Ukrainische Hoffnungsträger, wo seid ihr geblieben?

GARANTEN DER FREIHEIT

Bei dem medialen Aufwand, der um Volodimir Selenskij getrieben wird, tauchen bei mir Erinnerungen an ukrainische Politiker auf, die seinerzeit auch als „unsere Leute in der Ukraine“ gehandelt wurden, oder doch zumindest im Hintergrund die Fäden zogen, um die, hmmm, Westorientierung der Ukraine voranzubringen.

Bis auf Vitalij Klitschko hört oder liest man von denen gar nichts mehr.

Wer erinnert sich noch an Viktor Juschtschenko?
Er war erst Präsident der Nationalbank und dann Regierungschef unter dem Präsidenten Kutschma. Später gründete er eine Oppositionspartei zusammen mit => Julia Timoschenko. Die Partei hieß „Unsere Ukraine“. Sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde Viktor Janukowitsch. Bei der Wahl 2003 trat er gegen Janukowitsch um das Amt des Präsidenten an. Er erlitt im Wahlkampf 2004 angeblich eine Dioxinvergiftung.
Nach Protesten gegen Wahlfälschungen bei der 1. Stichwahl – die von Polen, von Soros, von Otpor und anderen außerhalb der Ukraine tätigen Freunden derselben angefachte „Orange Revolution“ – gewann er die 2. Stichwahl und regierte die nächsten 5 Jahre. Für diesen Wahlsieg war die Unterstützung durch die inzwischen verbotene Sozialistische Partei von Aleksandr Moros ausschlaggebend.
Bereits damals war der Majdan in Kiew das Zentrum der Proteste.
Die Sparpakete, die Juschtschenko aud Betreiben des IWF der Ukraine verordnete, versuchte er durch einen privatfinanzierten Fond zur Unterstützung von Kindern und durch Appelle an den ukrainischen Nationalismus populär zu machen – wir müssen da durch! Während seiner Präsidentschaft wurde der Holodomor als Berufungsinstanz für die Eigenständigkeit der Ukraine entdeckt und als Genozid qualifiziert, die Dnjeprkosaken hofiert und die OUN-UPA als ehrbare Organisation salonfähig gemacht. Außerdem begann die Ukrainisierung des Bildungswesens. Einiges davon wurde von seinem Nachfolger wieder rückgängig gemacht.
Bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2010 hatte er sich mit seiner Ministerpräsidentin überworfen. Julia Timoschenko trat mit ihrer Partei „Vaterland“ gegen Juschtschenko an. Die Wahlen gewann Janukowitsch. Juschtschenko erhielt lediglich etwas mehr als 5% aller Stimmen, ein sehr schlechtes Ergebnis für einen amtierenden Präsidenten. 2012 wurde er aus der von ihm gegründeten Partei „Unsere Ukraine“ ausgeschlossen, weil er für die Parlamentswahlen dieses Jahres angeblich einen geheimen Pakt mit Janukowitsch geschlossen hatte.
Seither trat er einige Male als Vertreter des Imkerbundes in Erscheinung. Angeblich erhielt er eine Zeitlang sogar Unterstützung aus der ukrainischen Staatskasse, weil seine Einkünfte nicht so toll waren.
Seine Frau ist US-Bürgerin und hat Kontakte zu höchsten Polit- und Finanzkreisen der USA. Es ist möglich, daß Juschtschenko von den USA in der Hinterhand für etwaige Nach-Selenskij-Regierungen gehalten wird.
Das Problem ist seine Unbeliebtheit im Lande …

