Afrika – der umkämpfte Kontinent

NEUAUSRICHTUNG

1. Die militärische Betreuung der Welt

Es war vor allem die alte Welt, die sich jahrzehntelang den Zugriff auf die Rohstoffe Afrikas sicherte und das hierzulande als „Entwicklungshilfe“ verkaufte.

Mit den Abkommen von Yaoundé, Lomé und schließlich Cotonou sicherte sich die EWG und dann EU den Zugriff auf die Rohstoffe und Agrarprodukte Afrikas. Gleichzeitig sicherte sich die EU die Staaten Afrikas als Märkte und überschüttete sie mit ihren eigenen Produkten. Dazu wurde ein Kredit- und Bankwesen eingerichtet, um diese Staaten mit Zahlungsfähigkeit auszustatten, damit sie überhaupt als Markt funktionieren konnten. Das hat zu Schuldenkrisen geführt und Afrikas Staaten in Sachen Abhängigkeit noch über die Abkommen hinaus in europäische Schuldknechtschaft geführt.

Dieses ganze Verfahren wurde in den europäischen Medien paternalistisch als eine Art „Hilfe“ an die Staaten Afrikas verkauft, mit der sich die ehemaligen Aussauger sozusagen jetzt als Förderer ihrer ehemaligen Unterdrückten betätigen und ihnen helfen würden, auf eigenen Füßen zu stehen.

Dieses schiefe Verhältnis wollte natürlich militärisch betreut sein, was spezielle militärische Einrichtungen wie die französische Fremdenlegion oder zypriotische Basen und Ghurka-Einheiten der britischen Streitkräfte notwenig macht, – die sich natürlich nicht nur auf Afrika konzentrieren, sondern auch in anderen Gebieten eingesetzt werden, wo die westliche Staatengemeinschaft Ordnungsbedarf sieht.

Das alles ging so lange halbwegs gut, als sich in den afrikanischen Staaten Eliten fanden, die sich mit dieser subalternen Rolle abfanden oder gleich ihre Stellung für feste Bereicherung benutzten. Als die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand, war auch keine Alternative mehr da.

2. Afrika seit 1991

Aber in den mehr als 30 Jahren seit 1991 hat sich erstens das Entwicklungsideal gründlich blamiert, was sich vor allem in Flüchtlings-Strömen und den entsprechenden Tragödien äußert. Es ist inzwischen klar, daß Afrika von Europa nichts Gutes mehr zu erwarten hat. (Das wird übrigens in den Medien hier gar nicht mehr behauptet. Das Entwicklungs-Ideal wurde leise begraben.)

In dieser Zeit hat weiters China Afrika als Handelspartner entdeckt. Rußland hat eine aktive Außenpolitik entwickelt, in der es verlorengegangene Verbündete wieder zurückgewinnen will (Kuba, Nordkorea), auch in Afrika, und sogar neue rekrutiert.

Man kann sagen, daß es sich hier um eine Art Arbeitsteilung handelt: China will Afrika ökonomisch benützen und damit auf sich verpflichten, während Rußland eher strategisch ausgerichtet ist und rußlandfreundliche Regierungen mit dem nötigen militärischen Rückhalt versieht.

Was für die EU besonders ärgerlich ist, ist der Umstand, daß diese beiden Mächte sich hier sehr gut ergänzen und überhaupt nicht in die Quere geraten.

Außerdem bilden sich lokale Ambitionen bei den größeren afrikanischen Staaten. Der erste, der sein Land mit Ölgeld zur Führungsmacht machen wollte, wurde ziemlich gewalttätig von der westlichen Welt weggeräumt.
Der Sturz Ghaddafis war jedoch Rußland und China eine Lehre. Und auch den afrikanischen Staaten. Sie wurden darauf aufmerksam gemacht, daß der Westen ein Afrika mit eigenständigen politischen Vorstellungen nicht zu dulden bereit ist. Und sie wandten sich verstärkt den neuen Freunden zu. Vor allem zwei Staaten, die sich auf ihrer Größe bzw. Wirtschaftskraft zu Höherem berufen fühlen: Algerien und Südafrika.

