der Hand gegen Brüssel und Berlin – die müssen doch jetzt zur Kenntnis nehmen, daß unser Volk einig hinter uns steht und wir nicht so einfach über uns drüberfahren lassen, wie das von der EU-Führung beabsichtigt wird.
Es ist übrigens weniger Demokratie-Idealismus als vielmehr die Realität der demokratischen Herrschaft, die in diesen Überzeugungen zum Ausdruck kommt: der demokratische Politiker bezieht sich auf Volk und Territorium als Mittel seines Gewaltmonopols und läßt sich in regelmäßigen Abständen dazu ermächtigen, diese in seinem Sinne zu verwalten.
Es ist eher die EU-Spitze selbst, die dieses demokratische Prozedere zusehends als lästig empfindet, weil es die Zentrifugalkräfte stärkt und das Staatenbündnis selber dadurch schwächt. Auch nach innen gefährdet die demokratische Parteienkonkurrenz den Zusammenhalt der EU, weil sie EU-feindliche Parteien stärkt.
Es ist also richtig, wenn manche EU-Kritiker feststellen, daß die EU-Spitze sich zusehends von den demokratischen Institutionen entfernt und ihre Schwächung bzw. Aufhebung betreibt.
3. Die Durchführung und das Ergebnis
Als Tsipras verkündete, ein Referendum abhalten zu wollen, bemächtigte sich zunächst eine Schockstarre der führenden EU-Politiker und der Medien. Dann brach ein Shitstorm los: ja, derfen die des eigentlich? Syriza habe sich vollends unmöglich gemacht, Griechenland hat in der EU nichts mehr verloren, und nach der Schockstarre begann die EU-Spitze den Druck zu erhöhen, indem der Geldhahn der BZE zur Finanzierung der Banken zugedreht wurde und die griechische Ökonomie seither am Notstromaggregat der beschränkten Geldversorgung hängt.
Damit, so hofften alle, hätte die griechische Bevölkerung verstanden, daß sie gefälligst mit Ja! zu antworten hätte.
Dann wurden in den Medien pro-Ja-Demonstrationen gezeigt, über deren Mickrigkeit auch die größte fotographische Kunst nicht hinwegtäuschen konnte, während man im Internet auf unabhängigen Websites die machtvollen pro-Nein-Kundgebungen betrachten konnte.
Anhänger des Ja! wurden vor die Mikrofone geschubst und konnten ihren EU-konformen Schmarrn in volkswirtschaftlichem Jargon von sich geben.
Meinungsumfragen wurden in Auftrag gegeben, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraussagten. Offen ein pro-Ja herbeizulügen trauten sich diese Institute trotz eindeutigem Auftrag nicht, weil sie wußten, daß es für ihren zukünftigen Geschäftsgang nachteilig sein könnte, wenn sie ihr „Ergebnis“ so offensichtlich am Wunsch des Auftraggebers ausrichten.
Wer sich ein bißl im Internet umschaute, wußte jedenfalls, daß das Ergebnis Nein! lauten würde – lediglich die Frage der Wahlbeteiligung war offen. Auch da haben sich die Griechen nicht zurückgehalten und zumindest eine den landesweiten Wahlen vergleichbare Performance hingelegt.
So. Und damit war der Salat fertig. Das Volk war gefragt worden und hatte seine Meinung gesagt. Jetzt war guter Rat teuer.
4. Folgen und Reaktionen
Der Beobachter hatte in den Tagen seit dem Referendum den Eindruck, daß es der Syriza-Führung selber lieber gewesen wäre, das Ja! hätte gewonnen. Durch den Sieg des Nein! haben sie sogar in ihrer eigenen Partei jede Menge Kritiker, die ihnen vorwerfen, den Volkswillen zu mißachten. Von der Straße ganz zu schweigen, auf der sich noch einiges ankündigt.
Die EU-Spitze hat zunächst empört reagiert und gedroht, Griechenland ohne Wenn und Aber durch völliges Abdrehen des Geldhahns aus dem Euro zu werfen.
Hinter den Kulissen ging eine hektische Diplomatie los. Nur kein Grexit! Kein Failed State in Südosteuropa, der sich in seiner Not womöglich den Russen ohne Wenn und Aber öffnet, die NATO verläßt und Europa noch mehr als bisher mit Flüchtlingen überschwemmt. Das wurde der deutschen Führung von jenseits des Atlantiks unmißverständlich mitgeteilt und von diversen Deutschland-Kritikern innerhalb der EU bereitwillig ge-echot.
Gleichzeitig wurde auch der griechischen Führung bedeutet, doch nicht weiter störrisch zu sein und diese Austeritäts-Papierln doch endlich zu unterschreiben.
Und plötzlich kam ein Umschwung, alles scheint lösbar, die Syriza-Jungs wurden „vernünftig“, ihre „Vorschläge“ (eigentlich Zustimmung zu EU-Vorgaben) sind „seriös“, die Einigung ist nahe, usw.
Worin sich das, was jetzt ausverhandelt wurde, von dem Papier vor 2 Wochen unterscheidet, das Syriza mit Rotstift korrigiert zurückgeschmissen worden ist, ist nicht ganz klar. Es scheint, daß von Seiten der EU auf die vorher geforderte Pensionsreform größtenteils verzichtet wurde, Syriza im Gegenzug allem anderen zugestimmt hat.
Aber auch so haben erstens die Politiker Griechenlands so agiert, wie wenn Griechenland Ja! gesagt hätte, haben einmal mehr gegen ihr Mandat verstoßen und werden im Land selbst die Konsequenzen erfahren.
Zweitens ist Griechenlands Wirtschaft durch die jetzt schon ca. 2 Wochen geschlossenen Banken und Kapitalsverkehrskontrollen schwer geschädigt und das wird in Zukunft in einem weiteren Rückgang des BIP und dadurch erschwerten Schuldendienst zum Ausdruck kommen. Die jetzt bevorstehende „Einigung“ ist somit der Ausgangspunkt für weiteren Streit.
Drittens hat die EU-Spitze bei diesem Schauspiel nicht gut ausgeschaut, auch wenn das Ausscheiden Griechenlands aus der EU vorerst vermieden werden konnte.:
Es hat aller Welt vor Augen geführt, daß der Euro nicht stabiler geworden ist und die Euro-Krise in die nächste Runde geht.
Es hat sich herausgestellt, daß die deutsche Position der unbedingten Härte, auf die die deutsche Führung den Rest der EU verpflichtet hat, die Problematik der Eurozone nur verschärft hat.
Es hat, ähnlich wie die Ukraine-Krise gezeigt, wie sehr die EU gespalten ist und welchen Einfluß die USA auf die Politik der EU hat. Die EU wurde vorgeführt als ein Haufen Halbwüchsiger, deren Zwist nur durch ein Machtwort aus Washington zumindest auf Zeit gelöst werden konnte.
Deutschland und seine Eiserne Lady wurden ein Stück weit demontiert.
Die Zukunft wird weisen, welche Schlüsse die deutsche Führung daraus zieht.