Die Besprechung der Weltpolitik

DEMOKRATISCHER PERSONENKULT 2014
„Wählen, was Putin will“ (Die Zeit, 16.3.) – „Putin, der auf Währungsreserven sitzt, die zu den größten der Welt gehören“ (Tiroler Tageszeitung, 17.3.) – „Wie hart muss der Westen Putin bestrafen?“ (Bild, 17.3.)
„Verzocken Janukowitsch und Asarow die Ukraine?“ (Berliner Tageszeitung, 29.11. 2013) – „Janukowitsch möchte das Handelsabkommen unterzeichnen“ (Huffington Post, 12.12. 2013)
„Präsident Obama schlug die Russen mit Sanktionen“ (New York Daily News, 6.3.) – „Obama stärkt Jazenjuk den Rücken“(ORF, 12.3.) – „Obama muss sich als Krisenmanager bewähren“ (Standard, 3.3.)
„Merkel ringt Putin in Krim-Krise Zugeständnis ab“ (n-tv 16.6.) – „Merkel bekräftigt Drohung mit EU-Wirtschaftssanktionen“ (FAZ, 13.3) – usw.
Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ drängen sich auf:
„Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“
Wenn man dergleichen Meldungen ernst nehmen würde, so entsteht der Schein, es wären wirklich nur ein paar Supermänner und -frauen, die die Welt regieren, der Rest sind Statisten, oder bloße Befehlsempfänger.
Damit wird ein demokratisches Ideal verbreitet und gepflegt: daß sich die werte Bevölkerung brav in regelmäßigen Abständen die Personen aussucht, die dann Land und Leute beherrschen und benützen, und sich nach der Bestellung ihrer Herren widerstandslos für alle Ziele der Politik einspannen läßt.
Mit dieser Art der Berichterstattung soll dem Leser/Hörer auch nahegelegt werden, sich vorzustellen, man müßte nur eine böse oder unnötige Figur wegräumen, entweder durch Krieg und Enthauptung, wie Saddam Hussein, oder durch einfaches Einsetzen eines geeigneten Technokraten, wie Monti oder Papadimos, oder durch eine sogenannte Revolution von der Straße, wie Mubarak oder eben jetzt Janukowitsch – und alles würde gut. Trotz der gegenteiligen Beispiele aus Irak, Ägypten usw. wird zäh an diesem Personenkult festgehalten: Die Welt wird so dargestellt, als gäbe es auf der einen Seite einen allmächtigen Alleinherrscher, und auf der anderen Seite das passive, gehorsame Volk.
Erstens haben ja sowohl Putin als auch Merkel eine Regierungsmannschaft hinter sich, die ihre Entscheidungen mitträgt und unterstützt. Zweitens haben auch beide große Teile der Bevölkerung ihres Landes auf ihrer Seite. (Das wird von der Presse im Falle Deutschlands wohlwollend quittiert und als Charisma der Kanzlerin positiv verbucht, während es in Rußland verärgert und als „Gefahr für die Demokratie in Rußland“ zur Kenntnis genommen wird.) Es sind also keineswegs einsame Entscheidungen, die diese Machthaber treffen, sondern sie beruhen auf Konsens und werden daher von einer Mehrheit mitgetragen. Die Regierungen Rußlands und Deutschlands sind also handlungsfähig.
Schon ein wenig anders ist die Lage bei Barack Obama. Der Präsident der Weltmacht Nr. 1 kann zwar Pakistan mit einem Drohnenkrieg überziehen und dort regelmäßig Dörfer in Schutt und Asche legen. Aber im eigenen Land schafft er es nicht, eine landesweite Krankenversicherung durchzusetzen, und inzwischen hat sich das Theater etabliert, das jedes Jahr einmal um das Budget und die Verschuldung aufgeführt wird. Die US-Regierung ist mit einem System von Institutionen und einer Opposition konfrontiert, die den Staat zeitweise an den Rand der Handlungsunfähigkeit bringen.