Rußland verstärkte seine Militärpräsenz in Folge mit seiner eigenen Fremdenlegion, den Wagner-Einheiten. Diese haben anscheinend das Ableben ihres Führers überstanden und werden jetzt der russischen Armee als spezielle Auslands-Truppen eingegliedert. Es ist wahrscheinlich, daß Rußland in Zukunft auch um die Ausbildung einheimischen Militärs kümmern und das möglicherweise sogar finanzieren wird.

Ob das jetzt für die Bevölkerung Afrikas Gutes verspricht, sei dahingestellt.

Das Wichtige ist, daß der Einfluß Europas hiermit verdrängt und auch die ganzen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU neu und für die EU unvorteilhaft gestaltet werden.

China prescht mit seiner eigenen bzw. der BRICS-Entwicklungsbank daher und sagt mehr oder weniger „Fuck the IWF!“ – was sich für die ganzen Schuldenberge und deren Gültigkeit negativ auswirkt.

3. Machtwechsel

Die EU ist bezüglich Afrikas offenbar mit ihrem Latein am Ende:

„Laut diplomatischen Quellen konnten sich die 27 nicht auf eine Verlängerung der EUTM-Mission in Mali über den 18. Mai hinaus einigen, wenn ihr derzeitiges Mandat endet. Obwohl die diese Woche in Brüssel abgehaltenen Treffen technischer Natur waren, hat Frankreich deutlich gemacht, dass es sich weigert, eine Operation fortzusetzen, die 2013 begann und in jüngster Zeit auf ein Minimum reduziert wurde, was zu ihrer endgültigen Einstellung führte – da Einstimmigkeit notwendig wäre, um sie fortzusetzen.

Der von den befragten Quellen als selbstverständlich angesehene Abzug europäischer Ausbilder aus Mali markiert das Ende der militärischen Präsenz der EU in einer strategischen Region. Ein Gebiet, das einen beispiellosen Anstieg des dschihadistischen Terrorismus und eine starke Ausweitung von Netzwerken zum Handel mit Waffen, Drogen und Einwanderern verzeichnet, das aber auch große Reserven an Mineralien wie Uran und Gold birgt: Dies erklärt nach Ansicht von Experten das Interesse von Russland, aber auch China, diese Lücke zu schließen.“ (El País, 28.3.)

All diese schönen Begleiterscheinungen des friedlichen Handels und Wandels sind die Ergebnisse desselben, obwohl sie immer als unwillkommene Hindernisse der Benutzung dieser Weltgegenden gehandelt werden, für die die EU den betroffenen Staaten militärische „Hilfe“ gewähren mußte.

Was Gold und Uran betrifft, so sind die für beide Staaten zweitrangig, was den eigenen Gebrauch betrifft. Es geht höchstens darum, sie in den eigenen Einflußbereich zu holen, um dann sie dann der EU zu anderen Konditionen als den bisherigen verkaufen zu können – was schlechte Nachrichten für die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt sind.

Wie sich Afrika weiter entwickelt, sollte man genau beobachten. Es scheint nämlich eine Art Modell oder zumindest ein Vorreiter für die multipolare Welt zu werden.

3 Gedanken zu “Afrika – der umkämpfte Kontinent

  1. „Wieso Botswana 20.000 Elefanten verschenken will

    Nur wenige Themen bewegen die meinungsstarke Prominenz scheinbar so sehr wie die Trophäenjagd. …
    In Großbritannien … haben sich mit Fußballikone Gary Lineker, Rockstar Liam Gallagher und Comedian Ricky Gervais einige … dem Artenschutz der Big Five gewidmet.

    Widerspruch kommt vom afrikanischen Kontinent. Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi etwa schickte zunächst im März einen Minister vor, der England die Entsendung von 10.000 lebenden Elefanten in Londons Hyde Park androhte. Und dann legte er in der deutschen Tageszeitung »Bild« persönlich nach. Man werde Deutschland gleich die doppelte Zahl schenken, das sei »kein Scherz«, so der … Präsident.

