SCHÖNE AUSSICHTEN – FRAGT SICH NUR, FÜR WEN
Die EU-Häuptlinge haben sich angeblich geeinigt, den griechischen Schuldenproblemen mit einer Mischung aus bilateralen Krediten und der Einbeziehung des IWF zu begegnen.
Was bedeutet also zunächst einmal die Hinwendung zum IWF?
(Zum IWF: http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/88/88_6/iwf.htm)
Erstens, und das dürfte vor allem die Sorge Deutschlands gewesen sein: Die vom IWF gewährten Kredite kosten erst einmal die EU-Staaten nichts, d.h., sie blähen das durch Bankenstützungspakete gewaltig angewachsene Kreditvolumen nicht noch weiter auf. Gerade Deutschland hat diesbezüglich den Arsch offen und will nicht noch ein Schäuferl zulegen, vor allem für ein Projekt, in dem es seine nationalen Interessen derzeit nicht gut bedient sieht. Während nämlich laut trompetet wird, daß Griechenland „schlecht gewirtschaftet“ hätte, ist Deutschlands Staatsschuld dem Volumen nach ein Vielfaches der griechischen, und nur deshalb nicht Thema, weil Deutschland erfolgreicher Kapitalstandort ist, also dort die Akkumulation und das Gewinne-Machen funktionieren, während Griechenland diesbezüglich auf der Strecke geblieben ist.
Deutschland ist also besorgt um seine eigene Kreditwürdigkeit, wenn seine Politiker und Medien gegen den angeblichen griechischen Schlendrian ins Feld ziehen.
Diese Griechenland-Hetze hat auch darin einen Pferdefuß, daß Griechenland ein Absatzmarkt für deutsche Produkte ist, und deutsche Unternehmen vor Ort in Tourismus und Schiffbau investiert haben. Aber deutsche Politiker sehen offenbar das Interesse ihrer Geschäftsleute als zweitrangig an, wenn es um so ein hohes Gut geht wie die Kreditwürdigkeit des deutschen Staates.
Die good news der IWF-Beteiligung lauteten also: Deutschland muß seinen Kredit nicht weiter strapazieren.
Zweitens aber, und das waren die Bedenken der meisten anderen Staaten: Damit wird dem IWF, einer Institution, die eigentlich bisher hauptsächlich für die Zahlungsschwierigkeiten von Ländern der 3. Welt zuständig war, Einmischung in die Geld- und Steuerpolitik eines Landes der Euro-Zone zugestanden. Diese übernationale Institution, die für die Zahlungsfähigkeit von Staaten sorgen soll, damit andere – Private – weiter mit diesem Staat Geschäfte machen können, darf sich nicht nur in die Angelegenheiten Griechenlands einmischen, sondern auch in diejenigen der EZB. Wie diese Zusammenarbeit aussehen wird und welche Konflikte daraus entstehen, wird erst die Zukunft weisen. Eines ist aber damit klar: Das ganze Euro-Projekt ist teilweise unter Kuratel gestellt, und Staaten wie die USA, China und Rußland haben ein Stück weit Einblick, vielleicht sogar Mitspracherecht in die inneren Belange der europäischen Einheitswährung.
Bei seinem Versuch, den eigenen Nationalkredit zu retten, hat Deutschland somit Abstand genommen von dem von ihm selbst seinerzeit initiierten europäischen Einigungsgedanken, mitsamt dessen imperialistischer Wucht nach außen.
Schließlich, drittens, ist es dem Gutdünken anderer EU-Staaten anheimgestellt, Griechenland zu unterstützen, also den eigenen Nationalkredit für eine Stützung der griechischen Kreditwürdigkeit einzusetzen. Gegen bilaterale Kredite hat Deutschland sich nur so lange gewehrt, als es befürchten mußte, selbst dafür in die Pflicht genommen zu werden. So hingegen, wenn die Gewährung solcher Kredite den EU-Institutionen entzogen und der nationalen Geldpolitik der einzelnen Mitglieder überantwortet wird, darf jeder der EU-Staaten Griechenland nach eigenem Ermessen unter die Arme greifen.
Es wird also damit gerechnet, daß diejenigen Staaten, die ein gesteigertes Interesse an Griechenlands Zahlungsfähigkeit haben, sich an dieser Aktion beteiligen – und damit Griechenland als Handelspartner für Deutschland funktional erhalten werden! Deutschland möchte also die Unkosten, die die Wahrnehmung der unternehmerischen Interessen ihrer eigenen Kapitalisten verursacht, auf andere Staaten abwälzen.