Noch anders ist die Lage in der Ukraine. Die ukrainische Führung hatte gar nicht die Autorität und die Mittel, ein Gewaltmonopol zu errichten. Das Land funktioniert nach einer Art Konkursverwaltung, wo sich die Verwalter aus der Masse bedienen. Es gibt keine Trennung zwischen Staat und Privatsektor, es fand keine Privatisierung statt, der Staat kann seine Rechnungen nicht zahlen, er hat keinen Kredit, und kann sich daher kaum über Verschuldung finanzieren. Nirgends war also das Bild des allmächtigen Herrschers falscher als in der Ukraine. Der „Statthalter“ Rußlands, die Marionette der ukrainischen Oligarchen, die im Parlament nur mittels Duldung der Kommunistischen Partei Mehrheiten zustande und Gesetze durchbringen konnte, wurde von den westlichen Medien zu einem Willkürherrscher aufgebaut, der in der Ukraine nach Belieben schalten und walten kann.
Zunächst wurde Janukowitsch von den Medien als Bösewicht dargestellt, dessen Laune es zu verdanken sei, daß das Assoziationsabkommen nicht zustandekam. Sozusagen aus Jux und Tollerei, oder weil er sich von Putin „unter Druck“ habe setzen lassen, habe er und nur er die Unterschrift „verweigert“. Damit wurde einerseits das Bild vermittelt, es läge nur an ihm und hätte nichts mit irgendeiner Staatsraison zu tun, wie die Entscheidungen der ukrainischen Regierung ausfallen. Zweitens wurde damit so getan, als wäre dieser Vertrag eine wahre Wohltat für die ukrainische Bevölkerung, die ihr durch die Engstirnigkeit oder Selbstsucht eines einzigen Mannes verwehrt wurde.
Als dann Janukowitsch – für die EU-Politiker überraschend – gestürzt wurde, waren kurzzeitig lange Gesichter angesagt. Der mühsam aufgebaute Drehpunkt der eigenen Interessen war weg. Und damit war auch die Vorstellung blamiert, man müsse nur auf den – rechtmäßig gewählten – „Diktator“ genug Druck machen, damit sich dieser den eigenen Ansprüchen beugt.
Die jetzigen beiden Hampelmänner aus der Timoschenko-Truppe unterschreiben zwar bereitwillig alles, was man ihnen vorlegt, inwiefern sie das aber durchsetzen können, ist unklar. Es werden jedenfalls von EU und IWF Fakten gesetzt, um dann später Rechtstitel gegen etwaige andere Politiker in der Hand zu haben.
Es ist durchaus möglich, daß diese harten Bedingungen, die jetzt dieser sogenannten Übergangsregierung („Übergang“ wohin?) diktiert werden, dann auch der Grund werden, warum gar keine Regierung mehr zustandekommt: Sich eine Regierung wählen, die die Preise erhöht und die Gehälter und Pensionen kürzt, – ja natürlich, aber dafür gehören wir jetzt zu Europa?!
In diesem Falle wären die triumphierend vorgelegten und von den Statthaltern der EU unterzeichneten Vertragswerke allerdings Makulatur, und etwaige Kredite des Westens (IWF, EU, private Banken) stünden auf dem Spiel.