    Abschusspläne

    Botswana hat ein Drittel aller Afrikanischen Elefanten, rund 130.000 – und damit nach Einschätzung führender Experten zu viele.
    Masisi hob vor fünf Jahren ein Jagdverbot auf, unter anderem mit dem nicht ganz unberechtigten Verweis darauf, dass allein in den zwölf vorangegangenen Monaten 17 Menschen von Elefanten getötet und zahlreiche Felder zertrampelt worden seien. Es treffen schließlich zwei Spezies aufeinander, die enormen Lebensraum beanspruchen.

    Seitdem darf auch dort abgeschossen werden, 300 bis 400 entsprechende Genehmigungen für die Jagd der in den meisten anderen Ländern vom Aussterben bedrohten Elefanten werden jährlich an Großwildjäger verteilt. Masisi lenkt die Debatte regelmäßig auf die zerstörerischen Dickhäuter, was davon ablenkt, daß er die Abschussquoten für andere Tiere wie Leoparden aus Sicht von Artenschützern viel zu sehr angehoben hat.

    Doch pro Tier werden bis 16.000 Dollar kassiert – Befürworter der Trophäenjagd argumentieren, dass so letztlich ein finanzieller Anreiz für ihren Erhalt geschaffen wird. In Kenia, wo seit Jahrzehnten ein Jagdverbot gilt, ist der Bestand tatsächlich massiv gesunken.
    Hinzu komme, daß viele Gegenden, in denen gejagt wird, landschaftlich schlicht nicht schön genug seien, um die wegfallenden Einnahmen und Arbeitsplätze mit Fotosafari-Tourismus ersetzen zu können. Kritiker halten dem entgegen, dass kaum Geld aus den Jagderlösen bei den oft strukturschwachen Dörfern der Gegend ankommt.“

    Botswana hat die 7-fache Fläche Österreichs und seine Bevölkerung wird auf 2,6 Millionen geschätzt – durchschnittlich 4 Personen pro Quadratkilometer.
    Sehr einleuchtend, daß da die Dörfer „strukturschwach“ sind – was immer das heißen mag.

    „Lukrative Einnahmequelle

    Die Branche ist jedenfalls eine lukrative Einnahmequelle für die unzureichend diversifizierte (!!!) Volkswirtschaft Botswanas, die sich zu lange auf ihren Diamantenreichtum verlassen hat. Die Nachfrage nach den Edelsteinen ist am Boden – auch im Süden Afrikas spürt man die Auswirkungen des Ukrainekrieges.“

    Der Zusammenhang wäre erklärungsbedürftig.

    „Mit weniger als 4 Prozent Wirtschaftswachstum wackelt Botswanas Image als afrikanische Erfolgsgeschichte.“

    Ein unglaublich geistloser Satz, der aber typisch ist für die Art, wie über Afrika berichtet wird.

    „Masisi spricht generell offener aus, was viele andere afrikanische Präsidenten denken. Zuletzt echauffierte“

    (wenn ein Europäer einen Einwand hat, so „kritisiert“ er, wenn ein Schwarzafrikaner einen Einwand hat, so „echauffiert“ er sich)

    „er sich bei der G7-Gruppe der führenden Industrienationen über deren Forderung, dass alle Diamantenproduzenten ihre Steine nach Belgien zur Zertifizierung schicken. Der Westen will so verhindern, dass Diamanten aus Russland auf den Markt kommen. Produzierende Länder wie Botswana sehen das aber als unverhältnismäßige Bürde.“

    Na sowas!

    „Europa hat vielerorts einen schweren Stand auf dem“ (afrikanischen) „Kontinent, weil es einen Stopp von Subventionen für fossile Brennstoffe auf dem Kontinent fordert – sie aber selbst weiter massiv einkauft.

    Botswanas Staatschef ist sehr wohl bewusst, dass die Verschärfungen bereits bestehender Trophäenjagdbeschränkungen vorwiegend auf EU-Ebene vorangetrieben werden. In Belgien gibt es ein generelles Verbot schon. Und in Frankreich und Italien laufen entsprechende Gesetzgebungsverfahren. Weltweit kommen übrigens mit Abstand die meisten Großwildjäger aus den USA, Deutschland ist allerdings der wichtigste Markt innerhalb der EU für die Einfuhr von Jagdtrophäen: Im vergangenen Jahr gab es 650 entsprechende Einfuhren, davon 231 Bergzebras, 109 Bärenpaviane – und 26 Afrikanische Elefanten.“

    (Standard, 10.4.)