Übrigens, noch was: Bargeld – „wir zahlen nicht!“ usw. – fließt bei all diesen Manövern überhaupt keines. Es wird also nicht irgendein Geldbeutel oder Safe aufgemacht und gutes Geld nach Griechenland verschoben. Nein, einem betroffenen Staat wie Griechenland wird gegen entsprechende Einschränkungen in seinem Budget Kredit gewährt, damit sich dieser Staat weiter verschulden, also Zahlungsversprechen in die Welt setzen kann, und dafür Käufer findet.
Die Spekulanten, die derzeit zwar beschimpft werden, in deren Hände sich aber alle Staaten und Unternehmen begeben, und vor deren Einschätzung auch alle Ausgeber von Wertpapieren bestehen wollen, erhalten dadurch neue Anhaltspunkte für ihre Spekulation, und wenn jemand bei diesen Stützungsaktionen reich wird, dann sie.
Mit dem Steuerzahler, dieser trostlosen Figur, die immer dann aus dem Besenkammerl geholt wird, wenn irgendwo brave Untertanen jammern wollen oder ausländische Subjekte bedrängt werden sollen, hat das alles gar nichts zu tun. Die Bürger liefern ihre Steuern ab, damit ihre jeweiligen Staaten die Freiheit erhalten, sich grenzenlos zu verschulden, und dann wieder ihren Steuerzahlern Sparprogramme und Hartz IV-Maßnahmen zu verordnen. Mit der kindischen Vorstellung einer Haushaltskasse, in die man was einzahlt und dann wieder etwas herausbekommt, ist dieses Verhältnis völlig falsch bestimmt.
Auf diese Einsicht könnte man allerdings nicht erst bei der griechischen Schuldenkrise kommen.
Kategorie: Nationalismus
Die EU und Griechenland
Nationalismus und Supranationalismus
Die EWG/EU ist seit ihrer Gründung ein widersprüchliches Projekt: Sie verspricht ihren Mitgliedern die Aussicht auf Stärkung ihrer nationalen Macht, unter gleichzeitiger teilweiser Aufgabe derselben. Die Staaten, die sich der EU anschließen, sollen einen Teil ihrer Souveränität aufgeben, um sich im Rahmen eines größeren Ganzen zu stärken. Sie sollen Teil eines imperialistischen Blockes werden, sozusagen als Vereinigte Staaten von Europa die Schranken ihrer nationalen Produktion und Akkumulation überwinden und durch den Zusammenschluß mit anderen Nationen ihre eigene kapitalistische Prosperität voranbringen.
Mit diesem Zusammenschluß, und noch mehr durch die Einführung einer gemeinsamen Währung sollten einheitliche Konkurrenz- und Ausbeutungsbedingungen hergestellt werden, nach dem Ideal, das würde den nationalen Nutzen aller beteiligten Staaten befördern.
Nach einigen Jahrzehnten, Erweiterungen und der Einführung der Gemeinschaftswährung hat sich dieser Widerspruch zugespitzt, der auf dem Konzept der Nation beruht, als einer Gemeinsamkeit, die nach innen alle Gegensätze aufhebt, nach außen aber jede Menge Gegensätze schafft. Die Unternehmer der verschiedenen Nationen nahmen die vereinfachten Ausbeutungsbedingungen innerhalb der EU wahr und gingen dorthin, wo die Löhne am niedrigsten waren, bzw. warben Arbeiter derjenigen Nationen an, die sich zum billigsten Tarif zur Verfügung stellten. Das Lohnniveau, und das war auch so beabsichtigt, nivellierte sich nach unten, bei gleichbleibenden Preisen. Die Arbeitskraft verbilligte sich, die Kaufkraft schrumpfte, das Preisniveau erhöhte sich gleichzeitig, da die Anbieter der verschiedensten Produkte auf die Kaufkraft aller EU-Staaten zurückgreifen konnten. Die Arbeiterklasse als ganze wurde ärmer: Das Verhältnis von Löhnen und Preisen veränderte sich zu ihren Ungunsten.