Was man aus den Ereignissen in der Ukraine über die moderne Herrschaft lernen kann

DEMOKRATIE 2014 – WEDER VOLK NOCH HERRSCHAFT

Bisher, so war der lose Konsens, nannte man solche Regierungen demokratisch, die durch Wahlen an die Macht gekommen waren. Zugegeben, so Dinge wie eine geringe Wahlbeteiligung wurden zwar von den Medien bedauernd vermerkt, aber irgendwie erhielten die solchermaßen zustande gekommenen Regierungen das Etikett „demokratisch“ verpaßt.

Hier merkte man natürlich als aufmerksamer Leser auch, daß ein und die gleiche Erscheinung anders bewertet wurde, ob sie in einem EU-Mitgliedsland oder einem Nicht-EU-Land stattgefunden hatte. Eine geringe Wahlbegeisterung in der Ukraine oder Rußland wird anders kommentiert als in Ungarn oder Spanien, wo sie zumeist gar nicht thematisiert wird.
In dieser unterschiedlichen Betrachtungsweise zeigt sich ein Bewußtsein dessen, daß entgegen aller Propaganda über die Wichtigkeit und Entsprechung der Natur des Menschen, die freien und geheimen Wahlen innewohnt, sie doch ein bloß formaler Akt sind, während die Stabilität und Marktwirtschafts-Gemäßheit einer politischen Führung sich anderen Faktoren verdankt, die durch diesen Zettel-Zirkus nur bestätigt werden.

Mit anderen Worten: Die Ermächtigung der Herrschaft durch Ankreuzen auf dem Stimmzettel hat nur dann ihre Wirkung, wenn die solchermaßen zu den Urnen strömenden Bürger die Herrschaft von Freiheit des Eigentums und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz anerkennen und wollen. Sie müssen sich auch dann, wenn sie nicht als Bourgeois, sondern als Proletarier an der kapitalistischen Gesellschaft teilnehmen, bei der Bestellung derer, die über sie bestimmen, als Citoyen betätigen. D.h., sie müssen sich auch dann, wenn sie in dieser Gesellschaft Loser sind, zu der Macht mehrheitlich zumindest wohlwollend verhalten, die ihnen dieses Leben ermöglicht und auch verordnet.

Die Politiker und Meinungsmacher hierzulande wissen, daß Wähler und Nichtwähler gleichermaßen über den Zwangszusammenhang des Geldes, der Konkurrenz und der Lohnarbeit längst in das Staatswesen eingebunden sind und ihre formelle Zustimmung zwar schön, aber nicht unbedingt notwendig ist.
Gegenüber dieser propagandistischen Sicherheit, daß die Wahlen sowieso nur die Richtigen an die Macht bringen können, weil Politiker und Staatsbürger sowieso nur an der Aufrechterhaltung der Marktwirtschaft interessiert sind, gab es anläßlich der griechischen Wahlen 2012 einige Neuerungen bzw. Klarstellungen.
Wenn ein Land in der imperialistischen Konkurrenz schlecht gefahren ist, wenn Handel und Wandel sich zerstörerisch auf die nationale Kapitalakkumulation und die Einbindung der arbeitenden Bevölkerung in dieselbe ausgewirkt haben, so kommt es dennoch einer Regierung nicht zu, daran Korrekturen vorzunehmen. Den Griechen wurde von allen Seiten befohlen, sich eine Regierung zu wählen, die so weiter macht wie bisher, was die Freiheit des Kapitals im Lande betrifft, und sich ansonsten den Vorgaben der EU unterordnet.

Die Ukraine ist ein anderer Fall. Daß in diesem Land keine nennenswerte Kapitalakkumulation stattgefunden hat und daher ein Großteil ihrer Bewohner sich für gar kein Kapital nützlich machen kann, wurde nicht dem bereits fertig eingerichteten Weltmarkt zugeschrieben, auf dem ukrainische Produkte entweder nicht konkurrenzfähig waren, oder aber nicht zugelassen wurden, wenn sie konkurrenzfähig waren. Es wurde einer unwilligen Führung angelastet, die sich viel zu sehr dem Einfluß Rußlands hingibt. Der erste Versuch, eine der EU, den USA und dem westlichen Kapital genehme Regierung in den Sattel zu heben, war die Orange Revolution. Ihr Scheitern war dem Umstand geschuldet, daß auch eine prowestliche Regierung die ökonomische Struktur des Landes nicht verändern konnte. Mangel an Kapital, Mangel an Zahlungsfähigkeit, überflüssige Bevölkerung, die sich im Ausland verdingen muß, Abhängigkeit von russischen Energielieferungen – das Regieren über dieses große Land, das weder eine funktionierende Marktwirtschaft in Gang bringen kann noch eine sozialistische Kommandowirtschaft à la Lukaschenko in die Wege leiten will, ist im Grunde eine ständig fortgesetzte Konkursverschleppung, die mit Geld- und Kreditspritzen sowohl Rußlands als auch der EU bisher immer hinausgeschoben wurde.