  2. Weg mit den letzten Besatzern!

    „USA erklären sich zu Abzug von Truppen aus dem Niger bereit

    Das Land war für die USA und Frankreich ein wichtiger Ausgangspunkt für Einsätze gegen Dschihadisten. Die letzten französischen Soldaten verließen es im Dezember

    Die USA haben sich nach Angaben von Regierungsvertretern dazu bereit erklärt, ihre mehr als 1.000 Soldaten aus dem Niger abzuziehen. US-Vizeaußenminister Kurt Campbell habe die Aufforderung zum Truppenabzug bei einem Treffen in Washington mit dem nigrischen Ministerpräsidenten Ali Mahaman Lamine Zeine akzeptiert, sagten US-Regierungsvertreter am Freitag der Nachrichtenagentur AFP.

    Geordneter Abzug

    Es sei sich darauf verständigt worden, dass eine US-Delegation in den nächsten Tagen in die Hauptstadt Niamey reisen wird, um einen geordneten Abzug zu organisieren. Das nigrische Staatsfernsehen hatte zuvor gemeldet, die US-Delegation werde kommende Woche anreisen.

    Militärs hatten am 26. Juli im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum gestürzt, die Macht im Land übernommen und sich verstärkt Russland zugewandt.

    Der Niger galt bis zu dem Staatsstreich als einer der letzten Verbündeten in der Region im Kampf gegen Dschihadisten und Extremismus. Für die USA und für die frühere Kolonialmacht Frankreich war der Niger ein wichtiger Ausgangspunkt für Einsätze gegen Dschihadisten. Im Dezember verließen die letzten französischen Soldaten auf Wunsch der neuen Machthaber das Land.“

    (Standard, 20.4.)

    Ohgottogott, wer wird denn jetzt den Dschihadismus bekämpfen?

  3. „Die EU verfügt nicht über genügend Schiffe, um die Huthi im Roten Meer zu bekämpfen

    Die Marinen der Länder der EU sehen sich einem akuten Mangel an Kriegsschiffen gegenüber, die an der Operation zum Schutz ziviler Schiffe vor Angriffen der jemenitischen Ansar-Allah-Bewegung (Huthi) beteiligt sind. Dies erklärte der Kommandeur der EU-Marineoperation Aspides (»Schilde«) im Roten Meer, Vasilios Griparis.

    »Die europäische Flotte muss mehr als verdoppelt werden, da die Zahl der Angriffe durch […] die Houthis zunimmt«, zitierte Bloomberg Griparis am 21. Juni.
    Der Flottenadmiral warnte, dass nur 4 Kriegsschiffe im Roten Meer patrouillierten. Gleichzeitig reichen die unternommenen Anstrengungen seiner Meinung nach nicht aus, um die Sicherheit von Handelsschiffen angesichts der in den letzten Monaten zunehmenden Zahl von Huthi-Angriffen zu gewährleisten.
    »Wir haben nicht viele Schiffe im Einsatz und das Gebiet, das wir abdecken müssen, ist riesig. Ich fordere alle EU-Mitgliedstaaten auf, mehr Mittel bereitzustellen«, fügte er hinzu.

    Griparis sprach Anfang Mai über den Mangel an EU-Kriegsschiffen. Damals stellte er fest, daß er zur effektiven Erfüllung der Aufgaben mindestens zehn Schiffe sowie Luftunterstützung in Form einer Drohne oder eines Marineaufklärungsflugzeugs benötige. Der EU-Rat kündigte am 19. Februar den Start einer eigenen Operation zum Schutz der Schifffahrt in der Region, Eunavfor Aspides, an.
    Die jemenitische Ansar-Allah-Bewegung erklärte, sie werde keine Schiffe der europäischen Koalition im Roten Meer angreifen.“

    Die Huthi versuchen damit einen Keil zwischen die westlichen Verbündeten zu treiben – das gilt natürlich nur insoweit, als die EU-Mission ihrerseits die Huthi nicht angreift.
    Man fragt sich dann allerdings, was diese Eunavfor Aspides dort eigentlich macht und ausrichtet?
    Adabei?