Frau Julia Timoschenko ist sicherlich noch vielen im Gedächtnis, vor allem wegen ihrer medienwirksamen Auftritte mit und ohne Rollstuhl.
Von Forbes wurde sie immerhin 2005 zu einer der weltweit 100 einflußreichsten Frauen gekürt, im selben Jahr sogar als eine der 3 mächtigsten Frauen der Welt.
Sie gehört zu der Wirtschaftselite von Dnjepropetrowsk, dem Industriezentrum der Ukraine. Ein wichtiger Schritt ihrer Karriere war die Leitung des ukrainischen Energiekonzerns „Vereinigte Energiesysteme der Ukraine“. Sie machte viele Geschäfte mit Gazprom, die sich positiv auf ihre Vermögensverhältnisse auswirkten.
Sie war Mitgründerin der Partei „Vaterland“, trat aber gerne auch unter dem Namen „Block Julia Timoschenko“ bei Wahlen an. Sie war offenbar das Zugpferd dieser Vaterlandspartei, die für sich wenig zu bieten hatte. Als sie wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis saß, war „Vaterland“ die Sammelpartei aller Oppositionsparteien.
Unvergeßlich ist ihr geleaktes Gespräch mit einem ukrainischen Politiker, derzufolge man alle Russen abknallen und auf die Ostukraine eine Atombombe abwerfen sollte. Das Gespräch wurde auf Russisch geführt. Das ist nämlich die Muttersprache von Frau Timoschenko. Vielleicht ist sie deshalb in letzter Zeit wenig an die Öffentlichkeit getreten, weil sie noch an ihrem Ukrainisch arbeitet.
Um sich als wahre Vertreterin des Vaterlandes glaubwürdig zu machen, legte sie sich eine neckische Zopffrisur zu und schlüpfte für mediale Anlässe auch hin und wieder in Volkstracht.
Die Orange Revolution brachte auch sie an die Macht. Neben dem Präsidenten Juschtschenko machte sie sich als Ministerpräsidentin stark für die Erweiterung der Wirtschaftstätigkeit Richtung Westen und der Einschränkung derselben Richtung Rußland.
Wegen diverser Privatisierungsprojekte und Streit um das Gas-Importmonopol währte ihre erste Regierungszeit, in die das überwältigende Lob von Forbes fiel, jedoch nur kurz. Sie wurde im Herbst 2005 mitsamt ihrer ganzen Regierung vom Präsidenten entlassen.
Mit dem Streit zwischen den beiden Hoffnungsträgern änderte sich rasch die Parlamentsmehrheit, die Partei von Juschtschenko zerfiel. Auf einmal wurde der ehemalige Gegner und Buhmann Janukowitsch zum Ministerpräsidenten ernannt, nachdem seine Partei der Regionen Zulauf erhalten hatte. Daraufhin rauften sich Timoschenko und Juschtschenko noch einmal zusammen, erhielten die Mehrheit und Timoschenko wurde erneut Ministerpräsidentin.
Sie wurde gerne herumgereicht und als „unsere“ demokratische Hoffnung in der Ukraine gehandhabt. In den Jahren 2007-2010 flossen auch Kredite in die Ukraine reichlich. In Zeiten von Niedrigzinsen im Westen waren sie verhältnismäßig hoch verzinst und die Ukraine galt als verläßlicher Schuldner, weil ja „unsere“ westorientierten Politiker die Geschicke des Landes lenkten.
Ihre Popularität im In- und Ausland nahm ab, als sie Europa aufgrund der Streitigkeiten um die Gas-Liefer- und -Transitpreise Europa den „Gaskrieg“ bescherte.
Ihre Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen entfernte sie von der Macht und brachte sie wegen der Rivalitäten im Gassektor ins Gefängnis, von wo aus sie sehr medienwirksame Auftritte organisierte.
Nach dem Majdan 2014 konnte sie das Gefängnis verlassen. Irgendwie verschwand sie seither aus den westlichen Medien. Sie benützt inzwischen weder einen Rollstuhl noch einen Zopf: Die Frisur von ihr ist inzwischen wieder ein dezenter Pferdeschwanz.
Sie trat zu den Präsidentschaftswahlen 2019 an, unterlag jedoch Selenskij deutlich. Seither fristet sie ein relatives Mauerblümchendasein als Parlamentsabgeordnete der inzwischen recht geschrumpften Vaterlandspartei.
Nach dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine machte sie ein paar medial begleitete Auftritte zwischen Ruinen, wo sie mit Stöckelschuhen zwischen Schutt herumspazierte, Kinder in die Arme nahm und alte Leute tröstete, oder Soldaten an der Front Mut zusprach.
Sie hat es noch nicht aufgegeben, wieder an die Spitze zu kommen, aber im Augenblick scheint keine besondere Nachfrage nach ihr zu herrschen.

Als nächstes ist an Petro Poroschenko, den „Schokoladebaron“, zu erinnern.
Im Ausbau seines wirtschaftlichen Imperiums, das außer Schokolade und anderen Süßigkeiten auch Medien oder Rüstungsgüter umfaßte – eben alles, womit sich in turbulenten Zeiten Geschäfte machen lassen, – war er Mitglied vieler Parteien, die Interessensvertretungen der aufkommenden Unternehmersschicht waren und sind. Er war Gründungsmitglied der Partei der Regionen, saß in Parteien und „Blöcken“ mit Juschtschenko und Timoschenko. Ebenso verbündete er sich für kurze Allianzen mit anderen Großunternehmern, unschön „Oligarchen“ genannt, gegen andere und pflegte auch gute Beziehungen zur Unterwelt.
Bei soviel Pragmatismus blieb weder der ökonomische noch der politische Erfolg aus. Er war zweiweilig Nationalbankdirektor, hatte mehrere Ministerämter inne und verkehrte bei der Münchner Sicherheitskonferenz, schüttelte Hände mit Putin, Merkel und US-Politikern – kurz, ein Mann von Welt.
Nachdem die vereinten EU- und USA-Kräfte mit den Helden des Majdan den gewählten Präsidenten zum Teufel gejagt hatten, war Poroschenko der ideale Kompromißkandidat, auf den sich die USA, Polen und Deutschland einigen könnten, auch wenn die US-Politikerin, die die EU gerne f…n wollte, einen anderen Kandidaten bevorzugt hätte.
Wer in der Ukraine selbst bei den Wahlen 2014 Poroschenko wollte und deshalb wählte, ist ebenso rätselhaft wie gegenstandslos. Die Wahlen wurden unter internationaler Beteiligung abgehalten, zumindest in Kiew und zumindest in einigen Bezirken, also waren sie gültig.
Poroschenko ließ auch nichts anbrennen, ließ alle Lenin-Denkmäler in der Restukraine (ohne Krim) abmontieren und öffnete Investoren und vor allem ausländischen Diensten Tür und Tor. Gegen die Separatisten im Donbass ließ er Patrioten und Neonazis antreten, auch mit dem angenehmen Nebeneffekt, sie sich selbst vom Hals zu halten. Einzig und allein bei der Veräußerbarkeit des ukrainischen Ackerlandes scheiterte er am ukrainischen Parlament.
Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2019 scheiterte er an einem jungen Schauspieler, der von einem rivalisierenden Großunternehmer zum neuen ukrainischen Hoffnungsträger aufgebaut worden war.
Der Wahlsieger ließ ihn auch strafrechtlich wegen irgendwelcher Deals bei der Energieversorgung verfolgen. Inzwischen hat sich Selenskij aber mit Kolomojskij, seinem ursprünglichen Förderer, überworfen und Poroschenko – vielleicht auch unter dem Eindruck von Krieg und und ausländischen Beratern – ist wieder wohlgelitten in der Ukraine.
Poroschenko geht weiterhin auf internationale Treffen hohen Ranges und kauft im Ausland Waffen für die Ukraine ein.
Er wartet auf eine gute Gelegenheit, wenn der Schauspieler seine Rolle zu Ende gespielt hat. Vielleicht lernt er inzwischen fleißig Ukrainisch – seine Muttersprache ist nämlich auch Russisch.