Die EU in ihrem maßlosen Anspruch, ihren imperialistischen EInfluß auf die Ukraine auszudehnen, hat jetzt wieder neue Maßstäbe für die Begriffe „Demokratie“ und „demokratische Wahlen“ gesetzt:
Nur eine ihr genehme Herrschaft wird als demokratisch anerkannt. Bei der ist es aber dann gleichgültig, inwiefern sie durch den Wahlzirkus legitimiert ist. Die kann durchaus durch Straßenkämpfe an die Macht geputscht worden sein. Das heißt dann „Revolution“ und ist viel besser als „demokratische Wahl“, solange damit „unsere“ EU-Statthalter an die Macht gekommen sind, die alles machen werden, was wir von ihnen wollen. Die dürfen dann auch Antisemiten sein, Neonazis, gewaltbereit und rassistisch – lauter Dinge, die in der EU bisher mit Verboten und Sanktionen behandelt worden sind.
Diese Klarstellung sollte man einmal zur Kenntnis nehmen, sie weist nämlich weit über die Ukraine hinaus und eröffnet neue Perspektiven für die Krisenbewältigung in der EU.

In Bezug auf die Ukraine wurde zweierlei erreicht: Ein paar Tausend bewaffnete Krawallmacher wurden zum „Volk“ erklärt, dem sich die restlichen 45 Millionen der Ukraine unterordnen sollen. Der gewählte Präsident wurde aus dem Amt gejagt und eine Übergangsregierung eingesetzt, hinter der eingestandenermaßen niemand steht. Sogar die Putschisten nicht, die sich weigern, ihre Waffen abzugeben oder besetzte öffentliche Gebäude zu verlassen. Die Regierung verfügt also über kein Gewaltmonopol und ist somit keine Regierung. Die Bevölkerung der Ukraine steht entweder nicht zu ihrem Staat oder möchte einen großen Teil ihrer Mitbürger am liebsten von jeder Beteiligung ausschließen, wie der Vorschlag der Swoboda zeigt, eine Klasse von Landesbewohnern ohne Staatsbürgerschaft zu schaffen.

Schlüsse und Perspektiven

Der Zusammenhang zwischen Oben und Unten ist also endgültig in die Brüche gegangen, und das unter tatkräftiger Mithilfe der EU-Politiker.
Die Ukraine verfügt über kein Staatsvolk, das sich als einheitlicher Wille auf eine kapitalistische Konkurrenzgesellschaft bezieht.

Die Ukraine verfügt über keine kapitalistische Marktwirtschaft, die über Scheidung in Kapitalbesitzer und Eigentumslose klare Verhältnisse darüber schafft, wer wessen Eigentum vermehren darf.
Die Ukraine verfügt über keine nennenswerten Rohstoffquellen, mit denen etwaige Unternehmer auf dem Weltmarkt reüssieren könnten. Ihr einziger Rohstoff ist Kohle, die aber heute auf keine besondere Nachfrage trifft, zumindest in der Nähe.
Die Staatsgewalt hat daher keine Einnahmequellen, aus denen sie ihren Gewaltapparat finanzieren könnte.

Daß sie über keinen schlagkräftigen Gewaltapparat verfügt, haben die Ereignisse der letzten Monate gezeigt, und deshalb gibt es auch keine Gewalt, der das Land zusammenhalten könnte.
Einmischungen in den bevorstehenden Bürgerkrieg und die Teilung des Landes haben das Potential eines Showdowns der Weltmächte, und daher eines 3. Weltkriegs, der der letzte sein wird.

Bald auch Bürgerkrieg in Europa?

