Neuere Entwicklungen

DEMOKRATIE ALS AUSLAUFMODELL?
In letzter Zeit fehlt es nicht an teilweise recht hysterischen Mahnern, die vor den Feinden und dem Abbau der Demokratie warnen. Sie haben dabei meist Parteien oder Personen im Visier, die zur rechten Opposition gehören.
Was gefährden die eigentlich, und sind wirklich sie die einzigen, die an dem unter „Demokratie“ bekannten und bejubelten System etwas ändern wollen?
Was macht eigentlich Demokratie aus, was ist darunter zu verstehen, und wen stört dabei was?
1. Die Leistung der Demokratie
Die Leistung dieser Herrschaftsform besteht darin, eine Einigkeit zwischen Staat und Volk zu schaffen. Diese Einigkeit, bei der regelmäßig ein beträchtlicher Prozentsatz der Wahlberechtigten zu den Urnen schreitet und ihr Einverständnis ins Regiertwerden abgibt, ist auch nötig, um eine Konkurrenzgesellschaft aufrechtzuerhalten. In Konkurrenz zueinander stehen diese wahlberechtigten Personen durch die Marktwirtschaft, die ihnen mit dieser demokratischen Herrschaftsform sozusagen im Paket verordnet wird.
Das Ideal der Demokratie ist also Gehorsam im Befolgen der Spielregeln, Zustimmung zur Herrschaft und friedliche, also nicht mit Waffengewalt ausgetragene Konkurrenz um die Quellen des Reichtums und der Macht in einer Gesellschaft, wo das tägliche Überleben nur durch Zugang zu Geld, dem einzigen und universellen Zahlungsmittel, möglich ist.
Natürlich setzt das reibungslose Funktionieren dieses Modells der Bestellung der Herrschaft auch eine funktionierende Marktwirtschaft voraus, wo die einen relativ widerspruchslos ihre Arbeit abliefern und die anderen den Gewinn einstecken. Demokratie und Marktwirtschaft haben sich in den herkömmlichen Heimatländern des Kapitals in einer Art Wechselwirkung entwickelt, inzwischen ist das Verhältnis aber etwas getrübt.
2. Das Verfahren der Demokratie
Es ist folgerichtig, daß in der Marktwirtschaft auch der Kampf um die Macht als Konkurrenzveranstaltung ausgetragen wird.
Man denkt, auf die formelle Seite der Demokratie angesprochen, deshalb zunächst an den Wahlzirkus und zweitens an die Freiheit der Medien, jeden Schmarrn verbreiten zu dürfen, sofern er nicht ausdrücklich verboten ist.
Zur Demokratie gehört aber noch einiges andere: Versammlungsfreiheit; Freiheit der Meinungsäußerung, freie Wahl des Wohnortes, also Freizügigkeit – zumindest innerhalb des Staates, dem man per Untertan angehört. Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Schrift, in U-Bahn und Wirtshaus, am Internet und beim Zettelverteilen in der FuZo.
Schließlich gehört dazu der Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, Habeas Corpus-Bestimmungen, eine Strafprozeßordnung usw.
Es gibt also sehr viele Möglichkeiten, das, was als demokratisch anzusehen ist, zu verschlanken oder neu zu definieren. Das reicht vom Fremdenrecht, wo einige der obigen Bestimmungen von vornherein nicht existiert haben, bis zur heiligen Kuh der Wahl. Überall werden seit einigen Jahren Modifikationen vorgenommen, die hier neue Maßstäbe setzen.
3. Demokratieabbau, ganz demokratisch
Die Anti-Terrorgesetze in den USA und der EU geben der Exekutive, aber auch der Justiz sehr weitreichende Befugnisse bezüglich Verhaftung und Arrest von Verdächtigen. In Frankreich, also dem Land, das von sich behauptet, die bürgerlichen Freiheiten eigentlich erst erfunden zu haben, herrscht seit über einem Jahr der Ausnahmezustand, ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.