Fortsetzung folgt: Weitere Kandidaten für das Präsidentenamt, sowie kleinere Kaliber

Die Auflösung der ETA

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS

Die ETA (Abkürzung für „Euskadi Ta Askatasuna“, „Baskenland für Freiheit“) hat vor einigen Wochen offiziell ihre Selbstauflösung verkündet. De facto war sie seit dem „Waffenstillstand“ von 2011 nicht mehr aktiv gewesen, jetzt wurde der Schlußakt formal vollzogen.
Das hat hierzulande kein besonderes Echo gefunden, genausowenig, wie die jahrzehntelange Tätigkeit dieser Organisation niemanden außerhalb Spaniens besonders gestört hat.

Die ETA war nämlich nicht in die Konfrontation des Kalten Krieges eingebunden. Sie suchte den Kontakt mit der Sowjetunion nicht und erhielt von dort keine Unterstützung. Die SU soll Ende der 70-er Jahre sogar angeboten haben, die ETA zu beseitigen, wenn Spanien der NATO nicht beitrete. Die damalige spanische Regierung (Suarez) reagierte, wenn überhaupt, ablehnend.

Daraus sieht man, daß die spanischen Eliten mit dem ETA-Terror gut leben konnten. Im Gegenteil, der ständige Kampf gegen einen inneren Feind kam als Rechtfertigung vieler höchst unangenehmer Maßnahmen gerade recht.

Die Vorwegnahme des Staates als Gewaltapparat

In ihre Gründungszeit herrschten noch verschiedene Vorstellungen über die Ziele dieser Organisation, die in Spaltungen und Vereinigungen mündeten. Als Ziel setzte sich schließlich die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch und verschiedene terroristische, also gewaltsame Akte zur Durchsetzung dieses Ziels.
Dieser vornehme Auftrag, der gebeutelten Nation endlich zur ihr zustehenden Entfaltung zu verhelfen, gab den Mitgliedern von ETA das gute Gewissen, von ihrer Gründung 1968 bis 2011 nach offiziellen Zählungen 853 Menschen umzubringen.

„Wir haben eine alte Sprache, daher sind wir ein Volk und deshalb werden wir einen Staat haben“ – mit diesen Worten charakterisierte eine französische Juristin seinerzeit das Selbstverständnis der ETA.
Der Wille zu einem eigenen Staat einte die ETA mit verschiedenen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Es gibt aber wenige Organisationen, die diese Sehnsucht so sehr in Reinkultur verkörpert haben wie die ETA.

Diese Vorstellung, sich als ideelle Staatsmacht mit der realen gleichzusetzen, zeigt sich auch an den angebotetenen „Waffenstillständen“. Da ist es unwichtig, ob sie gehalten haben oder gebrochen wurden. Die ETA definierte dieses Angebot auf Gewaltverzicht als einen Hoheitsakt, bei dem eine kriegsführende Seite sich mit der anderen auf etwas verständigt.

Der Kampf des spanischen Staats gegen die ETA

Der Umstand, daß die ETA nach Francos Tod nicht die Waffen streckte und weiter aktiv blieb – und sich auch einer gewissen Unterstützung im restlichen Spanien erfreute, aufgrund der Tatsache, daß sie die einzige Organisation war, die dem Regime die Stirn geboten hatte – kam den spanischen Eliten gerade recht. Mit Berufung auf „Bekämpfung des Terrorismus“ konnte die Übergangsregierung unter Suarez und die Nachfolgeregierungen auch gegen linke Studenten- und Arbeiterorganisationen vorgehen und den Gewaltapparat aus der Franco-Zeit 1:1 übernehmen. Er diente jetzt der „Verteidigung der Demokratie“.

Eine besondere Rolle kam dabei der Guardia Civil zu. Diese spezielle Einheit, die als „Gendarmerie“ übersetzt wird, wurde 1844 als eine Art Militär für das Inland gegründet, zur Überwachung der ländlichen Bevölkerung. Ihre Mitglieder leben in Kasernen, kommen aus anderen Landesteilen und dürfen sich nicht mit der Bevölkerung vor Ort verbrüdern, verheiraten usw. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit werden sie versetzt und in die nationale Polizei übernommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Guardia Civil eine Art interne Terrororganisation gegen das aufständische Landproletariat Spaniens. Im Baskenland wurde sie zu einer Besatzungsarmee. Sie verfügte über spezielle Vollmachten, die alle demokratischen Gepflogenheiten außer Kraft setzten. Während die baskische Polizei, die Ertzaintza, mehr oder weniger auf verkehrspolizeiliche Maßnahmen und ähnliches beschränkt war, konnte die Guardia Civil problemlos in Wohnungen eindringen, Hausdurchsuchungen vornehmen, Leute verhaften und tage-, sogar wochelang Leute in Gewahrsam nehmen, verprügeln, demütigen, usw., ohne ihre Angehörigen auch nur in Kenntnis zu setzen.