    „Die Houthis begannen seit November letzten Jahres mit Angriffen auf Schiffe im Roten Meer und im Golf von Aden, um gegen die israelischen Aktionen im Gazastreifen zu protestieren. Als Reaktion auf ihr Vorgehen starteten die USA und Großbritannien in der Nacht des 12. Januar einen Angriff auf Huthi-Ziele im Jemen.
    Das Weiße Haus sagte, die Angriffe auf von der Bewegung kontrollierte Gebiete des Landes seien defensiver Natur.“

    Har har.

    „Damals wurde auch behauptet, daß die Angriffe zum Schutz der internationalen Schiffahrt durchgeführt wurden.“

    (Izvestija, 21.6.)

    Das hat aber nicht viel geholfen, weil die meidet das Rote Meer seit dem vorigen Jahr in immer größerem Ausmaß, was Folgen für den Welthandel und den Staatshaushalt Ägyptens hat:

    „Rotes Meer:
    Eine Kettenreaktion

    Der Beschuss von Handelsschiffen im Roten Meer durch die Ansarollah hat globale Auswirkungen (…)

    Attackiert wurden Schiffe vor allem in der Straße von Bab Al-Mandab, einer 27 Kilometer breiten Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden, vereinzelt auch im Golf selbst. Die Route markiert die zentrale Zufahrt zum oder vom Suezkanal und ist damit ein wichtiges Nadelöhr der globalen Schiffahrt.
    Anfang Mai 2024 bilanzierte der Industrieversicherer Allianz Commercial, zwischen November 2023 und Ende April seien in dieser Region mehr als 50 Handelsschiffe angegriffen worden. Die dabei direkt angerichteten Schäden halten sich bislang in Grenzen: Mitte Februar wurde der Massengutfrachter »Rubymar« von einer Drohne getroffen und sank kurz darauf. Mitte März kamen beim Raketenangriff auf den Massengutfrachter »True Confidence« erstmals auch Seeleute ums Leben. Bei weiteren Attacken wurden Schiffe beschädigt und Besatzungsmitglieder verletzt. Jüngster Zwischenfall war der Angriff auf den Öltanker »Wind« am 18. Mai – das Schiff geriet in Brand, konnte aber nach Verzögerung weiter fahren.

    Devisen eingebüßt

    Ökonomisch deutlich schwerer wiegen die Folgen für den Seehandel insgesamt. Dieser Versuch einer Zusammenfassung ist auf dem Stand von Ende Mai. Er kann aber nur fragmentarisch sein, weil unterschiedliche Quellen teilweise stark voneinander abweichende Fakten liefern – manchmal verwirrend.

    Zunächst ein Blick auf den Suezkanal: Wer auf der Website der staatlichen Kanalbehörde Suez Canal Authority (SCA) den Suchbegriff »Ansarollah« oder »Houthi« eingibt, erhält die lapidare Auskunft »Nothing here matches your search« – es gibt also keine Auskunft, was Ägypten aktuell an Einnahmen einbüßt.
    Das Center for Strategic and International Studies in den USA berichtete dagegen schon Anfang Januar, die SCA erlebe einen Verlust von rund 40 Prozent im Vergleich zu 2023. Hinzukomme, dass Kanalgebühren traditionell in Fremdwährung gezahlt werden, Ägyptens Wirtschaft büße also massiv Devisen ein.

    Wer einen fortlaufend aktuellen Überblick zur Frequentierung des Suezkanals erhalten möchte, gehe zur vom Internationalen Währungsfonds (IWF) neu eingerichteten Webseite Portwatch.imf.org. Dort offenbart sich beispielsweise, dass am 4. Dezember 2023, also kurz nach Beginn der Ansarollah-Attacken, 69 Schiffe den Kanal passiert haben, bei einem Wochendurchschnitt von 74, während man am 31. Mai nur noch 29 Schiffe bei durchschnittlich 33 pro Woche zählte.

    Interessante Details zu den Kanalpassagen vermittelt auch eine Grafik der Chicagoer Logistikberater Project 44: Die verdeutlicht, von welchen Handelsrouten der Kanal wie stark frequentiert wird. Dem zugrundeliegende Angaben stammen zwar aus dem Jahr 2023, machen aber ein wichtiges Dilemma deutlich: Es geht in der aktuellen Krise nicht einfach“ (!!! Als ob das etwas Einfaches wäre!) „um Warenströme zwischen Asien und Europa samt Mittelmeer, sondern in der Tat um ein globales Problem.