Seit geraumer Zeit werden Plebiszite, deren Ausgang denen, die sie veranstaltet haben, nicht passen, eben so lange wiederholt, bis sich das gewünschte Ergebnis einstellt. (Daß das beim Brexit – bisher – nicht gemacht wurde, liegt daran, daß das Ergebnis für die britischen Eliten vielleicht gar nicht so ungelegen kam.)
Vielleicht wird dieses Verfahren bald auch bei Wahlen angewendet, wenn der falsche Kandidat gewinnt? Bei Trump geben verschiedene politische Akteure frischfröhlich bekannt, daß sie das am liebsten hätten.
Man kann ferner die Zahl der Kandidaten beschränken, viele gar nicht erst zulassen, oder gewählte Regierungschefs absetzen lassen – für all das gibt es einige Beispiele in jüngster Vergangenheit. Spanien hätte um ein Haar ein 3. Mal sein Parlament neu gewählt, um eine Regierung zustandezukriegen, Papadimos in Griechenland und Monti in Italien wurden gleich ohne Wahlen vom Parlament direkt als Regierungschefs eingesetzt und haben in dieser Position sehr schwerwiegende Entscheidungen getroffen.
Derzeit werden verschiedene Kandidaten oder Parteien als rechts und undemokratisch gehandelt, und mit der an die Wand gemalten Gefahr eines „neuen Hitlers“ vor Augen von den Medien und manchen Politikern laut überlegt, weitere Einschränkungen der freien und geheimen Wahl und der Meinungsäußerung vorzunehmen.
In Ungarn und Polen sind schließlich bereits Regierungen an der Macht, die relativ frei von Störungen durch die schwache und uneinige Opposition daran schreiten, eine ihnen maßgeschneiderte „Demokratie light“ einzurichten. Während ein Teil der Öffentlichkeit in anderen Ländern gegen sie wettert, haben sie gleichzeitig einen Haufen Bewunderer, die genau beobachten, was sie treiben, um sich dort gegebenenfalls etwas abzuschauen.
Die Demokratie mit ihrer Meinungsfreiheit und Protestkultur stört nämlich seit geraumer Zeit viele ihrer gewählten Häuptlinge beim Regieren.
4. Demokratisches Prozedere als Hindernis fürs Durchgreifen
Es ist nämlich keineswegs so, daß die Herrschaft des Kapitals und die auf dieser Grundlage eingerichteten Abhängigkeiten sich nur mittels Demokratie betreuen lassen. Das Beispiel Chinas zeigt, daß ein Staat mit einer Einheitspartei auch eine erfolgreiche Kapitalakkumulation zustandebringen kann.
Noch mehr aber bieten sich autoritäre Strukturen an, wenn die die Geschäftemacherei ins Stocken gerät und und immer größere Teile der Bevölkerung überflüssig gemacht werden oder von der Lohnarbeit, die sie verrichten, nicht mehr leben können.
Es ist also ganz verkehrt, wenn Kritiker unserer Gesellschaftsordnung sich für die Verteidigung der Demokratie stark machen, während sie die Ökonomie und die soziale Frage unter ferner liefen abtun. Demokratie ist nämlich kein Schutz gegen Armut und Elend, wie man an diversen Armenhäusern – und auch den vermeintlichen Siegerstaaten – der EU heute bereits studieren könnte, wenn man es denn wollte.
Den Unzufriedenen, die auf die Suche nach dem starken Mann gehen und im Aufräumen mit Ausländern und Sozialschmarotzern die Lösung sehen, sei gesagt, daß sie von einem autoritären Staat genausowenig zu erwarten haben wie von der Demokratie, solange sie über die Grundlagen ihrer trostlosen Lage nichts wissen wollen.