Es ist nicht herauszukriegen, wieviele Personen der Repression der Sicherheitskräfte seit 1975 zum Opfer gefallen sind. Darüber wird offenbar keine Statistik geführt, während die Opfer der ETA genau verzeichnet wurden. Zu den Ermordeten, ob ETA-Mitglieder oder nur der ETA-Mitgliedschaft Verdächtigen, muß man auch diejenigen hinzuzählen, die durch die Polizeihaft bleibende Schäden erlitten haben.

Das war aber offenbar dem Staat noch nicht genug.

Von 1983 bis 1987 übten die paramilitärischen Einheiten der GAL (Antiterroristische Befreiungsgruppen), die vom Innenministerium zur Zeit der sozialistischen Gonzalez-Regierung organisiert wurden, ihre Tätigkeit aus, die später als „schmutziger Krieg“ bezeichnet wurde. Ihnen werden 27 Morde zugeschrieben. Sie entführten Personen und ermordeten sie, auch in Frankreich.

Die Organisationsstruktur der ETA

Die ETA verfügte mit der 1978 von aus dem Exil heimgekehrten Politikern gegründeten Partei Herri Batasuna („Volkseinheit“), die sich 1986 formal als Partei gründete, über ein legales Standbein im baskischen Regionalparlament, bis HB und auch Nachfolgeorganisationen 2003 verboten wurden.

Die „Volkseinheit“ definierte sich als „patriotische Linke“, womit sie erstens die Liebe zur Heimat als linke Tugend definierte, und zweitens sich als ehrbare Opposition darstellte, die letztlich immer für das Gute und gegen das Böse war.
Zur Erreichnung dieser hohen Ziele sind natürlich alle Mittel erlaubt.

Die paramilitärischen Einheiten, die „Kommandos“, agierten unabhängig voneinander, sodaß die Verhaftung eines oder mehrer Mitglieder eines solchen Kommandos keine Auswirkungen für die anderen hatte. Auch unter Folter konnten die Verhafteten keine Informationen weitergeben, weil sie keine hatten.
Die Unabhängigkeit der Kommandos bezog sich auf die Wahl der Opfer, der Tatorte, die Form der Ausführung, und auch auf Geldbeschaffung und Einbrüche in militärische Depots zur Beschaffung von Sprengstoff.

Ein Moment der Dauerhaftigkeit und Unterstützung der ETA war das absolute Verbot des Konsums von Alkohol und Drogen.

In der Zeit der Transición, des Übergangs zur Demokratie, wo sich eine ganze Generation mit Heroin zu- und wegtörnte – durchaus von den Behörden geduldet –, war das ein Anziehungspunkt. Den meisten Eltern war es lieber, wenn ihre Kinder sich in ETA-Kreisen herumtrieben, als sie im Drogenmilieu versumpfen zu sehen.
Ihre Mittel beschaffte sich die ETA über Schutzgelderpressung – mit sehr glaubwürdigen Drohungen unterlegt –, über Entführungen von Unternehmern und das dafür gezahlte Lösegeld, und über Einbrüche in Munitionsdepots.

Die Unterstützer der ETA

Das Staatsprojekt der ETA fand auf der Welt wenig Unterstützer. Spekulationen auf Unterstützung von Seiten der Sowjetunion oder anderer Staaten des Warschauer Paktes werden nicht einmal von den größten Antikommunisten in die Welt gesetzt.
Auch der CIA hatte nichts mit der ETA zu tun, weder vor noch nach Francos Tod. Die USA waren mit Spanien hochzufrieden, sie hätten gar keinen Grund dafür gehabt.

Die ETA wurde lange von Algerien unterstützt. Die Regierungen von Boumedienne und Bendjedid sahen offenbar im nationalen Befreiungskampf der ETA eine Parallele zur eigenen Befreiung von der Kolonialmacht. Algerien diente sowohl als Versteck und Zufluchtsort für ETA-Mitglieder, die in Spanien gesucht wurden, als auch als Ausbildungslager für die Mitglieder der Kommandos.
Aus verschiedenen lateinamerikanischen Staaten erhielt die ETA ebenfalls Unterstützung, vor allem aus Mexiko, Venezuela, Argentinien und Uruguay. Von staatlicher Seite wurde diese Unterstützung nur geduldet, nicht aktiv betrieben. Die Freunde der ETA waren in diesen Staaten republikanische Flüchtlinge und deren Angehörige sowie Nachfahren baskischer Auswanderer.

Nicht ganz klar erschließt sich die Rolle Frankreichs. Die ETA hätte sich nie so lange halten können, wenn die französischen Behörden mit den spanischen zusammengearbeitet hätten. Aber daran bestand offenbar kein Interesse von Seiten Frankreichs.
So diente das französische Baskenland als Rückzugsgebiet und logistisches Hinterland. Der Sprengstoff kam aus französischen Militäreinrichtungen, die weniger streng bewacht waren als die spanischen. Aktionen der spanischen Polizei und Guardia Civil in Frankreich, bei denen öfters auch französische Staatsbürger zu Schaden kamen, wurden zwar geduldet, führten aber regelmäßig zu Verstimmungen und Protesten von französischer Seite.
Diese Duldung ist um so verwunderlicher, als der Wunsch nach einem eigenen Staat durchaus auch das französische Baskenland bedrohte und damit die Einheit Frankreichs. Zunächst konzentrierte sich die ETA auf den spanischen Teil – Hegoalde, die „südlichen Länder“ –, aber der Norden – Iparralde – lag als Fernziel durchaus im Staatskonzept der baskischen Patrioten.