    Knapp 16 Prozent der Kanalnutzung entfallen nämlich auf asiatischen Verkehr von und nach Nordamerika, zumeist der US-Ostküste: Manche Linien­reeder wählen zwischen dort und Fernost gern den Weg via Gibral­tar und Suez, um auch Häfen im Mittelmeer oder Arabien bedienen zu können.
    Darauf aktuell zu verzichten und etwa auf den Panamakanal auszuweichen, ist wegen dessen akut niedriger Wasserstände unter anderem in Folge ungewöhnlicher Dürre schwierig.

    Der Umweg übers südafrikanische Kap der Guten Hoffnung ist für diese Schiffe allerdings sehr lang. Was, wie das Wiener Logistikmagazin Dispo schreibt, eine »signifikante Verlagerung« von Transporten von der Ost- an die Westküste der USA und Kanadas zufolge hat. Das aber bewirkt seinerseits eine starke Zunahme inländischer Zu- und Abläufe per Schiene oder Lkw zwecks Verschiffung via Pazifik.

    Verzögerung über Monate

    Rund 58 Prozent der Kanalnutzung entfallen nach Project 44 auf den europäisch-asiatischen Seehandel – die meisten dieser Schiffe weichen jetzt auf die Route um das Kap aus: 58 Prozent. Eine Zahl, die ahnen lässt, was die Ansarollah-Attacken bedeuten. Die Kanalblockade durch den Containerfrachter »Ever Given« (IMO 9811000) im Frühjahr 2021 hatte bereits offenbart, wie sensibel die Verhältnisse sind – aber damals ging es um wenige Tage und bis zur »Renormalisierung« um Wochen. Jetzt geht es um Monate.

    Suez oder Kap – auch hier gibt es voneinander abweichende Angaben über die Folgen. Laut Project 44 verlängert sich die Transitzeit für die meisten das Kap umfahrenden Schiffe um sieben bis 20 Tage. Im Detail ist das abhängig von Start-, Ziel- und Zwischenhäfen. Das hat logistische und finanzielle Folgen. Manche Reeder lassen ihre Schiffe schneller fahren, um Verzögerungen zu minimieren. »Slow steaming« für den Klimaschutz erlebt derzeit keine Konjunktur, der Treibstoffverbrauch steigt, was sich nicht nur auf die Umwelt auswirkt, sondern auch den Seetransport verteuert.

    Verzögerungen wirbeln Fahrpläne durcheinander – und damit auch nahezu alle von Pünktlichkeit abhängigen Lieferketten. Wo höheres Tempo als Maßnahme nicht ausreicht, werden etwa Schiffe aus schwächer frequentierten Fahrtgebieten, beispielsweise aus dem Linienverkehr zwischen Asien und Südamerika, abgezogen. Aber das hat wiederum dort neue, weitere Störungen zur Folge.

    Kapazitätsprobleme

    Damit nicht genug: Längere Strecken und »verwirbelte« Lieferketten führen auch zu Engpässen beim verfügbaren Schiffsraum. Bislang konnten solche Probleme aufgefangen werden, dank einer rasant wachsenden Flotte: Nahezu täglich werden immer neue, vielfach größere Containerschiffe in Betrieb genommen. Die globale Transportkapazität der Branche nähert sich unaufhaltsam der 30-Millionen-TEU-Marke (Twenty-foot Equivalent Unit, Standardmaß für Containerladung) – rund drei Millionen mehr als noch vor einem Jahr. Und in den Orderbüchern der Werften stehen laut dem Infoportal Alphaliner Neubauaufträge für weitere knapp sechs Millionen TEU. Trotzdem geht die dänische Reederei Mærsk laut Dispo – angesichts steigender Frachtmengen im Ostasien-Europa-Verkehr – von zunehmenden Kapazitätsproblemen im zweiten Quartal 2024 aus.