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LESETIPS:
Demokratie – Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft
GSP 3/16 und GSP 4/16 „Merkels Land I-III“: Der deutsche Kapitalismus – Lebensstandard und sozialstaatliche Fürsorge im reichsten Land Europas – Der deutsche Imperialismus
ansonsten:
WAHLEN IN SPANIEN: AUSSER SPESEN NICHTS GEWESEN (3.6. 2016)
DIE BESTELLUNG DES DEMOKRATISCHEN HERRSCHAFTSPERSONALS (24.5. 2016)
MACHTLOSE MARIONETTEN (20.1. 2016)
DAS GRIECHISCHE NEIN (11.6. 2015)
WAHLEN HIER UND DORT (31.5. 2014)
DEMOKRATIE ALS KASPERLTHEATER (7.4. 2014)
DEMOKRATIE 2014 – WEDER VOLK NOCH HERRSCHAFT (2.3. 2014)
DIE PRAKTISCH-FAKTISCHE WIDERLEGUNG DES GESAMTEN DEMOKRATIE-NONSENS VON 2011 (25.8. 2013)
DEMOKRATIE 2012 IM ORIGINAL-LAND (8.5. 2012)

Die Ermächtigung der Herrschaft haut nicht mehr so richtig hin

WAHLEN IN SPANIEN: AUSSER SPESEN NICHTS GEWESEN
Was seinerzeit über die mißglückten Wahlen 2012 in Griechenland geschrieben wurde, gilt auch für Spanien 2016.
Während sich damals mit Neuwahlen die Sache vorübergehend lösen ließ, wenngleich nur mit heftiger medialer Intervention (die kurz darauf eingegangene Financial Times Deutschland und Bild machten heftige Propaganda für die Nea Demokratia von Samaras und gegen Syriza, den Fast-Weltuntergang) schaut es in Spanien nicht so gut aus.
Der erneute Wahlgang ein halbes Jahr später hat wieder mehr oder weniger das gleiche Ergebnis gebracht: 4 Parteien ohne Konzept, die sich dennoch oder gerade deshalb auf keine Koalition einigen können. Während der Wahlkampagnen wurde zwar aller mögliche Schaum geschlagen, Werte hochgehalten und mit sehr substanzlosen Ideen gewedelt, aber herausgekommen ist nichts, was eine stabile Regierung braucht. Weder eine Mehrheit, noch eine Koalition, noch ein Konzept. Man kann sich auf weitere Monate des Dahinwurschtelns einrichten.
Man erinnere sich, daß Belgien einmal mehr als ein Jahr ohne Regierung dagestanden ist und eine Regierungsbildung nur unter weitgehenden Zugeständnissen an die Regionen möglich wurde, was eine sehr aufgeblähte Verwaltung und ein Kompetenzenchaos verursacht hat. Das wurde einem wieder einmal angesichts der Attentate von Brüssel vor Augen geführt. Die belgische Verwaltungsreform ist bis heute nicht abgeschlossen.
In Spanien kommen zu der Unfähigkeit der Mehrheitsbildung noch die Autonomie-Bestrebungen Kataloniens. Die gesamte spanische Staatsräson ist im Zuge der Finanzkrise flöten gegangen. Die „Marca España“ zieht nicht mehr, die Verschuldung der öffentlichen Hand wächst ständig, der Staatshaushalt funktioniert nur aufgrund des Anleihen-Aufkaufprogramms der EZB und es ist – wie schon in Griechenland – ein Zeichen von gröberen Problemen, wenn der Tourismus als Rettungsanker bejubelt und steigende Nächtigungszahlen gemeldet werden, denen jedoch keineswegs steigende Einkünfte entsprechen.
Während es als allgemeines Problem der EU besprochen wird, daß Regionalismen stärker werden und rechte, EU-skeptische Parteien erstarken, zeigt sich an Spanien ein anderes Problem: die Ökonomie hat keine Perspektive, daher wird ihre Verwaltung immer schwieriger. Die industrielle Produktion stagniert, bezüglich Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ist Spanien zweigeteilt: es beliefert zwar die ganze EU mit Obst und Gemüse, Getreide und Milchprodukte hingegen werden praktisch nur mehr importiert.
In Spanien sind zwei der größten Banken Europas domiziliert, aber der Sparkassensektor ist pleite und wird nur mit staatlichen Mitteln über Wasser gehalten. Der Kreislauf funktioniert also so: Santander und BBVA kaufen die spanischen Staatsanleihen en masse und verkaufen sie der EZB, damit der spanische Staat Bankia, diverse andere zahlungsunfähig gewordene Sparkassen und die Bad Bank Sareb finanzieren und deren gekrachte Hypothekar- und Baukredite vor dem völligen Verfall bewahren kann. Die spanische Ökonomie und der Geldumlauf in Spanien beruht also nur auf dem Hin- und Herschieben von Krediten und ohne Aussicht auf einen Durchbruch, der wieder solides Geschäft garantiert. Die wirklich erfolgreichen spanischen Firmen hingegen, wie z.B. Inditex, machen den größten Teil ihres Umsatzes im Ausland und versteuern ihre Gewinne in Steuerparadiesen – im Falle von Inditex in Irland.
Die Staatsverschuldung Spaniens ist in absoluten Zahlen die 4.-höchste der Eurozone, wobei die Einbeziehung der Schulden der autonomen Provinzen nicht ganz klar ist, wo einige mit Kreditgarantien des Staates gerettet werden mußten, weil sie ihre Anleihen nicht mehr bedienen konnten. Spanien durfte seine diesbezüglichen Statistiken vor einigen Jahren etwas verschönern, um in den Genuß eines eurozonenfinanzierten Bankenrettungsprogramms zu kommen und nicht mit „Rettungsschirm“ und Troika beglückt zu werden, weil das das ganze Rettungsfonds-Programm zum Einsturz gebracht hätte. Spanien ist nämlich Mit-Garant und Einzahler der anderen Rettungspakete – würde es selbst zu einem Sanierungsfall, so würde wahrscheinlich das ganze Garantiesystem krachen, und der Euro auch.
So. Auf dieser äußerst prekären Ökonomie baut jetzt die Parteienkonkurrenz auf. Neue, als frische Kraft bejubelte Parteien wie die als links gehandelten „Podemos“ (Wir können) und die als liberal gehandelte Antikorruptionspartei „Ciudadanos“ (Staatsbürger) verraten ihre Konzeptlosigkeit schon im Parteinamen und langweilen die Wählerschaft seit geraumer Zeit mit dem Versprechen, sie seien ganz was anderes als die „etablierten“ Parteien. Mehr als diesen matten PR-Gag haben sie nicht im Programm, während Konservative und Sozialisten nicht mehr anbieten, als den Laden weiterzubetreiben wie bisher, und das als Erfolgsstory verkaufen wollen. Dabei hat Spanien nach offiziellen Zahlen nach Griechenland die höchste Arbeitslosenrate der EU, ein nach wie vor ungelöstes Problem von nicht gezahlten Hypotheken und vor der Delogierung stehenden Bewohnern in Millionenhöhe, praktisch keine Arbeitslosenversorgung, langsam leer werdende Pensionskassen und einen Haufen Kommunen, die ihre Müllabfuhr und Feuerwehr nicht mehr zahlen können.
Es ist zu erwarten, daß die Angelegenheit bezüglich Regierung so weiter geht wie bisher, die einen und die anderen Parteivorsitzenden sich als Retter des Vaterlandes aufspielen, mit der General-Keule „Korruption“ gewachelt wird und weiterhin keine Regierung zustandekommt.
Das ganze Theater wirkt besonders befeuernd auf Euro-Skeptiker und Separatisten im Schatten des Brexit und der Schwierigkeiten, die es in Großbritannien bei einer Regierungsbildung geben wird, wenn mit dem dortigen Schlamassel des EU-Austritts umgegangen werden muß.
Das alles zeigt nämlich, daß Wahlen ein bloßes Prozedere zur Ermächtigung der Herrschaft sind, deren Prinzipien jedoch nicht über Wahlen zustandekommen, sondern ihnen vorausgesetzt sein müssen. Wenn es da hapert, verkommt der Wahlzirkus zu einer bloßen kostspieligen Farce.
Die Kapitalakkumulation kommt nicht mehr wirklich voran und daher verunmöglicht sich ihre Förderung durch die gewählten Vertreter eines Staates.
Es ist allerdings eine undankbare Aufgabe für eine Regierung, sich zum Konkursverwalter einer Nationalökonomie degradieren zu lassen – wie es die Regierungen von Griechenland und Portugal bereits praktizieren (müssen).
Damit kann man im Wahlkampf keinen Blumentopf gewinnen und keine Regierung hinkriegen.