Schließlich ist auch eine Unterstützung der ETA bei der baskischen Unternehmerschaft nicht zu unterschätzen. Nicht alle wurden genötigt, Schutzgeld zu zahlen. Es gab auch in der Unternehmerschaft welche, denen die Vorstellung eines unabhängigen Baskenlandes angenehm war und die dafür gerne etwas ablegten.
Sie erhofften sich dadurch geringere Abgaben und damit höhere Profite.

Die Attentate

Der bewaffnete Arm der ETA betrachtete sich als Nachfolger der baskischen Armee im Bürgerkrieg, der Finger saß recht locker am Abzug. Sie betrachtete sich als Armee im Krieg und wollte den Feind treffen, wo es nur ging. Die Auswahl ihrer Opfer fand so statt, daß diese Personen von den Mitgliedern der Kommandos für lebensunwert betrachtet und zur Liquidierung verurteilt wurden.
Die Attentate erfolgten in Form von Hinrichtungen mit Schußwaffen, oftmals aus nächster Nähe – der Attentäter ging zu seinem Opfer und teilte ihm vorher mit, daß es jetzt erschossen würde.

Andere Attentate erfolgten mit Bombenanschlägen. Die Frequenz von Anschlägen mit Bomben hing davon ab, welche Mengen der ETA gerade zur Verfügung standen. Die Anschläge erfolgten teilweise auf Wohneinheiten der Guardia Civil.
Oftmals wurden aber einfach auf Lokale, Flughäfen, Bahnhöfe und Supermärkte Anschläge verübt, weil die ETA die als legale Ziele gegen die Besatzungsmacht ansah.

Mit der Zeit bürgerte sich ein, daß bei den Bombenattentaten in öffentlichen Gebäuden vorher eine Warnung erfolgte, damit die betreffende Örtlichkeit rechtzeitig geräumt werden konnte.
Beim Attentat auf den Hipercor in Barcelona 1987, das 21 Todesopfer forderte, war die Warnung von der Polizei ignoriert worden, weil sie es für günstig hielt, mit einem blutigen Attentat die Stimmung in der Bevölkerung gegen die ETA aufzuhetzen. Die Toten von damals kann man also als Gemeinschaftswerk von Polizei und ETA betrachten.
Beim Bombenattentat auf den Flughafen Barajas 2006 war der Flughafen zwar geräumt worden, zwei Ecuatorianer, die in ihren Autos schliefen und deshalb die Evakuierung verschliefen, fielen der Explosion jedoch zum Opfer.

Die Opfer der ETA

Die ETA hatte ein relativ breit gestreutes Spektrum an Opfern.

Der größte Teil ihrer Opfer waren Mitglieder der Exekutive – der Guardia Civil und der Polizei, des Militärs, sowie deren Angehörige. Es gab keinerlei Bedenken oder Reue, wenn bei einem Attentat gegen eine als Feind definierte Zielperson auch deren Partner und Kinder umkamen, oder die Erschießung ihres Vaters mit ansehen mußten. Die ETA betrieb also bei ihren Attentaten auch eine Art Sippenhaftung.

Weiters wurden Lokalpolitiker – Bürgermeister oder Gemeinderäte von nicht-baskischen Parteien – ins Visier genommen, mit ähnlich tolerierten Kollateralschäden. Sie waren immerhin Verräter, die sich trotz ihrer baskischen Abstammung dem spanischen Kolonialherren andienten.
Ein – sogar baskischstämmiger – Schulwart wurde vor einem Haufen Schüler am hellichten Tag an seinem Arbeitsplatz erschossen – in der irrigen Annahme, er hätte früher einmal bei der Polizei gedient.

Gerne und reichlich wurden Taxifahrer, Kellner oder Barbetreiber erschossen, weil die ETA von ihnen annahm, daß sie Spitzel waren. Sie hatten nämlich hin und wieder Polizisten in ihren Taxis geführt oder in ihren Etablissements bewirtet, waren also eindeutig Kollaborateure der Besatzungmacht.
Bei diesen Menschen war auch noch zusätzlich verdächtig, daß sie oftmals aus anderen Teilen Spaniens stammten, also schon ihrer Herkunft nach als Feinde zu gelten hatten. In dieser Logik wurden auch diverse Andalusier oder aus Kastilien, Murcia oder Extremadura stammende Leute einfach so erschossen, um klarzustellen, daß die ETA keinen Wert auf Zuzug legte.

Auch Leute, die die ETA verlassen hatten, weil sie genug von diesem Wahnsinn hatten, wurden hingerichtet, sobald sie sich wieder ins Baskenland wagten, in der irrigen Annahme, daß über die Sache Gras gewachsen sei.

Einmal ETA – immer ETA!

Die Nachfolgeorganisation Bildu

Die Organisation Bildu (= „versammelt“) ist das Ergebnis verschiedener Koalitionen, die sich aus baskischen Kleinparteien seit dem sogenannten „Abkommen von Gernika“ im Jahre 2010 gebildet hat. Damals wurde der Waffenstillstand, also das Ende des bewaffneten Kampfes vereinbart, und alle anderen politischen Organisationen auf die Zusammenarbeit mit der ETA verpflichtet.

Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß die ETA jahrzehntelang keine Organisationen der spanischen oder sogar internationalen Linken auf dem Territorium des Baskenlandes duldete. Sobald irgendwelche anarchistischen, trotzkistischen, maoistischen, marxistischen und ähnlichen Gruppen eine Filiale im Baskenland eröffnen wollten, erhielten sie einen Besuch, der ihnen davon abriet, weil dergleichen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sei. Diese Drohungen betrafen auch den französischen Teil des Baskenlandes.
So ergab es sich zwangsläufig, daß alle Organisationen, die sich dort bildeten, ob sozialistisch oder ökologisch orientiert, als erstes die nationale Frage in ihre Statuten oder sonstigen Absichtserklärungen aufzunehmen hatten. Sie hatten sich als baskische Patrioten zu definieren, mußten sich einen baskischen Namen geben und hatten ihre Veröffentlichungen auf Baskisch zu machen.

Man kann sagen, daß die ETA sich auf diese Art und Weise den Boden für den Übergang in die Legalität vorbereitet hat. Erstens hat sie eine Infrastruktur für die Teilnehme am demokratischen Machtkampf zugelassen, derer sie sich jetzt bedienen kann. Zweitens hat sie damit gesorgt, daß alle Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen sich nur innerhalb der „patriotischen Linken“ artikulieren kann. Dadurch hat sie drittens ein breites Reservoir von jungen Anhängern und Wählern, denen es selbstverständlich ist, ihre gesamten Anliegen zu Bildu und deren Koalitionspartnern zu tragen.
Der Übergang in die Legalität ist also geglückt. 44 abgeurteilte und nach langen Haftstrafen wieder entlassene Etarras, also ehemalige ETA-Kämpfer, kandidieren jetzt für die laufenden Gemeinderatswahlen und werden es vermutlich auch schaffen, auf einen Gemeinderatssitz zu kommen. Dort sitzen sie bald neben den Anhörigen ihrer ehemaligen Opfer, die sich bei anderen Parteien betätigen und oft erst als Ergebnis der Ermordung ihrer Väter zu einem politischen Engagement entschlossen haben.
Alle Einsprüche gegen diese Umwandlung von ETA in Bildu – oft mit Zwischenschritten über andere, kurzlebige Organisationen wurden abgeschmettert.
Es ist anzunehmen, daß die PNV mit Bildu Pakte geschlossen hat, um möglichst viele Gemeinderatssitze für die nationale Sache zu sichern und andere Parteien nach Möglichkeit aus dem Baskenland zu entfernen.

Die Vereinigung mit dem Norden ist weiterhin nicht ausgeschlossen, wenngleich derzeit auf die Gemeindeebene reduziert: Bildu bzw. mit der Partei verbündete Parteien kandidieren auch in Frankreich.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels findet sich hier:

DAS (VORLÄUFIGE) ENDE EINES STAATSPROJEKTS

Pressespiegel Izvestija, 2.5.: Verschuldung in der EU

„FÜR EINE HANDVOLL ZŁOTY: WARUM SICH OSTEUROPA VERSCHULDET

Polen, Ungarn und Rumänien stellten einen Weltrekord bei der Kreditaufnahme auf

Die osteuropäischen Länder stellten seit Jahresbeginn einen Rekord bei der Kreditaufnahme auf und verdreifachten ihre Ausgabe von Anleihen gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Länder, die ihre Staatsverschuldung bisher in vertretbaren Grenzen hielten, erhöhen diese nun rapide – aufgrund des Konflikts in der Ukraine, steigender Energiepreise und steigender Militärausgaben.
Laut IWF wird es in naher Zukunft keine finanzielle Katastrophe durch die Erhöhung der eingegangenen Verpflichtungen geben, aber es ist möglich, dass die von den osteuropäischen Ländern angehäuften Schulden von der ganzen Welt bezahlt werden müssen.“

Die „ganze Welt“ wird wohl nicht zur Kasse gebeten werden können, aber die EU-Staaten möglicherweise schon.

„Kuriose Geschäfte

In den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres 2023 wurden die osteuropäischen Staaten unter allen Schwellenländern weltweit führend bei der Staatsverschuldung.“

Auch bemerkenswert, daß manche Mitgliedsstaaten der EU finanztechnisch unter „Schwellenländer“ geführt werden. Damit ist schon ein negatives Urteil über ihren Weg nach Westen, in die fertige Marktwirtschaft ausgesprochen, in dem sie nach mehr als 30 Jahren noch immer nicht angekommen sind.

„Insgesamt liehen sie sich auf dem Schuldenmarkt 32 Milliarden Dollar (Käufer von Anleihen konnten sowohl Bürger dieser Länder als auch Ausländer sein). Polen (9 Mrd. $), Rumänien (6 Mrd. $), Ungarn (5 Mrd. $) und die Slowakei (4 Mrd. $) verkauften die meisten Anleihen. Im Vergleich dazu hat der Spitzenreiter dieser Schuldnerliste, Saudi-Arabien, rund 10 Milliarden Dollar aufgenommen – mit einer viel größeren Volkswirtschaft als jedes der genannten Länder.
Die Kreditaufnahme in Fremdwährung ist aufgrund deutlich niedrigerer Zinsen rentabler. Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille: Wenn der Wechselkurs der nationalen Währungen stark fällt, dann werden die Kosten für die Refinanzierung der eingegangenen Verpflichtungen stark steigen.
Übrigens verschulden sich Polen und Ungarn aktiv in Fremdwährungen, auch weil es aufgrund der begrenzten Größe ihrer Volkswirtschaften nicht genügend Nachfrage nach Inlandsschulden in nationalen Währungseinheiten gibt.“

Man weiß nicht so recht, was mit „sich aktiv verschulden“ gemeint ist. Jeder Staat und auch jedes Individuum nimmt Schulden „aktiv“ auf. Niemand nötigt ihn dazu.
Gemeint ist offenbar, daß die Kreditaufnahme in Fremdwährung die in Eigenwährung übersteigt.