    Das US-Portal Marinelink.com meldete, der französische Familienkonzern CMA CGM schicke einen Teil seiner Schiffe, jeweils unter Militäreskorte, noch immer durchs Rote Meer. Weil die Lieferketten es verlangen, wird Konzernchef Rodolphe Saadé zitiert.“

    Kommt vielleicht immer noch billiger als die Route um Afrika herum.

    „Engpässe seien damit zwangsläufig.“

    Unklar, warum?

    „Prompt geraten in vielen Häfen Liegezeiten durcheinander, und das nicht nur wegen verzögerter Ankünfte. Vielfach fehlt es auch einfach an Containern, weil leere Boxen planwidrig irgendwo liegengeblieben oder mit Verspätung noch unterwegs sind. Mærsk gab bekannt, bisher mehr als 125.000 zusätzliche Container geleast zu haben.

    Bitter sind die Folgen für die Besatzungen: Zum einen müssen Schiffe, bevor sie sich auf den längeren Kap-Weg begeben, mehr Ausrüstung und mehr Proviant einplanen. Für große und seriöse Reedereien ist das kein Problem, ein Experte berichtet aber aus jüngster Zeit von zwei Fällen deutscher Reedereien, bei denen Frischproviantportionen (Obst, Gemüse) verringert wurden. Zum anderen gibt es wieder – wie 2020/21 – Probleme mit der Ablösung von Seeleuten, etwa, weil Schiffe während des fahrplanwidrigen Umwegs zusätzliche Häfen anlaufen (müssen). Das dürfte zwar nicht die Dimensionen der Pandemie erreichen, als sogar Häfen gesperrt waren. Doch es verlängert die Bordzeiten der Besatzungen und beeinträchtigt so deren Familien.

    Fahrzeit, Treibstoffverbrauch, Materialbedarf, Personalnöte – all dies und mehr treibt die Kosten des Seetransports in die Höhe. Nun sind Frachtraten in der Schiffahrt (wie auch bei anderen Verkehrsformen) kein reines Abbild realer Marktentwicklungen, sondern zu beträchtlichem Teil spekulativ. Anders lassen sich die jüngsten Sprünge kaum erklären. Die folgenden Angaben stützen sich auf den World Container Index (WCI) des Londoner Beratungsbüros Drewry. Der setzt sich zusammen aus den Werten acht zentraler Verkehrsrouten zwischen China, Europa und den USA und nennt Querschnittspreise in US-Dollar für 40-Fuß-Container. (…)

    Wann kommen Teuerungen?

    Zu Beginn der Ansarollah-Angriffe – Kalenderwoche (KW) 47/2023 – meldete Drewry einen Index von 1.384 US-Dollar. Innerhalb weniger Wochen – bis zur KW 04/2024 – verdreifachte sich der Preis nahezu auf 3.964 US-Dollar. Obwohl es in den Folgemonaten keine Entspannung, sondern weitere Übergriffe gab, sank der Index Ende April – KW 17/2024 – auf 2.706 US-Dollar, knapp doppelt so viel wie im November, aber gut 30 Prozent unter dem Januarwert. Bei Abschluss dieses Artikels indes – KW 23/2024 – hatte der Index einen neuen Rekord von 4.716 US-Dollar erreicht. Zudem haben mittlerweile laut dem Hamburger Spediteur Navis viele Transportversicherer verteuernde Vertragsänderungen durchgesetzt.

    Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wann und wie all diese Teuerungen auf Verbraucherpreise durchschlagen. Mærsk beispielsweise betonte Anfang Mai, man werde die Mehrkosten an die Frachtzahler weitergeben, Konsequenz offen. Die Schifffahrtsorganisation Baltic and International Maritime Council (­BIMCO) hingegen prognostizierte etwa zur selben Zeit einen kommenden Rückgang der Ansarollah-Angriffe und daher wieder sinkende Raten.

    Die Ansarollah selbst indes drohten jüngst, nicht nur im Roten Meer oder im Golf von Aden, sondern auch im Mittelmeer Schiffe angreifen zu wollen – eine Option, die von westlichen Militärexperten waffentechnisch für möglich gehalten wird. Es wäre eine Eskalation mit schwer kalkulierbaren Folgen, nicht nur ökonomisch, sondern auch technisch und politisch.“

    (junge Welt, 12.6.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert