GARANTEN DER FREIHEIT
Bei dem medialen Aufwand, der um Volodimir Selenskij getrieben wird, tauchen bei mir Erinnerungen an ukrainische Politiker auf, die seinerzeit auch als „unsere Leute in der Ukraine“ gehandelt wurden, oder doch zumindest im Hintergrund die Fäden zogen, um die, hmmm, Westorientierung der Ukraine voranzubringen.
Bis auf Vitalij Klitschko hört oder liest man von denen gar nichts mehr.
Wer erinnert sich noch an Viktor Juschtschenko?
Er war erst Präsident der Nationalbank und dann Regierungschef unter dem Präsidenten Kutschma. Später gründete er eine Oppositionspartei zusammen mit => Julia Timoschenko. Die Partei hieß „Unsere Ukraine“. Sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde Viktor Janukowitsch. Bei der Wahl 2003 trat er gegen Janukowitsch um das Amt des Präsidenten an. Er erlitt im Wahlkampf 2004 angeblich eine Dioxinvergiftung.
Nach Protesten gegen Wahlfälschungen bei der 1. Stichwahl – die von Polen, von Soros, von Otpor und anderen außerhalb der Ukraine tätigen Freunden derselben angefachte „Orange Revolution“ – gewann er die 2. Stichwahl und regierte die nächsten 5 Jahre. Für diesen Wahlsieg war die Unterstützung durch die inzwischen verbotene Sozialistische Partei von Aleksandr Moros ausschlaggebend.
Bereits damals war der Majdan in Kiew das Zentrum der Proteste.
Die Sparpakete, die Juschtschenko aud Betreiben des IWF der Ukraine verordnete, versuchte er durch einen privatfinanzierten Fond zur Unterstützung von Kindern und durch Appelle an den ukrainischen Nationalismus populär zu machen – wir müssen da durch! Während seiner Präsidentschaft wurde der Holodomor als Berufungsinstanz für die Eigenständigkeit der Ukraine entdeckt und als Genozid qualifiziert, die Dnjeprkosaken hofiert und die OUN-UPA als ehrbare Organisation salonfähig gemacht. Außerdem begann die Ukrainisierung des Bildungswesens. Einiges davon wurde von seinem Nachfolger wieder rückgängig gemacht.
Bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2010 hatte er sich mit seiner Ministerpräsidentin überworfen. Julia Timoschenko trat mit ihrer Partei „Vaterland“ gegen Juschtschenko an. Die Wahlen gewann Janukowitsch. Juschtschenko erhielt lediglich etwas mehr als 5% aller Stimmen, ein sehr schlechtes Ergebnis für einen amtierenden Präsidenten. 2012 wurde er aus der von ihm gegründeten Partei „Unsere Ukraine“ ausgeschlossen, weil er für die Parlamentswahlen dieses Jahres angeblich einen geheimen Pakt mit Janukowitsch geschlossen hatte.
Seither trat er einige Male als Vertreter des Imkerbundes in Erscheinung. Angeblich erhielt er eine Zeitlang sogar Unterstützung aus der ukrainischen Staatskasse, weil seine Einkünfte nicht so toll waren.
Seine Frau ist US-Bürgerin und hat Kontakte zu höchsten Polit- und Finanzkreisen der USA. Es ist möglich, daß Juschtschenko von den USA in der Hinterhand für etwaige Nach-Selenskij-Regierungen gehalten wird.
Das Problem ist seine Unbeliebtheit im Lande …
Frau Julia Timoschenko ist sicherlich noch vielen im Gedächtnis, vor allem wegen ihrer medienwirksamen Auftritte mit und ohne Rollstuhl.
Von Forbes wurde sie immerhin 2005 zu einer der weltweit 100 einflußreichsten Frauen gekürt, im selben Jahr sogar als eine der 3 mächtigsten Frauen der Welt.
Sie gehört zu der Wirtschaftselite von Dnjepropetrowsk, dem Industriezentrum der Ukraine. Ein wichtiger Schritt ihrer Karriere war die Leitung des ukrainischen Energiekonzerns „Vereinigte Energiesysteme der Ukraine“. Sie machte viele Geschäfte mit Gazprom, die sich positiv auf ihre Vermögensverhältnisse auswirkten.
Sie war Mitgründerin der Partei „Vaterland“, trat aber gerne auch unter dem Namen „Block Julia Timoschenko“ bei Wahlen an. Sie war offenbar das Zugpferd dieser Vaterlandspartei, die für sich wenig zu bieten hatte. Als sie wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis saß, war „Vaterland“ die Sammelpartei aller Oppositionsparteien.
Unvergeßlich ist ihr geleaktes Gespräch mit einem ukrainischen Politiker, derzufolge man alle Russen abknallen und auf die Ostukraine eine Atombombe abwerfen sollte. Das Gespräch wurde auf Russisch geführt. Das ist nämlich die Muttersprache von Frau Timoschenko. Vielleicht ist sie deshalb in letzter Zeit wenig an die Öffentlichkeit getreten, weil sie noch an ihrem Ukrainisch arbeitet.
Um sich als wahre Vertreterin des Vaterlandes glaubwürdig zu machen, legte sie sich eine neckische Zopffrisur zu und schlüpfte für mediale Anlässe auch hin und wieder in Volkstracht.
Die Orange Revolution brachte auch sie an die Macht. Neben dem Präsidenten Juschtschenko machte sie sich als Ministerpräsidentin stark für die Erweiterung der Wirtschaftstätigkeit Richtung Westen und der Einschränkung derselben Richtung Rußland.
Wegen diverser Privatisierungsprojekte und Streit um das Gas-Importmonopol währte ihre erste Regierungszeit, in die das überwältigende Lob von Forbes fiel, jedoch nur kurz. Sie wurde im Herbst 2005 mitsamt ihrer ganzen Regierung vom Präsidenten entlassen.
Mit dem Streit zwischen den beiden Hoffnungsträgern änderte sich rasch die Parlamentsmehrheit, die Partei von Juschtschenko zerfiel. Auf einmal wurde der ehemalige Gegner und Buhmann Janukowitsch zum Ministerpräsidenten ernannt, nachdem seine Partei der Regionen Zulauf erhalten hatte. Daraufhin rauften sich Timoschenko und Juschtschenko noch einmal zusammen, erhielten die Mehrheit und Timoschenko wurde erneut Ministerpräsidentin.
Sie wurde gerne herumgereicht und als „unsere“ demokratische Hoffnung in der Ukraine gehandhabt. In den Jahren 2007-2010 flossen auch Kredite in die Ukraine reichlich. In Zeiten von Niedrigzinsen im Westen waren sie verhältnismäßig hoch verzinst und die Ukraine galt als verläßlicher Schuldner, weil ja „unsere“ westorientierten Politiker die Geschicke des Landes lenkten.
Ihre Popularität im In- und Ausland nahm ab, als sie Europa aufgrund der Streitigkeiten um die Gas-Liefer- und -Transitpreise Europa den „Gaskrieg“ bescherte.
Ihre Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen entfernte sie von der Macht und brachte sie wegen der Rivalitäten im Gassektor ins Gefängnis, von wo aus sie sehr medienwirksame Auftritte organisierte.
Nach dem Majdan 2014 konnte sie das Gefängnis verlassen. Irgendwie verschwand sie seither aus den westlichen Medien. Sie benützt inzwischen weder einen Rollstuhl noch einen Zopf: Die Frisur von ihr ist inzwischen wieder ein dezenter Pferdeschwanz.
Sie trat zu den Präsidentschaftswahlen 2019 an, unterlag jedoch Selenskij deutlich. Seither fristet sie ein relatives Mauerblümchendasein als Parlamentsabgeordnete der inzwischen recht geschrumpften Vaterlandspartei.
Nach dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine machte sie ein paar medial begleitete Auftritte zwischen Ruinen, wo sie mit Stöckelschuhen zwischen Schutt herumspazierte, Kinder in die Arme nahm und alte Leute tröstete, oder Soldaten an der Front Mut zusprach.
Sie hat es noch nicht aufgegeben, wieder an die Spitze zu kommen, aber im Augenblick scheint keine besondere Nachfrage nach ihr zu herrschen.
Als nächstes ist an Petro Poroschenko, den „Schokoladebaron“, zu erinnern.
Im Ausbau seines wirtschaftlichen Imperiums, das außer Schokolade und anderen Süßigkeiten auch Medien oder Rüstungsgüter umfaßte – eben alles, womit sich in turbulenten Zeiten Geschäfte machen lassen, – war er Mitglied vieler Parteien, die Interessensvertretungen der aufkommenden Unternehmersschicht waren und sind. Er war Gründungsmitglied der Partei der Regionen, saß in Parteien und „Blöcken“ mit Juschtschenko und Timoschenko. Ebenso verbündete er sich für kurze Allianzen mit anderen Großunternehmern, unschön „Oligarchen“ genannt, gegen andere und pflegte auch gute Beziehungen zur Unterwelt.
Bei soviel Pragmatismus blieb weder der ökonomische noch der politische Erfolg aus. Er war zweiweilig Nationalbankdirektor, hatte mehrere Ministerämter inne und verkehrte bei der Münchner Sicherheitskonferenz, schüttelte Hände mit Putin, Merkel und US-Politikern – kurz, ein Mann von Welt.
Nachdem die vereinten EU- und USA-Kräfte mit den Helden des Majdan den gewählten Präsidenten zum Teufel gejagt hatten, war Poroschenko der ideale Kompromißkandidat, auf den sich die USA, Polen und Deutschland einigen könnten, auch wenn die US-Politikerin, die die EU gerne f…n wollte, einen anderen Kandidaten bevorzugt hätte.
Wer in der Ukraine selbst bei den Wahlen 2014 Poroschenko wollte und deshalb wählte, ist ebenso rätselhaft wie gegenstandslos. Die Wahlen wurden unter internationaler Beteiligung abgehalten, zumindest in Kiew und zumindest in einigen Bezirken, also waren sie gültig.
Poroschenko ließ auch nichts anbrennen, ließ alle Lenin-Denkmäler in der Restukraine (ohne Krim) abmontieren und öffnete Investoren und vor allem ausländischen Diensten Tür und Tor. Gegen die Separatisten im Donbass ließ er Patrioten und Neonazis antreten, auch mit dem angenehmen Nebeneffekt, sie sich selbst vom Hals zu halten. Einzig und allein bei der Veräußerbarkeit des ukrainischen Ackerlandes scheiterte er am ukrainischen Parlament.
Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2019 scheiterte er an einem jungen Schauspieler, der von einem rivalisierenden Großunternehmer zum neuen ukrainischen Hoffnungsträger aufgebaut worden war.
Der Wahlsieger ließ ihn auch strafrechtlich wegen irgendwelcher Deals bei der Energieversorgung verfolgen. Inzwischen hat sich Selenskij aber mit Kolomojskij, seinem ursprünglichen Förderer, überworfen und Poroschenko – vielleicht auch unter dem Eindruck von Krieg und und ausländischen Beratern – ist wieder wohlgelitten in der Ukraine.
Poroschenko geht weiterhin auf internationale Treffen hohen Ranges und kauft im Ausland Waffen für die Ukraine ein.
Er wartet auf eine gute Gelegenheit, wenn der Schauspieler seine Rolle zu Ende gespielt hat. Vielleicht lernt er inzwischen fleißig Ukrainisch – seine Muttersprache ist nämlich auch Russisch.
Fortsetzung folgt: Weitere Kandidaten für das Präsidentenamt, sowie kleinere Kaliber