DIE EU MISCHT DIE UKRAINE AUF
Um zu verstehen, was heute in der Ukraine geschieht, ist es hilfreich, sich zurückzuerinnern, wie dieser Staat entstanden ist.
Der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 gingen keine Demonstrationen oder Straßenkämpfe voraus, wie in der DDR, der Tschechoslowakei oder Rumänien. Niemand ging auf die Straße und forderte einen eigenen Staat. Der Satz, mit dem Wikipedia die Geburt dieses immerhin mehr als 45 Millionen Einwohner zählenden Staates zusammenfaßt: „Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion erlangte die Ukraine im Jahr 1991 ihre staatliche Unabhängigkeit“ – zeugt von der intellektuellen Anspruchslosigkeit dieser Enzyklopädie, die offenbar gar nicht so genau über die Umstände informieren will. Drei sowjetische Regional-Häuptlinge trafen sich nämlich im Dezember 1991 auf einer Datscha in Weißrußland und schnapsten miteinander aus, daß sie jetzt neue, „eigene“ Staaten gründen wollten. Diese wodkatrunkene Zusammenkunft wird, wenn überhaupt, als „Belavezha-Abkommen“ gehandelt, und damit wurden die Staaten Rußland, Weißrußland und die Ukraine geschaffen.
Die Episode ist deshalb wichtig für die heutige Entwicklung, weil es in der Ukraine kein Staatsvolk, keinen Staatswillen gibt, auf den sich die jeweiligen Regierungen stützen könnten. Der ukrainische Nationalgedanke entwickelte sich seinerzeit im damals österreichischen Galizien und dort ist er auch geblieben. Er war und ist antipolnisch und antirussisch, schließt also einen Teil der Bevölkerung der Ukraine – immerhin 8,5 Millionen, oder über 18% der Bevölkerung, – dezidiert aus. Aber nicht nur die restlichen Minderheiten der Ukraine passen eigentlich in den ukrainischen Nationalstaat schlecht hinein, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Ukrainer selbst, – also derer, die sich in den Volkszählungen zur ukrainischen Nationalität bekennen, – spricht oft Russisch oder ein Mischmasch, und interessiert sich überhaupt nicht für „seinen“ Staat.
Während also die meisten Bewohner der Ukraine für diesen Staat nichts übrig haben, spricht in ihren Augen eine Menge gegen ihn. Die Ukraine hat es nach über 20 Jahren ihres Bestehens zu keiner Ökonomie gebracht. Nachdem in den 90-er Jahren flächendeckend jahrelang keine Gehälter gezahlt wurden – weder Lehrern noch Ärzten noch Fabriksarbeitern oder Bergleuten – so wurde auch seither durch Betriebsschließungen und Massenentlassungen klargestellt, daß dieses Staatsgebilde für einen guten Teil seiner Bevölkerung keine Verwendung hat. Ukrainische Söldner kämpften am Balkan und in den Bürgerkriegen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ukrainische Gastarbeiter findet man in der EU von Portugal bis Skandinavien. Sie stellen das größte Kontingent an Arbeitsemigranten in Rußland. Eine Generation von Kindern wächst ohne Eltern auf, weil diese sich in fremden Landen verdingen müssen. In den Hafenstädten der Ukraine, wo wegen mangelnder Nachfrage aus dem Hinterland sogar der Schmuggel eher kümmerlich verläuft, richten sich die perspektivlosen Jugendlichen mit Heroinsucht und Aids zugrunde.
Schließlich hat auch im Westen jeder mitgekriegt, daß dieses Land sich seine Energieversorgung nicht leisten kann und auf Preisnachlässe und Kredite Rußlands angewiesen ist.
Dadurch ist natürlich auch der Staatsapparat selbst schlecht ausgestattet, weil weder aus Steuern noch aus Zöllen nennenswerte Einnahmen in die Staatskasse fließen. Kredit hat so ein Staat wie die Ukraine sowieso keinen. In den 90-er Jahren wurden vor Wahlen regelmäßig IWF-Kredite erteilt, damit die im Amt befindliche Regierung irgendwelche ausstehenden Gehälter zahlen und dadurch überhaupt so etwas wie eine Wahlbeteiligung erzielen konnte, damit die Wahlen nicht zu einer Farce verkommen, und der neuen Regierung jegliche Legitimation abhanden käme. Die Ukraine mußte sich also verschulden, um überhaupt den Staatsapparat in die nächste Legislaturperiode weiterschleppen zu können.