Die Geschädigten dieser Veranstaltung interpretierten ihren Mißerfolg – entweder sie wurden arbeitslos, oder als Arbeitende wurden sie ärmer – als eine Schwäche ihrer Nation gegenüber den anderen. Sie appellierten – über Gewerkschaften, Wahlen und andere Transmissionsriemen der Staatsmacht – an ihre Führung, doch die anderen Staaten – und deren Bürger! – in ihre Schranken zu weisen, um ihre eigene Sache zu befördern. Der ständig wachsende Nationalismus innerhalb der EU war ein Ergebnis der schrankenlosen Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen der verschiedenen Staaten, die von der EU-Führung gewünscht war.
Man muß hier einmal festhalten, angesichts der Tatsache, daß das Proletariat aller Staaten nationalistisch ist: Der von den Regierungen – und Gewerkschaften! – erwünschte nationale Schulterschluß mit der eigenen Staatsmacht und die ständigen Appelle an sie, doch die Interessen des eigenen Landes vor Augen zu halten, ist eine zerstörerische Macht innerhalb der EU: Diejenigen Staaten, die sich als Verlierer des EU-Projektes herauskristallisieren, genauso wie diejenigen, deren nationales Kapital dabei gewonnen hat, sehen in den anderen EU-Staaten unrechtmäßige Betrüger und Schmarotzer des EU-Projektes. Während einzelne Unternehmer von den vereinheitlichten EU-Konkurrenzbedingungen profitieren, sieht ein großer Teil der Bevölkerung sich als Verlierer – und interpretiert das nicht als Klassenfrage, sondern als nationale Niederlage, mit den entsprechenden Schuldzuweisungen nach außen, aber auch an die Adresse ihrer eigenen Führung.
Die herablassende Bemerkung deutscher Politiker, Griechenland sollte doch sein Territorium abverkaufen, um seine Schulden zu begleichen, hat den Nationalismus innerhalb der EU entfesselt: Nicht nur zwischen Deutschland und Griechenland, auch bei anderen Mitgliedsstaaten der EU und der Eurozone, die ebenfalls mit Schwierigkeiten beim Absatz ihrer Staatspapiere kämpfen. Eine weitere mögliche Verlaufsform des Konfliktes mit Griechenland könnte die sein, daß die griechische Bevölkerung ihrer Regierung die Botmäßigkeit aufkündigt, weil sie sie als Verräter an der nationalen Sache betrachtet. Das servile Auftreten Papandreus gegenüber der EU, der versucht, sein sinkendes Schiff vor dem Untergang zu bewahren, hat seine eigenen Untertanen jedenfalls sehr gegen ihn aufgebracht.
Der Versuch diverser, vor allem deutscher EU-Politiker, eine Schadensbegrenzung für den Euro vorzunehmen, indem sie Griechenland zu einem Ausnahmefall erklärt, und sehr eindeutige Schuldzuweisungen in Richtung Griechenland – Staat und Individuen, also ganz gewöhnlicher Rassismus – verkündet haben, könnte sehr nach hinten losgehen.
Weil was geschieht, wenn Griechenland seine Anleihen nicht mehr international plazieren kann? Und wenn es sie national, also seinen eigenen Banken verkaufen kann, sie aber von der EZB nicht mehr angenommen werden? Dann wird es nach außen wie nach innen zahlungsunfähig. Es kann seine vorigen Anleihen nicht mehr bedienen, diese sind dadurch entwertet. Angesichts der großen Mengen von griechischen Staatsanleihen, die Teil des Staatsschatzes anderer EU-Länder sind, käme es damit zu einer Entwertung des gesamten EU-Haushaltes.
Wenn der Staat sich keine finanziellen Mittel mehr beschaffen kann, so kann er seine eigenen Ausgaben nicht mehr tätigen: Die Staatsangestellten, die ganze Infrastruktur stünde ohne Zahlungsfähigkeit da. Gut, in Jugoslawien und Rußland wurde in den 90-er Jahren vorgeführt, wie man sich dann irgendwie durchwurstelt, unter großen Opfern für die Bevölkerung, aber diese Länder waren nicht Mitglieder einer Gemeinschaftswährung.
Im Falle Griechenlands würde der griechische Markt zusammenbrechen, Zahlungsverpflichtungen von Firmen für Lieferungen würden nicht mehr erfüllt, Privatschulden nicht mehr beglichen, der griechische Banksektor würde krachen, und wahrscheinlich den anderer Balkanstaaten mit sich reißen.
Was das für den Euro bedeuten würde, läßt sich noch gar nicht absehen.