„Die Situation eines starken Anstiegs der Fremdwährungsverschuldung löst bei den Investoren“ (d.h. den Käufern dieser Anleihen) „Besorgnis aus. Inzwischen notieren die Dollaranleihen Polens auf dem Niveau von Wertpapieren der Philippinen, Indonesiens und Uruguays – Ländern mit viel schwächerer Kreditwürdigkeit.“

„Notieren“ heißt hier: Sie müssen höhere Zinsen zahlen, um ihre Anleihen anzubringen, und die Kreditausfallsversicherungen schnellen ebenfalls in die Höhe.
Es ist übrigens auch bemerkenswert, daß Polen Anleihen in Dollar auflegt. Erstens zeigt es damit seine politischen Präferenzen. Zweitens verstößt es damit eigentlich gegen die EU-Vorgaben, seinen Wechselkurs und seine Währungspflege in Euro zu vollziehen. Drittens ist es genau dadurch eine Schwächung des Euro. Oder aber, falls die Anleihe platzt, ein Problem für den Dollar.
Viertens kann es natürlich auch eine Art Subvention eines Verbündeten sein, weil wer kauft diese Anleihen? Vermutlich US-Geldinstitute, die den Rückhalt der Fed haben.

„Ein Anstieg der Anleiheverkäufe führt zu einem proportionalen Anstieg des Budgetdefizits. Im Jahr 2023 könnte es im Durchschnitt der Region 4,1 % erreichen, wobei die EU-Grenze auf 3 % festgelegt ist.“

Darum kümmert sich schon seit geraumer Zeit niemand mehr. Das weiß die Izvestija andererseits auch:

„Natürlich kann das Defizit überschritten werden, was Brüssel gleichgültig ist, wenn es um Frankreich geht, aber wenn es um die Länder Süd- oder Osteuropas geht, so sieht das anders aus.“

Andererseits kann die EU-Kommission oder die EZB wenig dagegen machen, um so mehr, als Polen sich in Dollar verschuldet. Je weniger Geld Polen aus Brüssel über diverse Töpfe erhält, um so mehr wird es sich auf den internationalen Kreditmärkten Zahlungsfähigkeit verschaffen.

„Dabei kann man nicht sagen, daß die Verschuldung dieser Länder übermäßig wäre. Die osteuropäischen Staaten zeichnen sich nämlich spätestens seit 2000 (ebenso wie Russland) durch eine starke Fiskaldisziplin aus. In Ungarn zum Beispiel beträgt die Staatsverschuldung 73 % des BIP, was viel niedriger ist als in fast jedem westeuropäischen Staat. Und das ist das schlechteste Verhältnis in dieser Region. In Polen sind es 49 %, in der Slowakei 58 %, in Rumänien 47 %. Es gibt also noch genug Spielraum.“

Allerdings läßt sich die Verschuldungsfähigkeit eines Staates nicht quantitativ bestimmen, so sehr die Wirtschaftswissenschaft auf dieser These beharrt.
Der Kredit bemißt sich eben an verschiedenen Faktoren und hat keine objektiven Grundlagen.

„Für die Zukunft liegt die Gefahr jedoch genau darin, dass die derzeitige Verschuldung weit von einer kritischen Grenze entfernt ist und die Kreditaufnahme zunehmen wird. Von allen Ländern der Region will nur Ungarn in diesem Jahr keine Kredite mehr aufnehmen.“

Ist das nur eine Frage des Willens oder hat Ungarn andere Finanzierungsquellen?

„Rumänien, Polen und andere werden weiter in den Schuldenmarkt einsteigen müssen.“

Warum eigentlich? Bei Polen ist die Sache klar, hier wird gerüstet, was das Zeug hält. Aber Rumänien? Die Slowakei? Warum gibt es dort erhöhten Finanzbedarf?
Liegt das vielleicht daran, daß ihre Wirtschaft durch Pandemie und Ukraine-Krieg besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde/wird?

„Darüber hinaus ist es vielen von ihnen nicht gelungen, die Probleme zu lösen, bei denen es zu Konflikten mit Brüssel kommt (die laut EU mit der unzureichenden Qualität der demokratischen Institutionen zusammenhängen), sodass eine zusätzliche Finanzierung durch EU-Töpfe unwahrscheinlich ist.“

Die anwachsende Verschuldung diverser osteuropäischer Staaten ist teilweise eine direkte Folge der Strafmaßnahmen gegen sie, betroffen sind vor allem Ungarn und Polen.
Die Kürzung von EU-Subventionen führt also zu einer stärkeren Hinwendung zu den internationalen Finanzmärkten, bzw. im Falle Ungarns auch zu China.