Die mangelnde ökonomische Grundlage verhindert somit auch das Zustandekommen einer Staatsräson. Der Staat kann sich gar keine Ziele setzen, er ist mit Selbsterhalt beschäftigt.
Die relativ dünne herrschende Elite der Ukraine ist in der Frage zur EU gespalten, bzw. inzwischen schon eher EU-skeptisch. Während sie auf den westlichen Markt, vor allem Arbeitsmarkt nicht verzichten kann und will, haben doch alle möglichen Illusionen bezüglich der Segnungen der Westintegration in den letzten Jahren einen Dämpfer bekommen. Sowohl die Euro-Krise als auch die Zypern-Konfiskation im Frühjahr 2013, bei der auch ukrainische Geschäftsleute Federn lassen mußten, die ihr Geld in einer der zypriotischen Banken verstaut hatten, zeigen die Grenzen für das Geschäft auf, das ukrainischen Betrieben winkt. Die Nachbarländer Ungarn und Rumänien sind nicht gerade leuchtende Beispiele dafür, wie gut man mit der EU fährt. Die EU verteufelt zwar die Abhängigkeit der Ukraine von Rußland, zahlt aber die Öl- und Gasrechnungen der Ukraine nicht.
Es ist also ganz verkehrt, wie es die westlichen Medien darstellen, daß Janukowitsch sich von Putin „unter Druck setzen“ hat lassen und deswegen das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat. Es war eher im Gegenteil, daß er sich der Rückendeckung Putins für diesen Schritt versichert hat – der ja auch nicht seine einsame Entscheidung, sondern der Beschluß des ukrainischen Parlamantes, der Rada, war. Genaugenommen hat das Parlament eine Begnadigung Julia Timoschenkos abgelehnt, die die EU ihrerseits zur Bedingung der Unterzeichnung des Abkommens gemacht hatte. Der Kabinettsbeschluß, von dem Abkommen zurückzutreten, war nur eine Folge der Abstimmung im Parlament.
Der Versuch der EU und der sie unterstützenden Medien, so etwas wie eine Neuauflage der Orangen Revolution hinzukriegen, verlaufen diesmal etwas turbulenter. Die von der EU offen unterstützten Oppositionsführer, der farblose Technokrat Jazeniuk und der Boxer Klitschko, kriegen langsam selber kalte Füße angesichts der Lawine, die sie mit losgetreten haben. Die ukrainischen Faschisten hingegen sehen ihre Stunde gekommen: Endlich können sie mit dem nötigen Rückenwind aus dem Westen, Bewaffnung und Medienunterstützung auf die Staatsmacht losgehen und versuchen, sich als entscheidende Kraft in das Machtgefüge einzubringen.
Die Gewaltbereitschaft der rechten Opposition ist weniger überraschend als die geringe Gegenwehr, die der ukrainische Staat dem entgegenzusetzen hat. Die schlechtbezahlten Polizisten, das Militär, das eigentlich auch nicht weiß, was seine Aufgabe ist – sie alle sind offenbar nicht bereit, mit der notwendigen Gewalt gegen Demonstranten einzuschreiten, die das Zentrum der Hauptstadt in ein Trümmerfeld verwandeln. Janukowitsch und seine Partei können aber auch auf keine eigenen Freiwilligen zählen, die man mit entsprechender Bewaffnung auf ihre Gegner loslassen könnten.
Und die westlichen Medien päppeln Faschisten und vermummte Straßenkämpfer, die im eigenen Land sofort niedergeknüppelt und verhaftet würden, stacheln sie an und verlangen von der bedrängten ukrainischen Regierung „Zugeständnisse“.
Was wollen sie eigentlich, die EU-Politiker und ihre der Tagespolitik noch vorauseilenden Meinungsmacher? Syrische oder ägyptische Zustände an der Ostgrenze der EU?