„Warschau gibt sich einem Ausgabenrausch hin

Besonders hervorzuheben ist Polen, die größte und eine der dynamischsten Volkswirtschaften der Region. Obwohl die Staatsverschuldung relativ niedrig ist, muss das Land seine externe Finanzierung weiter erhöhen. Dies liegt zum einen an der beschleunigten Aufrüstung der Armee – militaristische Stimmungen sind sehr teuer, zumal es aufgrund der gestiegenen Nachfrage zu einer Waffenknappheit auf dem Weltmarkt kommen kann.“

Polen kauft daher z.B. in Israel und Südkorea ein, was erstens sicher nicht billig ist und zweitens Abzug von der EU-Ökonomie bedeutet.

„Zweitens ist dieses Jahr ein Wahljahr, was üblicherweise bedeutet, dass die Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« sich verstärkt um die Umsetzung staatlicher Programme bemühen wird.“

Damit ist offenbar gemeint, daß sich die Regierung als Hüter der nationalen Anliegen präsentieren möchte – die sie natürlich selber erst einmal auf die Tagesordnung gesetzt, also als solche definiert hat.

„Drittens dürften die Haushaltseinnahmen geringer ausfallen als erwartet – aufgrund des Konflikts in der Ukraine und seiner verschiedenen Folgen. Dazu gehören völlig unerwartete Probleme, wie die Überfüllung des nationalen Marktes mit ukrainischem Getreide und anderen Nahrungsmitteln, die die lokalen Landwirte schwer treffen.
Hinzu kommt, dass die Inflation, die derzeit 15 % übersteigt, den Lebensstandard im Land ziemlich beutelt: Die Gehälter halten damit nicht Schritt. Es erfordert auch mehr Ausgaben, da Sparmaßnahmen im aktuellen politischen Klima keine Option sind.“

Alle Achtung, 15% Inflation. Polen ist damit einer der Spitzenreiter in der EU. Diese massive Geldentwertung macht vermutlich auch eine erhöhte Verschuldung zur Währungspflege notwendig, um den Kurs des Złoty halbwegs stabil zu halten.

„Ein ebenso wichtiger Umstand ist das große Volumen der polnischen Staatsverschuldung außerhalb der offiziellen Bilanz. Wir sprechen von mehreren staatlichen Fonds, die große Schulden angehäuft haben. So haben allein zwei Institutionen für die Entwicklung des Landes in den Jahren der Pandemie Schulden in Höhe von 214 Milliarden Złoty oder etwas weniger als 50 Milliarden US-Dollar gemacht.
Ein Teil der Verteidigungsausgaben wird auch durch außerbudgetäre Fonds ausgegeben, deren Schulden sollten bald etwas weniger als 200 Milliarden Złoty erreichen.
Es gibt auch einen Fonds, der für Straßenbau und -instandsetzung zuständig ist, der ebenfalls Geld braucht. Das Gesamtvolumen der außerbudgetären Kreditaufnahme bis 2026 könnte 638 Mrd. Złoty oder etwa 150 Mrd. Dollar erreichen.
Zusammen mit der offiziellen Verschuldung könnte das Verhältnis der Schulden zum BIP 75% erreichen, was bereits ziemlich hoch ist. Dies kann besonders gefährlich in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen sein, falls Anleger beginnen, aus Schwellenmärkten zu fliehen. Die Polen“ (d.h., die Mitglieder der polnischen Regierung) „glauben, dass ein solches Problem angesichts ihrer starken und gut entwickelten Wirtschaft nicht auftreten sollte, aber eine solche Hypothese wird sich erst mit der Zeit weisen.“

Polen betreibt also Budgetkosmetik durch Auslagerung von Schulden in separate Institutionen. Es ist sicher nicht das einzige Land, wo dergleichen praktiziert wird.

„Der IWF ermahnte Warschau bereits im Januar, seine Ausgaben zu zügeln. Im Falle unvorhergesehener Folgen hat das globale Finanzinstitut jedoch interessante Vorschläge. Im März veröffentlichte der Fonds ein Papier, in dem er für Europa die Möglichkeit erwog, ein einheitliches Schuldensystem zu schaffen, in dem die Anleihen der einzelnen Länder von allen Mitgliedern der Union garantiert würden.
Darin geht es zwar nur um die Eurozone. Polen und andere osteuropäische Staaten haben allerdings keine Eile, sich dieser anzuschließen, angesichts der Lage, in die Griechenland geraten ist.“

Hier ist anzumerken, daß bei der Einführung des Euro eigentlich alle Mitgliedsstaaten der Eurozone beitreten sollten. Dänemark, Schweden und Großbritannien mußten sich Ausnahmen genehmigen lassen, um draußen bleiben zu dürfen. Tschechien wurde bei seinem Beitritt 2005 übelgenommen, daß es sich nicht anschließen wollte, obwohl die EU es aufgrund seiner guten Wirtschaftsdaten aufnehmen wollte.
Es war daher gerade in der Zeit der Eurokrise wichtig, daß ökonomisch schwache Staaten wie diejenigen des Baltikums, und in jüngerer Zeit Kroatien, der Eurozone beitraten.

„In Zukunft kann jedoch ein solches System“ (der Schuldenumwälzung auch auf Staaten außerhalb der Eurozone) „ausgeweitet werden, was bedeutet, dass die angehäuften Schulden der gesamten EU umgehängt werden können, wo die Staaten mit dem stabilsten Finanzsystem schließlich zahlen werden (zuallererst natürlich Deutschland).“

Ob Deutschland immer der Staat mit dem stabilsten Finanzsystem sein wird, ist auch nicht in Stein gemeißelt. Allerdings – wenn dort die Finanzen ins Trudeln geraten, ist wirklich Feuer am Dach.